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Fünfzehntes Kapitel.

Flucht und scharfe Verfolgung.


Ei der Tausend«, sagte M'Shane, nachdem ihm O'Donahue alles, was zwischen ihm und der Gräfin vorgegangen war, mitgeteilt hatte, »das ist ja alles ganz hübsch und sieht prächtig aus; aber sage mir, dürfen wir auch jenem Kerl, dem Dimitri, trauen? Können wir ohne ihn etwas anfangen? Wenn's zu einer Entscheidung kommt, so wird's ohne ihn nicht gehen, und es ist jedenfalls gefährlich, ihn nicht ins Vertrauen zu ziehen, denn er ist ein luchsäugiger, pfiffiger Bursche. Da er außerdem erklärt hat, er wünsche Dir in jeder Hinsicht treulich an die Hand zu gehen, so ist's wohl am geratensten, offen gegen ihn zu verfahren. Er kennt den kleinen Zwerg, der so oft hier gewesen ist, denn er sagte mir, er habe mit ihm in der Czartorinsky'schen Familie gedient. Ich würde ihm trauen.«

»Ich bin ganz Deiner Ansicht, obschon wir ihm nicht gerade alles mitzuteilen brauchen.«

»Nein, das ist gewiß nicht nötig, denn ich stehe dafür, er wittert's aus, ohne daß wir es ihm sagen.«

»Meinetwegen handle ganz nach Deinem Gutdünken, M'Shane, doch halt – ich will morgen die Ansicht der Gräfin darüber vernehmen.«

O'Donahue teilte der Gräfin die Sache mit, welche noch am nämlichen Tage die Prinzessin im Palaste besuchte. Das Ergebnis davon war, daß unser Abenteurer am andern Morgen ein Billet erhielt, in welchem ihm bemerkt wurde, daß er Dimitri trauen dürfe. Er ließ dann seinen Läufer rufen und sagte ihm, er wolle ihm volles Vertrauen schenken, wenn er ihm seine Dienstleistung verspreche.

»Ich verstehe Sie, Sir, und kann mir denken, was Sie beabsichtigen. Indessen ist's nicht nötig, daß Sie mir etwas von der Sache mitteilen, bis Sie meines Beistandes bedürfen. In der Zwischenzeit werde ich Ihre Interessen nicht verabsäumen, denn ich hoffe, in Ihrem Dienste zu bleiben, was ich mir als einzigen Lohn für meine etwaigen Bemühungen erbitte. Nur eins habe ich Ihnen noch zu bemerken: es wird nämlich notwendig sein, mich ein paar Tage vor Ihrer Abreise von Ihrer Absicht, Petersburg zu verlassen, in Kenntnis zu setzen, damit ich meinen Bericht erstatten kann.«

»Bericht erstatten?«

»Ja, Sir, Sie müssen Ihre Abreise anmelden, damit Sie nicht allenfalls mit Schulden von hinnen ziehen. So ist's der Brauch, und die Polizei wird Ihnen Ihren Paß nicht verabfolgen, ohne daß eine dreimalige Ankündigung in den Zeitungen gestanden hat.«

»Es ist mir lieb, daß Sie mich hierauf aufmerksam machen. Natürlich wissen Sie, daß ich um die Gräfin Erhausen werbe und, wenn ich Petersburg verlasse, sie als meine Gattin mitnehme.«

»Ich verstehe, Sir, und werde Sorge tragen, daß Ihre Verheiratung aller Welt bekannt wird.«

Mit diesen Worten verließ Dimitri das Zimmer.

Der Winter war nun mit ungewöhnlicher Strenge eingetreten. Der Strom bildete eine große Eismasse, die schwimmenden Brücken waren entfernt, die Bergrutschen wurden nun die Unterhaltung des Tages, und die Schlitten fuhren in allen Richtungen. O'Donahue widmete der schönen Gräfin mehr als einen Monat seine angeblichen Aufmerksamkeiten, und während der ganzen Zeit schien sich seinen Angelegenheiten nicht das mindeste Hindernis in den Weg zu legen.

