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Achtzehntes Kapitel.

Eine Leichenschau.


Der Morgen hatte kaum aufgedämmert, als sich der Förster mit seinen Trabanten bereits wieder auf der Spähe befand. Der Schnee hatte den Boden drei oder vier Zoll hoch bedeckt, und da das Gehölze tags zuvor sorgfältig untersucht worden war, so gingen sie jetzt von der Richtung aus, wo der Mann das Gewehr gefunden hatte. Dies brachte sie unmittelbar nach dem mit Pfriemkraut bewachsenen Grunde, wo die Hunde ihre Bewegungen zu beschleunigen schienen, und als die Hüter ihren Tieren nachkamen, fanden sie, daß dieselben bei der erstarrten Leiche des Hausierers Halt gemacht hatten.

»Wie ich mir's dachte – 's ist ein Mord verübt worden«, sagte Lucas, als er die Leiche aufhob und den Schnee, mit dem sie bedeckt war, abschüttelte. »Der arme Teufel! Gerade durch's Herz getroffen! Wer hätte sich auch etwas der Art gedacht von einem so kleinen Gewürm? Seht Euch um, Jungen, und habt acht, ob wir nicht sonst noch etwas finden können. Warum scharrt Nap so? – Ah, ein Sack – nimm ihn auf, Martin. Hol' einige Leute herbei, Tick, daß man den Körper nach der ›Katze und Fidel‹ schaffen kann, während wir nachsehen, ob wir nicht sonst noch etwas entdecken.«

Nach einer Viertelstunde kamen Leute herzu, welche den Leichnam wegbrachten, und der Förster begab sich unverzüglich nach der Wohnung des Friedensrichters.

Furneß, der Schulmeister, eilte, sobald er die betreffende Kunde erhalten hatte, nach Rushbrooks Hütte, damit ihm ja niemand zuvorkomme. Rushbrook jedoch, der von der Hinterseite seines Hauses gemerkt hatte, daß man den Körper herein brachte, war vorbereitet.

»Ihr lieben Leute, ich bin ganz trostlos – glaubt mir, ich fühle mit euch – aber doch muß es heraus: euer Sohn, mein Zögling, hat den Hausierer umgebracht.«

»Unmöglich!« rief Rushbrook.

»Es ist nur zu wahr. Freilich kann ich mir gar nicht vorstellen, wie ein Knabe, der unter meiner Leitung erzogen wurde, – nein, Mrs. Rushbrook, Ihr müßt nicht weinen – ich darf sagen, erzogen in den strengsten Grundsätzen der Moral – ein Knabe, der so viel Gutes versprach und so schön aufblühete – –«

»Ich glaube es nimmermehr, daß er den Hausierer umgebracht haben soll!« rief Jane, das Gesicht mit ihrer Schürze bedeckend.

»Wer könnte es sonst gethan haben?« versetzte Furneß.

»Jedenfalls will ich darauf schwören, daß er nicht absichtlich auf ihn geschossen hat«, sagte Rushbrook; »wenn der Hausierer also seinen Tod fand, so muß es durch irgend einen Zufall geschehen sein. Das Gewehr ist vermutlich auf eine oder die andere Weise losgegangen – ja, so muß es sein; und mein armer Knabe ist aus Schrecken über das Vorgefallene davon gelaufen.«

»Nun«, entgegnete der Schulmeister, »das mag allerdings der Fall gewesen sein, und es ist mir wahrhaftig, als ob es rein unmöglich sei, daß ein Knabe, wie Joey – von mir erzogen, in jeder moralischen Pflicht begründet und (wie ich beifügen darf), christlich und fromm unterrichtet – je ein so schreckliches Verbrechen begehen konnte.«

»Er hat's auch nicht begangen«, erwiderte Jane; »ich bin überzeugt, daß er nie eine solche Absicht hatte.«

»Ich muß euch jetzt Adieu sagen, ihr armen Leute. Ich will zur ›Katze und Fidel‹ hinuntergehen und hören, was dort gesprochen wird«, sagte der Schulmeister, der mit diesen Worten die Hütte verließ.

»Nimm Dich jetzt in acht«, sprach Rushbrook. »Es kommt nunmehr alles darauf an, daß wir nichts sagen; ich wollte, dieser Mensch wäre gar nicht hergekommen.«

»O Rushbrook!« rief Jane; »was wollte ich darum geben, wenn wir die letzten drei Tage zurückrufen könnten!«

»Dann stelle Dir vor, was ich darum geben würde, Jane«, versetzte Rushbrook, sich vor die Stirne schlagend. »Aber nun, kein Wort mehr davon!«

