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Drittes Kapitel

Mr. Alexander Kynance, der Generaldirektor der Unit Automotive Company, war ein kleiner betriebsamer Mann mit einem großen Kopf und rauhem Organ, der sich eines munteren Gemütes, eines bewundernswerten Mangels an Skrupeln und einer großen Liebe für Rhetorik und Corona-Coronas erfreute. Er war Streckenarbeiter und Eisenbahninspektor gewesen, er hatte den besten Burgunderkeller in Detroit und machte seine Kleinheit wett, indem er alle Menschen anbrüllte.

»Alles bereit? Alles bereit?« brüllte er Sam Dodsworth zu, als das Dutzend Vertreter der beiden Gesellschaften sich niederließ und die Ellbogen auf den ungeheuren Tisch mit der Spiegelplatte in dem in Gold und Eiche gehaltenen Direktionszimmer aufstützte.

»Ich denke schon«, sagte Sam langsam.

»Nur ein paar Kleinigkeiten bleiben noch«, rief Kynance. »Wir haben uns so ziemlich dafür entschieden, den Revelation zwischen den Chromecar und den Highroad zu stecken – damit kommt er dreihundert unter Ihren Preis – zweitüriges Sedan zu elfhundertfünfzig.«

Sam wollte protestieren. Hatte er den Preis nicht schon an der Grenze gehalten, unter der sein Wagentyp nicht mehr gebaut werden konnte? Aber mit einemmal – lag denn überhaupt etwas daran? Der Revelation war nicht sein Herr, seine Religion! Er würde jetzt sein eigenes Leben haben, mit Fran, mit der entzückenden guten Frau, die er hier in Zenith eingesperrt hatte!

»Fahren wir!«

Er hörte kaum, was Kynance wegen der Beibehaltung des Revelationmottos zu sagen hatte. Sam hatte diesen Schlachtruf immer verachtet. Es war die Erfindung eines besonders hellen und rührigen jungen Zeitungsschreibers, der sich regelmäßig im Verein Christlicher Junger Männer Übung und Bewegung verschaffte, aber die Händler liebten es. Während Kynance rief: »Gut – ausgezeichnet – hat Schmiß«, dachte Sam:

»Sie sind ja alle Lautsprecher … Und ich bin müde.«

 

Als Sam ziemlich betrübt die Übertragung der Leitung an die U.A.C. unterzeichnet hatte und sein Lebenswerk vorüber war, ohne daß ihm eine Rückzugsmöglichkeit blieb, schüttelte er einer Anzahl von Leuten die Hände und wurde mit Alec Kynance allein gelassen.

»Jetzt aber zum wirklichen Geschäft, alter Junge«, schmetterte Kynance. »Es wird 'ne Kapitalfreude für Sie sein, zu einem Konzern zu gehören, der schon in den allernächsten Tagen vielleicht den ganzen Weltmarkt kontrolliert – ein reguläres Reich, weiß Gott! – statt so rumzukriechen und auf einen Haufen von mauen Mitarbeitern angewiesen zu sein. Wir wollen natürlich, daß Sie zu uns kommen. Ich habe nicht rumgeredet. Rumreden liegt mir nicht. Wenn Alec Kynance etwas zu sagen hat, dann redet er gleich klar! Ich habe Ihnen die zweite Vizedirektorstellung der U.A.C. mit der Generalaufsicht über die Herstellung aller unserer acht Wagen, einschließlich des Revelation, anzubieten. Sie haben, abgesehen von Ihrer Dividende, sechzigtausend Gehalt gehabt?«

»Ja.«

»Wir können Ihnen fünfundachtzig bieten und Tantieme, mit der Aussicht auf einhundert Mille in ein paar Jahren, und wenn der Schmuggelfusel mich unterkriegt, werden Sie wahrscheinlich mein Nachfolger. Und Sie werden erstklassige Fabrikationsfachleute unter sich haben. Sie können die Sache auf die leichte Achsel nehmen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Gestern abend haben Sie erzählt, wie gern Sie wirklich blendende Wohnwagen mit elektrischen Öfen und Radio und alles eingebaut rausbringen möchten. Probieren Sie's! Wir haben Kapital genug. Und dann die Idee, die Sie gehabt haben mit der automobilisierten Wanderschule für Jungens im Sommer. Probieren Sie's! Du lieber Gott, vielleicht können wir die ganzen Sommerlager aus dem Geschäft verdrängen und 'n richtiges Schlachten veranstalten – fünfhunderttausend Kunden kriegen – 'n Junge, der keine von unseren Touren mitgemacht hat, wird gar nicht mitreden können! Probieren Sie's! Und die U.A.C. in der Flugzeugfabrikation. Vorwärts. Machen Sie nur Ihre Pläne. Jawoll, Herr, so unterstützen wir 'nen Ia-Mann. Wann wollen Sie zu arbeiten anfangen? Sie werden wahrscheinlich nach Detroit übersiedeln müssen, aber Sie können ja ziemlich oft hierher zurückkommen. Wollen Sie gleich anfangen und sehen, wie alles flutscht?«

