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Drittes Kapitel.

Führe ein Kind auf den Weg, den es gehen soll, und es wird nicht davon abweichen.


Es ist ein altes Sprichwort: »Hätte man keine Hehler, so gäbe es keine Stehler«, und Rushbrook würde aus seiner widerrechtlichen Art, sich Wildbret zu verschaffen, wohl wenig Nutzen gezogen haben, wenn er nicht die Mittel besessen hätte, dasselbe an den Mann zu bringen. In dieser Hinsicht war Byres, der Hausierer, ein sehr wertvoller Helfershelfer. Er war ein Hauptspitzbube und durchaus kein Freund von schwerer Arbeit. Anfangs machte er den Handlanger eines Maurers – eine Beschäftigung, welche natürlich nur von periodischer Dauer war und einen sehr mäßigen Lohn abwarf; indes hatte er sie nur gewählt, um in der Lage zu sein, das Kirchspiel um Beistand anzugehen und den größeren Teil des Jahres nicht arbeiten zu müssen.

Dies wollte ihm jedoch schon nach ein paar Monaten nicht mehr zusagen, weshalb er zur Erwerbung seines Unterhalts sich einen Korb anschaffte und in den Dörfern Töpferwaren zum Verkaufe umhertrug. Endlich löste er ein Hausiererpatent – vielleicht eine der gefährlichsten Lizenzen, welche von der Regierung erteilt wird, da sie oft Anlaß giebt, unter den niedern Klassen böses Blut zu machen und Unzufriedenheit und Gährung zu verbreiten. Allerdings hat dieses Gewerbe in letzterer Zeit, bei der Wohlfeilheit des Druckes und der Leichtigkeit der Zirkulation, viel von seiner Bedeutsamkeit verloren; vor fünfzig Jahren waren jedoch die Dorfwirtshäuser noch nicht mit Zeitungen versehen: dies war ein Luxus, an den kein Mensch dachte. Die Leute gingen hin, tranken ihr Bier, plauderten über die Neuigkeiten in der Nachbarschaft, und wenn es in irgend einem Teile des vereinigten Königreichs Unruhen gab, so verbreitete das Gerücht nur eine sehr unbestimmte Kunde davon, nachdem sie längst wieder gedämpft waren. So oft daher der Hausierer Byres eintrat, was in letzter Zeit jede Woche einmal, je nach Umständen auch öfter geschah, so kam in den Gang der Alltäglichkeit ein ganz anderes Leben; er war der Mann, der Gelegenheit hatte, viel zu sehen und zu erfahren, folglich auch stets willkommen, und wurde von allen als ein Orakel angesehen. Ihm war der beste Sitz neben dem Feuer vorbehalten, und wenn er seinen Pack auf dem Ecktisch niedergelegt hatte, so pflegte er den »Wochenboten« oder ein anderes Blatt voll Verrat und Lästerung hervorzuziehen, aus dem er den versammelten Arbeitern eine Vorlesung zum besten gab.

Ein paar Monate waren mehr als hinreichend, die ernstlichsten Folgen nach sich zu ziehen. Leute, die den ganzen Tag über freudig gearbeitet hatten und mit ihrem Lose zufrieden sich zu Bette legten, Gott dankend, daß sie nur zu arbeiten hatten, blieben nun im Wirtshaus, bekrittelten die Schritte der Regierung und kehrten in der festen Überzeugung nach ihren Hütten zurück, man mißbrauche sie, behandle sie hart und halte sie in bitterer Knechtschaft. Sie behandelten ihre Vorgesetzten, denen sie doch ihre Beschäftigung verdankten, nicht mehr mit der frühern Achtung, oder wenn es auch geschah, so konnte man ihnen dabei den finstern Zwang wohl ansehen. Die Kirche wurde immer leerer und leerer, und das Auftreten des Geistlichen war nicht länger für jeden das Signal zum Hutabnehmen, da im Gegenteil junge Menschen von sechzehn oder siebzehn Jahren sich mit in die Taschen gesteckten Händen und einem höhnischen Lächeln im Gesicht an die Kirche oder die Kirchhofsmauern lehnten und, gleichsam ihrem Seelsorger zum Trotze, während des ganzen Gottesdienstes daselbst verblieben, ihm keck und ohne Erröten ins Auge sehend, wenn er beim Herauskommen seine Augen auf sie heftete. So hatten sich etwa ein Jahr nach dem ersten Auftreten des Hausierers in Graßford die Dinge gestaltet. Byres war der allgemeine Liebling, denn er besorgte die Aufträge der Weiber, versah die Mädchen mit Bändern oder sonstigen Putzartikeln und nahm es auch nicht sehr genau mit gleich barer Bezahlung. Seine Ankunft wurde stets sehnsüchtig erwartet, und im Wirtshause lebte er zechfrei, denn er lockte große Kundschaft an, und wenn er da war, wurde so viel Ale getrunken, daß der Wirt sein Einkehren für eine wahre Gottesgabe betrachtete. In Sommermonaten war sein Kasten immer gut gefüllt, denn dies war die Zeit, um hübsche Bänder zu tragen, während er im Winter mehr deshalb seine Rundreisen machte, um Aufträge einzuholen oder das Wild fortzuschaffen, mit dem ihn die mit ihm im Bunde stehenden Wilddiebe versahen. Hätte man zur Jagdzeit in seinem Gepäcke Nachforschungen angestellt, so würde man statt der Putzsachen und Bänder stets Fasanen und anderes Wild aufgefunden haben.

Nach diesem Vorbericht braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß Byres der Mann war, der die von Rushbrook gemachte Jagdbeute weiter beförderte. Er holte dieselbe in der Regel am zweiten Morgen, nachdem sie gemacht war, vor Tagesanbruch ab, denn Rushbrook war zu vorsichtig, um Byres sein Geheimnis anzuvertrauen, und machte daher nie seinen Weidgang, ohne sich zuvor betrunken gestellt zu haben; bei diesen Anlässen ließ er sich jedesmal nach Hause führen oder schleppen.

