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Achtes Kapitel.

Eine Abhandlung über Stammbäume.


Es wird unserem Leser vielleicht nicht unangenehm sein, wenn wir ihn mit Kapitän O'Donahue ausführlicher bekannt machen, weshalb wir dieses Kapitel einem Bericht über dessen Geburt, Herkunft und spätere Laufbahn widmen wollen. Wenn man dem Vater des Kapitäns Glauben schenken durfte, so herrschte das Geschlecht der O'Donahues über Irland lange, bevor man etwas von dem O'Connors hörte. Über die Richtigkeit dieser Angabe getrauen wir uns keine Ansicht aufzustellen, sintemal sich erwarten läßt, daß niemand so genaue Kenntnisse von der Geschichte einer Familie haben kann, als die Angehörigen derselben. Von den Dokumenten haben wir nicht Einsicht genommen, weshalb uns nur die bestimmte Versicherung des Squireen O'Donahue als Quelle dient, welcher sagt, daß seine Ahnen nicht nur vor den O'Connors, deren Ansprüche auf alte Herkunft er mit großer Verachtung behandelte, Könige von Irland, sondern auch wegen ihrer Stärke sehr berühmt gewesen seien; namentlich hätten sie in der Schlacht die längsten Bogen geführt, von denen man je gewußt und gehört habe. Wir haben somit ein sehr umständliches Zeugnis, obgleich keinen Beweis. Waren sie stark, so konnten sie wohl Könige von Irland gewesen sein, denn bekanntlich galt dort vor vielen Jahrhunderten die Gewalt statt des Rechtes, und zuverlässig gingen ihre Gaben auch oft auf ihre Nachkommenschaft über, da niemand wegen Spannens des langen Bogens berufener war, als der Squireen O'Donahue.

Wir müssen es indessen unseren Lesern überlassen, sich über diese Punkte ihre eigene Ansicht zu bilden. Vielleicht ist einer darunter genauer mit den Archiven seines Landes bekannt und somit im stande, uns zu widerlegen, wenn wir unrecht haben, oder andernfalls unser Zeugnis zu bekräftigen. Sir Walter Scott bemerkt in seiner Vorrede zur Anna von Geyerstein, daß ein Autor Berichtigungen von Irrtümern, mögen sie auch noch so unbedeutend sein, stets mit aufrichtigem und achtungsvollem Danke anerkennen sollte. Dem Beispiele eines so berühmten Mannes folgend können wir nur sagen: Wenn irgend jemand die Angabe des Squireen O'Donahue, daß nämlich die O'Donahues lange, ehe von den O'Connors gehört wurde, Könige von Irland waren, zu beweisen oder zu entkräften vermag, so werden wir uns höchst glücklich schätzen, seine gefälligen Bemerkungen unter dankbarer Anerkennung der nächsten Ausgabe dieses Werkes beizufügen. Noch verbundener würden wir uns jedoch fühlen, wenn einer oder der andere uns mit einer bestimmten Definition darüber erfreuen wollte, was man in jenen Tagen unter einem König von Irland verstand: das heißt, ob er einen Hof hielt, seine Unterthanen besteuerte, Einkünfte sammelte, ein stehendes Heer hielt, Gesandte an fremde Potentaten schickte und überhaupt alles das übte, was man heutzutage an Königen gewohnt ist – oder ob nicht vielmehr sein Shillelagh sein Zepter war und seine Domänen nur aus einem mit Ginster bedeckten Hügel und aus einem Sumpfe bestanden, deren Irrgewinde nur ihm selbst bekannt waren – ob er in Juwelen prunkte und eine goldene Krone auf der Stirn trug, oder ob er barfuß und mit bloßen Armen, die unbedeckten Locken in üppiger Wildheit durch die Winde flatternd, einherzog. Wir bitten, uns diese Fragen ganz einfach zu beantworten. Wissen wir doch, daß man noch jetzt in Irland einen sechs Fuß langen Burschen von stämmigen Verhältnissen einen »königlichen Kerl« nennt, obgleich er vielleicht nicht so viel besitzt, um ein Tütchen Tabak zur Auffüllung seiner Dose zu kaufen. Vermöge dieser Thatsache fühlen wir uns zu der Folgerung geneigt, daß ein paar Zoll höher und eine entsprechende Muskelkraft in früheren Zeiten hingereicht haben würde, den unstreitigen Abkömmling der Familie zur Würde des irischen Thrones zu erheben. Diese trockenen Spekulationen haben uns jedoch von unserer Geschichte abgeführt, die wir jetzt wieder aufnehmen müssen.

Wie bedeutungsvoll auch das Haus der O'Donahues vordem gewesen sein mag – so viel ist gewiß, daß es in der Welt ein Steigen und Fallen giebt. Jede Familie hat ihr Glücksrad, welches das Geschick bald schneller, bald langsamer rollen läßt, und der Abkömmling der Könige vor O'Connors Zeiten war nun zu einer Art von Vicekönig herabgesunken, denn der Squireen O'Donahue war der Verwalter eines gewissen wilden Strichs in dem Bezirke von Galway, des Eigentums einer Familie, die seit vielen Jahren eine entschiedene Abneigung gegen die natürlichen Schönheiten des Landes gezeigt und es für passend gehalten hatte, nach einem Orte auszuwandern, wo sie freilich weniger anhängliche Leute, dagegen aber jedenfalls mehr Civilisation trafen. Der gedachte Strich war wohl ausgedehnt, aber nicht einträglich, denn es gab daselbst Felsen und Gebüsch in Fülle, in der geeigneten Jahreszeit allerdings auch Schnepfen; und obgleich der Squireen O'Donahue (wenn auch nicht für seinen Herrn, so doch wenigstens für sich) sein Bestes that, so wurde es ihm doch schwierig genug, einer sehr zahlreichen Familie, die in gerader Linie von den ältesten aller irländischen Könige abstammte, anständigen Unterhalt zu verschaffen, was in jenem Landesteil so viel als »ehrbare Kleider zu tragen« besagen will.

Ehe der Squireen die gedachte Stelle angenommen, hatte er sich seines Ranges begeben und weite Reisen gemacht – nämlich als Kurier, bei welcher Gelegenheit er sich viel Weltkenntnis erwarb. Wenn er daher auch seinen Kindern keine Reichtümer zu hinterlassen hatte, so war er doch jedenfalls im stande, die Schätze seines Wissens auf sie zu vererben, welche, wie das Sprichwort sagt, besser sind als aller zeitlicher Besitz. Seine Familie bestand aus drei Söhnen und acht Töchtern, die gesund und stark heranwuchsen, zugleich aber auch mit einem entsprechenden Appetit versehen waren, weshalb er es für nötig fand, sich derselben sobald als möglich zu entledigen. Seinen Ältesten, der (seltsam genug) für einen O'Donahue ein ganz ruhiger Mensch war, hatte der Squireen gnädig seinem Bruder geliehen, der einen kleinen Spezereiladen in Dublin führte, und dieser Bruder gewann seinen Neffen so lieb, daß O'Carroll O'Donahue förmlich von ihm als Lehrling angenommen wurde. Es war allerdings eine Herabwürdigung für den Abkömmling so alter Könige, für einen Penny Zucker abzuwägen und den alten Äpfel- und Fischweibern für einen halben Penny Schnupftabak zu verkaufen; wir müssen jedoch den unbestreitbaren Erben in seinem Laden belassen, um uns dem zweiten Sohne, Mr. Patrik O'Donahue zuzuwenden, dessen Geschichte wir jetzt zu erzählen gedenken, nachdem wir ihn dem Leser bereits im St. James-Park vorgestellt haben.


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