Sams phantastische Pläne für ideale Wohnwagen, für eine umherwandernde Sommerschule, in der die Kinder das ganze Land von den Fichten Maines bis zu den Weizenfeldern San Joaquins sehen könnten – Pläne, die er aufregend und nicht sehr praktisch gefunden hatte – wurden durch diesen kleinen Mann mit dem Hummergesicht, der darauf drängte, sie zu Geld zu machen, in den Schmutz gezogen. Nein!

»Vor allem werde ich mir einen Urlaub nehmen, denke ich«, sagte Sam zögernd. »Ich habe seit Jahren keine richtigen Ferien gehabt. Eventuell fahre ich nach Europa hinüber. Ich werde vielleicht drei Monate oder so wegbleiben.«

»Europa? Quatsch! Tote Sache! Platz für Weiber und für Künstler mit langen Haaren! Mausetot! Bloß die amerikanischen Darlehen schieben das Begraben der Leiche noch hinaus! Die ganze Kunst! In 'ner ordentlichen blanken Zündkerze steckt mehr Kunst als in den ganzen dicken Venussen von Milo, die die ausgegraben haben. Nö! Machen Sie 'ne Spritztour durch Kalifornien, nehmen Sie vielleicht noch 'nen ordentlichen Schluck Schnaps in Mexiko mit, und dann kommen Sie zu uns. Hören Sie mal zu, Dodsworth. Meine Diplomatie besteht darin, daß ich die Karten auf den Tisch lege. Poussieren Sie mit 'nem anderen Konzern rum? Wir können nicht warten. Wir müssen die Wagen rausbringen! Ich kann diese Offerte nicht offenhalten und habe Ihnen unser absolutemang höchstes Gehalt angeboten. So machen wir Geschäfte. Ja oder nein?«

»Ich kokettiere durchaus nicht mit einer anderen Gesellschaft. Ich habe einige Angebote bekommen und abgelehnt. Ihr Angebot ist fair.«

»Ausgezeichnet! Unterschreiben wir den Vertrag gleich jetzt. Ich hab' ihn hier! Schreiben Sie Ihren Namen hin und fangen Sie gleich in der Minute an, Ihr Gehalt zu ziehen, mit einem Monat bezahlten Urlaub! Na, wie war' das?«

So laut, wie nur ein kleiner Mann es sein kann, der Eindruck machen will, warf Kynance den Vertrag auf den schimmernden Direktoriatstisch, zückte eine riesengroße rot-schwarze Füllfeder und stieß Sam begönnernd in die Rippen.

Geärgert brummte Sam: »Ich kann mich nicht binden, ohne mir die Sache zu überlegen. Sobald ich so weit bin, werde ich Ihnen meine Antwort geben. Wahrscheinlich ungefähr in einer Woche. Aber es kann sein, daß ich vier Monate Ferien in Europa machen will. An das Geld brauchen wir vorläufig nicht zu denken. Ich bin ziemlich unabhängig.«

»Du guter Gott, Mensch, was meinen Sie denn, was der Zweck des Lebens ist? Faulenzen? So wenig tun, wie man kann? Ich sage Ihnen, ich sage immer: die beste Ruhe ist 'n bißchen Extraarbeit! Sie sind ja gar nicht müde – Sie haben bloß genug von dem Bauerndorf hier. Kommen Sie nach Detroit und sehen Sie sich an, wie wir die Dinge schmeißen! Setzen Sie sich zu uns und hören Sie zu, wie wir dem Kongreß Bescheid sagen. Arbeit! Das ist das Wahre! Ich sage Ihnen«, mit grotesker, sonorer Evangelistengesalbtheit, »ich sage Ihnen, Dodsworth, für mich ist die Arbeit eine Religion. ›Laß nicht ab, dein Feld zu pflügen.‹ Große Sachen tun! Bedenken Sie doch: dadurch, daß wir Autos machen, ermöglichen wir es der halben zivilisierten Welt, daß sie von ihren Schweineställen in die Stadt fahren und in den Kintopp gehen können, und der anderen Hälfte, daß sie aus der Stadt rauskommt und sich mal rasch die Natur ansehen kann. Zwanzig Millionen Wagen in Amerika! Und nach zwanzig Jahren werden wir es geschafft haben, daß die blödsinnigen Tibetaner und Abessinier in U.A.C.-Wagen auf zementierten Straßen fahren! Das Gerede wegen Napoleon! Das Gerede wegen Shakespeare! Mensch, wir ziehen ja das größte Wunder auf, seit der Herrgott die Welt erschaffen hat!

