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Sechsunddreißigstes Kapitel

Fran war lieblich und sehr jung in einem Fehpelz.

»Ich habe ihn für nahezu nichts beim Sommerverkauf in Berlin bekommen«, sagte sie. »Wie kommt es eigentlich, daß die meisten Frauen nicht sparen können? Ich bin überzeugt, deine wunderbare Flamme, Mrs. Cost – Cortright? Komisch, daß ich mich nie auf ihren Namen besinnen kann – sie ist schrecklich gescheit, sicher, aber ich bin überzeugt, sie hätte doppelt so viel dafür bezahlt.«

Die letzten Septembertage waren kalt, sogar für den Atlantic. Fran streichelte den Pelz und zog ihn enger um sich in ihrem Korbstuhl. Sie sah darin aus wie ein Leopard, dessen geschmeidige Glieder unter einem Gewand verborgen sind.

Jetzt, nach der Teestunde auf der Deutschland, färbte ein flammender Sonnenuntergang die Wogen purpurrot. Es sah nach einem Sturm aus. Das Schiff duckte sich vor den anstürmenden Wellen. Aber Fran war voll Lebhaftigkeit und Wohlbehagen. Während sie sprach, nickte sie jeden Augenblick den Leuten zu, die sie an Bord kennen gelernt hatte, den Männern, die sich beim Tanz immer um sie scharten, den älteren Damen, die von ihr sagten: »Diese entzückende Mrs. Dodsworth – sie hat mir erzählt, daß sie viel jünger ist als ihr Mann. Er ist ein bißchen schwerfällig, finden Sie nicht – aber sie hat ihn so gern – sie ist besorgt um ihn wie eine Tochter.«

Fran machte es sich behaglich in ihrem üppigen Pelz.

»Ach, es ist reizend zu fahren!« sagte sie. »Ich bin sicher, wenn wir erst ein paar Monate zu Hause gewesen sind, werden wir es gar nicht mehr aushalten, irgendwohin zu reisen, vielleicht wieder nach Paris (was für einen fürchterlichen Hut hat diese Person auf, und sieh dir doch mal diese Schuhe an! Wieso läßt man nur solche Leute in die erste Klasse?) Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie satt ich es gehabt habe, immer und ewig in Berlin zu bleiben! Ach, Sam, du hattest ja so recht mit Kurt. Ich verstehe gar nicht, wie du das erraten hast. Du mußt doch selbst als erster zugeben, daß es sonst nicht gerade deine größte Stärke ist, Menschen zu beurteilen, abgesehen von Geschäftsleuten natürlich, aber du hattest recht mit – Ach, er war so tyrannisch! Er war ganz wild, als ich sehr bescheiden vorschlug, daß ich gern allein nach Baden-Baden fahren würde. Und wieso er sich in den Kopf gesetzt hat, daß er so wichtig ist – Ach, seine Familie ist ja vielleicht so alt wie das Kolosseum, aber wie ich seine Mutter gesehen habe, mein Lieber, die schrecklichste alte Landpomeranze –«

»Nicht!« sagte Sam. »Ich weiß nicht, warum, aber es ist mir etwas fürchterlich, wenn du so auf Kurt und seiner Mutter herumreitest. Es hat ihnen sicher auch wehgetan.«

Höchst huldvoll, recht vergebungsvoll: »Ja, du hast recht. Entschuldige, M'sieu! Ich will wieder ein artiges Mädchen sein. Und natürlich ist jetzt alles wieder gut. Schließlich ist es doch ein wunderbares Happy-end nach unseren wilden kleinen Eskapaden! Wir haben beide sehr viel gelernt, nicht wahr? Und jetzt werde ich nicht mehr so oberflächlich sein, und du nicht mehr so reizbar, ich bin ganz sicher, du wirst jetzt nicht mehr so reizbar sein.«

Im Verandacafé wurde getanzt. Der junge Tom Allen, der Polospieler – der junge Tom, ganz Schwarz und Elfenbein und Schmunzeln – kam sie zum Tanzen holen. Sie lächelte zu ihm auf, klopfte Sam herablassend auf den Arm und schritt davon, wobei es so aussah, als ob Tom unter dem Schutz ihres Fehmantels ihre Hand hielte.

Der Sonnenuntergang war jetzt sehr wild und hatte die Farbe von Portwein.

Sam schritt um das geneigte Verdeck herum und herum, allein, und allein stand er hinten und sah in der Richtung Europas zurück. Aber dort war nur nebliges Grau.

