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VI.
Wo König Pausol und seine Gefährten zwei Eigennamen und eine Stecknadel fanden.

Es gefällt mir, sagte König Pausol strahlend, es gefällt mir ganz entschieden, daß man auf der nach meiner Hauptstadt führenden Straße mir vierzig Tulpen voranträgt. Die Eskorte von Bewaffneten war gegen alle meine Wünsche und Sie waren, Nixis, schlecht berathen, als Sie meine Zerstreutheit ausnützend, mir heute ein solches Geleite aufnöthigten. Beim Anblick eines solchen militärischen Aufgebotes hätte man glauben können, daß ich mich anschicke, gegen meinen Nachbar Herrn Loubet Krieg zu führen. Ich bin kein so blutrünstiger Herrscher. Die Ausrottung ist nicht mein Fall. In meinem Königreiche soll kein anderes Blut vergossen werden, als dasjenige der Jungfrauen und der Hühnchen.

Nach diesen Worten blickte er auf seinen Pagen, wie um eine respektvolle Zustimmung von ihm zu erwarten.

– Freund, sagte er ihm, wie werde ich Dich eigentlich nennen? Du sagtest mir, daß man Deinen Namen nach italienischer oder französischer Weise Giglio oder Giguelillot aussprechen könne. Nun, ich fühle, daß ich, wenn ich Giglio sage, dem tonischen Accent nicht die nöthige Kraft verleihe. Ein Mailänder würde mich auslachen, wenn er mich jetzt hörte. Andererseits ist Giguelillot eine ebenso lächerliche Aussprache, wie »Shakesspéarre« oder »Lohangrain«. Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Da das Französische die Sprache meines Volkes ist, laß' mich Deinem Namen eine französische Form geben und Dich einfach Gilles nennen.

– Sire, ich heiße Gilles, erklärte der Page. Da Ihr es so wollt, habe ich stets Gilles geheißen und werde niemals einen anderen Namen haben. Gilles, ganz einfach Gilles. Und welchen Namen werden Sie führen, Majestät?

– Ich?

– Ich will sagen, vor der Geschichte.

– Wie?

– Sire, »Geschichte« nennt man eine Art Bäuerin in rothem, schlecht sitzendem Kleide, die auf einem griechischen Throne sitzt, mit Lorbeer bekränzt wie ein kleines Mädchen, welches einen Schulpreis erhalten. Sie hat Brüste wie eine Kindbetterin, Schultern wie ein Lastträger und die Nase von Pallas Athene. Sie hat, wie allgemein bekannt, die seltsame Manie, die Namen berühmter Männer auf eine eherne Tafel zu schreiben, die sie auf ihr linkes Knie stützt. Diesem letzteren Umstande verdankt sie es, daß man sie »Geschichte« nennt. Fragen Sie nur Ihre Künstler! Denn dieselbe Bäuerin in schlecht sitzendem Kleide, mit denselben Zitzen und derselben Pferdenase kann auch die »Wissenschaft« oder die argentinische Republik oder die Omnibus-Gesellschaft darstellen. Es hängt ganz von den kleinen Gegenständen ab, welche sie im Gleichgewichte auf der Extremität ihrer Schenkel trägt. Nun denn, wenn man ein großer König ist, so erscheint man vor der Geschichte, gefolgt von mehreren Genien, welche Wappenschilder tragen, und die Finanzen oder auch die Künste und die Wissenschaftendarstellen. Niemals werden Sie einen Medaillengraveur vom Gegentheil überzeugen können. Für diese feierliche Sitzung genügt der Name König allein nicht, man hängt ihm noch einen berühmten Zunamen an, welchen man hernach zumeist der Erfindungsgabe des Volkes zuschreibt. Welchen Zunamen wünschen Sie?

– Ich werde darüber nachdenken, sagte Pausol.

– Als ich in Paris wohnte, kannte ich dort einen Dichter und Dramaturgen, welcher sich das Vergnügen machte, den Präsidenten seines Landes historische Beinamen zu geben Er ersann: Thiers der Kurze, Grévy der Erwerber, Carnot der Gerechte, Faure der Schöne und noch andere ähnliche …

– Pausol der Heilige würde mir genügen, sagte der König bescheiden. Der heilige Pausol Areopagites oder der heilige Pausol von Tryphema. Ich möchte, daß nach meinem Ableben, wenn der Staatsschatz sich nicht in allzu trostlosem Zustande befindet, meine Nachfolger die nöthigen Ausgaben für meine Canonisation bestreiten. Man sagt, es koste viel Geld, heilig gesprochen zu werden. Man kann für ein billigeres Geld Graf werden. Aber ich hoffe, man werde zu Gunsten von gekrönten Häuptern Nachlässe bewilligen und auch ein rascheres Verfahren befolgen. Allerdings habe ich mehrere Culte befolgt, aber ich habe mich auch zum katholischen Cultus bekannt und sogar seine Tugenden ausgeübt, ich bin sanften und demüthigen Herzens. Ich habe mein ganzes Leben lang dahin gestrebt, daß die Menschen glücklich seien, daß die sinnlosen Streitigkeiten beigelegt werden, die feindseligen Hände sich vereinigen, Friede und Liebe hienieden verbreitet werden. Mich dünkt, das sind schätzenswerthe Rechtstitel.