Der Zwerg erschien nicht wieder, und aller Verkehr, mit Ausnahme eines gelegentlichen Billets, das die Fürstin der Gräfin zusandte, wurde aus Rücksichten der Klugheit aufgegeben.

Die Witwe war reich und hätte schon oft wieder heiraten sollen, hatte aber die Freiheit vorgezogen. Man betrachtete daher O'Donahue als einen glücklichen Mann, und gratulierte ihm zu seinem Erfolge. Auch zog die Witwe die beabsichtigte Verbindung nicht in Abrede, oder doch nur in einer Weise, welche die Leute glauben ließ, als sei sie selbst noch nicht ganz schlüssig. O'Donahues Equipage wurde häufig vor ihrer Thüre gesehen, und als unser Glücksritter dem Lever anwohnte, das der Kaiser am Feste des heiligen Nikolaus gab, zweifelte niemand mehr, daß die Vermählung bald stattfinden werde. Der Kaiser war sehr höflich gegen O'Donahue und redete ihn im Vorbeigehen mit den Worten an:

»Nun, Kapitän O'Donahue, wie ich höre, haben Sie die Absicht, meinem Hofe eine seiner schönsten Zierden zu entführen?«

»Ich hoffe, daß ich Eurer Majestät gnädigste Erlaubnis dazu habe«, versetzte O'Donahue mit einem tiefen Bückling.

»Oh, ohne Anstand; ich wünsche Ihnen noch obendrein alles Glück dazu.«

»Unterthänigsten Dank, Kaiserliche Majestät«, entgegnete O'Donahue. »Eure Majestät werden jedoch nicht glauben, daß ich sie ganz in meine Heimat zu verpflanzen gedenke; ich möchte daher um gnädigste Genehmigung bitten, daß ich den größern Teil des Jahres in Euer Majestät Landen verbleiben darf.«

»Nichts wird mir mehr Vergnügen machen; erhalte ich doch daraus die Überzeugung, daß ich bei der beabsichtigten Vermählung nicht verliere, sondern gewinne.«

»Bei der Allmacht! ich will ihn seiner Zeit daran erinnern«, dachte O'Donahue. »Hat er mir doch jetzt selbst seine Genehmigung und die Erlaubnis erteilt, im Lande zu bleiben.«

Alles war nun reif für die Ausführung des Anschlages. Die Gräfin brachte aller Welt den Glauben bei, sie wolle sich nach ihrem etwa achtzehn Meilen von St. Petersburg entlegenen Landsitze begeben; man glaubte natürlich, sie wünsche, daß ihre Trauung in der Stille stattfinden sollte, und gedenke sodann nach Beendigung der Feierlichkeit sich eine Weile vom Hofe zurückzuziehen. O'Donahue kündigte seine Abreise in der Zeitung an.

Die Fürstin Czartorinsky legte der Kaiserin einen Brief vor, in welchem die Gräfin sie bat, sie möchte ein paar Tage Urlaub nachsuchen, um dieselben bei ihr auf dem Lande verbringen zu können; und die Kaiserin, welche die nahe verwandtschaftliche Beziehung der beiden Damen kannte, erteilte nicht nur ihre Einwilligung, sondern händigte sogar der Fürstin, als dieselbe den Palast verließ, ein Kästchen mit Juwelen ein, indem sie sagte:

»Dies ist ein Geschenk für die Braut; die Kaiserin läßt ihr Glück wünschen und versichert sie ihres Schutzes, so lange sie in Rußland bleibt.«

Eine Stunde nachher wurde O'Donahue für sein langes Harren durch die Umarmung seiner Schönen belohnt. Man hatte einen Priester bestellt und nach dem Landschlosse vorausgeschickt. Morgens um zehn Uhr waren alle Beteiligten bereit. Die Fürstin und ihre Kousine brachen in der Equipage der letztern auf, und O'Donahue folgte mit M'Shane und seiner Dienerschaft nach. Alles ging in der Ordnung; die Pässe waren für Deutschland ausgestellt, wohin sich dem ausgestreuten Gerüchte nach die Gräfin ein paar Tage nach der Hochzeit zu begeben gedachte, und die Fürstin sollte nach dem Palaste zurückkehren. Sobald sie in dem Schlosse anlangten, wurde die Trauung vollzogen, und O'Donahue hatte seinen Preis davongetragen; um jedoch Unheil zu vermeiden, wurde man einig, daß das neuvermählte Paar schon am nächsten Morgen der Grenze zueilen sollte. Dimitri hatte sich sehr nützlich gemacht, viele Hindernisse aus dem Wege geräumt und sich überhaupt vollkommen treu erwiesen. Der Abschied zwischen der Gräfin und ihrer Kousine war sehr zärtlich.

