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Seit Hans fortgezogen war, war Marylkas Dasein gleichsam in zwei Teile geschnitten, die getrennt und verschieden waren wie Tag und Nacht.
Sie empfand keine Angst um sein Leben, aber das Entbehren machte die Schmerzensglocke ihres Herzens ertönen, so daß sie sich plötzlich zur Erde niederbeugen und lauschen mußte, unfähig sich zu rühren. Es war nicht Angst um ihn, was plötzlich ihre Hände kalt machte, als seien sie in eisiges Wasser getaucht, es war nur das Entbehren, das schwarze, saugende, bittere Entbehren.
Seine Briefe – namentlich alle, die im Anfang kamen, denn später wurden sie ruhiger, einförmiger, kurzgefaßt – waren wie Salz in offenen Wunden. Am meisten schmerzte es, wenn er auf dem Hintergrund des Krieges die Stille auf der Insel ausmalte, die hellen Nächte mit den Düften des Gartens und des Meeres, die durch die geöffneten Fenster drangen. Die rieselnden Laute der Heide. Das Knirschen der Muscheln und des Blasentangs unter den Füßen, wenn er und sie im Mondschein am Strand entlang wanderten.
Sie konnte so schwer ihren Gefühlen in Worten Luft machen. Sie drangen ihr erstickend bis in die Kehle, wurden aber zu nichts, sobald sie die Feder in die Hand nahm. Sie fand, die Schrift war so kalt, daß ihr die Worte zu Leichen gefroren. Sie konnte nicht.
Eines Tages saß sie und zwirnte Strumpfgarn, blau und weiß, wie es dort auf der Insel von Männern und Frauen, von alt und jung getragen wurde. Während die Fäden, der weiße und der blaue, ihr durch die Hände liefen und sich zu einem gleichmäßig gestreiften Ganzen vereinten, war es ihr plötzlich, als lese sie eine Schrift darin, eine liebe bekannte, lang entbehrte Schrift.
Mit einem Lächeln schnitt sie den Faden durch und setzte sich an den rot gestrichenen Tisch, wo Hansens Papiere noch so lagen, wie er sie verlassen hatte. Sie tauchte die Feder ein und berührte damit den weißen Faden, wie in Gedanken, wie in einem Spiel. Bald machte sie Punkte, bald Striche.
Ihr warmes, lebendes Herz fand hier zum erstenmal die Ausdrucksform, die ihr paßte.
Sie selbst hatte Hans Rudner gelehrt, die Telegraphenschrift zu deuten. Noch fühlte sie die Wärme seiner Hand, als sie ihn mit dem Apparat umzugehen lehrte, so wie der alte Telegraphist es sie seinerzeit gelehrt hatte.
Plötzlich konnte sie alles schreiben, was ihr sehnendes Herz ihm zu sagen wünschte. Sie war kein Dichter, und ihr Wortvorrat war nicht groß wie der seine, aber sie fand die Worte, die wie lebende Sprache wirkten. Worte, die atmeten, Worte, die wärmten wie der menschliche Körper.
Sie war einfältig und unbegabt, sie hatte nichts gelernt und nur wenig von der Welt und dem Leben außerhalb der kleinen Insel gesehen, aber alles in ihr war Ursprünglichkeit, echte, in ihrer eigenen Seele geborene Ursprünglichkeit. Als der Brief beendet war, wickelte sie den langen Faden um ihr Handgelenk, so wie die feinen Damen Armbänder trugen, und sie schlief ein, mit einem Gefühl der Sicherheit, als sei Hans Rudner im Zimmer.
Am nächsten Tag sandte sie den Brief ab, und es verging ein Monat. Ihr Mann, der nichts davon wußte, was sie mit dem Faden gemacht hatte, schrieb, er trage ihn wie ein Amulett um das Handgelenk gewickelt. Da begriff sie, daß es Wege zwischen den Menschenherzen gab, die noch nicht ergründet waren.
Von nun an schrieb sie alle ihre Briefe auf den weißen Faden. Hin und wieder einmal zwirnte sie ihn dann hinterher mit einem blauen zusammen, als kleinen Scherz. Da würde es länger währen, bis er die Schrift entziffert hatte, aber sie wußte, daß ihm dies nur lieb sein würde.
