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Fünfzehntes Kapitel

Sie hörten wieder auf, Kinder zu sein, die, ziemlich froh über ihr Alleinsein, Entdeckungsreisen machen. Sie wurden dirigiert von Endicott Everett Atkins, Madame de Pénable und deren vornehmen Kreisen. Madame de Pénable sah, daß Fran, weil sie sich durch ihre frische, rigorose, naive Art von den europäischen Frauen unterschied, um so neuer und anziehender für die zahllosen europäischen Männer war, die Madame de Pénable stets umgaben, Aufträge für sie erledigten, ihren ausgezeichneten Mosel tranken und ihren Klatschanekdoten lauschten; sie sah auch, daß Sam wahrscheinlich Fran davon abhalten würde, die Männer, welche Madame de Pénable für sich selbst behalten wollte, ganz für sich zu erobern.

Sie kultivierte die Dodsworths mit Begeisterung.

Frans Leben bekam ein Tempo, wie es nur in Paris möglich ist: ein Spazierritt im Bois, Lunch, Einkäufe, Tee, Bridge, Cocktails, Umkleiden, Dinner, Theater, Tanzen in glitzernden Lokalen wie im Jardin de Ma Soeur, Coldcream und erschöpfter Schlaf. Zwischendurch verstand sie es, drei Stunden französischen Unterrichts in der Woche einzuschieben.

Und Sam – fügte sich.

Einen Monat lang machte es ihm Freude. Dieses Leben war farbig und bewegt. Es waren hübsche Frauen da, die ihn als amerikanischen Finanzkapitän ernst nahmen (mit einem heimlichen Lachen argwöhnte er, daß sie ihn für viel reicher hielten, als er war). Es gab prächtige Kleider und wunderbares Essen. Er lernte etwas von der Kunst des Weinverstandes. Er wußte seit langem, daß Rheinwein kalt sein muß, daß Burgunder etwas besseres ist als dieses Weibergetränk, der Champagner. Jetzt aber, da er Leute kennenlernte, die den Wein so ernst nahmen wie er seine Automobilmotoren, und ihre ehrfurchtsvollen Gespräche darüber hörte, lernte er die ungeheuren Unterschiede zwischen den einzelnen Burgundern kennen – zwischen Nuits St. Georges und Nuits-Prémeaux; die abgrundtiefen Unterschiede zwischen verschiedenen Gewächsen, zwischen der göttlichen Ernte von 1911 und dem mittelmäßigen Erzeugnis des Jahres 1912. Er lernte, daß es ein Verbrechen ist, vor einer heiligen Flasche guten Weines den Gaumen mit einem Cocktail zu lähmen, und daß es blutiger Verrat ist, Burgunder plötzlich zu erhitzen, indem man ihn in heißes Wasser steckt, statt ihn, wie es sich gehört, Stunden vor dem Trinken abzufüllen und ihn – langsam (die Kenner atmeten schwer) – auf – Zimmertemperatur – kommen – zu – lassen.

Dieser Wirbelwind neuer Genüsse interessierte ihn, und Fran war, zum erstenmal seit Jahren, völlig zufrieden.

Atkins und Madame de Pénable hatten gemeinschaftlich etwa ein Dutzend Cliquen. Atkins angelte nach Porträtmalern, französischen Kritikern, amerikanischen Damen aus den vornehmeren Kreisen von Back Bay und Rittenhouse Square, englischen Dichtern, die sich als Biologen aufspielten, und englischen Biologen, denen es schmeichelte, für Dichter gehalten zu werden. Madame de Pénable befaßte sich mit assortierten Titeln – gerecht aufgeteilt zwischen Italienern, Franzosen, Rumänen, Georgiern und Ungarn – und hatte immer eine ordentliche, mit Sorgfalt ausgewählte Spezialität: einen köstlich drolligen Taschendieb oder einen kleineren Polarforscher. Am besten gefiel Fran unter dieser Sippschaft ein italienischer Flieger, Hauptmann Gioserro, ein stets lächelnder Mann mit strahlenden Augen, der zehn Jahre jünger war als sie. Er war ganz geblendet von ihr, ihr rasches Sprechen bezauberte und verwirrte ihn. Er sagte, sie sei die nordische Göttin Freya, sie sei eine Osterglocke, und noch viele, viele andere höchst elegante Dinge, und sie hatte ihre Freude daran und ritt mit ihm aus.