Nixis fuhr auf; aber dies war keineswegs ein Zeichen der Opposition, wie man vielleicht glauben möchte. Er hatte die letzten Worte des Königs gar nicht gehört. Sein Blick wurde seit einer Weile von einem kleinen, schimmernden Gegenstände festgehalten, welcher mitten in der Straße lag.

– Sire, ein Anzeichen! rief er.

Er sprang zu Boden und hob den Gegenstand auf, der zweifach werthvoll war, vermöge seiner Natur und seiner Herkunft. Er prüfte den Gegenstand und sagte ernst:

– Das ist ein kleiner Schmuckgegenstand von Gold, eine sogenannte Sicherheitsnadel. An dem breiteren Ende trägt diese Nadel den Buchstaben A, mit einer Krone von Kornblumen darüber, das ist die Chiffre der Prinzessin Aline. Ich bemerke außerdem, daß die Nadel offen ist, demnach ist sie direkt von einem Kleidungsstücke zu Boden gefallen und nicht aus einem Necessaire. Ich schließe daraus …

– Nixis, Sie sind langweilig, unterbrach ihn der gute König. Wir gehen nicht auf die Suche nach dem Kapitän Grant und Sie werden uns doch nicht nöthigen wollen, im Straßenstaube nach den Spuren dieses kleinen Mädchens zu forschen.

– Aber es ist doch wichtig …

– Zu wissen, daß meine Tochter hier vorübergekommen? Ach, Sie haben es wohl nicht vermuthet? Wir kennen den Ausgangspunkt und die erste Etape dieser kleinen Reise. Zwischen den beiden liegt nur ein Weg. Sie muß also über diesen Weg gekommen sein. Hätte sie den extravagantesten Weg gewählt, um von ihrem Gemach zur Herberge zu gelangen, so würde das uns nicht hindern, sie auf ihrem Lager zu finden, wenn sie noch dort ist und es wird uns nicht über die Richtung, welche sie heute einschlägt, aufklären, wenn sie ihren Spaziergang fortsetzt.

Der Ton, welchen Pausol anschlug, um diese Antwort zu geben, war voller Andeutungen. Giglio täuschte sich nicht darüber: der König hatte es nicht eilig, an das Ziel zu gelangen und wenn man sich nicht in Acht nahm, lief man Gefahr, ihn zu ärgern, indem man allzurasch einen Ausflug beendigte, zu welchem er sich im Prinzip so schwer entschlossen hatte.

Giglio hatte einen plötzlichen Einfall: Man mußte Nixis entfernen.

– Mit Verlaub, sagte er in ernstem Tone, die Nadel ist offen zu Boden gefallen, behaupten Sie. Nach welcher Seite war die Spitze gekehrt?

Doch er beharrte nicht weiter bei dieser Sache. Nixis bewahrte seinen Stolz und begriff, wie wichtig es sei, daß er allein die Folgen einer solchen Frage ermesse.

– Gemach, gemach, brummte er, ich bin eben dabei, das ist ein wichtiger Punkt, welchen ich eben feststellen wollte.

Pausol betrachtete Gilles, der mit keiner Wimper zuckte.

Auf dem Makadam der Straße knieend, suchte Nixis den genauen Ort, wo er die Stecknadel aufgehoben hatte.

– Hier ist's, sagte er, hier habe ich sie gefunden. Der Eindruck in den Staub ist ganz deutlich. Der Zweig, welcher die Schließe bildet, ist perpendikulär mit der Axe der Straße, die Spitze hingegen öffnet sich in der Richtung des Palastes, derjenigen der Herberge entgegengesetzt.

Er erhob sich.