Dies war die eine Seite ihres Wesens, und die bewahrte sie für sich. Wenn sie mit den Frauen der Insel über den Krieg redete und diese sie fragten, wie es ihrem lieben Schullehrer ergehe, sprach sie ohne Herzklopfen von ihm, als sei er ein guter Freund und nicht mehr. Sie hatte die große Scheu der Inselbewohner, sich anderen mitzuteilen.
Aber sie war oben auf der kleinen Insel, so wie Ida Witt unten in Wien und die Generalin in Berlin, sich bewußt, daß all ihre Kraft für die große, heilige Sache benutzt werden müsse. Und sie las die Zeitungen aus der Hauptstadt von Anfang bis zu Ende. Sie versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, und sie eignete sich jeden Rat, jede Mahnung an, die dem Volke als Ganzem erteilt wurden. Mehr als das, sie fing an, auf eigene Hand zu denken und zu handeln. Als sie begriff, daß ihr geliebtes Land von der Umwelt abgesperrt war, und daß der Krieg sich in die Länge ziehen konnte, erschien es ihr als etwas ganz Natürliches, daß von einem Nahrungsmittelmangel keine Rede sein könne.
Und in einer stillen Nacht, als sie nicht schlafen konnte, sondern draußen vor der Hütte auf und nieder ging – die Schule stand jetzt immer leer, die Kinder wurden wieder alle in der alten Schule unterrichtet – da sah sie über die Insel hinaus, sah dann wieder auf ihr kleines Stück Land und nickte. Ihr war ein Gedanke gekommen, und sie wollte versuchen, ihn in die Wirklichkeit zu übertragen.
Reichtum gab es auf der Insel nicht, es konnte nicht viel Geld eingesammelt, es konnte keine große Kriegsanleihe gezeichnet werden. Leben und Blut konnten hergegeben werden, das war scheinbar alles. Und Leben und Blut waren gegeben. Es gab auf der ganzen Insel keinen Mann, der die Waffen führen konnte und nicht freiwillig mitgegangen wäre. Selbst gichtleidende Greise hatten ihre Hilfe angeboten und waren mit Greisentränen in den Augen still heimgekehrt – man hatte sie nicht gebrauchen können.
Aber die Insel selbst, der Heideboden, war da. Unter dem Heidekraut ist Sand, und im Sandboden wachsen die Kartoffeln besser als irgendwo sonst.
Marylka sammelte die Kinder, nach und nach, als sie aus der Schule kamen, und erklärte ihnen, daß sie alle das Ihre dazu beitragen könnten, um dem Vaterlande zu helfen. Sie waren nur zu eifrig, sie wollten sofort beginnen, noch ehe sie zu Mittag gegessen hatten. Noch wußten sie nicht, um was es sich handelte. Sie hatten alle Übung im Schneiden von Heidekraut und im Stechen von Heidetorf. Es gab ja keine Hütte, die nicht im Winter mit Heidekraut und Torf warm gehalten wurde. Und die Hauptnahrung der Inselbewohner bestand in getrocknetem Fisch und Kartoffeln – Kartoffeln, die rings um die Hütten herum in Streifen wuchsen, wo man das Heidekraut weggeschält und die Erde von den meisten Wurzeln befreit hatte. Nun wollte sie, daß jedes der Kinder seinen Streifen Erde bearbeitete, der, wenn der Frühling kam, für die Kartoffeln bereit liegen konnte.
Da war Heidekraut in Menge, und niemand würde etwas dagegen haben, daß der Boden so in Streifen geteilt wurde. Wenn es sich bei dem Abschälen nur um Streifen von ein paar Metern Breite handelte, konnte keine Rede von Gefahr durch Sandtreiben sein, und es gab nicht so viele Heideschafe, daß sie nicht trotzdem ihre Nahrung finden konnten.
