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Zweiunddreißigstes Kapitel.

In welchem der Kesselflicker eine Liebeserklärung macht.


Joey machte einen Kratzfuß und entfernte sich mit scheinbar verschüchterter Miene. Miß Melissa sah ihm nach und dachte endlich: »Kesselflicker oder nicht Kesselflicker – das ist die Frage. Ich setzte ein Hundertchen daran, wie mein Vater sagen würde – kein Kesselflicker; denn kein Kesselflickersknabe, dann auch kein Kesselflicker, und dies ist kein Kesselflickersknabe. Wie pfiffig von ihm, daß er sagte, der Brief sei ihm von einem Gentleman gegeben worden! Jetzt kann ich doch zu ihm schicken und ihn befragen, kann mit ihm sprechen, ohne daß das Zartgefühl verletzt würde, und trägt er eine Maske, wie ich fest überzeugt bin, so will ich bald dahinter kommen.«

Miß Melissa Mathews konnte in dieser Nacht kein Auge zuthun, und zur anberaumten Stunde saß sie mit der ganzen gravitätischen Miene eines neukreierten Bürgermeisters auf der Bank. Spikeman und Joey ließen nicht lange auf sich warten. Der erstere hatte sich besonders nett und reinlich herausgeputzt, obgleich er Sorge trug, seinem Äußeren den Anstrich des Kesselflickers zu geben. Durch fleißiges Waschen mit warmem Wasser waren seine Hände sehr weiß geworden, er hatte seiner Person jede Aufmerksamkeit geschenkt, ausgenommen, daß er seine rauhen und schmutzigen Kleider beibehielt.

»Mein Knabe sagte mir, Miß, daß Sie mich zu sprechen wünschen«, begann Spikeman mit der erkünstelten Plumpheit seiner Rolle.

»Es ist so, mein guter Freund«, versetzte Melissa, nachdem sie Spikeman eine Weile betrachtet hatte. »Ein Brief ist mir heimlich zugesteckt worden, und der Knabe gesteht, er habe denselben von Ihnen erhalten. Ich wünsche jetzt zu wissen, wie Sie dazu kamen.«

»Suche das Weite, Bursche«, sagte Spikeman, sich zornig anstellend, »wenn Du nicht einmal ein einziges Geheimnis bewahren kannst; jedenfalls sollst Du jetzt nichts mehr hören.«

Joey zog sich zurück, wie sie es bereits vorher unter sich abgekartet hatten.

»Nun, Madame oder Miß (vermutlich das letztere)«, sprach Spikeman, »der Brief wurde von einem Gentleman geschrieben, der sogar den Boden verehrt, den Ihre Füße betreten.«

»Und er wünschte, daß er mir überliefert werde?«

»Ja, Miß, und wenn Sie so gut als ich wüßten, wie er Sie liebt, so würden Sie sich nicht wundern, daß er einen so kühnen Schritt gewagt hat.«

»Es wundert mich nur, Meister Kesselflicker, daß Sie sich erdreisten, ihn durch Ihren Knaben zur Ausführung bringen zu lassen.«

»Es hat lange gedauert, ehe ich mich dazu überreden konnte, Miß; aber als er mir sagte, wie es ihm war, so konnte ich nicht umhin, seinem Wunsche zu willfahren. Ich hatte Mitleid mit ihm, und auch Sie würden's haben, wenn Sie alles wüßten.«

»Und was sagte er Ihnen, wenn ich fragen darf?«

»Er sagte mir, Miß«, antwortete Spikeman, der sich jetzt allmählich in seine gewohnte Redeweise hineinfand, »daß er nie etwas habe vom Heiraten wissen wollen – daß er jeden Morgen aufgestanden sei, dem Himmel für seine Freiheit und Unabhängigkeit dankend – schon den Gedanken habe er weit von sich gewiesen, sich je durch die Reize eines Weibes fesseln zu lassen; eines Tages sei er aber zufällig dieses Weges gekommen und Zeuge gewesen, wie Sie singend aus Ihrer Wohnung heruntereilten, um auf dieser Bank auszuruhen. Er war durch Ihre Stimme bezaubert, und es veranlaßte ihn die Neugierde, sich in dem Gebüsche hinter uns zu verbergen, von wo aus er Ihrer Gestalt ansichtig wurde. Ja, Miß, er sagte mir noch weiter, daß er den Lauscher gespielt und alle Ihre Worte mit angehört habe, als Sie frei und ungezwungen sich aussprachen, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß Sie nicht allein waren. Er vernahm Ihre Gesinnungen und fand, daß es auf Erden doch etwas gab, was ihm seine Zweifelsucht als Unmöglichkeit vorgestellt hatte – nämlich Jugend, Schönheit, Talente, Grundsätze und Familie, alles in einer Person vereinigt. Er beugte sich vor dem Altare und war ein stummer, unsichtbarer Verehrer geworden.«

Spikeman hielt inne.