»Wie viel habe ich Ihnen nicht zu danken, liebe Freundin!« sagte die Fürstin. »Welcher Gefahr setzen Sie sich um meinetwillen aus, und wie werden Sie dem Zorne des Kaisers die Stirne bieten können?«

»Ich kümmere mich wenig um seinen Zorn, denn ich bin eine Frau und gehöre nicht zu seinen Unterthanen. Aber bevor ihr abreiset, muß jedes von euch noch einen Brief schreiben – Ihr Gatte an den Kaiser, um ihn an seine Zustimmung zur Heirat zu erinnern und den Wunsch auszudrücken, daß er gerne in Rußland bleiben möchte, dabei etwa auch, daß er es für eine hohe Gnade halten würde, in Seiner Majestät Dienste treten zu dürfen. Sie, liebe Kousine, schreiben an die Kaiserin – erinnern sie an den von ihr versprochenen Schutz und flehen sie an, sie möchte Ihnen beim Kaiser das Wort reden. Was mich betrifft, so will ich mein Spiel gut genug spielen, und verlassen Sie sich darauf, das Ganze nimmt ein lustiges Ende.«

O'Donahue und seine Gattin schrieben ihre Briefe, und der erstere ließ noch außerdem an den englischen Gesandten eine Mitteilung über das Vorgefallene ergehen, denselben zugleich auch um seine freundlichen Dienste bittend. Sobald dies bereinigt war, sagte ihnen die Gräfin Lebewohl, indem sie beifügte, sie wolle die Briefe nicht eher abschicken, als bis das neuvermählte Paar weit genug sei, um nicht mehr erreicht werden zu können. Unter tausend Dankesbezeugungen schied O'Donahue mit seiner Gattin, um die lange Reise anzutreten.

Ihre Reiseequipage bestand aus einem sogenannten Wienerwagen auf einem Schlittengestelle. Im Innern saß O'Donahue mit seiner jungen Frau, und M'Shane befand sich mit Joey auf dem Bock, um dem neuvermählten Paare nicht lästig zu sein, da bei derartigen Anlässen dritte Personen immer beschwerlich fallen.

Der Schnee lag mehrere Fuß hoch, aber die Luft war trocken, und die Sonne schien hell. Die Fürstin war in einen reichen Zobelmantel gehüllt und O'Donahue in ähnlicher Weise gegen die Kälte geschützt – M'Shane und Joey desgleichen dermaßen durch Wolfspelze und Fußschlüpfer von Bärenfell verwahrt, daß man von ihnen nichts als die Nasenspitze sehen konnte. Vorn auf dem Schlitten und unter dem Kutschbocke saßen der Kutscher und der Läufer; vier feurige junge Rosse stampften ungeduldig vor dem Schlosse; das Zeichen zur Abfahrt wurde gegeben, und dahin ging es mit einer Geschwindigkeit von sechzehn Meilen in der Stunde.

»Wo sind die Gewehre, die Pistolen und die Munition, Joey?« fragte M'Shane, »denn wir kommen wahrscheinlich durch ein sehr wildes Land.«

»Ich habe sie selbst eingepackt und kann sie jeden Augenblick haben«, versetzte Joey. »Die Gewehre sind hinter uns, Ihre Pistolen und die Munition zu meinen Füßen, die Waffen des Kapitäns aber im Wagen.«

»Gut, gut; wenn ich nur weiß, wo ich sie zu holen habe. Sei so gut, hin und wieder nach meiner Nase zu sehen, Joey; bemerkst Du an der Spitze einen weißen Fleck, so erweise mir den Gefallen, es mir zu sagen; ich will Dir dann denselben Dienst leisten. Frau M'Shane würde keine sonderliche Freude daran haben, wenn ich nur mit einem halben Henkel im Gesichte wieder zurückkäme.«

