Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtunddreißigstes Kapitel.

In welchem das Rad des Glückes ein paar Speichen zu Gunsten unseres Helden dreht.


Wenn wir die Gefühle unseres Helden gegen Emma Philipps zergliedern, so fühlen wir uns kaum zu der Angabe berechtigt, daß er in sie verliebt war, obgleich junge Männer im siebzehnten Jahre wohl geeignet sind, derartige Gefühle zu hegen oder doch wenigstens sich einzureden. Der Unterschied ihrer Stellung war so groß, daß sich Joey zwar in seinen Träumen oft vormalte, er stehe mit seiner freundlichen kleinen Beschützerin auf dem allerinnigsten Fuße; wenn er aber wieder erwachte, so war sie ihm mehr ein Gegenstand der Achtung und Verehrung – ein Wesen, dem er glühend und ehrerbietig zugethan war – eine Freundin, deren Wohlwollen dermaßen auf seine besten Gefühle gewirkt hatte, daß ihm selbst der Tod für sie kein Opfer gewesen wäre. Der Gedanke, näher mit ihr verbunden zu werden als jetzt, bemächtigte sich nie seiner Einbildungskraft, oder wenn er je einmal daran dachte, sich mit einem weiblichen Wesen für's Leben zu vereinigen, so stellte er sich eben vor, seine künftige Frau müsse Emma Philipps ähnlich sein, sonst wolle er lieber gar nicht heiraten. Er gab sich alle Mühe, ihres Schutzes würdig zu werden und beim Zusammentreffen mit ihr ein ermutigendes Lächeln zu verdienen. Sie war der Leitstern, der ihm auf der Bahn seiner Pflicht vorschwebte, und der Wunsch, sich ihr Wohlgefallen zu erringen, stachelte ihn, so daß er nie in seinen Anstrengungen erschlaffte. Von Natur aus thätig und an Ordnung gewöhnt, zeigte er sich unermüdlich, was Mr. Sleek die größte Freude bereitete, da er sich mehr als die Hälfte seiner Arbeit abgenommen sah, denn wenn Joey einmal ein Geschäft übernommen hatte, so wurde es nicht nur gut, sondern auch gerade in der dafür bestimmten Zeit ausgeführt. An Essenszeiten und sonstige derartige Störungen im Berufsleben kehrte er sich gar nicht, denn er besorgte oft seine Geschäfte mit einem Eifer, daß er sein Mittagsmahl darüber vergaß.

»Sleek«, sagte Mr. Small eines Tages, »der arme junge Mensch muß ja ganz von Kräften kommen.«

»Ist nicht meine Schuld, Sir; er will nicht zum Diner gehen, so lange es noch Geschäfte giebt, und da es hieran nie fehlt, so ist es so klar wie der Tag, daß er gar nicht dazu kommen kann. Ich wollte, er wohnte im Hause und speiste nach der Arbeit an unserem Tische; es würde sehr vorteilhaft sein und viele Zeit ersparen.«

»Zeit ist Geld, Sleek. Zeit erspart, ist Geld erspart, und er verdient sein Essen wohl. Es sei so, wie Sie sagen; sorgen Sie dafür.«

So wurde Joey, etwa zwei Monate nach seiner Ankunft, in ein hübsches Schlafstübchen eingeführt und speiste an dem Tische seines Gönners nicht nur in beständiger Gesellschaft der Flottenoffiziere, sondern auch in der von Mrs. Philipps und Emma, welche ihm jedenfalls lieber war.

Wir müssen jetzt die Frist von mehr als einem Jahre überspringen; während dieser Zeit war unser Held eine Person von einiger Bedeutsamkeit geworden. Die Flottenkapitäne hatten ihn liebgewonnen, da die Pünktlichkeit und Schnelligkeit, mit der er seine Geschäfte betrieb, ganz ihren eigenen Ideen von der Art entsprach, wie man in Geschäften verfahren müsse. Wenn sie sich daher mit Mr. Small oder Sleek über etwas besprachen, so pflegten sie in der Regel zu sagen: »Ich will die Sache mit O'Donahue abmachen, und es wird dann recht werden.«

