Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VI. Die Tafel.

Alles muß zum voraus geordnet und bedacht sein, damit eine so große Wandelung sanft sei für die junge Frau und ihre Diät als Mädchen wenig und langsam verändert werde. Man muß sich wohl hüten, sie auf einmal von den Früchten, welche die meisten jungen Mädchen vorziehen, übergehen zu lassen zu der derben Nahrung des Mannes. Sie würde davon krank werden. Nichts ist unsinniger, als was wir so häufig in Nachahmung der Engländer thun sehen, eine müßige, viel sitzende Frau mit schweren Fleischspeisen zu ernähren, die kaum für den Arbeiter, für den thätigen Mann, der immer in Bewegung ist, notwendig sind; eine aufregende Diät, welche die Frau nur dadurch erträgt, daß sie die größere Aufregung der geistigen Getränke hinzufügt. Von da an datiert sich der Verfall ihrer Schönheit – ihr schnelles, vorzeitiges Verblühen – datiert sich der endliche tiefe Verfall der Rasse.

Du mußt deiner jungen Französin die Gewohnheiten der Kindheit bewahren, dieselben nur allmählich verbessern und dafür Sorge tragen, daß sie es vom ersten Tage an in ihrem neuen Hause so findet, wie sie es bei ihrer Mutter hatte. Du hast dafür gesorgt, ich bin dessen gewiß, ich kenne ja dein Herz. Seit langem weißt du durch ihre Mutter, ihre Amme, durch den Hausarzt vielleicht, wie ihre physische Natur beschaffen ist. Um ihr das Nestchen Wohl zu bereiten, mußte dir alles bekannt sein: ihre Gewohnheiten, der durchschnittliche Zustand ihrer Gesundheit, ihre kleinen Unpäßlichkeiten, alle ihre Umstände als Frau. Man muß sogar, ohne eine lästige Nachforschung zur Schau zu tragen, die Familiengeschichte ein wenig durchgehen, wie die Rasse ist, aus der sie stammt; muß die Krankheiten kennen lernen, die dort vorgekommen sind und wieder vorkommen könnten. Von dieser Kenntnis wird die Regelung ihrer Lebensweise abhängen und so viel wie möglich eure Nahrung, deine Vorliebe für Gerichte, die ihr gut bekommen und ihre Gesundheit bewahren können.

Viele und gerade die liebenswürdigsten kommen sehr schwächlich in die Ehe, zu sehr verfeinert durch die Rasse, kränklich von Geburt, oder infolge der schlechten Diät.

Der, welcher eine so zarte Blume in sein Haus aufnimmt, sieht häufig, daß sie nicht fähig ist, die Last der Mutterschaft zu tragen. Bevor man von ihr ein Kind haben kann, muß man sie selbst erst kräftigen, das arme Kind, und machen, daß sie wirklich Frau wird. Man muß erst ihre Mutter sein, bevor man ihr Gatte sein kann.

*

Mütter und Wärterinnen begehen oft die Thorheit, daß sie die Kinder zu viel essen lassen, auf die Gefahr hin, sie krank zu machen. Wenn sich eins bis zur Indigestion vollstopft, so sind sie entzückt: »Das schlägt bei ihm an,« sagen sie. Ich habe das wunderliche Schauspiel gesehen, daß leidenschaftliche Mütter ihren Sohn baten und nötigten, über das Maß zu essen und zu trinken, und dann bei jedem Bissen die Lust bezeigten, die sie selbst dabei empfanden. Sie waren gierig für ihn, lüstern für ihn. Die Liebe hat ähnliche Wirkungen. Als ich eines Tages bei einem außerordentlich mäßigen Freunde zu Mittag speise, sehe ich, daß er beim Nachtisch in eine gewisse Bewegung gerät: einem Feinschmecker zu vergleichen, dem man sein Lieblingsgericht bringt. Hier war keine Ursache, kein Vorwand dazu. Ich saß ihm gerade gegenüber und bemerkte, daß seine junge Frau eine Frucht aß, welche sie sehr liebte. Er starrte diese Frucht an, wurde rot, geriet in Verwirrung. Ich begriff den Zusammenhang. Er selbst machte kein Geheimnis daraus. »Ihr Vergnügen fühlte ich so sehr mit, daß ich mich nicht beherrschen konnte ... Ich lebe in ihr, und alles, was sie empfindet, empfinde ich selbst noch viel mehr.«

Dies sind zu starke Regungen der Natur, die man wohlthut, vor der Frau zu verbergen. Es müßte sie verwirren. Eine solche Physische Identität der Begierden und Funktionen würde dem schwachem Teile schädlich werden. Sie würde in deiner Flamme schmelzen. Sei ruhig, ich bitte dich, mäßige dich, sei weise, schone sie, überstürze nichts.