»Dann hat sich dieser Gentleman, wie Sie ihn nennen, augenscheinlich einer sehr ungentlemänischen Praktik bedient, indem er ein Privatgespräch belauschte; das gereicht ihm zu keinerlei Empfehlung.«

»Anfangs war es durchaus nicht seine Absicht, aber er wurde durch Sie selbst dazu verführt. Machen Sie ihm deshalb keinen Vorwurf, denn auch ich finde ihn entschuldigt, nachdem ich Sie gesehen habe. Er sagte mir jedoch noch mehr, Miß, und zwar: er fühle, daß er Ihrer unwürdig und nicht berechtigt sei, Ihnen seine Hand anzubieten, selbst wenn er Ihre Gunst zu gewinnen vermöchte. Er habe einen Grund entdeckt, der seiner Einführung in Ihrer Familie einen Riegel vorschiebe, und liebe in der That ohne alle Hoffnung. Er hat Sie lange Zeit umschwebt, denn er konnte die Luft nicht meiden, in der Sie atmeten, und endlich entschloß er sich, sein Leben dem Wurfe des Zufalls anheimzugeben. Konnte ich's ihm versagen, seinen Willen zu erfüllen, Miß? Er ist von einer alten, aber unvermögenden Familie – ist ein Gentleman von Geburt und Erziehung, und deshalb glaubte ich nicht, so gar unrecht zu thun, wenn ich ihm einige Aussicht öffnete, wie unbedeutend sie auch sein mag. Ich bitte um Verzeihung, Miß, wenn ich damit angestoßen habe; Ihre Antwort, wie hart sie auch ausfallen wird – selbst wenn sie ihm den Tod bringen sollte – soll treulich und gewissenhaft besorgt werden.«

»Wann werden Sie mit ihm zusammentreffen, Meister Kesselflicker?« fragte Melissa sehr ernst.

»In einer Woche«, sagte er, »wird er hier sein, nicht früher.«

»In Anbetracht seiner glühenden Liebe läßt er sich recht hübsch Zeit«, versetzte Melissa. »Nun, Meister Kesselflicker, Sie können ihm von mir aus sagen, daß ich ihm keine Antwort zu geben habe. Es ist ebenso lächerlich als höchst unschicklich, von einem Menschen, den ich nie gesehen habe, Briefe anzunehmen oder sie zu beantworten. Wäre sein Schreiben nicht in sehr achtungsvollen Ausdrücken abgefaßt, so dürfte meine Erwiderung strenger ausgefallen sein.«

»Ihren Befehlen soll Folge geleistet werden, Miß, das heißt, wenn Sie es nicht über sich gewinnen können, ihn für eine einzige Minute zu sehen.«

»Davon ist gar keine Rede; ich gestatte keinem Gentleman den Zutritt, der nicht in meines Vaters Haus eingeführt und mir gehörig vorgestellt ist. Es mag so Brauch sein unter Eures Gleichen, Meister Kesselflicker, aber nicht bei Personen von meiner Stellung. Was Sie selbst betrifft, so empfehle ich Ihnen, keine weiteren Briefbestellungsversuche zu machen.«

»Ich muß wegen meines Fehlers um Verzeihung bitten, Miß. Erlauben Sie mir übrigens die Frage, darf ich Ihnen wieder Meldung machen, wenn ich den armen jungen Gentleman gesprochen habe?«

»Ja, wenn es die Versicherung betrifft, daß ich nicht weiter mit seiner Zudringlichkeit behelligt werden soll.«

»Ihre Worte sind mir Befehl, Miß«, erwiderte Spikeman. Dann änderte er plötzlich Ton und Wesen und fragte:

»Entschuldigen Sie, haben Sie keine Messer oder Scheren zu schleifen?«

»Nein«, versetzte Melissa, von ihrem Sitze aufspringend und nach dem Hause zurückgehend, um ihre Heiterkeit zu verbergen. Bald nachher wandte sie sich um, um zu sehen, ob Spikeman fort sei. Er stand noch in der Nähe der Bank und folgte ihren Schritten mit den Augen.

»Ich könnte diesen Mann lieben«, dachte Melissa, während sie weiter ging. »Welch ein Auge er hat, und dann seine Beredsamkeit! Ich glaube wahrhaftig, ich muß mit einem Kesselflicker davonlaufen – nun, 's ist eben Bestimmung. Warum spricht er aber von einer Woche – einer ganzen Woche? Und wie leicht seine Maske zu durchschauen war! Er trägt das Gepräge eines Gentleman an sich. Du mein Himmel, ich bin doch begierig, wie das enden wird! Araminta darf ich noch nichts davon sagen – sie käme aus lauter Nöten von Sinnen. Wie thöricht von mir! ich habe ganz vergessen, nach dem Namen dieses Gentleman zu fragen. Will mir's merken fürs nächste Mal.«


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