Mr. Small hatte ihm bereits neben Kost und Wohnung ein jährliches Gehalt von hundertfünfzig Pfund ausgeworfen, und unser Held fühlte sich behaglich und glücklich. Alle Offiziere kannten und liebten ihn, da er sich ohne Unterlaß an Bord ihrer Schiffe befand, und weil Emma eine Freude an Naturmerkwürdigkeiten hatte, so enterte er fast jedes Kriegsschiff, das in den Hafen kam, um ihr Zimmer mit unterschiedlichen Muscheln, Vögeln und dergleichen füllen zu können. Solcher Art waren die Geschenke, die er machen und sie annehmen konnte; auch verging nie eine Woche, ohne daß er ihr Museum mit irgend einem lebenden oder toten Gegenstande erweiterte. Emma war jetzt völlig erwachsen, und da sie nicht nur sehr hübsch war, sondern auch von ihrem kinderlosen Onkel ein schönes Vermögen zu gewärtigen hatte, so erwiesen ihr die Offiziere, welche ins Haus kamen, viele Aufmerksamkeit, wodurch Joeys Eifersucht, obgleich er selbst kaum eine Ahnung davon hatte, rege und ihm mitunter viel Schmerz bereitet wurde. Vielleicht steigerte sich mit seinen Glücksverhältnissen auch seine Hoffnung – so viel ist wenigstens gewiß, daß er hin und wieder sehr schwermütig gestimmt war.

Emma hatte einen zu klaren Blick, um den Grund nicht zu entdecken, und beeilte sich, ihn durch kleine Aufmerksamkeiten zu beruhigen; nicht daß sie damit bestimmtere Ideen verknüpft hätte, als Joey, sondern weil es ihr leid that, ihn unglücklich zu sehen.

Dies war der Stand der Dinge, als eines Tages Mr. Small Joey, der eben emsig hinter den Büchern saß, um einen Auftrag einzuzeichnen, folgendermaßen anredete:

»O'Donahue, ich habe mit einigem von Ihrem Gelde für Sie eine Spekulation gemacht.«

»Wirklich, Sir? da bin ich Ihnen sehr dankbar.«

»Ja, in einer Auktion kam ein großer Vorrat von Claret Der leichte, ziemlich helle französische Rotwein, der in England als gewöhnlicher Tischwein beliebt ist. zum Verkauf, der von guter Qualität war und wohlfeil abging. Ich habe für sechshundert Pfund auf Ihre Rechnung erstanden; Sie können ihn auf Flaschen ziehen, in meinem Keller unterbringen und einen Handel damit treiben. Steht es Ihnen übrigens nicht an, so bin ich mit Freuden bereit, das Geschäft für mich zu übernehmen.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Sir«, versetzte Joey, der diese Güte wohl zu würdigen wußte, welche ihm nach ein paar Monaten eine Verdoppelung seines Kapitals in Aussicht stellte.

Sein Prinzipal erlaubte ihm für die Folge, das Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen, wodurch er sich sehr bald eine unabhängige Stellung gewann. Der Handel mit französischen Weinen blieb später ausschließlich unserem Helden belassen.

Eines Morgens war Joey zufälligerweise, was nicht häufig vorkam, allein im Kontor, als ein Midshipman eintrat. Derselbe war schon oft dagewesen, weshalb sich Joey seiner sehr gut erinnerte.

»Guten Morgen, Mr. O'Donahue«, sagte der Midshipman. »Ist Mr. Small drinnen?«

»Nein, er ist ausgegangen; kann vielleicht ich etwas für Sie thun?«

»Das können Sie allerdings, wenn Sie mir sagen wollen, wie ich es anzugreifen habe, um Mr. Small zu überreden, daß er mir etwas Geld auf meinen Sold vorstreckt.«

»Ein solches Ansinnen ist mir früher noch nie gemacht worden«, versetzte Joey lächelnd.

»Das will ich wohl glauben, und es gehört auch die ganze Unverschämtheit eines Midshipman dazu; die Sache verhält sich übrigens so, Mr. O'Donahue – ich bin ein Mate mit vierzig Pfund jährlich, von denen ich bisher meine arme alte Mutter unterstützt habe. Gegenwärtig ist sie krank und braucht zehn Pfund, aber ich habe zur Zeit keinen Heller in meinem Vermögen. Bleibe ich am Leben, so werde ich das Vorgestreckte zuverlässig zurückbezahlen; indessen habe ich freilich wenig Hoffnung, es zu erlangen, und nur die Liebe zu der alten Frau kann mich veranlassen, mich der Kränkung einer abschlägigen Antwort auszusetzen. Es ist ein wahres Sprichwort: ›wer will borgen, geht in Sorgen.‹«

»Sie mögen recht haben; ich will Ihnen übrigens soweit beistehen, daß ich Ihnen mitteile, worin Ihre einzige Aussicht beruht. Stellen Sie Mr. Small den Fall vor, wie Sie mir denselben eben namhaft gemacht haben, und bleiben Sie bei seiner Antwort gerade vor ihm stehen. Wenn er Ihnen seine Knöchel in die Rippen stößt, um seine Argumentationen zu bekräftigen, so weichen Sie nicht zurück, sondern warten Sie das Resultat ab, ohne ihn zu unterbrechen.«

»Gut; ich könnte noch mehr als dies für die alte Frau thun«, versetzte der arme Midshipman, und in demselben Augenblicke trat Mr. Small ein.