*

Wie grundtief ist diese Vereinigung bei Tische, vor allem in einer kleinen Wirtschaft, wo man zu Zweien ißt, wo die Dienerschaft nicht dazwischentritt, oder doch kaum!

Der Mann ernährt seine Frau, bringt jeden Tag, wie der Vogel der Legende, das Brot Gottes seiner geliebten Einsiedlerin. Und die Frau ernährt den Mann. Seinem Bedürfnis, seiner Arbeit, seinem ihm bekannten Temperament paßt sie die Nahrung an und ihre Liebe hat nicht weniger Anteil an der Bereitung der Speisen, als Feuer und Salz; er spürt es, daß die geliebte Hand dies Gericht bereitet hat.

So ernähren sie sich denn gegenseitig. Jeder von ihnen fühlt entzückt, daß keins seiner Atome ihm gehört, daß Tag für Tag alles durch das geliebte Wesen erneuert und wiederbelebt wird. Aus dem Gesetz, welches wir hart und gemein fanden, aus des Leibes Nahrung und Notdurft, weiß die Natur das süßeste Band für uns zu weben, eine tiefe Poesie der Herzen, welche die Vereinigung zur Einigkeit macht. Wer könnte entscheiden, ob die Gatten mehr durch diese ruhige, sanfte Vermählung sich vermischen, oder durch das Entzücken der Lust? In der gegenseitigen Ernährung, wie in der Fortpflanzung, findet gleicherweise ein Tausch, eine Auswechselung des Wesens statt.

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Da sitzen sie denn an der Tafel einander gegenüber und essen zum erstenmale zusammen. Da sitzest du nun vor ihr, entzückt und kaum imstande, die Augen von ihr abzuwenden. Sie hat während deiner kurzen Abwesenheit an dich gedacht; sie hat hübsch sein wollen; sie ist ein wenig geschmückt. Und womit? mit einer Kleinigkeit, einer Gartenblume etwa, die sie in ihr Haar gesteckt hat.

Schon dieser eine Tag hat sie gefördert; sie ist ein anderes Wesen; ihre Farbe ist ein wenig lebhafter geworden. Das hübsche, leidende Mädchen ist eine anziehende Frau; sie lächelt mit bescheidenem Ernst, sie ist schon ganz Madame.

Sie ist nicht eben hungrig. Ein wenig Gemüse, Früchte, Milchspeise – das mag sie gern. Dein Fleischessen zieht sie durchaus nicht an. Sie schaudert vor dem Tode, vor dem Blute zurück; sehr natürlich, ist sie doch selbst die Blume des Lebens. Deswegen besonders muß sie jenes Landmädchen haben, von dem ich vorhin sprach. Sie bereitete dir gern selbst deine Speisen, aber eine blutige Küche würde sie mit zu großem Abscheu erfüllen. Auch ist sie für die groben Arbeiten zu zart, die für die junge, rüstige Bäuerin nichts sind, und derselben noch Zeit genug für den Garten lassen. Die Küche ist Heilkunst, die beste Heilkunst, die vorbeugende. Deswegen ist sie die rechte Arbeit für die Gattin, die allein wirklich weiß, was der Mann bedarf, und seine Arbeit kennt. Mit allem, was sauber ist und für sie nichts Abstoßendes hat, mit allem, was ihre hübsche Hand nicht rauh macht, mit allem, was mit der Hand selbst berührt werden muß, ist es wünschenswert und angenehm, daß sie sich selbst befasse. Diese Pasteten, diese Kuchen, diese Cremes können nur von der bereitet werden, die man liebt, und nach der man verlangt.


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