 

Um zwei Uhr morgens erwachte er entsetzt. Der Sturm war gekommen, das Schiff stampfte erbärmlich. Im Halbschlaf glaubte er Edith in dem Bett neben sich stöhnen zu hören, und lächelnd, froh sie trösten zu können, die ihm hier im sonnenstrahlenden Neapel immer Trost gewesen war, streckte er den Arm aus und streichelte verschlafen ihr schmales Handgelenk.

Er fuhr zusammen, er setzte sich auf und schnappte nach Luft, als er zu seinem Entsetzen Frans Stimme hörte:

»Oh, danke! Das ist nett von dir, daß du mich aufweckst. Ich habe einen sehr schweren Traum gehabt. Mein Gott, ist das ein Wetter!«

In seiner Aufregung preßte er ihr Handgelenk.

»Ach, Sam nicht – Ach, nein! Noch nicht. Ich muß mich erst wieder gewöhnen – und ich bin so schläfrig!« Sehr strahlend: »Du bist doch nicht böse, nicht wahr? Nacht-Nacht!«

Er lag schlaflos da. In dem wäßrigen Licht, das in die Kabine drang, sah er ihre silbernen Toilettesachen blinken. Er dachte an diesen ungeheuren Dampfer, der die Wogen durchschnitt. Er dachte an das moderne Wunder des Radios dort oben, an den elektrisch-automatischen Steuermechanismus. Und doch waren auf der Brücke Seeleute, unautomatisch, menschlich, ewig. Ewig war auch das Schiff, von altersher das Fahrzeug des Menschen auf Seereisen. Sein Knarren klang ihm wie das Knarren einer alten griechischen Trireme.

Aber während seine Gedanken so nach heroischen Dingen griffen, hörte er ihr ruhiges Atmen und roch nicht den Meeressturm, sondern den Parfumduft aus den kleinen Kristallphiolen unter ihren silbernen Toilettesachen, die ungeheurer waren als der Rumpf des Schiffes, stärker als der Sturm.

Er hatte das Gefühl, er würde nie wieder schlafen können.

Er ballte seine große Faust. Dann entspannte sich seine Hand, und er war eingeschlafen.

Er fuhr auf und hörte sie in dem stürmischen Halbdunkel plappern:

»Bist du wach? Laß dich nicht stören. Ein schrecklicher Morgen! Wir müssen eine Bridge-Partie zusammenstellen. Mit Mr. Ballard und Tom Allen. Er ist ein netter Junge, nicht! Obwohl ich mir gegen ihn wie eine Mutter vorkomme. Ach Sam, wenn du nicht zu schläfrig bist – Ach. Wenn wir in New York sind, muß ich sehen, ob ich nicht ein wirklich hübsches chinesisches Abendcape auftreiben kann. Tom hat mir von einem Geschäft erzählt. Ich habe ja noch die anderen, aber die werden langsam schäbig, und schließlich wirst du doch nicht wollen, daß ich so scheußlich aussehe, wie Matey Pearson, nicht wahr! Die Augen werden ihr aus dem Gesicht springen, wenn sie das Marcel Rochas-Kleid sieht, das ich mir in Paris gekauft habe, und denke doch, ich hatte nur zwei Tage dafür. Zenith wird einfach Schaum vor dem Mund haben. Ach, es ist doch nett, nach Hause zu fahren – für einige Zeit – nach allem, was wir durchgemacht haben – und Sam, ich weiß nicht, ob du verstehst, daß ich verstehe, daß du wahrscheinlich ebenso tapfer und ehrlich warst wie ich, sogar trotz den fürchterlichen Dingen, die ich in Berlin mitzumachen hatte! Und – Ach, ich weiß nicht, was mich darauf bringt, aber du mußt vorsichtig mit den Ballards sein. Ich fürchte, du hast sie gestern abend gelangweilt, wie du über italienische Automobile gesprochen hast. Du darfst nicht vergessen, daß sie eine Villa in Florenz haben und das wirkliche Italien kennen, Künstler und Adel und so weiter. Aber das macht natürlich nichts. Und – Möchtest du um den Kaffee klingeln? Das ist nett von dir!«

Der Duft ihrer Parfüms schien jetzt noch stärker zu sein als in der Nacht.

Langsam stand er auf, um dem Steward zu klingeln. Er wußte nicht das geringste zu sagen.

Sie schlief vergnügt wieder ein, und er badete, kleidete sich an und ging hinauf. Der offene Teil des Promenadendecks war mit Segelleinwand zugezogen, gegen die das Wasser klatschte, zwischen den Zurringen hereinströmend, um auf dem Verdeck weiter zu sickern. Er arbeitete sich vorwärts und blieb feierlich an einem Fenster stehen, sah zu, wie der Bug in das Wasser tauchte, wie der Gischt den Vordersteven peitschte, wie ein trauriger Einwanderer in abgenütztem alten Regenmantel auf dem Vorderdeck festen Fuß zu fassen suchte.

