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Viertes Kapitel.

In welchem der Autor nach Kräften bemüht ist, dem gegenwärtigen Geschmacke des Publikums entgegenzukommen.


Wir haben bereits gesagt, daß Byres der Hehler des von Rushbrook gestohlenen Wildes war. Man konnte dem Ehrenmanne nicht nachrühmen, daß er es mit den Pflichten gegen den Nächsten sonderlich genau nahm, da er vielmehr jeden, wie er nur konnte, zu übervorteilen suchte. Auch bei Rushbrook probierte er seine Praktiken, aber mit schlechtem Erfolg, weshalb er von Stunde an dessen entschiedener, obgleich geheimer Feind wurde. Seit ihrer Entzweiung waren einige Monate verstrichen, und da beide von gleich rachsüchtiger Gemütsart waren, so herrschte unter ihnen gegenseitiges Mißtrauen. Eines Sonnabend trafen sie noch spät in dem Bierhause zusammen, welches ihr gewöhnlicher Belustigungsort war. Der Schulmeister Furneß war auch zugegen und hatte, nebst vielen anderen Anwesenden, bereits ziemlich getrunken, so daß es etwas geräuschvoll und lärmend zuging. Einige Weiber standen geduldig und bekümmert vor der Thür, hatten die Schürze über ihre Arme geschlagen, um sich gegen die Kälte zu schützen, und warteten, bis ihre zechenden Männer heraus kamen, um sie zum Nachhausegehen zu bewegen, ehe der größere Teil ihres Wochenverdienstes in geistigen Getränken verjubelt war. Byres hatte die Zeitung in der Hand – denn der Schulmeister war schon zu benebelt, um vorlesen zu können – und deklamierte eben laut gegen alle Regierungen, Monarchieen und Gesetze, als ein Fremder in die Wirtsstube trat. Rushbrook hatte kurz zuvor Platz genommen, um ruhig seine Pinte zu trinken und nach Hause zu gehen, da er zu viel Achtung vor dem Sabbath hatte, um am Morgen eines dem Herrn geweihten Tages sein Wilddiebsgewerbe zu verfolgen. Demgemäß fiel es ihm auch nicht entfernt ein, zu seiner gewöhnlichen Methode Zuflucht zu nehmen, nämlich sich betrunken zu stellen. Als jedoch der Fremde eingetreten war, bemerkte er zu seiner großen Überraschung, daß derselbe einen Blick des Erkennens mit Byres wechselte, worauf sie thaten, als ob sie sich in ihrem Leben nie gesehen hätten. Rushbrook faßte die beiden sorgfältig ins Auge, ohne daß sie's übrigens merken konnten, und bald winkte der Fremde Byres abermals zu. Dieser fuhr fort, die Zeitung zu lesen und die Gäste aufzuhetzen, ersah aber zugleich eine Gelegenheit, den Wink zu erwidern. In dem Äußeren des Fremden lag etwas, woraus Rushbrook entnahm, daß derselbe als Wildhüter oder in einer ähnlichen Eigenschaft angestellt sein müsse, denn der Instinkt lehrt uns oft unsere Feinde erkennen. Jedenfalls fühlte sich Rushbrook überzeugt, daß Unheil im Anzuge war, und er wurde noch bedenklicher, als er bemerkte, wie die Augen der beiden sich bisweilen nach ihm hinwandten. Nach einiger Erwägung beschloß er, seine frühere Praxis zu verfolgen und sich betrunken zu stellen. Er rief nach einer zweiten Pinte, fing mit einemmale zu krakeelen an und legte endlich seinen Kopf auf den Tisch. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf, trank noch mehr und sank dann auf die Bank zurück. Die Zahl der Gäste lichtete sich allmählich, bis am Ende nur noch der Schulmeister, der Hausierer und der Fremde zugegen waren. Der erstere machte dem Handelsmann wie gewöhnlich den Vorschlag, dem betrunkenen Gefährten nach Hause zu helfen, Byres versetzte jedoch, daß er zu thun habe und noch eine Weile bleiben müsse; der gute Freund aber, den er bei sich habe, werde ihm behilflich sein, Rushbrook später weiter zu schaffen. Der Schulmeister wankte nach