Sam hoffte, daß es nicht zu einer zweiten Lockert-Explosion kommen würde. Er glaubte ihr, als sie behauptete, sie betrachte Gioserro bloß als »kleinen Jungen«. Aber wenn er allein war und über seinen Gedanken brütete, war er bekümmert. Er mußte fast annehmen, ihre strenge Mißbilligung alles Flirtens hätte nur existiert, weil sie die amerikanischen Männer nicht interessant gefunden hatte. Sie schien weicher zu sein, entspannter, liebenswürdiger und bedeutend weniger auf ihn angewiesen. Sie war von amüsanten Männern umgeben, deren extravagante Komplimente ihr wohl taten. Sein Bewußtsein erklärte, sie könnte unmöglich einer Versuchung unterliegen, aber sein Unterbewußtsein war alarmiert.

Und bald wurde er dieses tollen Trubels überdrüssig. Die Stimmen – diese nie endenden Stimmen – das hohe dünne Gelächter – die Gespräche über Mike X. und Jacques Y. und die Liebschaften der Lady Soundso – die Verpflichtung, sich bei jeder Ausstellung sehen zu lassen, bei jedem besseren Tee, bei jedem Konzert –

Fran hatte energisch alle Leute fallen lassen, die sie kannten, alle niedrigen Abenteurer, die in Bars herumsaßen, die Paare aus Zenith, die sie im Hotel getroffen hatten, sogar der unglückselige Jerry Lycurgus Watts hatte daran glauben müssen, als er seinen biologischen Zweck, Endicott Everett Atkins herbeizuschaffen, erfüllt hatte. Und so bekam Sam sehr großen Hunger nach guter, gesunder Gewöhnlichkeit; nach Poker, Hemdsärmeln, Sauerkraut, lasziven Operetten und Gesprächen über Automobilverkäufe und Zenither Politik.

 

Fran ließ sich porträtieren, vornehm und sehr teuer, von einem Belgier, dessen Art, Tee zu servieren und über neue Kleider zu sprechen, es ihm ermöglicht hatte, eine Anzahl reicher Amerikanerinnen zu kapern. Bei ihm war das Malen eine gesellschaftliche Funktion; während seiner Arbeit umgaben ihn die dekorativsten menschlichen Papageien und Pfauen, die kreischend ihrer Bewunderung für seine, geradezu blendende, Kunst Ausdruck verliehen. Er vereinigte die Verwischtheit einer Laurencin mit der photographischen Schärfe eines Sargent; seine Frauen sahen reich und eine wie die andere aus.

Madame de Pénable hatte darauf bestanden, daß Fran zu diesem guten Mann gehe, und als Sam erfuhr, daß sie auch eine Anzahl anderer Frauen mit den Talenten des Belgiers beglückte, meinte er, ob die muntere Madame de Pénable nicht vielleicht einen kleinen Vorteil aus der Sache ziehe? Aber Fran war überaus beleidigt, als er darauf anspielte.

»Es wird dich vielleicht interessieren zu erfahren,« raste sie, »daß M. Saurier mich umsonst malen wollte, er hat nämlich gesagt, ich sei der vollendetste Typus amerikanischer Schönheit, den er in seinem ganzen Leben gesehen hat. Aber das konnte ich selbstverständlich nicht zulassen. Du hast natürlich nichts davon bemerkt, daß manche Europäer mich für ganz hübsch halten –«

»Nicht«, sagte Sam sanft, »werd nicht albern, mein Kind.«

Er besuchte einmal die Orgie dieser Sitzungen; und er, der Fels der Jahrhunderte in allen Geschäftskrisen, hätte am liebsten geheult, als er Madame de Pénable und sechs andere Frauen, die alle Sprachen außer Französisch mit französischem Akzent sprachen, trillerten, »le Maitre« sei zum mindesten ein Genie, und besonders klassisch sei er in »Fleischtönen«.

Er ging nicht wieder hin.

 

Allmählich wurden ihm die Liebenswürdigkeiten Endicott Everett Atkins' noch unerfreulicher als die teuren Abendvergnügungen Madame de Pénables. Bei ihr fand man immer heitere Leute. »Gar nicht so übel«, dachte Sam, »einen Cocktail mit einem hübschen Mädchen zu trinken, das einem sagt, man sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Lancelot und Jack Dempsey.« Aber Mr. Atkins hatte noch nie etwas von Cocktails gehört. Und Mr. Atkins hielt Vorträge. Er war überall gewesen und konnte alles uninteressant machen. Er blickte einen ernsthaft an und wollte wissen, ob man nach Viterbo gepilgert sei, um die etruskischen Altertümer zu sehen, und machte es zu einer so widerwärtigen Pflicht, daß Sam sich gelobte, sich niemals in der Nähe von Viterbo erwischen zu lassen; er sprach so ernst über amerikanische Musik, daß Sam sich nach den Jazztönen sehnte, die ihm stets ziemlich unangenehm gewesen waren.

