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Zweites Kapitel.

In welchem der Held der Geschichte förmlich eingeführt wird.


Ehe wir in unserer Erzählung fortfahren, ist es vielleicht am Orte, dem Leser eine Erklärung über das zu geben, was ihm besonders auffallend erscheinen mag. Joseph Rushbrook, welchen er im letzten Kapitel mit seinem Sohne und seinem Hunde die Hütte hat verlassen sehen, war in dem Dorfe, in welchem er damals wohnte, geboren. In seiner Jugend, etwa vierzig Jahre vor der Periode, in welcher unsere Geschichte beginnt, waren die Gesetze gegen die Wilddiebe wenig streng und die Maßregeln, die gegen derartige Frevler gehandhabt wurden, nicht so nachdrücklich. Er hatte damals ein Gewehr geführt, wie sein Vater vor ihm, ohne daß derselbe je entdeckt worden wäre, und nachdem er viele Jahre die Forste gebrandschatzt und sich auf viele Meilen in der Runde eine vollkommene Ortskenntnis verschafft hatte, ließ er sich bei Gelegenheit eines Jahrmarktes in der Nachbarschaft durch einen Zustand halber Trunkenheit veranlassen, für ein zum Marsch beordertes Regiment sich anwerben zu lassen. Er hatte kaum drei Monate im Depot gelegen, als sein Corps Befehl erhielt, nach Indien zu ziehen, wo er elf Jahre bleiben mußte, bis Ablösung eintraf. Doch wurde ihm auch in England nicht lange Ruhe gegönnt; denn nach kaum sechs Monaten erhielt sein Regiment die Weisung, auf dem mittelländischen Meere Dienste zu thun, die ihn abermals zwölf Jahre in Anspruch nahmen. Am Schlusse dieser Zeit erhielt er eine schwere Kopfwunde, weshalb man ihn mit einer Pension entließ.