Hause und ließ die beiden allein. Sie saßen bei einander auf der Bank und Rushbrook lag ganz in der Nähe, scheinbar in der höchsten Stufe der Trunkenheit. Sie führten ihr Gespräch in einer Weise, daß es leicht gehört werden konnte. Der Hausierer gab an, er habe mehrere Nächte acht gegeben, aber nie ausfindig machen können, wann Rushbrook seine Hütte verlasse, obgleich er der Fährte des Knaben mehr als einmal gefolgt sei; indes habe ihm Rushbrook versprochen, auf den Dienstag Wild für ihn bereit zu halten und Montag nachts danach auszugehen. Mit einem Worte, Rushbrook entdeckte, daß Byres ihn an den Mann zu verraten gedachte, der, wie er im Laufe ihrer Unterhaltung vernahm, ein von dem Grundherrn neu angestellter Wildhüter war. Nach einer Weile schickten sie sich zum Aufbruche an, nachdem Byres zuvor dem Förster versprochen hatte, ihn auf seiner Spähe zu begleiten und ihm bei der Festnehmung seines früheren Spießgesellen Beihilfe zu leisten. Sobald diese Verabredung getroffen war, ergriffen sie Rushbrook bei den Armen, schüttelten ihn so viel als möglich wach, führten ihn nach Hause und überließen ihn der Obhut seines Weibes. Die Thüre hatte sich kaum geschlossen, als Rushbrook seinen lange verhaltenen Grimm nicht länger zu zügeln vermochte; er sprang auf, schlug, zum großen Schrecken seines Weibes, mit der Faust auf den Tisch und schwur, daß der Hausierer seinen Verrat bezahlen solle. Seine Frau bat ihn um Aufklärung, worauf er ihr in Kürze mitteilte, was er gehört hatte. Wie sehr übrigens auch Jane seine Entrüstung teilen mochte, so schauderte sie doch vor dem Gedanken an Blutvergießen zurück; sie beredete ihren Gatten, zu Bette zu gehen, was er auch ihr zu Gefallen that – aber nicht um zu schlafen, denn nur ein einziges Gefühl beherrschte seine ganze Seele, nämlich der Durst nach Rache an dem Verräter. Wenn dieser Dämon sich in die Brust eines Menschen Eingang verschafft, der bisher friedlich in seiner Heimat gelebt hat, so bebt er doch, wie glühend auch die Leidenschaft sein mag, bei dem Gedanken an Blut zurück. Hat aber einer so lange in der Armee gedient, wie Rushbrook, so viele Gemetzelscenen mit angesehen und so oft seinem Gegner das Bajonett in den Leib gerannt, so steigert sich der Ingrimm zu einer furchtbaren Höhe, und der Tod eines Nebenmenschen wird zu einer sehr gleichgültigen Sache, sobald der Beleidigte damit nur sein Mütchen kühlen kann. Ein Gleiches war auch mit Rushbrook der Fall; noch ehe er am Morgen jenes Sabbathes aufstand, an welchem er, wenn er zur Kirche gegangen wäre, um so oftmalige Vergebung seiner Schulden hätte bitten können, als er seinen Schuldigern vergab – war er darin mit sich einig geworden, daß nichts als der Tod des Hausierers seine Rache befriedigen könne. Beim Frühstück that er zwar, als höre er auf das Flehen seines Weibes, und gab ihr das Versprechen, daß er dem Krämer nichts zuleide thun wolle, fügte jedoch bei, statt versprochenermaßen Montag nachts auszugehen, wolle er dies gleich heute thun, um die ihm gelegten Schlingen zu vermeiden. Jane suchte ihn zu bereden, ganz und gar zurück zu bleiben, aber hierauf wollte sich Rushbrook nicht einlassen. Er entgegnete, er wolle zeigen, daß er sich nicht so leicht von seinem Weidwerke abhalten lasse, und am Dienstag nachts Byres den Glauben beibringen, daß er seine Beute am Montag geholt habe. Indes wollte Rushbrook bloß womöglich mit Byres allein zusammentreffen, um ihm sein schändliches Benehmen vorzuhalten und dann summarische Rache zu nehmen. Er wußte, daß Byres in dem Wirtshause übernachtete, weshalb er sich ein