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Dreißigstes Kapitel.

Handelt von Intriguen, Lesen und Schreiben.


Spikeman war am andern Morgen früh aus den Federn. Nach dem Frühstücke forderte er Joey auf, den Schleiferkarren zu holen und ihm zu folgen. Sobald sie das Dorf im Rücken hatten, sagte Spikeman:

»Es geht nicht an, daß wir im Dorfe bleiben. Eine halbe Meile weiter unten an der Landstraße steht eine Hütte, wo man mir einmal eine Herberge gab; wir müssen versuchen, ob wir dort abermals ein Unterkommen finden können.«

Als sie bei dem Bauernhause anlangten, schloß Spikeman einen sehr annehmlichen Vertrag ab für Kost und Wohnung auf einige Tage, indem er angab, man habe ihm im Dorfwirtshause eine so schwere Zeche gemacht, daß er's nicht erschwingen könne, dort zu bleiben; auch versehe er sich eines guten Geschäftes bei Squire Mathews im Herrenhause droben. Sobald diese Einleitung getroffen war, kehrten sie nach dem mehr erwähnten Gebüsche zurück, und Joey führte den Schleiferkarren.

»Du siehst, Joey«, sagte Spikeman, »zuvörderst ist nötig, daß wir die Neugierde stacheln. Wir müssen vielleicht ein paar Tage warten, bis sich Gelegenheit dazu bietet; aber im Notfalle kommt's mir auch auf einen Monat nicht an. Da alle Damen ihr Lieblingsplätzchen haben, so nehme ich's für ausgemacht an, daß Miß Mathews sehr oft in die Nähe des Gebüsches kommen wird, allein oder mit ihrem Bäschen. Ich beabsichtige nicht, daß man mich gleich sieht, denn ich muß zuerst einen Eindruck machen; laß jetzt das Rad draußen stehen und komm mit mir, sprich aber kein Wort.«

Sobald sie in dem Gebüsche waren, rekognoscierte Spikeman sehr sorgfältig, um sich zu überzeugen, ob keine von den jungen Damen auf der Bank saß. Da dies nicht der Fall war, so kehrte er zu Joey zurück.

»Sie können nicht kommen, ohne daß wir ihre Fußtritte hören«, sagte Spikeman. »Wir wollen jetzt hier geduldig warten.« Er warf sich auf der Vorderseite des Gebüsches auf den Rasen nieder, und Joey folgte seinem Beispiele.

»Wir wollen jetzt ein wenig lesen, um uns die Zeit zu vertreiben. Ich habe zwei Bände von Byron bei mir.«

Sie waren eine halbe Stunde in dieser Weise beschäftigt, als sie den Gesang von Miß Mathews hörten, welche den Kiesgang herunterkam. Spikeman stand auf und guckte durch die Zweige.

»Sie kommt allein«, sagte er, »besser können wir's uns ja nicht wünschen. Nun, Joey, ich will Dir vorlesen.«

Spikeman begann sodann mit dem schönen, kräftigen Ausdrucke, dessen wir bereits gedacht haben, folgende Stelle zu lesen:

»›Ich liebte – fand ein liebend Herz;
      Ihr kennt nicht, heißt's, die zarte Schwäche –
      Ist's wahr, fass' ich mich kurz und spreche
Von meinem Glück nicht oder Schmerz,
Denn es verkläng' an Euren Ohren.
Nicht alle sind zu Herrn geboren
Über die Leidenschaft zugleich
Und (wie bei Euch) ein mächtig Reich.
Ich bin ein Fürst – einst hatt' ich Macht –
      Und Heere sandte mein Gebot
      Gehorsam in der Schlachten Tod,
Hab's aber nie dahin gebracht,
Mein Herz zu zwingen. Doch zurück:
Ich liebte – fand der Liebe Glück,
Mir lachte jung des Lebens Sonne,
Doch bittrer Schmerz troff aus der Wonne.‹