Er faßte den Entschluß, nach seinem Geburtsorte heimzukehren und sich dort anzusiedeln, indem er hoffte, neben seinem Gehalt durch mäßige Thätigkeit sich ein anständiges Auskommen zu verschaffen. Kaum kannte man ihn mehr in der Heimat, denn viele seiner Altersgenossen waren ausgewandert, andere wegen Gesetzesübertretungen, namentlich aber wegen Wilddieberei, deportiert worden, und da das letztere Los hauptsächlich die meisten seiner vormaligen Genossen getroffen hatte, so kam er sich fast wie ein Fremdling vor, wo er viele Freunde wiederzusehen erwartete. Auch die Grundherrschaft des Dorfes war in andere Hände übergegangen. Man erinnerte sich zwar noch eines Squire So und So und des Baronets, aber das Land gehörte jetzt reichen Fabrikanten und Kaufleuten, die sich vom Geschäfte zurückgezogen hatten. Alles war für Joey Rushbrook neu, und er konnte sich durchaus nicht heimisch finden. Jane Ashley, ein sehr hübsches junges Mädchen, welche in einem benachbarten Herrenhause diente und die Tochter eines seiner ältesten Freunde war, den man gleichfalls wegen Wilddieberei deportiert hatte, gehörte zu den wenigen Personen, die mit ihm über das, was während seiner vierundzwanzigjährigen Abwesenheit vorgefallen, sprechen konnte – nicht als ob sie etwa die Leute aus jener frühern Zeit gekannt hätte, denn sie war damals noch ein Kind; indes war sie nach Joe's Entfernung mit denselben aufgewachsen, konnte Geschichtchen von ihnen erzählen und über ihr späteres Schicksal Auskunft geben. Daß sie die Tochter eines deportierten Wilddiebes war, gereichte ihr bei Joe zu einer Art von Empfehlung, und die Bekanntschaft endigte damit, daß er sie zum Weibe nahm. Sie saßen jedoch nicht lange in ihrem Hause, als Joe's früherer Hang wieder zurückkehrte. Er konnte einmal nicht müßig sein, hatte auch außerdem zu lange die Muskete getragen und war durch den Dienst im Auslande so sehr an ein aufgeregtes Leben gewöhnt, daß es ihm rein unmöglich wurde, zu leben, ohne seine Schußwaffe gegen irgend etwas in Anwendung zu bringen. Seine Jagdliebhaberei kehrte in hohem Grade wieder zurück, und sein Weib dachte nicht daran, derselben Einhalt zu thun, da sie ihn im Gegenteil darin aufmunterte. Eine Folge davon war, daß Joe Rushbrook ein paar Jahre nach seiner Verheiratung der verwegenste Wilddieb in der ganzen Gegend war. Allerdings hatte man ihn oft im Verdachte, ohne daß er übrigens je entdeckt worden wäre, der Grund lag in dem Umstande, daß man ihn für einen Säufer hielt – seine Frau hatte ihm nämlich geraten, diese Maske vorzunehmen, weil sie bemerkt hatte, daß man hinter einem Trunkenbold am allerwenigsten einen Wilddieb vermute. Diese List hatte er bisher mit sehr gutem Erfolge durchgeführt, denn ein Beweis vor der Obrigkeit, daß man halbtot und sprachlos um Mitternacht nach Hause geschleppt worden sei, galt für ebenso durchschlagend, wie wenn ein Alibi nachgewiesen worden wäre. Joe Rushbrook stand daher im Rufe, ein betrunkener Taugenichts zu sein, der von seiner Pension und dem Verdienste seiner Frau lebte, ohne daß man je auf den Gedanken kam, er sei nicht nur der Mann, seinen Unterhalt zu erwerben, sondern sogar in der Lage, von den Früchten seiner nächtlichen Bemühungen Geld zurückzulegen. Joe Rushbrook liebte allerdings hin und wieder sein Tröpflein, und zwar nicht in allzukärglich abgemessenen Quantitäten, aber im allgemeinen ging die Sage, seine Kopfwunde mache ihm viel zu schaffen, und wenn Wind und Wetter seinen Zwecken zusagten, so wußte er es so einzuleiten, daß er in derselbigen Nacht, in welcher er am rührigsten war, nach Hause geschleppt werden mußte. So verhielt sich's auch mit dem Auftritte des vorigen Kapitels.

Der kleine Joey, welcher (wie der Leser schon geahnt haben wird) unser künftiger Held ist, wurde ein Jahr nach der Verheiratung seiner Eltern geboren und war ihr einziges Kind. Der Knabe war für seine Jahre sehr ruhig und nachdenklich; auch hatte sich die Vorliebe seines Vaters für nächtliche Gänge in einem außerordentlichen Grade auf ihn verpflanzt, und es war eigentlich wunderbar mit anzusehen, welche Klugheit er mit seiner Abenteurerlust verband. Allerdings war er früh in die Schule seines Vaters gegangen, denn er mußte anfangs die Schlingen untersuchen und das Wild verbergen, was ein kleiner Knirps, wie Joey, wohl thun konnte, ohne daß man etwas anderes von ihm gedacht hätte, als daß er Brombeeren suche. Aber noch ehe er sieben Jahre alt war, konnte er eine Schlinge legen, so gut als sein Vater, wie er denn auch vortrefflich in die Geheimnisse und Kunstgriffe eingeweiht war, sich auf ungesetzliche Weise Wild zuzueignen. Er leistete hierbei dem Alten vortreffliche Dienste und konnte zu vielem verwendet werden, was dieser nicht wagen durfte, ohne Argwohn zu erregen. Vielleicht rührte es eben von den unausgesetzten Nachtwachen des Knaben her, daß er so klein blieb; indes war dies ein Umstand, der allen Argwohn von ihm ablenkte. Joey besuchte sehr regelmäßig die Schule des Herrn Furneß, und obgleich er oft den größten Teil der Nacht durch auf war, so gehörte er doch unter die besten und fleißigsten Schüler. Niemand hätte auch vermuten können, daß der kleine blondhaarige, ruhig aussehende Knabe, welcher so emsig hinter seinen Büchern und Schriften saß, vorher eine halbe Nacht auf einem gefährlichen Ausfluge zubrachte, denn so verhielt sich's oft in der Zeit, von welcher wir sprechen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß Joey einem solchen Treiben wenigstens eine wichtige Lehre verdankte – er hatte schweigen gelernt. Nicht einmal Mum, der Hund, dem doch die Sprache versagt war, hätte verschlossener und treuer sein können.