Vor dem Schiff war es schwarz. Für einen Landbewohner sah es bedrohlich aus. Doch es war Stärke in der stürmischen Luft, und nachdem er tief Atem geholt und seine langen Arme gereckt hatte, begann Sam auf dem Verdeck umherzuwandern.

Seine Blicke schienen nach innen gekehrt zu sein; seine Lippen bewegten sich ein wenig, während er dachte.

Nach einer halben Stunde stieg er plötzlich, ohne gefrühstückt zu haben, die Treppe zum Bootsdeck hinauf und ging durch einen schmalen Gang am kleinen Blumenstand vorüber zur Telegraphenstation – ein schmales Pult in einem kleinen Raum, wie das Telegraphenbureau eines kleineren Hotels.

Ohne etwas zu fühlen, schrieb er eine Nachricht für Edith Cortright auf: »Sind Sie in drei Wochen in Neapel?«

Er ging zum Frühstück hinunter. Den ganzen Vormittag, den halben Nachmittag spielte er Bridge und sah zu, wie Fran mit dem übereifrigen Tom Allen flirtete.

Die Antwort auf sein Radiogramm kam kurz vor dem Tee: »Nein aber bin einige monate in Venedig alles gute edith.«

Eine halbe Stunde, während Fran mit einem halben Dutzend Männer Tee trank, saß Sam allein im Rauchsalon und stellte sich lesend, so oft ein einsamer und bedürftiger Trinker hereinkam, um nach einem Zechkumpan Ausschau zu halten.

Während sie sich umkleideten, fragte er Fran sanft: »Können wir heute abend in der Kabine essen? Ich möchte über einiges sprechen. Wir sind bis jetzt darum herum gegangen.«

»Du lieber Gott, Sambo, was ist denn über dich gekommen? Hältst du es für besonders erfreulich, bei diesem Wetter in diesem scheußlichen kleinen Loch zu essen? Übrigens! Ich habe den Ballards versprochen, daß wir mit ihnen im Grill dinieren. Im Salon sind lauter so gewöhnliche, alberne Geschäftsleute.«

»Aber wir müssen sprechen.«

»Mein Bester, ich glaube, das wird uns noch gelingen, wenn wir vier ganze Tage auf diesem Schiff vor uns haben! Ich steige ganz bestimmt nicht an der Riviera oder an irgend einer Insel aus, weißt du!«

Erst spät am Abend kam seine Gelegenheit. Als sie in die Kabine hinunterkamen, um schlafen zu gehen, Fran sehr vergnügt nach einer Sitzung im Rauchsalon, sagte er ohne jede weitere Vorbereitung:

»Es hat nicht viel Sinn zu versuchen, es schonend zu machen. Ich wollte, aber – Fran, es geht nicht mit uns beiden, und ich fahre zurück zu Edith Cortright.«

»Ich verstehe nicht ganz. Was habe ich denn jetzt getan? Ach, mein Gott, wenn du nicht gelernt hast – Du hast nichts gelernt, nicht das Geringste aus: allen unseren Leiden! Du kritisierst mich noch immer, und das ist ja eine entzückende Art, mir eine scheußliche Grausamkeit an den Kopf zu werfen, gerade wenn ich so glücklich gewesen bin wie heute abend!« Sie ballte die Fäuste. »Mr. Dodsworth, willst du die Freundlichkeit haben, etwas weniger mysteriös zu sein und mir ganz einfach zu sagen, womit ich diesmal dein armes, zartes kleines Herz verletzt habe?«

»Nichts. Es geht eben bloß nicht mit uns beiden. Du verstehst mich nicht. Ich mache keine Szene. Ich will dich nicht einschüchtern. Ich meine ganz einfach, was ich gesagt habe. Ich fahre von New York mit dem ersten Schiff nach Italien zurück. Ich mache dir keine Vorwürfe und kritisiere nicht –«

Sie saß plötzlich auf dem Stuhl vor ihrem Toilettentisch. Sie fragte ruhig mit vor Angst gepreßter Stimme: »Und was soll aus mir werden?«

»Ich weiß nicht. Wenn ich das wüßte, wäre ich nicht zu dir auf das Schiff gekommen.«

Sie stöhnte auf. »Oh! Du verstehst es wehzutun! Ich gratuliere dir! Ich hatte mir nämlich geschmeichelt, daß du wirklich zu mir zurückkommen willst!«