»Ich fürchte, das ist nur zu wahr, mein lieber Junge«, sagte Spikeman, indem er das Buch niederlegte. »Shakespeare konnte wohl sagen: ›Der treuen Liebe Pfad führt nie auf Rosen‹. Übrigens läßt sich nicht sagen, daß der Gedanke originell ist, denn Horaz und die meisten der griechischen und lateinischen Dichter haben vor ihm das nämliche gesagt. Fahren wir indes fort:

»›Wir trafen heimlich uns: die Stunden,
Die ich an ihrer Brust gefunden,
Sind heißer Hoffnung voll entschwunden.
Was war mir Tag, was war mir Nacht
Vor jener stillen Stunden Pracht,
Des Lebens allerschönster Labe
Vom Kindesalter bis zum Grabe!‹ Byron's Mazeppa.

»Fühlst Du die außerordentliche Schönheit dieser Stelle?« fragte Spikeman.

»Ja«, versetzte Joey; »sie ist sehr schön.«

»Du würdest jedoch ihren Eindruck erst recht fühlen, mein lieber Junge, wenn Du verliebt wärest; aber Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Ich fürchte jedoch, wir werden jetzt aufhören müssen, denn ich erwarte durch die Post wichtige Briefe, und es ist vergeblich, wenn wir hier warten. Komm, stecke das Buch bei und laß uns das Rad meines traurigen Geschickes aufnehmen.«

Spikeman und Joey standen auf. Der letztere begab sich zu dem Schleifrade, und Spikeman folgte ihm, ohne zurückzusehen. Demungeachtet hörte er aber ein Rascheln im Gebüsche, welches ihm bedeutete, daß sein Manöver gelungen war. Sie mochten etwa fünfzig Ellen von der Straße ab sein, als er Joey den Karren abnahm und ihm den Auftrag erteilte, zurückzubleiben, als geschehe es zufällig. Unser Held that, wie ihm geheißen wurde, und bemerkte, wie Miß Mathews ihnen mit den Augen folgte.

»Die Sache macht sich«, bemerkte Spikeman; »ihre Neugierde ist geweckt, und das ist alles, was ich vorderhand wünsche.«

Spikeman hatte recht. Bald, nachdem er sich mit seinem Zöglinge entfernt hatte, kam auch Araminta ins Freie, und Miß Mathews redete sie folgendermaßen an:

»Meine liebe Araminta, denke Dir nur, welch ein Abenteuer! Ich kann kaum meinen Sinnen trauen.«

»Nun, was giebt's denn, liebes Bäschen?«

»Siehst Du dort nicht jenen Mann und jenen Knaben – die mit dem Scherenschleiferskarren?«

»Allerdings, aber was ist mit ihnen? Sind sie etwa unverschämt gegen Dich gewesen?«

»Unverschämt? nein, sie sahen mich gar nicht und ließen sich's nicht entfernt träumen, daß ich in der Nähe war. Als ich den Weg herunterkam, hörte ich Stimmen, und ich trat leiser auf. Ich langte an der Bank an und vernahm, wie jemand ein herrliches Gedicht vortrug; nie habe ich so korrekt und schön vorlesen hören. Der Mann hielt dann inne, sprach mit dem Knaben über griechische und lateinische Dichter und zitierte auch eine Stelle aus Shakespeare. Es muß ein Geheimnis dahinter stecken.«

»Gut, aber wenn auch – was hat das mit den wandernden Kesselflickern zu schaffen?«

»Was es damit zu schaffen hat? Ei, liebes Kind, der Vorleser war ja der wandernde Kesselflicker selbst. Doch, er kann kein Kesselflicker sein, denn ich hörte ihn sagen, daß er wichtige Briefe erwarte, wie reimte sich etwas derart zu einem Scherenschleiferrad?«

»Du hast recht, denn ich glaube, die meisten von solchem Gewerbe können nicht einmal lesen.«