– Dies, erklärte er, führt zu ganz unerwarteten Schlüssen. Die goldene Nadel, die ich in der Hand habe, ist eine derjenigen, welche die Frauen in der Höhe der Tiefe ihres Rückens, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu befestigen pflegen. Sie haben die Bestimmung, den unzüchtigen Schlitz des Rockes zu schließen und ein Kleidungsstück, welches nicht fallen darf, am Gürtel festzumachen. Die Nadel wird immer mit der Spitze nach Innen befestigt. Ich stelle es als bestimmt hin, weil es logisch ist. Wenn also eine solche Nadel sich langsam losmacht und schließlich zur Erde gleitet, da es ferner augenscheinlich ist, daß sie keine Pirouetten macht, sondern im Gegentheil zu Boden fällt, ohne sich zu wenden, zeigt ihre Spitze am Boden in höchst wahrscheinlicher Weise die Richtung an, welche die Dame eingeschlagen, die den Schmuckgegenstand verloren hat. Nun denn, im gegenwärtigen Falle wendet sich die Spitze nach dem Palaste. Die Prinzessin Aline hat demnach, als sie den Gasthof »zum Hahn« verließ, kehrt machen müssen und sie bewegt sich dermalen in einer Richtung, welche der von uns befolgten gerade entgegengesetzt ist.

Er erhob zwei Finger in die Luft und fügte hinzu:

– Aber … es ist nicht gewiß!

– O doch, protestirte Giglio, Sie sind bei der Sache …

– Ich glaube es gerne. Immerhin ist eine Vermuthung noch kein Beweis. Und da wir den Gasthof »zum Hahn« schon vor uns haben (es ist das sechste Haus rechts im Weiler), so ist es wohl das Einfachste, daß nur hier unsere Untersuchung beginnen und gleich hernach beschließen, in welcher Richtung wir weiter gehen müssen.

– Durchaus nicht, sagte Giglio, wir müssen eilen, so gut nur können. Wir werden uns hier verlassen. Der König und ich, wir werden die Untersuchung im Innern des Dorfes führen. Sie, Herr, kehren zurück und werden die Wege und Wälder absuchen, den Wind riechen, den Horizont prüfen, den Boden kratzen, das geht uns nichts mehr an. Erinnern Sie sich nur, daß der König um 8 Uhr Abends seine Mahlzeit nimmt, um 8 ¼ Uhr, Herr Groß-Eunuch.

– Ich habe nur von meinem Herrscher Befehle zu empfangen.

– Was bin ich, wenn nicht sein Wille, seine Walküre, Herr Nixis? Durch meinen Mund läßt er seinen Willen vernehmen.

– Ich menge mich nicht ein, bemerkte der König, im Prinzip gebe ich meine Zustimmung. Gehen Sie, Nixis, da dies die Ansicht meines Rathgebers vom Tage ist. Sobald die Mitternachtsstunde schlägt, werden Sie Ihrerseits Ihre Gefühle und Meinungen zum Ausdruck bringen können. Bis dahin keine Diskussionen! Das System, welches ich befolge, hat keinen anderen Zweck, als alle Reibungen zu vermeiden. Beweisen Sie mir, daß es ein gut gewähltes System sei.

Nixis schleuderte einen wüthenden Blick nach dem Zebra und seinem Reiter. Dann faßte er mit zitternder Hand die Zügel seines keuschen Kosmon, lenkte das Thier bis zur Böschung, erklomm dieselbe und machte mühsam kehrt. Er trabte schon in der Gegend der Blumengärten, als König Pausol, nachdem er sein gutes Maulthier Macario gebeten, sich gütigst wieder in Gang zu setzen, in melancholischem Tone fragte:

– Also hier ist die Herberge, mein Kleiner?

Der König sollte nun mit beiden Füßen mitten in die tragischen Ereignisse hineinspringen, unbekannte Gewalten befragen, Dinge erfahren, die er im Grunde nicht erfahren wollte, die skandalösesten Untersuchungen führen und am Ende all' dieser Dinge sich einer unvermeidlichen Entschließung gegenübersehen. An der verhängnißvollen Schwelle bekundete seine Stimme ein lebhaftes Mißvergnügen. Giglio machte mit einem Worte dieser peinlichen Stimmung ein Ende.

– Der Gasthof, sagte er, ist ein wenig weiter. Das erste Haus des Dorfes ist eine Farm. Wenn es Eurer Majestät gefällig ist, könnten wir da ein Glas Milch trinken, ehe wir unsere Arbeiten beginnen.

– Ach, ist das eine gescheidte Idee! sagte der König. Wir wollen eintreten. Auf unserer Straße herrscht eine sicilianische Sonne. Ich fühle mich erschöpft. Wir wollen die wolligen Schafe, die schönen Augen der Kühe betrachten, den Ziegenhirten, der die bärtigen Ziegen weidet …

– Und Klearista, die ihm Äpfel zuwirft!

– Und Klearista, die ihm Äpfel zuwirft, wiederholte der König entzückt.

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