wenig vor Dunkelwerden gleichfalls dahin begab, wo er dem Hausierer mitteilte, er gedenke, noch in derselbigen Nacht seinen Streifzug zu machen; es sei daher besser, wenn er, statt am Dienstag zu kommen, zu einer bestimmten Stunde an einer gewissen Waldecke mit ihm zusammen treffe, wo er ihm das geschossene Wild aushändigen wolle. Byres, der hierin einen vortrefflichen und leichten Weg sah, Rushbrook auf der That zu ertappen, ließ sich dies gefallen und nahm sich insgeheim vor, den Wildhüter davon in Kenntnis zu setzen, damit er Rushbrook auflauern möge. Die Zeit der Zusammenkunft war auf morgens zwei Uhr bestellt. Rushbrook war überzeugt, Byres werde ein paar Stunden vor der anberaumten Frist das Wirtshaus verlassen; er hatte dann noch hinreichend Zeit, dem Förster seine Meldung zu hinterbringen. Demgemäß blieb der alte Wilddieb ruhig bis Mitternacht zu Hause, lud dann sein Gewehr und machte sich ohne Joey oder den Hund auf den Weg. Seinem Weibe fiel dieses auf; sie fühlte sich überzeugt, daß er nicht in der Absicht ausgegangen war, um Wild zu holen, sondern über einem Racheplane brütete, weshalb sie ihm, sobald er die Hütte verlassen hatte, nachsah. Aus der Richtung seines Weges, den er nach dem Wirtshause hin einschlug, zog sie die beunruhigende Folgerung, daß es zwischen ihm und Byres Unheil abgeben könne; sie weckte daher Joey und trug ihm auf, er solle seinem Vater nachgehen und alles aufbieten, um ihn von einem gefährlichen Schritte abzuhalten. Ihre Mitteilung an den Knaben geschah so hastig, daß Joey daraus nicht entnehmen konnte, was er zu thun hatte; indes wurde ihm doch so viel klar, daß er auf die Bewegungen seines Vaters acht haben und sehen sollte, was vorgehe. Er nahm seinen Sack auf den Rücken, machte sich alsbald auf den Weg und ging, wie gewöhnlich von Mum begleitet, seinem Vater nach, indem er leise in dem Fußpfade weiter schlich. Die Nacht war dunkel, denn der Mond ging erst zwei oder drei Stunden vor Anbruch des Morgens auf, und außerdem wehte ein schneidend kalter Wind. Joey war jedoch an derartiges Wetter schon gewöhnt, und obgleich er selbst nicht gesehen wurde, so konnte sich doch nicht leicht ein Gegenstand bewegen, ohne von seinem scharfen Auge erspäht zu werden. Er verbarg sich in einer Ecke neben dem Wirtshause. Mum wollte weiter, woraus er schloß, daß sein Vater irgendwo in der Nähe lauern mußte; er drückte jedoch den Hund mit der Hand nieder, duckte sich und gab acht. Einige Minuten nachher bemerkte er, daß eine dunkle Gestalt aus dem Wirtshause herauskam und hastigen Schrittes über ein Rübenfeld hinter dem Gebäude ging. Der Mann hatte dasselbe noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, als eine zweite Person auftauchte, welche dem ersteren verstohlen nachfolgte. Joey erkannte in derselben seinen Vater und wartete eine Weile, worauf er mit Mum den Schritten der beiden folgte. Etwa anderthalb Meilen weit behielten sie dieselbe Entfernung bei, bis sie in die Nähe eines mit Pfriemkraut überwachsenen Grundes gelangten, von wo aus man noch etwa sechshundert Ellen bis zu dem Gehölze hatte. Jetzt beschleunigte Rushbrook seine Schritte, und Joey that das Gleiche; eine Folge davon war, daß die drei Personen rasch einander näher kamen. Byres (denn er war der Mann aus dem Wirtshause) ging gemächlich weiter, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, daß ihm jemand folgte. Rushbrook war noch fünfzehn Ellen von dem Hausierer und Joey ungefähr ebenso weit von seinem Vater entfernt, als letzterer einen Gewehrhahn knacken hörte, wie wenn derselbe gespannt würde.