Europa? Ja, verdammt noch einmal, was wollen Sie da mit vier Monaten anfangen? Glauben Sie, Sie können mehr als zehn Kunstgalerien aushalten? Ich weiß Bescheid! Ich hab' Europa gesehen! Die Notre Dame ist ja ganz gut für 'ne halbe Stunde, aber ich seh' mir immer lieber 'nen amerikanischen Betrieb an, wo tausend Mann auf den Uhrschlag arbeiten, als diese alten, schlecht beleuchteten, baufälligen Kirchen –«

Es dauerte eine halbe Stunde, bis Sam sich Kynances entledigen konnte, ohne in Streit mit ihm zu geraten und ohne einen Vertrag zu unterzeichnen.

»Ich möchte«, dachte Sam, »sechs Monate hintereinander unter einem Lindenbaum sitzen und kein Wort hören von Rationalisierung oder Großen Dingen, überhaupt nichts, das wichtiger ist als die Temperatur von Bier – wenn es überhaupt etwas Wichtigeres gibt.«

 

Er hatte ziemlich feste Gewohnheiten angenommen. Meistens ging er vom Bureau nicht direkt nach Hause, sondern im Winter in den Union-Klub und im Sommer auf den Golfplatz. Aber heute abend war er zu unruhig. Die Verstaubtheit der Alten Jungens war ihm unerträglich. Sein Chauffeur wartete zwar sicherlich auf ihn, aber auf dem Weg zum Klub blieb Sam, mit einer vagen Vorstellung, etwas Fremdländisches zu kosten, vor einem billigen deutschen Gasthaus stehen.

Es war dunkel, ruhig, frei von der aufschneiderischen Großartigkeit der Kynance. Er setzte sich an einen Tisch, auf dem ein fettiges Wachstuch lag, trank Kaffee und aß Kuchen mit Zuckerguß.

»Warum soll ich mich verbrauchen, indem ich mir Geld verdiene – nein, für Kynance verdiene! Er wird mir meine Wohnwagen verdammt schnell aus der Hand nehmen!«

Er träumte von einem ausgesprochenen Meisterwerk von Wohnwagen: eine winzige Küche mit elektrischem Herd und elektrischer Kühlanlage; eine winzige Toilette mit Dusche; ein Wohnzimmer, das bei Nacht Schlafzimmer werden sollte – ein Wohnzimmer mit Radio und einem richtigen Schreibtisch, und an der einen Seite des Wagens oder hinten eine Klappveranda. Er konnte sehen, wie seine Wohnwagenbesitzer in einem Wald, fünfzehn Meilen vom nächsten Haus entfernt, auf der Veranda Mittag aßen.

»Eigentlich eine Schande, dazu beizutragen, daß die Natur noch mehr ruiniert wird. Ach, das ist doch Sentimentalität«, beruhigte er sich. »Wollen mal sehen. Wir sollten das –« Er rechnete auf einer Speisekarte. »Wir müßten das in der Serie für siebzehnhundert Dollar herstellen können, und ins Geschäft kommen werden wir damit, daß man sich die Hotelkosten erspart. Am liebsten möchte ich selbst in einem wohnen! Kynance soll meine Ideen nicht haben! Er würde die Wohnwagen, minderwertig und unbequem, zu elfhundert herausbringen und sich einzig und allein darüber den Kopf zerbrechen, wieviel wir auf den Markt werfen könnten. Kynance! Herrgott, sich mit fünfzig Jahren von ihm kommandieren und auf den Rücken klopfen zu lassen! Nein!«

Der deutsche Gastwirt sagte wie ein Mensch, dem alle Jahreszeiten und alle Ereignisse recht sind: »Ziemlich schlimmer Schnee heute abend.«