Vor den sieben Todkünsten empfand Sam eine unausgesprochene Ehrerbietung, wie etwa ein irischer Polizist vor der Marienstatue in seinem Revier … dem kleinen Licht, das er jeden Wintermorgen um drei Uhr sieht. Sie waren für ihn Romantik und Weltflucht, und es war ihm unerträglich, wenn man sie ihm anpries, wie ein Prediger die Tugenden der Nüchternheit und Keuschheit anpreist. Er war nicht weit genug, sich in Bach oder Goethe verlieren zu können; aber bei Chesterton, bei Schubert, vor einem Corot war er imstande gewesen, seine Automobile und Alec Kynance zu vergessen, und über die fröhliche Anarchie Menckens hatte er immer vergnügt lachen müssen. Aber mit wachsendem Trotz versprach er sich, wenn man ihm die Künste zu einem Prüfungsgegenstand machen wollte, würde er lieber ganz darauf verzichten und sich mit Poker begnügen.

 

Da Fran heute sowohl eine Sitzung wie eine Anprobe hatte (Sam kam beides ziemlich gleich vor, nur war Frans Schneider männlicher und weniger geldgierig als ihr Porträtmaler) hatte er einen ganzen Nachmittag frei.

Heimlich, ein wenig schuldbewußt, überlegte er: »Ich war schon mit Fran in Notre Dame. Aber jetzt will ich noch einmal hin und sehen, ob sie mir wirklich gefällt! Man kann nie wissen! Vielleicht! Obwohl der alte Atkins sagt, sie muß mir gefallen … Verflucht! Ich wollte, ich wäre wieder in Zenith!«

Feierlich, den Baedeker schamlos in der Hand, stieg Sam vor Notre Dame aus seiner Taxe, und ebenso schamlos ging er in ein Caféhaus auf der andern Seite des Flusses, das dem Dom gegenüberlag. Dort begann er sich in aller Ruhe, ungestört von Frans Bewunderungsrufen, zu Hause zu fühlen.

Er beugte sich vor der grauen Wucht des Doms. Das war Stärke; Stärke, Ausdauer und Weisheit. Die Schwibbögen schwebten wie ausgebreitete Fittiche. Der ganze Dom wuchs vor seinen Augen, das Werk der Menschenhände schien mehr Größe zu gewinnen als der Himmel. Unklar und verschwommen dämmerte es ihm, daß auch er mit seinen Händen gearbeitet hatte, daß das Automobil eine nicht zu verachtende Schöpfung war, daß er den vergessenen, den anonymen, fröhlichen Kunsthandwerkern aus dem Volke, die dieses prunkvolle Steinepos geschaffen hatten, näher war als jeder Endicott Everett Atkins, dessen Adamsapfel salbungsvoll zitterte, wenn er seine Phrasen über »die Wandlung in den gotischen Motiven« aussprach. Wie hätten sie gelacht, diese heiteren Kunsthandwerker, die ihren Wein, wer weiß, an dieser selben Ecke getrunken hatten!

Er las im Buch der Bücher. (Haben Ruskin und Cellini und Dante ihre Reisen wirklich ohne Baedeker gemacht? Wie sonderbar, wie neu!)

»Notre Dame … In frührömischen Zeiten stand dort ein Jupitertempel. Der Bau der jetzigen Kirche wurde im Jahre 1163 begonnen.«

Er legte das Buch auf den Tisch und begann zu träumen.

Ein Jupitertempel. Priester in weißen Gewändern, Opferstiere mit geduldigen, verwunderten Augen, die dicken, bekränzten Schädel wiegend. Wagen poltern über den Platz – hier, auf der anderen Flußseite! Die Vergangenheit, die für den jungen Sam Dodsworth Fußballspielen, für den automobilbauenden Mann ein flammender Mythos gewesen war, gewann plötzlich Leben, und er ging neben Julius Caesar einher, der in diesem Augenblick aufhörte, bloß eine Abbildung in einem Schulbuch zu sein, eine Bauchrednerpuppe, die all den grammatikalischen, nur Schulmeistern begreiflichen Unsinn redet, und wurde ein lebendiger, lebhafter, gesprächiger Bekannter, der hier mit Sam ein Gläschen trank und sehr stark an den alten Roosevelt erinnerte.

Tief in Gedanken, glücklich, daß er unbeobachtet war und nicht mit Frans Vornehmheit Schritt halten mußte, zahlte er und schlenderte über die Brücke, in den Dom.