Er setzte an, um etwas Tröstendes zu sagen, hielt es aber entsetzt zurück, als ob er in Gefahr wäre. »Ich werde nicht höflich sein, Fran. Du weißt, wie schrecklich ich dich geliebt habe, viele, viele Jahre. Du bist sehr leichtsinnig und ungeschickt mit diesem Gefühl umgegangen … Was aus dir werden soll? Ich weiß nicht, Aber es wird wohl so ziemlich das sein, was in den letzten Jahren aus dir geworden ist. Du hast mich nicht gebraucht. Du hast Leute zum Spielen gefunden und viele Verehrer. Du wirst wohl auch weiter welche finden –«

»Und das ist der Mann, der mich ›schrecklich geliebt‹ hat –«

»Halt! Zum erstenmal in allen unseren Auseinandersetzungen will ich daran denken, was aus mir wird! Ich kann dir nicht helfen. Ich bin nichts weiter als dein Bedienter. Aber ich – du kannst mich umbringen. Ich habe mir nichts daraus gemacht, daß du mich immer in Verlegenheit gebracht und auf meinen Platz verwiesen hast. Ich habe nicht einmal gewußt, daß du es tust. Aber jetzt weiß ich es, und ich kann es nicht mehr ertragen!«

»War es deine süße Mrs. Cortright, die dich diese entzückende Theorie gelehrt hat, daß ich dich in Verlegenheit bringe? Wo ich während der ganzen Zeit keiner einzigen Menschenseele erlaubt habe, Kritik an dir zu üben –«

»Hast du verstanden? Ich bin fertig

Er hatte leider Gottes keinen heroischen und würdevollen Abgang. Er schlich sich aus der Salonkabine wie ein bockendes Kind. Und das war, weil er wußte, daß er ihrer Logik nur mit kindischer Heftigkeit entrinnen konnte, und weil er wußte, daß er entrinnen mußte, und wenn er über Bord springen sollte. Denn sie war wirklich vollkommen logisch und vernünftig. Sie wußte, was sie wollte!

 

Es war ihm jämmerlich und elend zumute, als er aus der Droschke, die ihn nach drei Tagen New York an den Anlegeplatz der Italian Line bringen sollte, zu ihr hinausblickte, als er sie vor dem Hotel stehen sah, allein, verlassen, kläglich, und sich klar machen mußte, daß er sie vielleicht nie wiedersehen würde. Der Blick ihrer Augen war Leben für ihn gewesen, und das verließ er jetzt.

 

Edith und Sam dinierten im Ritz in Paris und machten sich nichts aus seiner falschen Vornehmheit, weil sie an diesem Abend beschlossen hatten, sobald seine Scheidung erledigt sein würde, nach Amerika zurückzufahren und mit dem Wohnwagen zu experimentieren. Sie hatten gut gegessen, sie waren munter und zufrieden.

Aber nach seinem zweiten Kognak spielte das Orchester Stücke aus Wiener Operetten, und er erinnerte sich, wie glücklich Fran und er in Berlin gewesen waren. Er erinnerte sich, wie jämmerlich der Brief war, den er heute von ihr bekommen hatte. Sie wohnte bei Emily in Zenith, sie sagte, daß sie keinen Menschen sehe, daß seine » lieben Freunde Tub und Matey« etwas zu höflich wären; und daß sie daran denke, in ein paar Tagen nach Italien zu reisen –

Er sah sie durch das Dunkel hinter der Musik als trostlose Verirrte fliehen, und sein Herz war schwer von Mitleid für das erschrockene und verwirrte Kind Fran, das einst so munter mit ihm gelacht hatte.

Mit dem Bewußtsein, daß Edith ihn beobachtete, fuhr er aus seinem Schweigen auf. Sie sagte leichthin: »Es macht dir Freude, ihretwegen traurig zu sein! Aber von jetzt an werde ich, so oft ich Musik höre, an Cecil Cortright denken! Wie wenig Geduld ich mit ihm hatte! Wie ich ihn im Stich gelassen habe! Wie edel ich mir vorkomme, wenn ich mich schinde! Was für einen wunderbaren, außerordentlichen Kummer ich habe! Ach, Sam! … Es kostet doch verflucht schwere Arbeit, bis man auf das stolze Gefühl verzichten kann, elend und aufopfernd zu sein!«

Er starrte sie an, er dachte nach, er lachte plötzlich, und in diesem Lachen fand er eine Jugendlichkeit, von der er in seiner ernsten Jugend nichts gewußt hatte.

Er war tatsächlich so voll Zuversicht glücklich, daß er Fran völlig vergaß und ihrer nicht wieder wehmutsvoll gedachte, nahezu zwei ganze Tage lang.


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