Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII.
Wie Giglio die Pflichten einer antiken Gastfreundschaft auffaßte.

Diana mit der Puderquaste und der König begaben sich, von ihren Hauswirthen geleitet, in die Gemächer, welche seit so vielen Jahren der Ehre eines königlichen Besuches harrten.

Nixis hatte vielleicht die Absicht, die beiden Ehegatten zu trennen; allein die Verwirrung, in welche sein Streit mit dem Pagen ihn versetzt hatte, ließ ihn an Alles, selbst an die Grundregeln seiner laufenden Politik vergessen.

So vereitelte das Schicksal die Berechnungen des kleinen Pagen, der davon ganz betroffen war. Noch schlimmer gestaltete sich die Lage, als Diana, indem sie mit Pausol das Zimmer betrat, wo sie ihre dritte eheliche Nacht verleben sollte, ihrem Gemahl Blicke der Vergebung und der wieder erwachenden Liebe zuwarf.

Da fühlte Giglio sich von dem Schlänglein einer kleinen Eifersucht gebissen. Dieses Weib, das man ihm raubte, (denn man raubte es ihm) gewann in seinen Augen sogleich zauberische Reize. Beunruhigt über sich selbst und darauf bedacht, die Erinnerung an Diana unter einer faßbaren Wirklichkeit zu begraben, beschloß er, sich nach einer andern Richtung zu wenden.

Das Besteck, in welchem er sein weniges Geld verschlossen hielt, war ein vollständiges Necessaire für Abenteuer und Gewohnheiten. Es bestand aus drei Abtheilungen. Die erste Abtheilung enthielt:

Einen Zuknöpfler.

Sechs Miederschnüre.

Riechsalze.

Ein Schnupftuch.

Ein unschädliches Gift.

Weißes und rothes Puder in kleinen Schachteln.

Drei Stäbchen rother Schminke.

Schwarze und weiße Stecknadeln mit runden Köpfen.

Haarnadeln von verschiedenen Formen.

Doppel-Stecknadeln.

Einen kleinen Kamm mit Schließe.

Einen Handspiegel.

Mehrere pharmaceutische Erzeugnisse.

Endlich mehrere seltsame, wenn nicht wahrhaft gebräuchliche Gegenstände.

Die zweite Abtheilung enthielt die drei Bände Gedichte, in welche Giglio in der Form von Widmungen, Titeln oder Akrostichen vierhundert weibliche Vornamen oder Kosenamen in alphabetischer Ordnung aufgenommen hatte, um sie leichter aufzufinden.

Die dritte Abtheilung war die kostbarste unter den dreien.

Giglio verwahrte daselbst eine Sammlung von dreißig Briefchen, von einfachen Liebeserklärungen, oder von solchen, in welchen ein Stelldichein verlangt wurde. Diese Briefchen entsprachen durch ihre Vielfältigkeit allen Charakteren und durch ihren Vorrath allen dringenden Wünschen. Es gab da zärtliche, respektvolle, flammende, litterarische, schüchterne, sehr unschickliche, verzweifelte und praktische Billets. Die einen besagten: »Verlassen Sie mich nicht!«; die anderen besagten: »Nun denn ja, ich liebe Sie!«; wieder andere: »Machen Sie drei Gänge, ehe Sie zu mir kommen, um die Verwendung Ihrer Zeit angeben zu können«. Einige waren fast unleserlich, weil die Tinte mit den Thränen verschwommen war. Wenn eines dieser Briefchen aus dem Behältniß in eine Damenhand übergegangen war, – in eine Hand, die stets neugierig zitterte, selbst dann, wenn man zu einer Weigerung fest entschlossen war, – dann fertigte Giglio aus dem Gedächtnisse eine Kopie für eine nächste Gelegenheit an und so war die Sammlung stets vollständig. Umschläge von verschiedenen Farben, in einer ihm wohlbekannten Ordnung gelegt, erinnerten ihn mühelos an den Gegenstand des Briefes, ohne daß er nöthig gehabt hätte, ihn zu öffnen, um die Wahl oder die in wohlberechneter Unbestimmtheit gehaltenen Ausdrücke zu berichtigen.

Aus diesem kostbaren Necessaire nahm Giglio unbemerkt das dritte und vierte blaue Billet, welche mit einigen Abweichungen folgendes Thema behandelten: »Ich bete Sie an. Ich werde heute Nacht die Tollkühnheit haben, zu Ihrem Zimmer zu kommen. Öffnen Sie mir, und wäre es auch nur einen Augenblick, und wäre es auch nur, um mich abzuweisen!«

Es gelang ihm, ehe er seine Wirthsleute verließ, das eine und andere Billet den beiden Töchtern zuzustecken, um so zwei Chancen gegen eine zu haben, daß er Diana vergessen werde.