Der Midshipman erzählte seine Geschichte in kurzen Worten, und Mr. Small hörte ihn ohne Unterbrechung an. Nachdem der Bittsteller zu Ende gekommen war, begann Mr. Small:

»Sie sehen, junges Herrchen, Sie stellen mir ein Ansinnen, auf das nie zuvor ein Flottenagent eingegangen ist – Geld auszuborgen auf ein einfaches Zahlungsversprechen, und dieses Zahlungsversprechen noch obendrein von einem Midshipman! Ich habe also erstlich nur das Versprechen ohne die Sicherheit; das ist ein Punkt, wie Sie bemerken werden (ein Stoß mit dem Knöchel). Und dann hängt die Möglichkeit der Erfüllung Ihres Versprechens davon ab, ob Sie im Lande sind oder nicht. Ferner, wenn Sie das Geld haben, so fehlt's Ihnen vielleicht an Lust, und das ist ein anderer Punkt (ein abermaliger, scharfer Stoß in die Rippen des Middy Scherzhafte Abkürzung aus Midshipman (Seekadett).). Dann habe ich weiter nicht einmal Sicherheit von Ihrer Person aus, denn Sie können ersaufen, erschossen werden, in die Luft fliegen oder sonst aus der Welt abberufen werden, ehe man Ihnen Bezahlung schuldig ist, und der Tod würde Sie außer stand setzen, Ihre Verbindlichkeiten abzutragen, wenn Sie auch noch so sehr dazu geneigt wären; das ist ein dritter Punkt (ein dritter Stoß, dem der Midshipman kühn standhielt). Ihr Leben können Sie nicht versichern, denn Sie haben kein Geld; Sie verlangen daher ein Anlehen von mir, ohne auch nur die mindeste Sicherheit leisten zu können; denn sogar zugegeben, daß Sie zahlen wollten, wenn Sie könnten, so würde es doch durch Ihren Tod unmöglich gemacht werden – das ist wieder ein Punkt (und die Knöchel fuhren abermals in die Seite des Midshipman, der die Stöße um so schmerzlicher empfand, je mehr ihm die Hoffnung zu entschwinden schien). Aber«, fuhr Mr. Small, augenscheinlich höchlich vergnügt über seine Schlußfolgerungen, fort, »es giebt noch einen weitern Punkt, der auch die Berührung verdient, nämlich, daß wir, als gute Christen, bisweilen Geld ohne Sicherheit ausleihen oder sogar wegschenken müssen, denn darauf sind wir durch die göttlichen Gesetze angewiesen. Mr. O'Donahue, Sie können daher Mr. Sleek sagen, daß er das Geld auszahlen soll; das ist der letzte und beste Punkt vom Ganzen – nicht wahr?« schloß Mr. Small, indem er den Rippen des Midshipman einen Daumenstoß versetzte, welcher demselben fast den Atem benahm. Wir geben dies als ein Pröbchen von der Art und Weise, wie Mr. Small die theoretische und die praktische Logik vereinigte.

»Der Admiral, Sir, kommt die Straße herunter«, sagte der jetzt eintretende Mr. Sleek, »und ich glaube, er kommt hierher.«

Herr Small, der sich nicht getraute, seine anstößige Logik bei Admiralen in Anwendung zu bringen, sondern außerordentlich höflich gegen so vornehme Personen war, ging, den Hut in der Hand, hinaus, um den Admiral zu begrüßen.

»Nun, Mr. Small«, begann der Admiral, »kommen Sie nur wieder ins Kontor zurück, denn es handelt sich um eine Geschäftssache. Ich habe unerwartet die Weisung erhalten, Portsmouth zu verlassen, und muß womöglich die nächste Flutzeit benützen. Die Schiffe werden bereit sein, denn ich weiß, was unsere Flotte vermag, wenn Not an Mann geht; aber wie Sie wissen, habe ich für meine Person kein Atom Vorräte an Bord. Die Flut hat fast seit einer Stunde begonnen, und mit dem Eintritte der Ebbe müssen wir wieder absegeln, da zwölf Stunden Zögerung sehr unangenehm werden könnten. Nun, sagen Sie mir – hier ist die Liste dessen, was ich bedarf; Boote und Mannschaft sollen in Fülle vorhanden sein, um es an Bord zu schaffen – können Sie mich bis auf diese Zeit bedienen?«

»Bis auf diese Zeit, Sir William?« versetzte Mr. Small, die endlose Liste überblickend.