Die Reise wurde in derselben Geschwindigkeit fortgesetzt, bis sie am Schlusse des Tages an einem Posthause anlangten. Hier machten sie Halt, und M'Shane bereitete, von Joey unterstützt, aus den mitgebrachten Vorräten ein Nachtessen. Nach dem Mahle kehrten O'Donahue und seine Gattin wieder in den Wagen zurück, der so eingerichtet war, daß er erforderlichen Falls auch als Schlafstätte dienen konnte, während M'Shane und Joey sich's mit dem bischen Stroh, das sie bekommen konnten, in der Flur des Posthauses bequem machten. Freilich meinte der Major am andern Morgen, sie hätten mehr Schlafkameraden gehabt, als ihnen lieb gewesen, indes sei es ihm doch gelungen, trotz der hüpfenden Vagabunden ein paar Stunden Schlaf wegzustehlen. Der nächste Tag brachte ein starkes Schneegestöber. Demungeachtet setzten sie aber nach dem Frühstück ihre Reise mit gleicher Geschwindigkeit fort. Die Außensitzenden waren bald ganz eingeschneit, doch meinte M'Shane gegen Joey, jedenfalls sei's besser als Regen, was allerdings ein etwas kühler Trost war; indes ist ein schlechter Trost doch immer besser, als gar keiner. O'Donahues Aufforderung, M'Shane solle sich in den Wagen setzen, blieb unbeachtet: er sei nicht weichlicher, als der kleine Joey, und möge ihre Unterhaltung nicht stören. Gegen vier Uhr wurden in einem kleinen Dorfe die Pferde gewechselt. Sie waren noch etwa drei Meilen von ihrer letzten Station entfernt, als sie einen Fichtenwald erreichten.

»Das ist ein hübsches Plätzchen für einen Hinterhalt, wenn's etwa hier herum Räuber geben sollte«, bemerkte M'Shane. »Mord und Irland! warum laufen doch diese Hunde so schnell unter den Bäumen und halten gleichen Schritt mit uns? He, Dimitri«, fuhr M'Shane danach hindeutend fort, »was giebt's denn da?«

Der Läufer blickte nach der angegebenen Richtung, und sprach dann mit dem Kutscher, der gleichfalls hastig danach hinsah, dann aber auf seine Pferde lospeitschte und mit verdoppelter Eile dahinjagte.

»Wölfe, Sir«, versetzte der Läufer, welcher seine Pistolen herauszog und sie zu laden begann.

»Wölfe?« rief M'Shane. »Nun, wahrhaftig, die scheinen mir hungrig genug, aber hoffentlich gedenken sie nicht ein Mahl aus uns zu machen? Jedenfalls sollen sie darum kämpfen müssen! Komm, Joey, ich sehe, daß dem Dimitri die Sache nicht gefallen will; wir müssen daher den Schnee abschütteln und unsere Munition bereit halten.«

Dies war bald geschehen; die Gewehre wurden von der Hinterseite des Kutschbocks losgeschnallt, die Pistolen herausgeholt, und bald waren sämtliche Feuerwaffen geladen und mit Zündkraut versehen.

»Ein Glück, daß die Kutschenfenster angelaufen sind und die Dame nicht sehen kann, was wir hinter uns haben; so bleibt ihr doch der Schrecken erspart«, sagte Joey.

Die Pferde hatten durch ihre Geschwindigkeit für eine Weile den Wölfen einen Vorsprung abgewonnen; aber nun hatte man den Wald im Rücken, und man sah die Bestien in der Entfernung von einer Viertelmeile hinter dem Wagen drein traben.

»Da kommen die Teufel! Einer, zwei, drei – ei der tausend, es sind gar ihrer sieben. Vermutlich nennt man das einen Rudel. Hast Du je schon auf Wölfe Jagd gemacht Joey?«

»Ich schätze wohl, die Wölfe machen auf uns Jagd«, erwiderte Joey.