Unsere Leser werden zugeben, daß sich der kleine Joey in einer sehr gefährlichen Lage befand. Denn obgleich er nichts unrechtes zu thun glaubte, wenn er seinem Vater Beistand leistete, so war er doch ein denkender Knabe, und es fiel ihm bisweilen ein, daß es doch seltsam sei, eine Sache geheim zu betreiben, wenn man das Recht dazu habe; auch wollte es ihm nicht recht einleuchten, daß man Vögel, die doch überall herumflogen und das Eigentum eines jeden zu sein schienen, nicht am hellen Tage schieße. Die gesetzlichen Verbote waren ihm bekannt, aber er fragte sich nach dem Grunde derselben und fand sie unbegreiflich genug, da er bloß eine Seite der Frage hatte besprechen hören. Zum Glücke für ihn besuchte der Pastor des Kirchspiels, obgleich er nicht in Graßford wohnte, wenigstens einmal in der Woche Mr. Furneß' Schule, um die Knaben zu katechisieren. Mr. Furneß, der während der Schulstunden stets nüchtern war, that sich auf diese Besuche sehr viel zu gute und bezeichnete bei solchen Gelegenheiten den kleinen Joey als seinen hoffnungsvollsten Schüler. Dies veranlaßte den Pastor, auf unseren Helden ein besonderes Augenmerk zu werfen, und wahrscheinlich war das erhaltene Lob und die darauf folgende Ermunterung die Hauptursache, warum Joey so vielen Fleiß auf seine Aufgaben verwendete und sich sein wohlverdientes gutes Prädikat zu erhalten bemüht war, was bei einer sonst landstreicherischen Lebensweise leicht anders hätte sein können. Allerdings führten auch seine Eltern, mit Ausnahme der Wilddieberei und des damit verbundenen Heimlichthuns, keineswegs eine untergeordnete, sondern eine musterhafte Ehe; sie thaten ihren Nachbarn, wovon sie wünschten, daß es ihnen selbst geschehe, erwiesen sich ehrlich in ihrem Verkehr und hielten ihren Sohn unablässig zur Rechtschaffenheit und Wahrheitsliebe an. Dies mag vielen unserer Leser sonderbar vorkommen, aber es giebt gar viele seltsame Widersprüche in der Welt. Wir begnügen uns daher, in kurzen Worten anzudeuten, daß unser kleiner Held den Pfad zum Verderben bisher noch nicht betreten hatte, obgleich alle Wahrscheinlichkeit vorhanden war, daß er demselben doch am Ende verfallen mußte.

So trieb es der kleine Joey noch drei Jahre von der Zeit an, in welcher wir ihn dem Leser zum erstenmale vorgeführt haben. Er machte sich seinem Vater mit jedem Tage nützlicher, um so mehr, als er später die Schule nur noch am Vormittage besuchte und, wie schon oben bemerkt, seine verkümmerte Größe und sein unverdächtiges Aussehen ihn in die Lage setzte, viel auszuführen, was sein Vater nicht wagen durfte. In der Kunst, Schlingen zu legen, war er so gewandt wie sein Vater; wenn er daher nach Kinderweise durch die Felder und Hecken streifte, so konnte er seine Schleifen untersuchen, das Wild herausnehmen und es irgendwo verbergen, bis er es möglich fand, dasselbe nach Hause zu schaffen. Hin und wieder ging er auch, nur von Mum begleitet, des Nachts aus; der Hund gab ihm dann durch Aufrichten der Ohren und des Schwanzes ein stummes Zeichen, wenn die Wildhüter die Schlingen entdeckt hatten und auf den Frevler lauerten, um ihn zu fassen, sobald er käme, um nach dem Erfolge seiner Bemühungen zu sehen. Aber auch in einem solchen Falle trat er nicht immer den Rückzug an, sondern kroch auf dem Bauche nach der Schlinge hin und nahm das Tier heraus, ohne daß die Wildhüter ihn bemerkten, deren Augen unabänderlich auf den Horizont gerichtet waren, ob sie nicht irgend einen stämmigen Kerl kommen sähen, und inzwischen hatte sich Joey mit der Beute bereits von hinnen gemacht. Zu andern Zeiten pflegte auch Joey vermittels seines Lieblingswildhahns am hellen Tage eine reiche Ernte zu machen. Er legte dem Tiere seine stählernen Sporen an, trug ihn in das dickste Gebüsch, wählte sich irgend eine kleine Lichtung zum Kampfplatze aus und verbarg sich in dem Gebüsche; der Hahn fing dann alsbald zu krähen an, und seine Herausforderung wurde von dem nächsten besten männlichen Fasan beantwortet, welcher niederflog, um mit seinem Gegner anzubinden. Der Kampf war natürlich nur von kurzer Dauer, denn der Fasan erlag bald den scharfen Sporen, worauf der Sieger aufs neue krähte und seine Ausforderung von einem andern angenommen wurde. Nach ein paar Stunden war der kleine Wahlplatz ein blutiges Schlachtfeld. Joey kroch dann hervor, steckte seinen heldenhaften Hahn nebst dessen gefallenen Gegnern in einen Sack und ersah sich die Gelegenheit zu einem sichern Rückzuge.

Dies war die Beschäftigung des Knaben, und obgleich der Vater oft beargwöhnt wurde, so kam es doch niemand zu Sinne, bei dem Sohne eine ähnliche Gesetzübertretung zu vermuten. Da trat mit einem Male ein Vorfall ein, der unserem Helden eine andere Bestimmung gab.


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