»Es ist elf Uhr; kann bis vier Uhr alles drunten sein? Das ist die längste Frist, die ich Ihnen gewähren kann.«

»Unmöglich, Sir William.«

»Es ist von größter Wichtigkeit, daß wir um fünf Uhr aussegeln, und es muß und soll geschehen; indessen wäre es doch hart, wenn ich während eines ganzen Kreuzzuges hungern müßte.«

»Allerdings, Sir William«, versetzte Mr. Small; »wenn sich's nur machen ließe. Aber bedenken Sie nur: zwei Kühe, zwei Schafe, Heu und dergleichen, das alles vom Lande hereingeschafft werden muß; wir können's nicht zu stande bringen. Morgen früh vielleicht.«

»Nun, Mr. Small, ich habe noch keinen Prisenagenten angenommen. Wenn Sie mich verbunden hätten – –«

Unser Held trat jetzt vor und übersah die Liste.

»Können Sie mir sagen, Sir«, sagte er zu dem Flaggenkapitän, »ob die ›Zenobia‹ oder der ›Orestes‹ gleichfalls mit dem Geschwader ausfahren wird?«

»Nein, die bleiben hier«, lautete die Antwort.

»Ich bitte um Verzeihung, Mr. Small«, versetzte Joey, »aber ich glaube, es lassen sich Vorkehrungen treffen, um Sir Williams Wünschen zu entsprechen.«

»Wirklich?« rief der Admiral.

»Ja, Sir William; wenn Sie sogleich Signal erteilen, daß ein paar gut bemannte Boote ans Ufer kommen, so kann ich Ihnen versprechen, daß es geschehen soll.«

»Wohl gesprochen, O'Donahue«, rief der Kapitän. »Jetzt hat's keine Not mehr, Admiral! wenn er sagt, es soll etwas geschehen, so ist's so gut, als ob's schon gethan wäre.«

»Darf ich mich auf Sie verlassen, Mr. O'Donahue?«

»Ja, Sir William, alles soll nach Ihren Wünschen besorgt werden.«

»Gut, Mr. Small, wenn Ihr junger Mann Wort hält, so sollen Sie mein Prisenagent sein. Guten Morgen!«

»Wie konnten Sie aber ein solches Versprechen geben?« rief Mr. Small unserm Helden zu, sobald der Admiral und sein Begleiter das Kontor verlassen hatten.

»Weil sich's machen läßt«, antwortete Joey. »Ich habe die Kühe für die ›Zenobia‹ und den ›Orestes‹ bereits in der Stadt; sie lassen sich bis morgen wieder ersetzen, und ich weiß, wo ich das andere zu holen habe.«

»Nun, das nenne ich einen glücklichen Zufall, aber es darf keine Zeit verloren werden.«

Unser Held machte mit seiner gewohnten Thätigkeit und Pünktlichkeit seinem Versprechen Ehre, und es war, wie Mr. Small sagte, in der That ein glücklicher Zufall, da ihm die Prisenagentschaft einige Monate später nahezu fünftausend Pfund eintrug.

Man darf nicht glauben, daß Joey seine Korrespondenz mit Mary oder Spikeman verabsäumte, obgleich sie mit dem letzteren nur flau betrieben wurde. Mary schrieb ihm alle Monate, obgleich sie nicht viel mitzuteilen hatte, denn ihre Briefe waren hauptsächlich Erwiderungen auf Joeys Nachrichten, dem sie wegen des glücklichen Fortganges, den sein Geschäftsleben nahm, Glück wünschte. In der That konnte unser Held, der jetzt beinahe vier Jahre in Mr. Smalls Geschäft war, als ein unabhängiger Mann betrachtet werden, der den schönsten Aussichten entgegensah. Sein Kapital, das sich sehr beträchtlich vergrößert, hatte er ins Geschäft gesteckt, und statt eines Kommis war er jetzt ein jüngerer Geschäftsteilhaber, der sich seitens der beiden anderen Herren des unbedingtesten Vertrauens erfreute. Kurz, Joey war auf dem schönsten Wege, sich Auszeichnung und eine achtbare Stellung zu erwerben.


 << zurück weiter >>