»Das ist ganz das gleiche, mein kleiner Wilddieb – jedenfalls ist's eine Jagd. Sie rücken uns jedoch schnell zu Leibe, und es wird bald zu einer Erklärung kommen.«

Der Läufer kletterte nun auf den Kutschbock, um zu rekognoscieren, dann schüttelte er den Kopf und sagte gerade heraus, daß ihm die Sache durchaus nicht gefalle; er habe gehört, daß infolge des ungemein strengen Winters die Wölfe sich an den Landstraßen zeigten, und er fürchte, daß die sieben nur der Vortrab eines ganzen Haufens seien; auch hätten sie noch viele Werste zurückzulegen, denn die Station sei lang, und die Nacht werde sie überfallen, noch ehe sie das Ende derselben erreichten.

»Haben Sie früher schon Wölfe auf den Fersen gehabt?« fragte Joey.

»Ja«, antwortete der Läufer, »schon mehr als einmal. Die Pferde sind's, auf welche es die Bestien so heißhungrig abgesehen haben. Drei von unsern Tieren sind vortrefflich, nur das vierte ist nicht zum besten auf den Beinen, und der Kutscher fürchtet, es werde nicht aushalten. Indes müssen wir eben rennen, so lange es geht, und nur im äußersten Notfalle unsere Waffen gebrauchen.«

»Warum dies?« fragte M'Shane.

»Weil der ganze Haufe das Blut auf Meilen wittern und seine Anstrengungen verdoppeln würde, uns einzuholen. Sie haben eine leere Flasche bei sich, Sir; werfen Sie dieselbe hinter den Wagen – das wird sie für eine Zeitlang aufhalten.«

»Eine leere Flasche sie aufhalten? das wäre doch sonderbar. Einem Trinker möchte sie allenfalls Halt gebieten, weil er nichts mehr herausbringen kann. Indessen nach Ihrem Belieben, meine Herren – trinken Sie meine Gesundheit und mögen dann die Bestien an den Scherben ersticken!« Damit warf M'Shane die Flasche über den Wagen.

Der Läufer hatte recht. Als die Wölfe, welche gar argwöhnischer Natur sind und in allem eine ihnen gelegte Falle vermuten, die Flasche im Wege liegen sahen, machten sie Halt und sammelten sich vorsichtig um dieselbe. Der Wagen jagte weiter, und in ein paar Minuten hatte man die Bestien aus dem Gesichte verloren.

»Nun, da möchte einem der Verstand stille stehen«, sagte M'Shane. »Eine leere Flasche thut also eben so gute Dienste, als ein abgeschossenes Gewehr; aber sehen Sie, da kommen sie schon wieder, und zwar schneller, als je. Vermutlich haben sie sich überzeugt, daß nichts drinnen war.«

Der Läufer stieg wieder auf den Bock, wo Joey und M'Shane standen.

»Ich glaube, Sie hatten eine Rolle Schnur, als Sie die Körbe aufbanden«, sagte er zu Joey. »Wo ist sie?«

»Hier unter dem Polster«, versetzte Joey, danach suchend und sie zum Vorschein bringend.

»Was können wir wohl daran binden?« fragte der Läufer; »etwas nicht allzuschweres – nur keine Flasche mehr.«

»Wozu?« fragte M'Shane.

»Um es nachzuschleppen, Sir«, entgegnete der Läufer.

»Es nachschleppen? Ich dächte, wir hätten die Bestien bereits schnell genug im Schlepptau; aber wenn Sie ihnen noch helfen wollen, da ist ein Bückling.«

»Nein, Sir, ein Stück rotes Tuch würde besser passen«, erwiderte der Läufer.

»Rotes Tuch? sollte man doch meinen, Sie wollten Makrelen fischen«, versetzte M'Shane.

»Thut's nicht auch dieser schwarze Fetzen, der um das Gewehrschloß gewickelt war?« fragte Joey.

»Ja, ich denke«, entgegnete der Läufer.

Er befestigte nun das Tuch an dem Ende der Schnur, warf es zum Wagen hinaus und ließ die Rolle ablaufen, bis er nur noch das andere Ende in der Hand hatte. Der schwarze Fetzen tanzte etwa vierzig Ellen hinter dem Wagen im Schnee.