Es ist erstaunlich, wie sehr sich das Wesen und der Charakter eines Kindes durch frühe Leitung verändern läßt. Man lasse es, gleichviel ob auch die Mutter die Überwachung übernimmt, nach dem gewöhnlichen Gebrauche stets unter der Leitung seiner Wärterin, so wird ihm ein gewisses kindisches Thun anhaften, selbst wenn die Jahre der Kindheit längst vorüber sind. Bringe man es aber allmählich in gefährliche Lagen, welche reiferes Nachdenken und Beobachten erfordern, gewöhne man es an Nachtwachen, Vorsicht und Schweigsamkeit, so wird man sich nicht genug wundern können, wie frühzeitig sich sein Geist für die Bedürfnisse des Augenblicks aufschließen wird, obschon sein Körper darunter leiden mag. So geht es mit Knaben, welche man sehr jung zur See schickt, und ein Gleiches war auch mit dem kleinen Joey der Fall. In mancher Hinsicht konnte er für einen Mann gelten, obschon er wieder in anderen Stücken ein Kind war. Er spielte mit seinen Kameraden und lachte so laut, als die andern, ließ aber nie auch nur den leisesten Wink von seines Vaters Lieblingsbeschäftigung fallen. Er ging, wie sein Vater und seine Mutter, jeden Sonntag zur Kirche, denn trotz der schweren durch das Gesetz verhängten Strafen hielten die letzteren das Wildern für kein Verbrechen; Joey war natürlich derselben Ansicht und that nur, was sein Vater und seine Mutter wünschten. Wir dürfen daher durchaus nicht glauben, daß das Gewerbe des Alten einen nachteiligen Einfluß auf die Moralität unseres kleinen Helden übte, denn dieses war in der That nicht der Fall.