Es störte ihn, wie immer, daß keine sauberen, gepolsterten Kirchenstühle da waren, wie er sie von den protestantischen Kirchen in Amerika kannte; das gab dem Dom etwas Kahles und ein wenig Unerfreuliches; aber an einer ungeheuren Säule, ewig wie Berge und Meer, fand er eine Bank, gab einem Kirchendiener ein Trinkgeld, vergaß seinen Ärger über die Leute, die sich herandrängten, um ihn zu führen, und verlor sich in unergründlichen Gedanken.

Er riß sich aus seinen Träumen und las geduldig im Baedeker: »Geoffrey Plantagenet, Sohn Heinrichs II. von England wurde 1186 unter dem Hochaltar begraben. 1430 wurde Heinrich VI. von England zum König von Frankreich, 1560 Maria Stuart (spätere Königin Maria von Schottland) als Königin-Gemahlin Franz II. gekrönt. Die Krönung Napoleons I. und Josephines von Beauharnais durch Papst Pius VII. (1804) … fand hier mit großem Pomp statt.«

(Und in Sauriers Atelier schwatzten törichte Weiber über die Rennen!)

Plantagenet! Sich bäumende Löwen auf scharlachroten Bannern mit Goldfransen. Maria Stuart und ihr stolzes kleines Haupt. Napoleon selbst – hier, wo Sam Dodsworth saß.

»Hm!« sagte er.

Er starrte zum Rosenfenster, aber er sah, was es bedeutete, nicht was es sagte. Das Leben wurde ihm etwas Größeres, Schöneres als Essen und ein wenig Schlaf. Er spürte, daß er nicht mehr bloß Automobilhändler war. Er spürte, daß er eine Abenteuerfahrt in diese Vergangenheit um ihn machen konnte – und vielleicht auch in die viel schwerer zu fassende Gegenwart. Er sah traurig ein, daß das Atkins- und Pénable-Dasein, zu dem Fran ihn geführt hatte, nicht die Verwirklichung des »großen Lebens« war, nach dem es ihn verlangt hatte, sondern das gerade Gegenteil davon – das Hetzen und Jagen, die kleinen Eitelkeiten, die billigen kleinen Titel, die billige kleine Begönnerung der »Kunst«.

»Ich werde diese Stadt verlassen und etwas tun – etwas Schönes. Und ich werde dafür sorgen, daß sie mit mir geht! Ich bin zu schwach gegen sie gewesen«, sagte er schwächlich.

 

Sein Verlangen nach unvornehmer und vernünftiger Gesellschaft mußte gestillt werden. Er ging in die New York Bar. Durch die Vermittlung des Korrespondenten einer New Yorker Zeitung, den er in Zenith als Reporter gekannt hatte, hatte Sam ein Dutzend Journalisten dort kennengelernt, in deren Gesellschaft er sich wohl fühlte. Sie überhäuften ihn nicht mit den leicht begönnernden Komplimenten, die ihm die Frauen in Madame de Pénables Höhle der Berühmtheiten machten. Was für die Journalisten nicht mehr als gewöhnliche Fachsimpelei war, interessierte ihn überaus: wie das Verhältnis zwischen Trotzki und Stalin in Wirklichkeit war – was Briand zu Sir Austen Chamberlain gesagt hatte – was hinter dem internationalen Ölkrieg stand.

An diesem Nachmittag lernte er Ross Ireland kennen.

Sam hatte von Ireland, dem umherwandernden Auslandskorrespondenten des Quakenbos Feature Syndicate als einem der nettesten Leute unter den amerikanischen Journalisten schon gehört. Der Zenither Reporter machte Sam mit ihm bekannt. Ross Ireland war ein Mann von vierzig Jahren, ebenso groß und breit wie Sam, und sah mit seiner übergroßen randlosen Brille aus wie ein Arzt.

»Angenehm, Mr. Dodsworth«, sagte er, und seine Stimme hatte noch alle Unschuld Iowas. »Wollen Sie lange hierbleiben?«

»Ach, ja – ein paar Monate.«

»Zum erstenmal in Europa?«

»Ja.

»Hören Sie, ich habe erst vor kurzem einen von Ihren Revelationwagen im indischen Dschungel gefahren. Großartig, sogar auf miserablen Straßen –«

