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II.
Wo König Pausol, sein Harem, sein Groß-Eunuch und der Regirungspalast vorgeführt werden.

An dem Tage, wo König Pausol sich selbst erkannte, (es war lange vor dem Jahre, in welchem die weiße Aline geboren ward) stellte er fest, daß er drei Gewohnheiten und einen Charakterfehler besitze.

Seine drei Gewohnheiten waren in absteigender Ordnung: die Trägheit, das Vergnügen und die Wohlthätigkeit.

In erster Reihe suchte er die Unthätigkeit.

Dann die Befriedigung seiner Vergnügungssucht.

Endlich die Menschenfreundlichkeit.

Sein Charakterfehler, welcher in dieser Erzählung eine überwiegende Rolle spielen wird, war eine exemplarische und allgemeine Unentschlossenheit, über welche er sich niemals beklagte, weil sie allein – vermöge eines seltsamen Gegensatzes – der Ruhe seines Müßigganges eine überlegene Sinnlichkeit verlieh.

Wenn er ein Fenster schloß, hatte er das Gefühl einer nicht wieder gut zu machenden That. Wenn er eine Frucht, ein Weib oder eine Halsbinde wählen sollte, so gab es für ihn eine Verlegenheit, welche an Bangigkeit grenzte. Niemals zerriß er ein Papier oder eine Zeitung, aus Furcht, daß er später einen so unüberlegten Entschluß bereuen könnte. Kaum hatte er einen Wunsch ausgedrückt oder einen Befehl ertheilt als er Diejenigen, die sich beeilten ihm zu gehorchen, auch schon zurückhielt. »Wartet; es ist nicht der richtige Augenblick.« – »Wir werden später sehen.« – Lassen wir das.« So verbrachte er sein Leben in Hangen und Bangen, so sehr fürchtete er das Endgiltige und Entscheidende.

Ja, er fürchtete es, aber nur für sich allein. Vermöge eines Gegengewichtes zu seinen inneren Zögerungen erkannte er die Pflicht der Anderen mit seltenem Scharfblick und fällte seine öffentlichen Urtheile mit bemerkenswerther Entschiedenheit. Ein seltsames Ergebnis dieser Sicherheit vor den verwickeltesten Streitsachen war sein Ruf der Unfehlbarkeit, welcher seine Gerechtigkeit im hellsten Lichte erstrahlen ließ. Das Selbstvertrauen theilt sich leicht Anderen mit; nichts ist gefährlicher für einen Hochstehenden, als nachzudenken ehe er antwortet. Pausol dachte niemals nach unter seinem Kirschbaum, höchstens darüber, welche von zwei jüngferlich rothen Kirschen er wählen solle.

Sobald Pausol sich über seine Gewohnheiten und seinen Fehler klar geworden, beschäftigte er sich nicht etwa damit, sich durch das Streben nach dem Unerreichbaren zu bessern, sondern damit, seine Schwächen zu befriedigen und daraus den größtmöglichen Vortheil für seine und der Seinigen Bequemlichkeit zu ziehen.

Durch eine lange Erfahrung in solcher Weise vorsichtig gemacht, fand er es klüger, darauf zu verzichten, daß er jeden Abend eine Gefährtin wähle unter den in seinem Harem vereinigten Frauen. Er zeigte bei dieser täglichen Wahl eine jämmerliche Langsamkeit und ließ sich fast immer durch die kühnste herumkriegen, anstatt ruhig seinen geheimnißvollen Neigungen zu folgen Und sogleich bedauerte er, die schönste vergessen zu haben.

Eines Tages führte er eine ständige Regel ein, welche ihn von der Sorge befreite, täglich eine Wahl treffen zu müssen. Er verminderte die Anzahl seiner Frauen auf dreihundertfünfundsechzig. Eine derjenigen, welche durch diesen königlichen Beschluß zu ihrem häuslichen Herde zurückgesandt wurden, äußerte ihren Schmerz in so geräuschvoller Weise, daß der stets väterliche König einwilligte, sie als überschüssige Frau für die Schaltjahre zu behalten.

Dadurch war die Verwendung seiner Nächte in einer Weise geregelt, daß eine Änderung nicht mehr statthaben konnte. Jeden Abend ruhte ein neues und doch gekanntes, willkommen geheißenes, vielleicht seit einem Jahre ersehntes Gesicht auf den Kissen und Pausol, der Sorge ledig, die folgende Nacht vorzubereiten, überließ sich nur umso behaglicher seinen Freuden.

Es versteht sich von selbst, daß die Gemächer der Königinnen fast den ganzen Palast einnahmen. Diese Gemächer waren je nach den vier Jahreszeiten in einem langen, mit bunten Farben getünchten Gebäude vertheilt, wo die tausend Vorhänge der Façade wie festliche Wimpel in der Sonne flatterten.