Nachdem wir diese nötige Einleitung gegeben haben, fahren wir weiter fort. Keine Horde nordamerikanischer Indianer hätte je eine Wildspur besser beobachten können, als unsere kleine Partie. Rushbrook führte den Zug an, während Joey und Mum folgten. Kein Wort wurde gesprochen; sie gingen über Wiesen und bepflügte Felder, dabei sich stets in dem Schatten [der Hecken] haltend, und wenn Rushbrook für eine Weile still stand, um zu rekognoscieren, so folgten Joey und Mum in den ihnen angewiesenen Zwischenräumen seinem Beispiele, bis der Zug wieder aufgenommen wurde. So hielten sie es beinahe vier Meilen weit, bis sie an einem dichten Gehölz anlangten. Der Wind pfiff durch die Zweige der kahlen Eichen und Eschen; der kalte, feuchte Nebel lag unbeweglich auf der Landschaft und verbarg sie, während sie vorsichtig auf einer Weglichtung weiter schritten, bis sie die andere Seite des Gebüsches erreichten, wo die Hütte eines Wildhüters lag. Ein mattes Licht blickte durch die rautenförmigen Fensterscheibchen. Rushbrook trat ins Freie hinaus und erhob seine Hand, um den Wind zu erforschen. Sobald dies geschehen war, zog er sich wieder unter die Bäume zurück, und zwar in einer Richtung, welche das Haus des Wildhüters zwischen ihn und den Wind brachte, damit der Knall seiner Büchse nicht gehört werden möchte. Er setzte über [die Hecke], senkte das Gewehr, so daß der Lauf etwa zwei oder drei Zoll von dem Boden abstand, und ging langsam und bedächtig durch das Unterholz, während Joey und Mum in der bereits gedachten Weise folgten. Nachdem sie eine Viertelmeile weit gekommen, hörten sie das Klirren von Metall und machten Halt. Der Gewehrlauf hatte einen von den Drähten gestreift, welche mit einem zum Besten der Wilddiebe gelegten Selbstschuß in Verbindung standen. Rushbrook hob seine linke Hand auf, um damit Joey zu bedeuten, daß er sich nicht von der Stelle rühren solle, verfolgte den Draht vermittelst seines Gewehrlaufes, bis er endlich an dem Selbstschuß anlangte, öffnete die Pfanne, schüttete das Zündkraut ab und setzte das Schloß in Ruhe, so daß das Gewehr nicht losgehen konnte, im Falle sie auf einen andern der damit in Verbindung stehenden Drähte trafen. Dann ging Rushbrook ans Geschäft, denn er wußte wohl, daß derartige Maschinerien nur an Orten angebracht werden, wo die Fasanen ihre Lager haben. Er schüttete nur wenig Pulver in seine Vogelflinte, um bei so großer Nähe der jagdbaren Gegenstände die Vögel nicht zu sehr zu zerstreuen und um zu verhindern, daß der Knall seines Gewehres zu weit gehört würde – begab sich unter eine Eiche, wo er bald die runden, schwarzen Massen, welche die Körper ruhender Fasanen bilden, erkannte, erhob sein Gewehr und feuerte. Dem Schusse folgte der Sturz eines schweren Körpers ganz in der Nähe, und Joey eilte herbei, um den Fasan in den Sack zu stecken. Nun folgte Schuß auf Schuß, die jedesmal Joeys Last vergrößerten. Sie hatten bereits siebzehn Stücke erbeutet, als Mum ein dumpfes Knurren vernehmen ließ. Dies war das Signal, daß sich Leute in der Nähe befanden. Rushbrook schnappte mit den Fingern, Mum kam an seine Seite und blieb regungslos stehen, die Ohren und den Schwanz aufrichtend.

Nach einer Weile hörte man das Rascheln von Zweigen, wie wenn sich Menschen durch das Unterholz Bahn brächen. Rushbrook blieb noch immer stehen und harrte auf Mums Signal, denn das Tier war darauf dressiert worden, wenn sich bei irgend einer näher kommenden Partie ein anderer Hund befand, den Vorderfuß zu Rushbrooks Knieen zu erheben. Da dieses Zeichen unterblieb, so legte sich Rushbrook in dem Gebüsche nieder, worauf Joey und Mum seinem Beispiele folgten.

Jetzt ließen sich flüsternde Stimmen vernehmen, und kaum vier Ellen von dem Lager unserer nächtlichen Abenteurer zeigten sich die Gestalten zweier mit Gewehren bewaffneten Männer.

»Ich wollte darauf schwören, daß es hier herum gewesen ist«, sagte der eine.

»Ich dachte es auch; vielleicht ist's aber doch weiter oben – der Wind hat den Schall herunter gebracht.«

»Wohl möglich; wir wollen sie weiter verfolgen – vielleicht treffen sie auf den Selbstschuß.«

Die Männer drangen tiefer in das Gehölz und waren bald nicht mehr zu sehen. Nach einer Weile hielt Rushbrook sein Ohr gegen den Wind und trat, nachdem er sich überzeugt hatte, daß alles geheuer war, den Heimweg an. Sie erreichten ohne ein weiteres Abenteuer das freie Feld, und jetzt nahm der Vater seinem Sohne den schweren Sack ab.

Um drei Uhr morgens klopfte er an die Hinterthüre seiner Wohnung. Jane öffnete, und nun verbargen sie die Beute der Nacht an einem geheimen Orte, worauf sie sich zu Bette begaben und bald in tiefem Schlafe lagen.


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