»Indien?«

»Ja, ich bin eben zurückgekommen. Das richtige Kipling-Land. Ach, ich habe ja nicht gerade diverse Mowglis mit sechzehn Fuß langen Schlangen sprechen sehen, und von Jute und Indigo habe ich mehr gehört als von Mrs. Hauksbees, aber wissen Sie, die Spucke bleibt einem doch weg! Der große Tempel in Tandschur – ein elfstockhoher Turm, alles gemeißelt. Und das Leben dort, alles ganz anders – es riecht anders (und nicht immer gerade gut!) – und die Menschen noch immer in Maskeradekostümen, und so komisches Essen, alles mit Curry, und eurasische Geschäfte, wo die Babus Ihnen Mordslügen erzählen – jede einzelne genügt für eine ganze Magazingeschichte. Sie sollten wirklich hin, wenn Sie sich die Zeit dazu nehmen können, und dann Hinterindien, Burma – man muß ein Flußboot nehmen – ein richtiger schwimmender Marktplatz, überall hocken auf den Decks Eingeborene mit komischen Turbanen – dann das Irawadi hinauf nach Mandalai und weiter nach Bamo. Oder Sie können auch von Rangun mit dem Schiff nach Penang und Sandowai und Akiab und Tschittagong und allen möglichen phantastischen Orten.«

(Rangun! Akiab! Tschittagong!)

»Und dann herum nach Java und China und Japan und über Kalifornien nach Hause.«

»Das wäre schön«, sagte Sam. »Paris ist eine hübsche Stadt, aber –«

»Ach, Paris! Paris ist nichts weiter als ein Seminarkurs für Broadwayamüsements.«

»Kommt mir gar nicht so übel vor«, sagte der Zenither Journalist.

»Das glaub ich! Paris ist eine Stadt für Amerikaner, die das Arbeiten nicht vertragen können«, antwortete Ross Ireland. »Ich kann es nicht mehr aushalten Amerika zu sehen; im Juni fahre ich. Ich kann es kaum noch erwarten. Drei Jahre bin ich fortgewesen – das erstemal, daß ich überhaupt fort bin. Ich habe Heimweh auf Deibelkommraus, aber ich will mein Amerika richtig. Ich kann es nicht brauchen in Form von einem Haufen Expatriierter, die in Pariser Cafés herumsitzen. Und wenn ich reisen will, dann will ich auch wirklich reisen! Hören Sie, Sie landen in Bangkok mit dem großen goldenen Tempel, der sich über die Stadt erhebt, und die Bootsleute singen auf – na, ich weiß nicht mehr, was für Sprache das ist – oder Sie gehen nach Moskau und sehen die Muschiks mit Filzstiefeln und Lammfellmänteln, und die Kirchtürme sind wirklich wie weiße und goldene Spitzen vor dem Himmel – Das ist Reisen!«

 

Ja. Das ist das Richtige! So wird Sam reisen. Er wird – ach, nach Konstantinopel wird er fahren, zurück über Italien oder Österreich, und nach Hause zu seinem dreißigsten Abituriententag – gerade noch Zeit, wenn er sich beeilt. Dann kann er mit Fran im nächsten Herbst wieder aufbrechen und sich Ägypten und Marokko ansehen – Ja.

 

Ein beliebtes amerikanisches Credo lautet: »Wenn nur gut genug gespielt wird, hat man auch etwas von einem Stück in einer Sprache, die man nicht so gut versteht wie Englisch.« Fran bekannte sich zu diesem Credo. Sam hielt nicht das geringste davon. Es war ihm fürchterlich, französische Stücke abzusitzen, und als er von der New York Bar und Ross Ireland – vom Irawadi-Fluß und Tschittagong – ins Hotel zurückkam, fand er Fran mit Karten zum »Sprechenden Affen«, ziemlich schlechter Laune und dem Flieger Gioserro vor.

»Du riechst nach Whisky! Schauderhaft! Jetzt mach bitte rasch und zieh dich um! Hauptmann Gioserro geht mit uns ins Theater. Jetzt beeil dich bitte, ja? Ich werde unterdessen die Cocktails bestellen. Wie du siehst, bin ich schon ganz fertig. Nach dem Theater treffen wir uns mit Renée de Pénable und noch ein paar Leuten und gehen tanzen.«

Während des Umkleidens dachte Sam verdrossen: »Ein französisches Stück! Na! Mindestens die beiden ersten Akte lang werde ich nicht wissen, wer der Ehemann und wer der Geliebte ist!«

 

Wenn er im Theater schlief, so tat er es überaus bescheiden und unaufdringlich, und zu Madame de Pénable war er außergewöhnlich höflich. Fran schien während des Rückweges zufrieden zu sein, und während sie sich auszogen, sagte er, ganz so selbstverständlich, als ob sie daheim in Zenith wären:

»Fran, ich bin auf den Gedanken gekommen, daß –«

»Sei so freundlich, mach mir die Schließe am Achselband auf. Danke. Du warst so nett heute abend. Du hast von allen Männern im Zimmer am besten ausgesehen!«

»Nämlich –«

»Und ich bin so froh, daß du Renée de Pénable jetzt doch gern hast. Sie ist wirklich lieb – so eine gute Freundin. Aber, äh – Sam, du hättest das Gespräch nicht darauf bringen sollen, ob die Franzosen in der Riff-Frage recht haben.«

»Aber mein Gott, die andern haben ja zuerst von uns gesprochen, wegen Haiti und Nicaragua!«

»Ich weiß, aber das ist etwas ganz anderes. Das ist eine alte Frage, und Renée war natürlich empört, und diese Engländerin auch, ich weiß nicht mehr wie sie heißt. Aber es macht nichts. Ich wollte es dir bloß sagen.«

Und er hatte gemeint, heute abend hätte er sich so gut aufgeführt.