Dies geschah zu Anfang Oktober, als das Wetter schon rauh war und die großen Stürme anfingen, über der Insel zu singen. Aber die Kinder der Inselbewohner waren abgehärtet. Denen hatten die Kälte und der Wind nichts an. Sie waren kaum aus der Schule gekommen und hatten ihr Essen hinuntergeschlungen, als sie auch schon bei der Arbeit waren. Marylka leitete das Ganze. Mit einer Schnur und kleinen Pflöcken maß sie die Streifen ab, alle gingen von der Landstraße aus und erstreckten sich nach beiden Seiten. Die Kinder stachen um die Wette, und die Torfstücke wurden nach und nach heimgetragen und aufgestapelt.
Marylka hätte dies nicht ohne Erlaubnis von allen Grundbesitzern tun können, aber die verschaffte sie sich am ersten Kirchtag. Da war ja keine Frau, die jetzt, wo ihre Lieben ihr jeden Augenblick für ewig entrissen werden konnten, nicht Gottes Haus besuchte. Die Kirche war gedrängt voll. Der Pfarrer hätte gar nicht zu reden brauchen, die Gemeinde selber schöpfte Trost aus den Kirchenmauern, aus den Altarbildern, aus den geistlichen Liedern, aus dem Glockengeläute. Marylkas Worte gingen von Mund zu Mund, und sie hatte die Erlaubnis, fast ehe sie sie noch erbeten hatte.
Marylkas Kartoffeln waren ja die feinsten auf der Insel, und in jedem Frühling kam man zu ihr, um einige davon zu bekommen und sie zwischen die andern zu legen. In diesem Jahr kaufte sie Kartoffeln und hob alle die eigenen auf. Erst aber untersuchte sie sie eine nach der anderen, sie hatte ja Zeit genug, und sie lächelte bei jeder, von der sie meinte, daß sie geteilt und zu mehreren werden könne. Als sie aber mit ihrem eigenen Vorrat fertig war, ging sie der Reihe nach zu den Frauen der Fischer und Seeleute und bat sie, dasselbe zu tun. Es galt, die besten für Saatkartoffeln aufzubewahren.
Die ganze Insel glich schließlich einem Zebrafell, so gestreift wurde sie durch die eifrige Arbeit der Kinder. Und vor jeder Hütte, in einer Sandgrube vergraben, die nach oben zu eine kleine Luftröhre hatte, lagen die ausgewählten Kartoffeln.
Marylka ließ Tonnen und aber Tonnen von Kartoffeln nach der Insel kommen. Sie hatte Angst, daß es unrecht gegen andere sein könne, tröstete sich aber damit, daß die Vorräte der Insel, wenn der Sommer kam, diesen Raub an dem Festlande reichlich vergelten würden.
Jetzt ersah sie aus den Zeitungen, daß das Land Verwendung für Kupfer hatte, und sogleich machte sie sich daran, Kupfer zu sammeln. Hier kam die Armut der Insel ihr zugute. Die Bewohner benutzten die Kupferkochgefäße nicht, weil sie feiner und besser waren, auch nicht, weil sie den ererbten Hausrat liebten, sondern ganz einfach, weil sie die Kupfergeräte hatten, weil sie unverwüstlich schienen. Sie waren nicht blankrot wie in einer herrschaftlichen Küche, wo sie zum Staat gebraucht werden, sie waren schwarz, als seien sie aus Eisen. Der Ruß hing fest in Schichten, die zum Teil hundert Jahre alt waren. Vielleicht konnte man ihn abscheuern, aber man wußte es nicht, und niemand versuchte es.
Marylka ging in den Hütten umher und redete und erklärte. Wieder hatte sie – zum erstenmal seit ihrer Verheiratung – ihre Zuflucht zum Konversations-Lexikon genommen. Das wurde jetzt jeden Tag in Anspruch genommen. Wenn die Blätter die Meldung von einer Schlacht brachten, schlug sie auf und fand Städte und Karten und konnte allen, die fragten, Bescheid geben. Jetzt sah sie nach, wie man Kupfer in Kriegszeiten verwendete. Sie machte sich vertraut mit der Herstellung von Waffen und Pulver, sie wurde geradezu sachverständig. Und die Bauernfrauen entdeckten auf einmal, daß Marylka die Tochter des seligen Schulmeisters war. Sie wußte ja beinahe ebensoviel, wie man von dem Kaiser selbst erwarten konnte.