Er ging in sein Zimmer hinauf, öffnete seinen Reisesack, holte die nöthigen Toilette-Gegenstände hervor und beschäftigte sich lange mit seinem hübschen Physikum, mehr aus Höflichkeit denn aus Geckenhaftigkeit, denn er war in Wirklichkeit weder eitel noch bescheiden, wenn er mit sich selber sprach und es machte ihm nicht mehr Vergnügen, sich Komplimente zu machen, als sich unangenehme Dinge zu sagen.

Nach einer Stunde war in den beiden Stockwerken des Hauses das letzte Geräusch verstummt. Giglio öffnete vorsichtig das Schloß seiner dicken Thüre, schlich durch den langen Korridor und stieg geräuschlos eine Marmortreppe hinan. Philis, die in Wahrheit nicht genug Erfahrung besaß, um die Rolle einer Geliebten zu spielen, erwartete ihn auf der obersten Treppenstufe.

– Still! flüsterte sie. Ach, wie glücklich bin ich! Kommen Sie schnell!

Sie traten in ihr Zimmer. Sie wandte sich sogleich zu ihm.

– Sie sind in mich verliebt? Ist's wahr? Wie geschieht denn das?

Giglio hatte nicht den Muth, seine gewöhnliche Rolle zu spielen, welche übrigens diesesmal ganz unnütz gewesen wäre. Er faßte die kleine Philis, die vor Vergnügen roth war und lachte, unter den Armen, drückte ihr einen Kuß auf das Auge, einen zweiten auf den Mundwinkel und sagte:

– Sie sind sehr hübsch.

– Ist's wahr?

– Gewiß!

– Was ist denn hübsch an mir?

– Sie wissen es nicht?

– Man hat es mir niemals gesagt.

– Nun denn: dieses und dieses, dann dieses; Sie im Ganzen!

Sie lachte wieder; dann sagte sie nachdenklich:

– Aber die anderen Mädchen sind doch hübscher als ich?

Giglio erklärte ihr, daß ihr Irrthum ein tiefer sei und er war so glücklich, daß man ihm zur Hälfte glaubte.

Philis war mit ihren Fragen noch nicht zu Ende.

– Warum müssen wir uns verbergen, wenn wir uns sehen wollen?

– Ich weiß es nicht.

– Ist es so schlimm von einem jungen Mädchen, wenn sie einen jungen Mann in ihrem Zimmer empfängt?

– Gewiß nicht.

– Nun denn, Papa verbietet es uns. Er empfängt niemals junge Leute und wenn man ihn fragt, warum? so antwortet er, daß er Töchter habe … Ich weiß nicht, was Sie heute Abend ihm gesagt haben, aber er hatte Furcht vor Ihnen und hat angeordnet, daß eine Magd auf dem Korridor schlafe, zwischen dem Zimmer meiner Schwester und dem meinigen. Sie wissen, daß meine Schwester dort hinten, am andern Ende des Korridors schläft. Sie hat einen Abscheu gegen die Dienstboten und will nicht überwacht sein. Sie hat die Magd bestochen und sie gebeten, in dem Gesindezimmer zu schlafen wie gewöhnlich. Und das ist ein Glück; ich hätte Sie sonst nicht sehen können.

Dieses Geständniß interessirte Giglio sehr lebhaft. Man hatte also von beiden Seiten Ja gesagt. Er betrachtete die kleine Philis und fühlte einen Skrupel. Er sagte sich, daß er, von der älteren Schwester erwartet, und entschlossen, sie kennen zu lernen, nicht das Recht habe, die jüngere Schwester zu nicht wieder gut zu machenden Unklugheiten zu verleiten und daß es besser sei, sich Derjenigen zu nähern, welche für ihre Handlungen mehr verantwortlich ist.

Er that sich daher Zwang an und beschränkte sich darauf, diejenigen Aufklärungen zu ertheilen, welche die kleine Philis über einen gewissen Gegenstand ihrer Neugierde von ihm verlangte. Über alle Dinge, deren Elemente ihr unbekannt waren, ließ er sie auch weiter in Unkenntniß.

Zwei Stunden später zog er sich zurück, um an der Thür Emmanuelas anzuklopfen, die ihm sogleich öffnete.

– Mein Herr, sprach sie in sehr kühlem Tone, ich weiß Alles, was Sie heute Abend in einem Zimmer des Gasthofes »zum Hahn« gethan haben …

– Was? Ich? rief Giglio betroffen.

– Und ich bin entschlossen, es nicht zu verschweigen, wenn Sie ohne meine Erlaubniß sich mir nähern. Und nun hören Sie gut zu: ich habe mit Ihnen zu sprechen.

.


 << zurück weiter >>