»Aber,« fing er schwerfällig wieder an, sich doch ein ganz klein wenig ärgernd, als er sah, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihm schenkte, während sie ihr Haar bürstete, »ich wollte dir vorschlagen – Hör einmal Fran, ich habe eine Idee. Es ist bald Mai, aber in einem Monat oder etwas später könnten wir an das Mittelmeer und dann hätten wir immer noch Zeit genug, im Juni nach Hause zu fahren, und dann könnte ich zu meinem Abituriententag gehen – der dreißigste –«

»Wirklich? Der dreißigste

»Ach, so alt bin ich wieder auch nicht! Aber ich meine: wir haben eigentlich noch gar nicht davon gesprochen, wann wir zurückfahren wollen –«

»Aber ich will noch viel mehr von Europa sehen. Ich habe ja noch gar nicht angefangen!«

»Ich auch nicht. Ich bin derselben Ansicht. Aber ich meine bloß: ich müßte eigentlich einiges Geschäftliche zu Hause erledigen, und dann habe ich den Abituriententag, und ich möchte gern Emily und ihr neues Haus sehen und Brent –«

»Aber vielleicht können die Kinder im Sommer zu uns herüberkommen. Sei so gut, gib mir die Coldcream – im Badezimmer – nein – nein – ich glaube, sie ist auf der Kommode – oh, danke schön –«

»Ich dachte, wir könnten nur auf zwei Monate nach Hause, oder vielleicht drei, und dann wieder wegfahren. Sagen wir, diesmal nach Westen, und dann nach China und Japan, und von da nach Rangun und Indien und so weiter.«

»Ja. Das würde ich wirklich einmal ganz gern tun … Ach, Sam, ich bin so schläfrig! … Aber doch natürlich nicht jetzt, wo wir hier so nette Leute kennen.«

»Aber das meine ich ja gerade! Mir – Ach, sie sind ja ganz lustig, und die meisten aus guten Familien und so weiter, aber ich finde sie eben nicht nett.«

»Was willst du damit sagen?«

»Daß es eine Verschwenderbande ist. Alle miteinander, die Pénable und ihre ganze Blase, und die Leute von Atkins sind auch nicht viel besser, alle tun sie nichts anderes als tanzen und schwatzen und ihre Kleider zeigen. Sie haben genau dieselbe Vorstellung von Vergnügen wie ein Ballettmädel –«

Fran war unaufmerksam gewesen. Jetzt war sie es nicht mehr. Sie griff nach einem Spitzenumhang, warf ihn über ihr Nachthemd und ging auf ihn los wie eine knurrende weiße Katze.

»Sam! Das muß klargestellt werden. Ich habe gespürt, daß du innerlich brummst, daß du nur zu viel Angst hattest, um –«

»Zu viel Höflichkeit!«

»– zu sagen, was du dir denkst. Also, ich habe bis daher genug davon, mich immer entschuldigen zu müssen, jawohl, entschuldigen, für das Verbrechen, daß ich dich mit den nettesten und amüsantesten Leuten von Paris bekannt gemacht, und dann noch in Schutz genommen habe, wenn du sie in deiner bäurischen Art beleidigt hast. Soll das heißen, daß Madame de Pénable und ihre ganze Blase, wie du so vornehm sagst, ganz einfach nichts taugen? Darf ich dich darauf aufmerksam machen, daß ich zwar vielleicht nicht so viel Hochachtung vor so vornehmen Leuten wie Mr. A. B. Hurd habe –«

»Fran!«

»– daß ich vielleicht aber etwas mehr Verständnis für wirklich elegante kosmopolitische Menschen habe als du! Gestatte mir, dich freundlichst daran zu erinnern, daß Renée de Pénable auf das intimste mit der allerexklusivsten Aristokratie des ancien régime hier befreundet ist« –

»Stimmt das auch? Und wenn schon!«

»Bitte, stichel nicht! Das wirfst du mir ja so gerne vor! Und außerdem, mein lieber Samuel, du kannst es nicht sehr gut! Zarte Ironie ist nicht deine Stärke, mein Bester!«