Zwei Pavillons, um ein Stockwerk höher, flankirten das riesige Gebäude.

In einem dieser Pavillons wohnte der König selbst.

In dem andern hielt der Ministerrath seine Sitzungen

Pausol mußte durch den Harem gehen, wenn er sich zum Ministerrath begab.

Es ist besser, ohne Umschweife zu gestehen, daß er vom Südpavillon ausgegangen, niemals bis zum Nordpavillon gelangte.

Er selbst hatte diese Architektur ersonnen und dieses Resultat vorhergesehen. »Lüsterne Königinnen – sagte er – waren die besten Herrscherinnen, denn sie kümmerten sich nicht um die Bureaux der Verwaltung. Es geziemt sich daher, daß ich durch einen heilsamen Kunstgriff jede Inspiration von mir fernhalte, die mich verlocken könnte, die öffentlichen Angelegenheiten zu leiten.«

Und in der That ging Alles vortrefflich. Niemand beklagte sich, weder das Volk, noch der Herrscher. Oder höchstens beschuldigten die wenigen Unzufriedenen die Ministerien, die schlau hinter ihrer kollektiven Anonymität verborgen, den höheren Geschicken dankten, daß sie die Geschäfte des Landes ohne Führung besorgen durften.

Pausol hatte das Genie der Entsagung so weit entwickelt, daß er selbst seine Frauen nicht beherrschte.

An der Spitze des Harems stand ein seltsamer Mensch, welcher die Funktionen eines Groß-Eunuchen mit jenen eines Palastmarschalls vereinigend, im Namen des Königs die Verwaltung führte.

Das war der Hugenott Nixis.

Knochendürr, scheu, mit hohlem Profil und spitzbübischem Gesicht, einer argwöhnischen, unzulänglichen Seele, wird Nixis in dieser Erzählung (sagen wir es um der Klarheit willen) die stets nothwendige Rolle der antipathischen Persönlichkeit spielen. Pausol hatte ihn für sein Amt erkoren und Niemand durfte zweifeln, daß der König seinem Funktionär Werthschätzung, Vertrauen, fast Bewunderung widmete.

Dieser ehemalige Schullehrer, der später zu verschiedenen polizeilichen Missionen verwendet und schließlich zum Groß-Eunuchen befördert worden, hatte einen Ordnungssinn und einen Respekt für das Prinzip, welche über eine bloße Manie weit hinausgingen. Man erblickte darin vollkommene Eignungen zu den Ämtern, welche der Staat zu vergeben hat und Nixis hatte sich unentbehrlich zu machen gewußt, wenn nicht seinen Untergebenen und den Bürgern, so doch seinen Vorgesetzten. Ein einziges Beispiel wird den Leser hievon überzeugen: Acht Tage nach seiner Ernennung hatte er im Harem den Frieden hergestellt, – ein Erfolg, welchen König Pausol selbst in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hatte.

Es wäre zu heikel, bei dem Rechtstitel zu verweilen, mit welchem Nixis seine Bewerbung um die Stelle eines Groß-Eunuchen begründete. Heikel und überdies wenig interessant. Nixis hatte einen natürlichen Beruf für diesen mit allerlei Vorrechten ausgestatteten Posten. Der Himmel hatte ihm die Begierden des Fleisches erspart und in einem Übermaß von Barmherzigkeit auch allen den Weibern, die sich ihm näherten. Die Vorsehung wollte nicht, daß er, dem Verlangen unzugänglich, doch den Schmerz habe, rings um sich her das Verlangen einzuflößen. Er war weder Opfer, noch Anlaß der Sünde.

Immerhin mußte er darauf verzichten, unter seinen jungen Schützlingen Proselyten zu machen. Das hätte geheißen, über die Pflichten seines Amtes hinausgehen.

Er hielt sich strenge innerhalb der gebührenden Schranken. Im Innern des Harems, wie auf dem ganzen Gebiete seines Landes duldete König Pausol tausend Religionen und er selbst übte deren mehrere aus, um nach und nach die Tröstungen der verschiedenen Paradiese kennen zu lernen.

Der bevorzugte Altar des Königs war ein auf einem Hügel im Parke stehender Tempel der Demeter und der Persephone. Diese beiden Göttinnen, die auf Erden keinen Anbeter mehr hatten, erhörten gnadenvoll Denjenigen, der sich ihrer erinnerte. Von der Eine erflehte er gute Ernten für das Volk, von der Andern die Gunst, so spät als möglich vor ihr erscheinen zu müssen.

So waren Pausol, seine Frauen, sein Groß-Eunuch und sein Palast beschaffen. Wenn wir überdies noch erklärt haben werden, wer die weiße Aline war, werden wir hier die beschreibenden Kapitel abbrechen, d. i. den Leserinnen gestatten können, nicht so viele Blätter auf einmal umzuschlagen.

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