»Vater«, sagte Joey mit gedämpfter Stimme, »ich bitte, laßt – –«

»Wer da?« rief der Hausierer, sich umwendend.

Die einzige Antwort war ein Pulverblitz und das Knallen eines Gewehres: der Hausierer stürzte in das Pfriemengesträuch.

»O Vater! Vater! was habt Ihr gethan?« rief Joey, herankommend.

»Du hier, Joey?« sprach Rushbrook. »Was willst Du da?«

»Die Mutter hat mich geschickt«, versetzte Joey.

»Etwa Zeugnis gegen mich ablegen?« entgegnete sein Vater zornig.

»O nein, nur Euch zu hindern. Was habt Ihr gethan?«

»Etwas, wovon ich jetzt fast wünsche, daß es unterblieben wäre«, erwiderte er in düsterem Tone. »Aber es ist geschehen, und –«

»Und was?«

»Nun, vermutlich lastet ein Mord auf mir«, versetzte Rushbrook. »Er wollte mich verraten, Joey – mich deportieren lassen; ich sollte für lumpige paar Fasanen den Rest meiner Tage in Ketten arbeiten! Doch laß uns nach Hause gehen.«

Aber trotz seiner ausgesprochenen Absicht rührte sich Rushbrook nicht von der Stelle. Er lehnte sich auf sein Gewehr, und seine Augen hafteten in der Richtung, wo Byres gefallen war.

Joey stand an seiner Seite, und wohl zehn Minuten wurde kein Wort zwischen Vater und Sohn gesprochen. Endlich begann Rushbrook:

»Joey, mein Kind, ich habe seinerzeit manchen getötet und mir keine Gedanken darüber gemacht. Ich konnte die Nacht darauf so beruhigt schlafen, als nur je. Aber siehst Du, ich war damals ein Soldat, und es gehörte zu meinem Berufe: ich konnte die von mir Getöteten ohne Scheu oder Kummer sehen – aber bei diesem Manne ist es anders. Er war zwar mein Feind, Joey, aber ich fühle jetzt, daß Blutschuld auf mir haftet. Geh zu ihm hin (Du brauchst Dich nicht zu scheuen, von ihm gesehen zu werden) und überzeuge Dich, ob er tot ist.«

Obgleich Joey im allgemeinen ein furchtloser Knabe war, so fühlte er doch jetzt eine gewisse Beklommenheit. Er hatte allerdings seine Hand oft in das Blut von Hasen oder Vögeln getaucht, aber noch nie einen toten Nebenmenschen gesehen. Langsam und zitternd näherte er sich in der Dunkelheit dem Ginsterbusche, wo der Körper lag. Mum folgte, jedesmal vor dem Erheben einer Pfote innehaltend, und als sie die Stelle erreichten, streckte der Hund seinen Kopf in die Höhe und ließ ein so klägliches Geheul erschallen, daß unser Held wieder zurückfuhr. Nach einer Weile faßte sich Joey aufs neue und näherte sich abermals dem Gefallenen, über den er sich hinbeugte, ohne jedoch mehr als die Gestalt unterscheiden zu können. Er horchte, aber nicht der leiseste Atemzug ließ sich vernehmen; auch folgte keine Antwort, als er leise den Namen des Hausierers flüsterte. Endlich legte er die Hand auf dessen Brust, und als er sie wieder zurückzog, dampfte sie von warmem Blute.

»Vater, er muß tot sein – ganz tot«, flüsterte Joey, als er zitternd wieder zurückgekehrt war. »Was können wir thun?«

»Wir müssen nach Hause gehen«, versetzte Rushbrook; »eine schlimme Nachtarbeit!«

Und ohne ein weiteres Wort zu wechseln, bis sie zu Hause anlangten, gingen Rushbrook und Joey nach der Hütte zurück, während Mum ihren Schritten folgte.


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