»Verdammt noch einmal, behandel mich nicht wie einen Stallburschen!«

»Dann benimm dich nicht wie einer! Und wenn ich vielleicht weitersprechen und mich gegen die Vorwürfe verteidigen darf, mit denen du angefangen hast, nicht ich – mir ist die ganze Sache einfach entsetzlich – und ach, Sam, es ist so gewöhnlich, so fürchterlich gewöhnlich!« Eine Sekunde lang war sie tragisch und gekränkt, aber im nächsten Augenblick war sie wieder attakierender Kosak. »Aber wenn du jemand angreifst, der so nett zu mir gewesen ist wie Renée, kann ich nur sagen – Ist dir vielleicht klar, daß sie die beste Freundin der Herzogin von Quatrefleurs ist – sie hat mir versprochen, mich auf das Schloß der Herzogin in Burgund mitzunehmen –«

»Getan hat sie es noch nicht!«

» Zufällig ist die Herzogin krank, gerade jetzt! Und diese entzückende Bemerkung beleuchtet wunderbar, was ich mit deinem Sticheln meine! … Oder zum Beispiel Renées Freundin Mrs. Sittingwall. Sie ist die Witwe eines sehr vornehmen englischen Generals, der im Krieg gefallen ist –«

»Er war nicht General – er war Oberst – und jetzt ist sie mit dem alten Galgengesicht verlobt, mit dem Börsenmakler Andillet.«

»Ja, und? M. Andillet zieht sich wirklich etwas zu auffällig an, er fährt auch zu rasch, aber er ist ein sehr amüsanter, netter Mensch und bestellt das beste Essen in Paris. Und kennt Minister – Bankiers – Diplomaten – alle Leute, die Einfluß haben.«

»Na, ich finde, daß er wie ein Gauner aussieht. Und was ist mit den jungen Gigolos, die sich immer bei Mrs. Pénable herumtreiben?«

»Ich finde es ja zu entzückend von dir, daß du das Wort Gigolo, das du von mir gelernt hast –«

»Gar keine Spur!«

»– verwendest, um es gegen mich zu gebrauchen, mein lieber polyglotter Sam! Wahrscheinlich meinst du damit junge Leute, wie Gioserro und Billy Dawson. Ja, sie sind ganz anders als amerikanische Geschäftsleute, nicht wahr! Es macht ihnen wirklich Freude, reizend zu Frauen zu sein, es macht ihnen Freude, ihre freie Zeit mit Frauen zu teilen, sie tanzen herrlich, sie können auch von etwas anderem sprechen als von der Börse –«

»O ja, freie Zeit haben sie genug! Aber jetzt, Fran, das soll wirklich keine Bosheit sein, aber du weißt recht gut, daß sie bei den Frauen schmarotzen –«

»Mein Bester, Hauptmann Gioserro (und wenn er wollte, könnte er sich Graf Gioserro nennen) hat ein sehr schönes Familieneinkommen, wie alle seine Vorfahren seit Generationen –«

»Langsam jetzt! Halt! Daß er ein sehr schönes Familieneinkommen hat, bezweifle ich. Wenn er mit uns ist, merke ich, daß er es immer so einrichten kann, daß ich zahle. Nicht daß es mir etwas macht, aber – Ich hab ihn noch nie einen Cent ausgeben sehen, außer heute abend, wie er dem Burschen, der uns den Droschkenschlag geöffnet hat, zehn Centimes gegeben hat. Jetzt hör mich, bitte, an, Fran, und bekomm nicht einen Anfall. Zahlt ihr beide, du und Mrs. Pénable, nicht fast immer alles – Essen, Wagen, Trinkgelder, Billets – für Gioserro und den jungen Dawson und die meisten anderen von den eleganten jungen Leuten, die immer in ihrer Nähe sind?«

»Ja, und? Wir können es uns leisten. (Übrigens heißt sie, wie ich dir schon mindestens hundertmal gesagt habe, Madame de Pénable!) Oder willst du –« Ihre Empörung wurde geradezu königlich. »Willst du damit vielleicht sagen, weil du mich so edelmütig erhältst, hast du das Recht mir vorzuschreiben, für wen und wofür ich jeden Cent ausgebe? Wünschst du, daß ich dir über meine Ausgaben genaue Rechenschaft ablege wie ein Laufbursche? Dann erlaube, daß ich dich daran erinnere – ach, das ist wirklich zu peinlich für mich, aber ich muß dich daran erinnern, daß ich ein eigenes Einkommen von zwanzigtausend jährlich habe, und jetzt, wo ich die Möglichkeit habe glücklich zu sein, mit amüsanten Leuten –«