»Ja.«

Und zu sich: »Da haben wir einen Menschen, der nicht an Große Dinge denkt. Und Arbeit ist nicht seine Religion. Seine Religion ist Gänsebraten, und das hat wenigstens etwas Sinn. Ja, fahren wir, Fran! Dann zurückkommen und mit dem Wohnwagen spielen … Oder, als besonders eleganten Scherz, zwei Wagen, der eine mit Küche, Toilette und Vorräten, der andere mit Wohn- und Schlafzimmer, mit den Rückfronten aneinandergehängt und dazwischen ein Übergang wie zwischen Durchgangswagen, ein richtiger Palast für vier … Ich möchte gern Monte Carlo sehen. Das muß sein wie eine Operette.«

 

Seine Sehnsucht nach Monte Carlo, nach Palmen und Sonnenschein und nach den nicht zu verachtenden Fischen des Fürsten von Monaco wurde noch gesteigert, als er durch den Schneesturm fuhr, von Verwehungen aufgehalten wurde und sich, während er die steile Straße zu seinem Haus hinauffuhr, an dem Sitz, der unter ihm fortzurutschen schien, festklammern mußte. Doch als er in die Wärme seines großen Hauses kam, als er mit einem Whisky Soda und einem Band Masereelscher Holzschnitte allein in der Bibliothek saß (Fran war von ihrem Wohltätigkeits-Bridge für Kinder noch nicht zurück), als er seinen bequemen Lehnstuhl, den Kamin und die Rosen besah, empfand er die Sicherheit seiner eigenen Höhle und die Beruhigung, die in vertrauter Arbeit, in seinem Bureaupersonal, in seinen Klubs, seinen Gewohnheiten und vor allem in seinen Freunden, in Fran und den Kindern zu finden war.

Er betrachtete zufrieden die Bibliothek: die vielen Bücher, von denen manche gelesen waren – Geschichte, Philosophie, Reisebeschreibungen, Detektivgeschichten; den mit Eiche verkleideten Kamin mit einem Kinderporträt von Mary Cassatt darüber; die blaue Polsterbank; den Biedermeierteppich von Frans Verwandten in Deutschland; die elegante Kaffeemaschine.

»Ganz nett. Hotels – schrecklich! Ach ja, wahrscheinlich werde ich zur U. A. C. gehen. Aber zuerst vielleicht sechs Wochen oder ein paar Monate in Europa, und dann nach Detroit. Aber das Haus werde ich nicht verkaufen! Ich war sehr glücklich hier. Wir müßten zurückkommen und unser Alter hier verbringen. Wenn ich wirklich mein Geld beisammen habe, werde ich etwas tun, um Zenith zu einem zweiten Detroit zu machen. Eine Million Menschen herbringen. Nur muß der Stadtplan richtig werden. Es muß die schönste Stadt der Welt werden. Ich will nicht bloß in Europa auf meinem Stühlchen herumsitzen und mir berühmte Städte ansehen, sondern eine schaffen

Einmal im Monat kamen Sams nächste Freunde – Tub Pearson, sein humoristischer Jahrgangskollege, der nunmehr der grauköpfige und sich gern reden hörende Direktor der Centaur State Bank war, der Herzspezialist Dr. Henry Hazzard, der Richter Turpin und der Packhausmagnat Wheeler – zum Dinner und einer sich daran anschließenden Pokerpartie; Fran war während des Essens als Hausfrau anwesend, verschwand dann aber bald zur allgemeinen Zufriedenheit.

Fran rauschte von ihrem Wohltätigkeits-Bridge herein, bevor sie hinaufging, um sich umzukleiden. In ihrem glatten grauen Fehmantel sah sie aus wie eine schneebespritzte Katze, die fliegenden Blättern nachschießt. Sie warf dem wartenden Mädchen Hut und Mantel zu und gab Sam einen raschen Kuß. Sie war jungfräulich wie der Winterwind, sie, die Mutter der Emily, die kurz vor ihrer Hochzeit stand.