»Sie werden nicht über den Tuchstreifen hinausgehen, Sir«, sagte der Läufer; »sie halten's für eine Falle.«

Es verhielt sich richtig so: die Wölfe, welche dem Wagen mit großer Hast nachrannten, zogen sich jetzt wieder zurück und setzten ihre Verfolgung nur aus einiger Entfernung fort.

»Wir haben noch mehr als anderthalb Stunden zu fahren, ehe wir die Station erreichen, und ich fürchte, wir werden von der Nacht überfallen«, sagte der Läufer. »Alles hängt davon ab, ob das Pferd aushält, denn ich bin überzeugt, der Haufe ist nicht weit zurück.«

»Und wie stark mag wohl dieser Haufe sein?« fragte M'Shane.

Der Läufer zuckte die Achseln. »Vielleicht zwei- oder dreihundert Stück.«

»O, zum Teufel! wär' ich doch daheim bei Madame M'Shane!«

Sie galoppierten eine halbe Stunde weiter, als das eine Pferd mit einemmale zu hinken begann. Die Wölfe waren noch immer nicht über das Stück schwarzen Tuches, das hinter dem Wagen nachschleppte, vorgedrungen.

»Ich denke, in Anbetracht ihres Hungers fürchten sie sich doch gewaltig vor dem Köder«, sagte M'Shane. »Bei der Allmacht, sie haben wieder Halt gemacht!«

»Die Schnur ist abgerissen, Sir, und sie untersuchen das Tuch«, rief Joey.

»Ist noch viel davon übrig?« fragte der Läufer mit einiger Unruhe.

»Nein, sie hat sich hinten an der Wagenecke abgerieben.«

Der Läufer sprach mit dem Kutscher, der nun von dem Sitze aufstand und wütend auf seine Pferde loshieb; aber obgleich drei der Pferde noch frisch waren, konnte doch das vierte nicht gleichen Schritt halten, denn es strauchelte wiederholt, und man sah mit jedem Augenblick seinem Sturze entgegen. Inzwischen hatten die Wölfe den Tuchfetzen wieder verlassen und kamen rasch dem Wagen nach.

»Wir müssen jetzt Feuer geben, Sir«, sagte der Läufer, indem er sich wieder nach seinem Sitze begab, »oder die Bestien fallen den Pferden in die Seite.«

M'Shane und Joey ergriffen ihre Gewehre.

Der vorderste Wolf hatte jetzt den Schlitten eingeholt. Joey feuerte und das Tier kugelte in den Schnee.

»Das war ein guter Schuß, Joey! Schnell wieder geladen! da ist wieder einer.«

M'Shane feuerte und fehlte das Tier, welches vorwärts stürzte; die Pistole des Läufers erlegte jedoch dasselbe, als es eben an einem der Hinterpferde hinanspringen wollte.

O'Donahue ließ erstaunt über das Schießen das Fenster hinunter und fragte nach der Ursache. M'Shane versetzte, daß sie von Wölfen verfolgt würden und der Kapitän daher wohl daran thäte, für den erforderlichen Fall seine Pistolen zu laden.

Nachdem die beiden Wölfe gestürzt waren, blieben die übrigen ein wenig zurück, setzten aber dessenungeachtet die Jagd fort, obgleich in einer achtungsvolleren Entfernung. Der Weg wurde nun abschüssig und das kranke Pferd konnte sich kaum mehr auf seinen Beinen halten.

»Noch eine kleine halbe Stunde, und wir haben die Stadt erreicht«, sagte der Läufer, auf das Kutschendach hinaufkletternd und den zurückgesetzten Weg überblickend.

»Heiliger Nicolaus, stehe uns bei!« rief er, wandte sich dann plötzlich um, einige russische Worte an den Kutscher richtend.

Der letztere handhabte seine Peitsche aus Leibeskräften, aber vergeblich; das arme Tier konnte nicht mehr weiter.

»Was giebt's jetzt?« fragte M'Shane.