Sie vermochten nicht gleich zu begreifen, daß man einen Grütztopf oder einen Fischkessel oder eine Bratpfanne gebrauchen konnte, um Pulver und Waffen daraus zu machen, aber Marylkas Beredsamkeit überzeugte sie. Und eine jede wollte nun am liebsten die Kupfergefäße an die Söhne oder an den Mann an der Front senden, damit sie in die rechten Hände kamen – in bekannte Hände. Da mußte denn Marylka erklären, daß dies nicht der richtige Weg sei, und sie fügten sich schließlich. Wer in der Lage war zu geben, schenkte sein Kupfer, und alle, die nicht die Mittel hatten, um neues Hausgerät zu kaufen, bekamen Geld von Marylka.
Es war ein stolzer Tag für die ganze Insel, als mit dem Telegraphen die Nachricht an das Kriegsministerium abging, daß man Kupfer genug habe, um einen ganzen Eisenbahnwagen damit zu füllen. Und als der Dankbrief vom Ministerium kam, ließ ihn der Pfarrer in der Vorhalle der Kirche anschlagen, damit ihn alle vor Augen haben konnten, wenn sie in Gottes Haus hinein- und wieder hinausgingen.
Dann war da die Wollfrage. Marylka wußte, daß man hier auf der Insel auf Vorrat bedacht war. Man ging nicht mit einem Paar Strümpfe, bis sie zerschlissen waren, und beschaffte sich dann erst ein Paar neue. Hier fingen schon die kleinen Mädchen an, Strümpfe und dicke Jacken für ihren künftigen Hausstand und ihren künftigen Mann zu stricken. Sie wußte, ebenso sicher wie keine von den Frauen der Insel einen Meter Seidenstoff besaß oder besessen hatte, ebenso sicher wie sie nie mehr als den Arbeitsanzug und die Sonntagskleider besessen hatte, die oft noch, zusammen mit den langen silbernen Ketten und Brustspangen und Brautkronen, vererbt wurden – ebenso sicher lagen da auf dem Boden jeder Truhe Dutzende und aber Dutzende von langen, dicken Strumpfpaaren, die aus selbst gehechelter, selbst gezwirnter und selbst gefärbter, von den Schafen der Insel herrührender Wolle gestrickt waren.
Sie fing an dem einen Ende der Insel an, die Frau des Pfarrers an dem anderen, und wohin sie kamen, türmten sich die Strümpfe auf. Wieder konnte man einen Brief an das Ministerium senden. Zweihundert Säcke voll wollener Strümpfe lagen bereit. Und es war gute Ware, die das Gewicht von wandernden Menschenfüßen und das Scheuern von nagelbeschlagenen Schaftstiefeln vertragen konnten.
Damit aber schienen auch die Hilfsquellen der Insel erschöpft zu sein. Bis der Aufruf, Gold zu schaffen, kam.
Nun muß man nicht glauben, daß Goldsammeln immer gleichbedeutend mit Geiz ist. Gold ist etwas für sich. Gold ist wie Sonnenschein, es erfreut die Menschen, es wärmt von innen und von außen. Das Gefühl, nur eine einzige Goldmünze in der Spitze eines Strumpfes liegen zu haben, zuerst in Zeitungspapier gewickelt, dann in einen Lappen und mit einem Bindfaden zusammengeknotet, kann einen armen Mann in der Einbildung reich machen. Er kann sich einbilden, daß für das eine Goldstück die ganze Welt zu kaufen ist. Nichts ist kostbarer als Gold, also kann alles für Gold gekauft werden, also kann derjenige, der Gold hat, alles kaufen. Selbst wenn er nur ein einziges Goldstück hat und das auf dem Boden einer Truhe liegt, in der Spitze eines Strumpfes und dort unter drei hochseligen Königen oder Kaisern gelegen hat.
Niemand auf der Insel würde ruhig zu Bett gehen, wenn er Papiergeld liegen hätte. Es konnte doch Feuer ausbrechen. Die Kinder könnten es in die Finger bekommen und zerreißen. Deswegen beeilte man sich, es wieder auszugeben. Und das war nicht schwer, man hatte ja niemals mehr als gerade genug, um auszukommen. Aber das einzelne Goldstück, das oft eine Geschichte, ja ein ganzes Märchen hatte, das blieb unangetastet an seinem Platz. Sollte der Fall eintreten, daß einem der Zucker oder der Kaffee ausgegangen war, so daß es mit dem Kredit haperte, so würde man eher diese Genüsse entbehren, als daß man das Verbrechen beginge, sich von der Goldmünze zu trennen.
