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XVI.
Reisebeschreibungen aus einem sehr seltsamen Lande.

Welch' ein hübscher Band! rief Diana mit der Puderquaste. Wie heißt er?

– Ja.

– Reizend.

– Ganz einfach Ja? fragte Philis.

– Was willst Du mehr? rief Emmanuela.

– Ach, das sagt Alles! seufzte Diana.

Und mit einem verschleierten Blick nach Giglio fügte sie hinzu:

– Das ist ein Wort, welches Sie wohl oft gehört haben, mein Herr?

– Niemals, Madame. Es wird nur in der Poesie angewendet.

– Und wie sagt man in Prosa?

– Nein.

– Und das bedeutet das Nämliche?

– Glücklicherweise.

– Das ist also eine Übereinkunft?

– Eine sehr heikle Übereinkunft.

– Warum?

– In der That, Madame, Sie können das nicht wissen … Ein sehr alter Brauch bei den christlichen Völkern verlangt, daß ein Mann einer Dame nicht begegnen könne, ohne verpflichtet zu sein, ihr eine möblirte Wohnung anzubieten, mit Blumen, Puder, Haarnadeln und Aufregungen. Die Dame antwortet immer: »Nein.« Wenn der Herr sich zurückzieht, sieht sie ein, daß er sehr höflich gewesen. Wenn er bei seinen Vorschlägen beharrt, dann unterdrückt sie ihre Verwirrung. Und wenn er erklärt, daß ihre Weigerung seinen Tod herbeiführen würde, thut sie alles Nöthige, um ihm das Leben zu retten. Das, Madame, will ein »Nein« ausdrücken.

– Ich werde niemals dieses Wort sprechen, sagte Philis mit einem schelmischen Lächeln.

Doch Pausol schlug mit der Hand auf die Lehne seines Fauteuils.

– Lies doch Deine Verse, Kleiner. Man soll den Damen niemals antworten. Ein Mann stellt Schülerfragen; er fragt über Dinge, die er nicht weiß. Eine Frau hingegen stellt Meisterfragen und nur über solche Dinge, die sie genau kennt.

– Also, mein Herr, sagen Sie mir, was ist die Scham? fragte Emmanuela.

– Das ist nicht interessant, bemerkte die kleine Philis.

– Im Gegentheil. Herr Giglio scheint zu glauben, daß die Frauen zuerst aus Diskretion, dann aus Mitleid, wenn nicht aus Neigung »Nein« sagen. Ich will ihn fragen, was er über unsere Scham weiß und ich hoffe, daß er mir antworten wird.

– Die Scham, mein Fräulein, ist ein eigenthümliches Gefühl, welches eine Dame empfindet, wenn sie, nachdem sie durch eine unparteiische Prüfung den genauen Werth ihrer Formen erkannt hat, Anderen Dasjenige enthüllen muß, was sie lieber für sich allein beklagen möchte. Das ist öffentliche Mildthätigkeit.

Emmanuela und Philis tauschten einen Blick aus und fanden es für gut, den Salon auf eine Viertelstunde zu verlassen. Aber sie thaten es ohne Geräusch und während des folgenden Zwiegespräches.

Pausol streckte die Hand nach der Seite aus, wo sein Page saß.

– Gilles, zeige mir Dein Buch, sprach er. Was sehe ich da auf dem Umschlag?

Und als der Page ihm das Buch überreichte, rief der König aus:

– Ach, wie häßlich! Kannst Du unter einer solchen Allegorie Verse veröffentlichen? Herr Lebirbe sagte mir soeben, daß diese Arten von Aufstachelungen für einige Greise bestimmt sind, deren Heuchelei und Dummheit wir Beide hassen.

– In Tryphema, erwiderte Giglio, ist es vielleicht so. Aber in Frankreich, wo die Greise den Sitten die Richtung geben und die Gesetze machen, wenden sie sich an das ganze Volk. Das Aufgeschürzte ist die Nationaltracht der Französinnen. Man produzirt es überall, in den öffentlichen Bällen, im Tingel-Tangel, im Theater, auch im Palais des Präsidenten und in der guten Gesellschaft. In den Karrikaturen der Fremden bezeichnet das Aufgeschürzte Frankreich zwischen dem englischen Löwen und dem deutschen Adler. Wenn ich auf meinem Buche eine Dame abzeichnen ließ, die, mit Ausnahme der Schenkel, am ganzen Körper schwarz gekleidet ist, so wollte ich eben, daß man gleich sehe, daß ich von den Pariserinnen spreche.

– Welch' sonderbare Mode! sprach die Dame nachdenklich. Und um den Greisen zu gefallen, kleiden sie sich so schlecht?