»Schrecklich langweilig, dieses Bridge. Ich habe siebzehn Dollar gewonnen. Ich bin eine gute Bridgespielerin, wirklich. Wir müssen uns beeilen, es ist schon fast Essenszeit mein Gott wie langweilig ist Lucile McKelvey mit ihrem ewigen Gefasel von Italien ich gehe jede Wette ein daß ich in drei Wochen mehr Italienisch lerne als sie bisher auf ihren drei Reisen komm jetzt aber wirklich wir sind schon sehr spät dran!«

»Wir fahren also?«

»Wohin?«

»Nach Europa.«

»Ach, ich weiß nicht. Denk doch, wie nett du als Hanswurst in Florida wärst.«

»Ach, hör auf damit!«

Während sie hinaufgingen, legte er seinen Arm um sie, aber sie machte sich wieder frei, lächelte ihm allzu strahlend zu – ein glitzerndes und plattes Lächeln, weiß wie Emaille – das höfliche Lächeln, das in den letzten zwanzig Jahren in ihm stets ein Gefühl der Scham über sein Begehren nach ihr erweckt hatte – und sagte: »Wir müssen schnell machen, Schäfchen.« Und allzu strahlend fügte sie hinzu: »Trink heute abend nicht zu viel. Das geht ja mit Leuten wie Tub Pearson, aber Turpin ist so konservativ – ich weiß, daß er es nicht gern hat.«

 

Sie verstand es ausgezeichnet, ihn mit einem raschen, unschuldig klingenden Satz klein zu machen und zu schwächen. Mit der gleichgültigsten Bemerkung über seinen plumpen neuen Mantel konnte sie ihn dazu bringen, daß er sich darin wie ein Klotz vorkam; indem sie ihm vergnügt sagte, er solle doch »einmal den Versuch machen, auch noch von etwas anderem zu reden als von Automobilen und Aktien«, während sie zu einem fürchterlichen Dinner bei einem redegewandten Senator fuhren, konnte sie erreichen, daß er sich völlig verblödet vorkam und den ganzen Abend schwieg. Das behagliche Selbstvertrauen, welches Wochen industrieller Triumphe in ihm geschaffen hatten, konnte sie in fünf Sekunden zum Verschwinden bringen. Sie war ein Genie darin, ihn von seiner Inferiorität zu überzeugen. Das tat sie auch heute in ihrer nettesten und freundlichsten Art, und augenblicklich begann der unbeholfene Ajax dem Poker, das ihm immer Freude gemacht hatte, mit Zweifeln entgegenzusehen und das Urteil des Richters Turpin zu fürchten – eines bebrillten Sperlings von Menschen, der Sam zu bewundern schien und seiner Hochachtung vor dem Gesetze Ausdruck verlieh, indem er verbotenes Getränk um Getränk mit ihm vertilgte.

Sam fühlte sich unwürdig und schlecht, bis er sich umgezogen hatte und von einem Blick seiner Tochter Emily wieder aufgeheitert wurde.

 

Emily war als Kind seine Gefährtin gewesen; er hatte sie immer verstanden, sich ihr näher gefühlt als Fran. Sie war ein richtiger Junge gewesen, breitschultrig, munter wie ein alter Familienhund auf einem Spaziergang.

Er war oft an die Tür des Kinderzimmers gekommen, um zu jammern:

»Mylord, von Buckingham der Herzog liegt verwundet an dem Tor!«

Dann hatten Emily und Brent vergnügt geheult: »Ich hoffe doch, nicht ernst,« worauf er antwortete: »Auf den Tod, zu fürchten steht.«

Sie hatten ihm das Kompliment gemacht, gern mit ihm zu spielen, Emily eigentlich noch mehr als der ernsthafte junge Brent.

Aber in den letzten fünf Jahren war Emily in das stürmische Leben des jungen Zenith gezogen worden; Tanzgesellschaften, Kinobesuche, im Sommer Schwimmen, erstaunlich schrankenlose Kameradschaft mit jeder erdenklichen Anzahl von jungen Leuten; ein Leben, das Sam entsetzte. Jetzt, mit zwanzig Jahren, sollte sie Harry McKee heiraten; er war zweiter Generaldirektor der Vandering Schrauben und Muttern Gesellschaft (die in Zenith als höchst vornehmes Unternehmen galt), ehemaliger Tennischampion, Hauptmann im Weltkrieg, ein Mann von vierunddreißig Jahren, der seine Anzüge und seinen Slang hinreißend elegant trug. Der Gesellschaften waren immer mehr geworden, und Sam hatte traurig konstatiert, daß Emily und er nicht mehr zu ihren alten munteren Gesprächen kamen.

Als er hinunterging, um die Cocktails für das Dinner zu inspizieren, flog Emily atemlos herein und rief ihm zu: »Ach, Samivell, du alte Schönheit! Du siehst in deinem Dinnerjakett aus wie ein Großherzog! Und du bist ein lieber Kerl! Verdammt noch einmal, in zwanzig Minuten muß ich bei Mary Edge sein!«

Sie galoppierte über die Treppe, und er stand da und sah ihr seufzend nach.