Um zwölf Uhr des nächsten Tages traten die Magistratspersonen zusammen, und über den Körper des Hausierers wurde Leichenschau gehalten. Eine Untersuchung des Toten zeigte, daß eine Ladung von Posten gerade durchs Herz gedrungen war und so den augenblicklichen Tod des Hausierers veranlaßt hatte. Daß der Mord nicht aus räuberischer Absicht entsprang, erhellte aus dem Umstande, daß sich Uhr, Börse und noch andere Artikel an dem Toten vorfanden. Die erste ins Verhör genommene Person war ein Mann namens Green, derselbe, welcher das Gewehr in dem Graben gefunden hatte. Die Waffe wurde herbeigeholt und Green erkannte sie für dieselbe, welche er aufgelesen und dem Förster in Verwahrung gegeben hatte; aber niemand konnte sagen, wem das Gewehr gehören mochte. Der nächste Zeuge war Lucas, der Förster. Er gab an, daß er den Hausierer Byres gekannt und demselben eine schöne Summe versprochen habe, wenn er ihm, im Interesse der Verhinderung weiterer Jagdfrevel, bei Überweisung eines oder des andern Wilddiebs an die Hand gehen wolle; Byres habe eingestanden, daß er dem alten Rushbrook, dem Vater des Knaben, oft Wildpret abkaufe; er wolle sich jedoch an diesem Manne, der ihn übel behandelt habe, rächen und dafür Sorge tragen, daß er außer Landes geschickt werde. Am Sonnabende vor Begehung des Mordes sei ihm von Byres mitgeteilt worden, Rushbrook wolle Montag nachts ausziehen, um Wild zu schaffen, und wenn man dann gut acht habe, so dürfe man seiner Habhaftwerdung sicher sein. Auch habe ihm Byres kundgethan, wie es ihm nie möglich gewesen wäre, ausfindig zu machen, wann Rushbrook seine Hütte verlasse oder zurückkehre, obgleich er den Knaben Joey oft aufgespürt habe. Da der Knabe am Montag Morgen vermißt wurde und Byres, nachdem er Sonnabend nachts das Wirtshaus verlassen, nicht wieder dahin zurückkehrte, so vermute er, daß der Mord Sonntag nachts vorgefallen sei.

Der Förster berichtete noch weiter, wie er die Leiche und desgleichen einen Sack daneben gefunden; der Sack habe augenscheinlich zum Zwecke der Wildpretfortschaffung gedient, was nicht nur aus dem Geruche, sondern auch aus den Vogelfedern deutlich werde, die er drinnen gefunden habe. Lucas' Zeugnis über das Auffinden der Leiche und des Sackes wurde durch die Aussage seiner Untergebenen, Martin und Tick, bekräftigt.

Nun trat Mr. Furneß auf, um sein freiwilliges Zeugnis abzulegen, obgleich er dabei eine große Achtung gegen die Rushbrooks ausdrückte. Er gab an, er habe Montag Morgen in der Hütte seinen Zögling aufrufen wollen und die Eltern in großer Betrübnis über das Verschwinden ihres Sohnes gefunden; die letzteren hätten ihm gesagt, der Knabe sei des nachts mit dem Gewehre seines Vaters ausgezogen und nicht wieder zurückgekehrt; er habe Rushbrook auf das Ungehörige seines Gewehrbesitzes aufmerksam gemacht. Rushbrook aber habe darauf geantwortet, er sei sein ganzes Leben über im Besitz einer derartigen Waffe gewesen und möchte sie nicht missen; die Eltern hätten ihm dann gesagt, ihrer Mutmaßung zufolge sei Joey aufs Wildern ausgegangen und wahrscheinlich von den Wildhütern erwischt worden, weshalb sie ihn gebeten hätten, Erkundigungen einzuziehen, ob dem wirklich so sei. Mr. Furneß fügte hinzu, er glaube wirklich, daß die Sache sich so verhalte, denn in dem Sacke erkenne er denselbigen, in welchem ihm der kleine Joey einmal Kartoffeln als Geschenk von seinen Eltern gebracht habe; er und noch viele andere können die Identität desselben beschwören. Dann begann Mr. Furneß eine lange Tirade über sein Lehrsystem, worin er jedoch von dem Leichenschauer durch die Bemerkung unterbrochen wurde, daß dies nicht hieher gehöre.

Dann wurde der Vorschlag gemacht, Rushbrook und seine Frau ins Verhör zu nehmen. Man erhob zwar Anstand über die Idee, die Eltern zum Zeugnis gegen ihr Kind aufzufordern, aber die Einwendungen wurden überstimmt, und in zehn Minuten traten Rushbrook und Jane ein.

Mrs. Rushbrook, die sich zuvor mit ihrem Gatten reiflich besprochen hatte, wurde zuerst vorgenommen, wollte aber auf keine ihr vorgelegte Frage Antwort geben. Sie weinte ohne Unterlaß und erwiderte nichts als: »Wenn er ihn getötet hat, so geschah es aus Zufall; mein Knabe würde nie einen Mord begehen.«

Weitere Auskunft war bei ihr nicht zu erholen, und die Magistratspersonen wurden von ihrer Betrübnis so ergriffen, daß sie die arme Frau entließen.

Rushbrook zitterte, als er hereingebracht wurde und die Leiche auf dem Tische liegen sah; er faßte sich jedoch bald und benahm sich sehr entschlossen, wie denn oft die Not die Kräfte stählt. Er hatte sich vorgenommen, einige der Fragen, aber keineswegs alle zu beantworten.

»Wißt Ihr, um welche Zeit Euer Sohn die Hütte verlassen hat?«

»Nein.«

»Gehört das Gewehr Euch?«

»Ja.«

»Kennt Ihr diesen Sack?«

»Ja, er gehört mir.«

»Er ist zum Fortschaffen des Wildes benützt worden, nicht wahr?«

»Ich bin zu keiner Antwort auf diese Frage verpflichtet, denn ich stehe nicht im Verhör.«

Es wurden ihm noch viele andere Fragen vorgelegt, auf welche er die Antwort verweigerte; man konnte natürlich nichts dagegen haben, da sie ihn mehr oder weniger als Wilddieb bloßgestellt hätten. Rushbrook hatte seine Karten gut ausgespielt, indem er Gewehr und Sack als sein Eigentum anerkannte, denn dieser Umstand konnte ihm nützlich werden, ohne Joey weiter zu schaden.

Nachdem sämtliche Zeugnisse zusammengestellt waren, hielt der Leichenschauer eine Anrede an die Geschworenen, welche einstimmig das Verdikt vorsätzlichen Mordes gegen Joseph Rushbrook, den jüngeren, erließen, und der Magistrat setzte eine Belohnung von zweihundert Pfund für Habhaftwerdung unseres Helden aus.


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