– Die Pariserinnen wollen aller Welt gefallen und sie haben einen ganz eigenen Respekt für die alten Herren … Dieser Respekt kommt verschiedenartig zum Ausdruck, je nach dem Weibe und je nach der Stunde des Tages …

– Ach, erzählen Sie uns! Die Sitten jener wilden Länder sind so seltsam …

– In den unteren Klassen drückt das Weib seine Achtung für den bejahrten Mann damit aus, daß es den Fuß bis zur Höhe des Auges hebt. Diese Bewegung ist gewöhnlich von einem ironischen oder schimpflichen Ausruf begleitet; allein der Siebzigjährige ist entzückt. Wenn die Scene auf einem öffentlichen Ball vor sich geht, dann verlangen die Polizei und die Überlieferung, daß das Weib viele Unterkleider zeige, viele falsche Spitzen, schmutzige Kattunröcke. Der Stammgast vom »Moulin Rouge« oder vom »Casino de Paris« liebt nur die Eleganz des Schenkels und weiß nur wenig Unterschied zu machen zwischen dem feinen Linnen und der Baumwoll-Leinwand: je mehr Leibwäsche, desto zufriedener ist er. Befinden wir uns hingegen in einem Wirthshause oder des Abends auf der Straße, oder in den einfachen Familien, dann muß man nirgends Wäsche tragen, um den Siebzigjährigen durch diesen Gruß von unten nach oben zu entzücken. Die Gelehrten der Völkerkunde konstatiren – ohne sie zu erklären – diese Widersprüche im Geschmack der Franzosen.

– Sie haben in jenem Lande gelebt?

– Ich bin dort geboren, Madame.

– Oh, Pardon! Ich hielt Sie für einen Italiener. Sie sagten also … Fahren Sie fort … die Sache interessirt mich sehr.

– In den bürgerlichen Kreisen ist diese Bewegung verschieden. Ein Beispiel. Eine Dame auf einem Trottoir merkt, daß sie von einem Senator verfolgt wird, für welchen sie nur eine töchterliche Verehrung haben kann. Sie bezeigt ihm diese durch ein ziemlich schwieriges Manöver, welches darin besteht, daß man die Röcke ein wenig in die Höhe hebt, so daß hinten die Formen hervortreten, und dabei die linke Wade enthüllt. Das ist durchaus nicht interessant, aber der Siebzigjährige ist entzückt.

– Ich begreife nicht.

– Ich auch nicht. In den sogenannten oberen Klassen endlich ist das Aufgeschürzte mehr nach obenhin beliebt. Das wird so gemacht. Der Greis steht und die junge Frau sitzt. Sie neigt sich, wobei sie die Arme an sich preßt und die Schultern bläht. Diese Haltung ist unschön, aber das Leibchen kommt in Bewegung, erweitert sich; der Blick des alten Herrn versenkt sich darin und wenn die Brust der Dame gefällig genug ist, um die Form, die Farbe und die Eigenart der Spitze sehen zu lassen, dann ist der Siebzigjährige außer sich vor Freude.

– Und was denken die jungen Leute von alldem?

– Die jungen Leute? … Sie denken zumeist so wie ihre Großväter. Sie erhalten eine vollständigere Aufschürzung, das ist Alles … Die Anderen wagen nicht zu protestiren …

– Und die Damen?

– Ach, die Damen sind dermaßen daran gewöhnt! … Und dann ist es in der Mode, man kann nichts dagegen thun. Soeben hörte ich, wie Herr Lebirbe dem König erzählte, daß auf seinem Theater die verliebten Weiber sich entkleiden, ehe sie singen: »Entzücken! Rausch!« In Paris, Herr Lebirbe, würde kein Mensch dies begreifen. Die Uniform der Buhlerinnen besteht aus dem schwarzen Mieder und den schwarzen Strümpfen mit oder ohne Beinkleid. Früher behielten sie diese sogar im Bette, wie die verläßlichen Autoren erzählen. Jetzt werden diese Dinge nur im Zimmer getragen; das ist schon ein Gewinn. Aber weiß es das Publikum der kleinen Theater? Für dieses Publikum repräsentiren alle nackten Weiber die nämliche Person: das ist die Wahrheit über Herrn Dreyfus. Wenn man sie auf der Scene erscheinen ließe, würde es Manifestationen geben.

– Haha! machte Pausol. Du übertreibst ein wenig.

– Ich glaube sogar, daß er erfindet, sagte Diana unruhig.

– Wollte Gott! seufzte Herr Lebirbe. Aber sie sind bis hieher gedrungen, Madame, und verbergen ihre Ungesundheit in dem Geheimniß unserer Häuser.

– In Tryphema?

– In Tryphema!

– Aber doch wenigstens nicht bei Ihnen, meinte Diana mit einem Lächeln.

In der That erschienen jetzt Emmanuela und Philis ohne andere Hüllen als jene, welche die Natur selbst ihnen geliefert hatte. Hinter ihnen kam ein Diener in haselnußbrauner Livrée und reichte Zitronat und Sorbet herum.

Sie setzten sich in eine Doppel-Causeuse und Giglio hatte fortan was zu schauen.

Emmanuela überzeugte sich mit der Hand, ob ihr Kopfschmuck in Ordnung sei.

Philis verstrich auf ihrer Hüfte ein überflüssiges Häuflein Puder.

– Nun, Kleiner, machen wir ein Ende, rief der König. Lies uns Deine Verse. Alle hören Dich. Aber wähle sie schicklicher als das Titelbild Deiner Werke. Du sprichst vor jungen Mädchen.

– Oh, Sire! Wir können Alles hören, Mama erlaubt es, sagte Philis.

Madame Lebirbe brach ihr Schweigen, um folgendes Aphorisma zum Besten zu geben, welches sie ohne Zweifel irgendwo gelesen hatte:

– Wenn die jungen Mädchen verstehen, erfahren sie wenig Neues, wenn sie nicht verstehen, erfahren sie gar nichts Neues.

Doch in dem Augenblicke, als Giglio das Buch wieder öffnete, schlug die Mitternachtsstunde.

Nixis, stets pünktlich, ließ sich anmelden.

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