Es kann Krieg und Mißwachs kommen, es kann Pest und Hungersnot kommen, das Gold verliert seinen Wert nicht.
So stand es auf Marylkas Insel. Außer Marylka selber, die ja ihr schwindelnd hohes Kapital in Goldrollen hatte, und außer dem Krugwirt, der mehrere Hunderte von Goldstücken in seiner angeketteten Geldkatze liegen hatte, waren da wohl kaum fünf Menschen auf der Insel, die mehr als ein Goldstück besahen. Da waren aber auch wohl kaum fünf, die nicht ihr Goldstück gut verwahrt und lange aufbewahrt liegen hatten.
Sie zu bewegen, es auszuliefern, war nicht leicht. Keineswegs leicht. Es war sehr schwer.
Da hörte Marylka von einem Müller, der ein ganzes Bierseidel voll Gold für Papiergeld eingetauscht hatte, und der dann seinen Sohn auf einen fünftägigen Besuch aus dem Kriege nach Hause bekommen hatte; und sie hörte von einem anderen, der nur ein Goldstück hatte, und der seinen Sohn einen Tag nach Hause bekam.
Marylka begab sich zu dem Krugwirt. Der Krugwirt hatte zwei Söhne im Felde. Der eine lag wegen eines abgeschossenen Armes im Lazarett, aber der andere, der war in Belgien. Ob er ihn nicht gern einmal zu Hause haben möchte? Was der alles erzählen könnte! Und er hatte ja das Eiserne Kreuz! Wie die Leute nach ihm gucken würden! Das Eiserne Kreuz! Einer von den Ihren!
Der Krugwirt kratzte sich hinterm Ohr. Ja, das wäre nicht übel! Marylka erzählte ihm nicht, daß ein Goldstück das bewirken könne, und daß er den vollen Wert in Papier dafür bekommen würde. Nein, sie redete so lange, bis er zuletzt glaubte, das sei eine Sache, die direkt bis an den Kaiser ginge. Da ergab er sich. Er schloß den Geldschrank in Marylkas Gegenwart auf – ja, er war stolz, der Herr Krugwirt! – und ließ sich von ihr helfen, die Goldstücke zu zählen. Sie schrieb dann den Brief für ihn, von dem er glaubte, daß er in die Hände des Kaisers käme.
Der Sohn des Krugwirts kam nach Hause. Am Sonntag lauschte niemand der Predigt des Pastors, man sah nur den feldgrauen Sohn des Krugwirts mit dem Eisernen Kreuz aus der Brust und der Narbe an der Stirn, die noch ganz rot war, aber sonst nichts zu bedeuten hatte, wie er sagte.
In der kommenden Woche machte sich Marylka auf den Weg nach jeder Hütte. Wo gab es wohl eine Mutter oder eine Frau, die nicht ein Verbrechen begangen hätte, um ihren Mann und ihren Sohn zu sehen, wenn auch nur auf eine Stunde, ihn lebend, atmend, von aller Gefahr befreit zu sehen – wenn auch nur auf eine Stunde!
Marylka selber – Marylka war die einzige, die ihren Mann nicht zu sehen wünschte. Sie hatte ihm das geschrieben. Er sollte keinen Urlaub nehmen, sie konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen und ihn wieder von sich zu lassen. Dann lieber bis zum Ende aushalten. Aber sie hatte ihr ganzes Kapital verbraucht, sie hatte ihre goldene Kette und ihre Rettungsmedaille eingeschickt. Dafür war den Männern und Söhnen der Insel ein verlängerter Urlaub von drei Tagen gewährt worden. Aber das war in aller Stille geschehen, und niemand wußte, daß ihre Medaille in des Kaisers Hand gelegen hatte, und daß des Kaisers Worte diesen Extraurlaub anordneten, weil Marylka ihren Orden einsandte.