»Ich gäbe meinen kleinen Finger darum, wenn ich wüßte, wer dieser Mann ist.«

»Hast Du sein Gesicht gesehen?«

»Nein, er wandte es nie nach mir um; nur der Knabe blickte zurück, als ich schon weit weg war. Es ist sehr sonderbar.«

»Was hat er denn gelesen?«

»Ich weiß es nicht, aber es war sehr schön. Ich bin doch neugierig, ob er wieder dieses Weges kommen wird. Ist's der Fall – –«

»Nun, Melissa – und dann?«

»Meine Scheren sind in einem elenden Zustande – sie wollen auch gar nicht schneiden.«

»Ei, Melissa, Du hast doch nicht im Sinne, Dich in einen Kesselflicker zu verlieben?« fragte Araminta lachend.

»Ich lasse mir's nicht nehmen, er ist kein Kesselflicker; aber wozu wohl seine Verkleidung? Ich möchte der Sache auf den Grund kommen.«

»Gut; ich bin übrigens herausgekommen, um Dir zu sagen, daß Dein Vater nach Dir verlangt. So komm denn.«

Die zwei jungen Damen kehrten nach dem Hause zurück, aber das Geheimnis des Morgens wurde mehr als einmal zur Sprache gebracht und von allen erdenklichen Gesichtspunkten aus beleuchtet.

Spikeman war kaum in der Hütte angelangt, als er seine Schreibmaterialien hervorzog, um eine Epistel zusammen zu schmieden. Nach vielem Ausstreichen und Verbessern fertigte er eine saubere Abschrift, die er Joey vorlas.

 

»›Ich zittere bei dem Gedanken, Sie möchten im ersten Momente, wenn Ihre Blicke auf diese Zeilen fallen, das Blatt wegwerfen, ohne ihm die Ehre zu schenken, es ganz zu lesen, und doch enthält es nichts, was ein Erröten auf die Wangen einer züchtigen Jungfrau rufen könnte. Wenn es ein Verbrechen ist, Sie zufälligerweise gesehen, Sie verstohlen belauscht zu haben und jedes Plätzchen heilig zu halten, das Sie besuchen – nein, noch mehr, wenn es ein Verbrechen ist, vor dem Altare der Schönheit und Unschuld anzubeten oder (um kühner zu sprechen) Sie wie einen Abgott zu verehren, so bin ich schuldig. Sie fragen, warum ich zu einem heimlichen Schritte meine Zuflucht nehme? Einfach, weil die Entdeckung Ihres Namens und Ihrer Herkunft mir die Überzeugung verschaffte, ein alter Streit zwischen unseren beiderseitigen Familien, mit dem jedoch weder ich noch Sie etwas zu schaffen haben, werde mir den Zutritt zu dem Hause Ihres Vaters verschließen. Sie fragen mich, wer ich bin? Von Geburt und Erziehung ein Gentleman – freilich arm, aber Sie haben mich noch ärmer gemacht, indem Sie mir raubten, was mehr wert ist, als alle Reichtümer der Welt: meine Heiterkeit und den Frieden meiner Seele. Ich fühle, daß ich dreist und anmaßend bin; aber vergeben Sie mir, Ihre Augen sprechen aufs deutlichste, daß Sie zu gütig und menschenfreundlich sind, um unnötigen Schmerz zu bereiten. Wenn Sie wüßten, wie viel ich bereits gelitten habe, so würden Sie einen Mann nicht weiter bedrücken, der glücklich war, bis er Sie sah. Verzeihung daher meiner Kühnheit, und entschuldigen Sie die Mittel, die ich ergriffen habe, um gegenwärtige Zeilen in Ihre Hände zu spielen!‹

 

»So wird's gehen, glaube ich«, sagte Spikeman; »und nun, Joey, wollen wir einen kleinen Spaziergang machen, damit ich Dir die übrigen Weisungen erteilen kann.«


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