»Ich glaube, ich muß mich auf die einsamen Sechziger vorbereiten«, dachte er.

Es lief ihm kalt über den Rücken, während er hinausging, um dem Aushilfshausmeister zu sagen, wie er die Cocktails ansetzen sollte, worauf dieser, wie er wußte, die Getränke nach eigenem Gutdünken mischen und wahrscheinlich auch zum größten Teil austrinken würde.

 

Sam erinnerte sich, daß diese Sache mit dem Hausmeister, der nur bei Gesellschaften aushalf, schon ziemlich häufig der Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Fran und ihm gewesen war. Sie wollte einen richtigen Hausmeister im Haus, immer. Und ganz entschieden hätten sie sich das auch leisten können. Aber für jeden Menschen gibt es gewisse Extravaganzen, die er sich nicht zu erlauben wagt, um die liebevollen und spottsüchtigen Freunde seiner Jugendzeit nicht zu verletzen – der Mann, der es zu Gamaschen gebracht hat, gestattet sich das Monokel nicht – der Staatsmann, der es zu Humor gebracht hat, ist nicht so vermessen, sich auch noch Ehrlichkeit zuzulegen. Irgendwie, glaubte Sam, würde er Tub Pearson nicht ins Gesicht sehen können, wenn er etwas so Degeneriertes wie einen regulären Hausmeister hätte, und Fran hatte nicht gesiegt … bis jetzt.

 

Tub Pearson – der Hon. Thos. J. Pearson, Staatssenator a. D., Ehrendoktor der Rechte der Winnemac Universität, Generaldirektor der Centaur State Bank, Direktor von zwölf Gesellschaften, Kurator der Loring Grammatik-Schule und des Zenither Kunstinstituts, Vorsitzender des Städtebaulichen Magistratsausschusses – Tub Pearson war noch derselbe Spaßvogel wie seinerzeit in Yale. Er und seine muntere Frau Mathilde, allgemein »Matey« genannt, hatten drei Kinder, aber weder vizekönigliche Ehren noch das Familienleben hatten an Tubs Überzeugung, er sei ein geborener Komiker, etwas ändern können.

Während der ganzen Pokerpartie am großen Tisch in Sams Bibliothek, wo alle mit aufgerollten Hemdsärmeln und gelockerten Kragen saßen und ihre Whisky Sodas mit behaglichen Seufzern heruntergossen, stichelte Tub den Richter Turpin, weil er Schmuggler verurteile, während er selbst einen Whisky ebenso gründlich genieße wie alle anderen in Zenith. Als sie um elf eine Pause machten – das soll heißen, als sie ihre Gläser nachfüllten – und Sam mitteilte: »Herrschaften, es kann sein, daß wir eine Zeitlang keine Pokerpartie haben werden, weil Fran und ich vielleicht auf etwa sechs Monate nach Europa fahren«, hatte Tub eine Gelegenheit:

»Sechs Monate! Das ist blendend, Sambo. Wenn du zurückkommst, wirst du einen fabelhaften englischen Akzent haben.«

»Hast du schon viele Engländer reden gehört?«

»Nein, aber du wirst noch genug davon hören! Sechs Monate! Ach, sei doch kein Esel! Fahr auf zwei Monate hin, und dann wirst du es würdigen können, daß du in ein Land zurückkommst, wo man Eis und eine Badewanne haben kann.«

»Ich weiß, daß es Ketzerei ist«, sagte Sam langsam, »aber ich denke, vielleicht gibt es doch auch ein paar Badewannen in Europa? Ich werde mich wohl selber überzeugen müssen. Ich gebe.«

Er zeigte es nicht; er spielte gelassen, ein großer Mann mit ruhigem Gesicht, die Zigarre saß fest in seinem Mund, die Karten sahen klein aus in seiner breiten Hand, aber innerlich raste er:

»Mein ganzes Leben lang habe ich getan, was man von mir erwartet hat. Im College habe ich Fußball gespielt, wenn ich viel lieber im Physiklabor geblieben wäre. Und seitdem habe ich ununterbrochen Geld gemacht und Golf gespielt und bin ein guter Republikaner gewesen. Eine Registrierkasse! Jetzt aber Schluß! Ich fahre!«

Doch man hörte von ihm nichts als: »Erhöhe um zwei. Karten?«


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