»Sehen Sie jene schwarze Masse sich den Berg herabbewegen? Es ist der Haupthaufen. Ich fürchte, wir sind verloren, denn das Pferd kann nicht mehr von der Stelle.«

»Warum denn nicht die Zugriemen abschneiden und mit den drei übrigen weiter jagen?« rief Joey.

»Der Knabe hat recht«, versetzte der Läufer; »aber wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Er stieg sodann zu dem Kutscher hinunter, redete ihn russisch an, und nun wurden die Pferde angehalten. Dimitri sprang mit einem Messer hinaus und begann die Zugseile des abgetriebenen Pferdes zu durchschneiden, während die drei andern, welche wußten, daß die Wölfe hinter ihnen waren, wütend ausschlugen und weiter rennen wollten. Es war ein verhängnisvoller Augenblick. Die fünf Wölfe kamen jetzt heran; die ersten zwei wurden durch die Gewehre M'Shanes und Joeys erlegt, während O'Donahue einen dritten durch das Wagenfenster niederstreckte. Einer von den übrigen kam wütend heran und sprang auf das Pferd, das der Läufer eben losschnitt. Joey sprang hinab, hielt seine Pistole an den Kopf des Tieres und jagte ihm die Kugel ins Gehirn, während M'Shane, welcher unserem Helden gefolgt war, mit der andern Pistole den fünften Wolf in den Schnee streckte.

Die Gefahr, der sie jetzt entronnen, war jedoch noch gar nichts im Vergleich mit derjenigen, welche sie jetzt bedrohte. Der ganze Haufe stürzte jetzt wie ein Waldstrom den Berg herunter und erhob dabei einstimmig ein so fürchterliches Geheul, daß auch dem Bravsten der Mut entsinken konnte. Das Pferd, welches bei dem Sprunge des Wolfes gestürzt war, hing noch immer an dem Schlitten, und die übrigen drei ließen sich kaum mehr halten. Endlich hatten M'Shane, Joey und der Läufer das kranke Tier los und aus dem Geleise gebracht; sie eilten wieder an ihre Plätze, und dahin ging's, wie der Wind, denn die Rosse waren vor Furcht ganz toll. Der Wolfshaufe war jedoch kaum noch hundert Ellen hinter ihnen, und auch M'Shane gab bereits alle Hoffnung auf. Da wurde ihnen das zurückgelassene Pferd zur Rettung. Die heißhungrigen Bestien stürzten auf dasselbe zu, scharten sich darum und rauften und zerrten sich um den Schmaus. Dies währte jedoch nicht lange. In drei Minuten war das gefallene Roß verschwunden, und der größere Teil des Haufens nahm seine Verfolgung wieder auf. Indessen hatte der Wagen bereits einen großen Vorsprung gewonnen, und da die noch übrigen Pferde ununterbrochen fortjagten, so langten sie glücklicherweise noch rechtzeitig in dem nächsten Städtchen an. O'Donahue führte seine entsetzte Gattin in die Gaststube des Posthauses, wo sie ohnmächtig auf einen Stuhl niedergelassen werden mußte.

»Ich will Dir was sagen, Joey; an den Wölfen habe ich für meine Lebtage genug gehabt«, sprach M'Shane. »Aber Du bist ja ein ganz prächtiger Schütze, Joey, und ein mutiger kleiner Kerl obendrein. Da hast Du eine Handvoll Rubel, wie sie's nennen – kannst Lebkuchen dafür kaufen, obgleich ich kaum glaube, daß Du hier herum einen Zuckerbäckerladen finden wirst. Thut übrigens nichts – schone Deinen Süßigkeitszahn, bis Du wieder nach Altengland kommst, und dann will ich Mrs. M'Shane sagen, was Du an dem heutigen Tage für uns gethan hast. Sie wird Dir dann erlauben, ihren Kalbsschlegeln, Hammelkeulen und Beefsteakpasteten gratis zuzusprechen, so lang Du lebst, gleichviel, ob Du ein hundert Jährchen mehr oder weniger Deinen Schnabel brauchen kannst. Vergiß es nicht, ich habe Dir's gesagt! Und nun die Wölfe uns nicht zum Nachtessen verspeist haben, wollen wir hingehen und sehen, ob wir nicht etwas unter die Zähne kriegen können.«


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