Sie schluchzte. Er packte sie an den Schultern und rief: »Hör gefälligst auf, dich in eine Rührszene hineinzusteigern, du Kindskopf! Du weißt recht gut, daß ich von der Schmarotzerei dieser jungen Leute nur spreche, um dir zu zeigen, daß sie nichts taugen, daß sie nichts weiter sind als Schmetterlinge.«

Sie schüttelte seinen Griff und ihr Schluchzen ab und wurde wieder bissig. »Dann danke ich Gott dafür, daß sie Schmetterlinge sind! Ich habe genug von den würdigen Tanten! … Sam, jetzt wollen wir schon alles klarstellen … wenn wir zusammen bleiben wollen.«

Die letzten fünf Worte machten ihn frieren. Er konnte es nicht glauben. Es schien ihr aber ein wenig ernst zu sein, und sie sprach entschlossen weiter:

»Das muß jetzt geklärt werden – was wir vor uns haben, was wir wollen. Jetzt, wo wir Menschen mit Witz und Eleganz kennenlernen, weißt du sie zu schätzen, oder hast du schon genug von ihnen? Willst du darauf bestehen, daß wir zurückfahren zu – ach ja, gewiß sehr anständigen Leuten, aber Leuten, die dem Leben keine amüsantere Seite abgewinnen können als Poker und Golf und Automobilfahren, die Angst vor feinen Manieren haben, die meinen, daß Lümmelhaftigkeit Stärke bedeutet? Hat dir die zweitausendjährige Zivilisation in Europa etwas zu sagen, oder –«

»Aber, laß das doch, Fran! Ich bin kein Lümmel, das weißt du. Und ich bin nicht unzivilisiert. Und ich bin ein Freund von guten Manieren. Aber ich liebe gute Manieren an Menschen, die etwas mehr sind, als Amateurkellner und – und – Schließlich nimmt ein Felsen besser Politur an als ein Schwamm! Alle diese Leute, auch die gute Pénable selbst, sind Papageien. Was ich gern kennenlernen möchte – Denk doch an die Kolonialadministratoren draußen in den englischen Besitzungen. Leute, die etwas mehr tun, als Abend für Abend in diese Restaurants laufen, wo deine Gigolos sich herumtreiben –«

»Sam, mit deiner gütigen Erlaubnis bin ich der Ansicht, daß ich mir für einen Abend genug Beleidigungen meiner Freunde angehört habe. Du kannst dir ein paar neue für morgen ausdenken. Ich gehe schlafen, und zwar sofort.«

Ob sie schlief oder nicht, auf jeden Fall schwieg sie gründlich, das Gesicht von ihm abgewandt.

Er erwartete, daß sie am Morgen sanft, verlegen und unsicher sein würde. Als sie aber um neun Uhr aufwachte, sah sie unbeugsam aus wie Stahl. Er stotterte etwas vom Frühstück, etwas von der Wäsche, und dann brummte er: »Ich glaube, ich habe mich gestern abend nicht ganz deutlich ausgedrückt –«

»O ja, das hast du getan! Sehr deutlich! Und ich lege keinen Wert darauf, noch einmal darüber zu sprechen. Wollen wir gar nicht mehr davon reden?« Sie war so strahlend vergebungsvoll und überlegen, daß er wütend wurde. »Ich gehe jetzt fort. Gegen zwölf bin ich wieder zurück. Ich lunche mit Renée de Pénable, und wenn du es für möglich hältst, noch eine Stunde mit meinen verkommenen Freunden zu verbringen, wird es mich freuen, wenn du mit uns kommst.«

Sie verschwand im Badezimmer, um sich anzukleiden, und er konnte kein Wort mehr aus ihr herausbekommen. Als sie fort war, saß er, in Bademantel und Pantoffeln, bei einer zweiten Portion Kaffee.

Noch nie hatte sie über einem Streit eine Nacht vergehen lassen, zumindest wenn sie im Unrecht war –

Oder war es möglich, daß sie nicht unrecht hatte in der Auseinandersetzung?

Und (mit jeder Sekunde wurde er verwirrter) worum ging die Auseinandersetzung denn überhaupt?

Auf jeden Fall konnte sie nichts mit dem » wenn wir zusammen bleiben wollen« gemeint haben. Aber wenn sie doch etwas damit gemeint hat? Es kommt vor, daß Ehepaare, nach vielen Jahren, auseinandergehen. Muß er, um sie zu halten, nachgeben, ewig in der Gesellschaft von Leuten wie dieser Mrs. Sittingwall und diesem Andillet bleiben – der ganz bestimmt etwas mehr als freundschaftliche Beziehungen zur Pénable hat?

Nein, der Teufel soll ihn holen, wenn er das tut!

Aber wenn das den Verlust von Fran bedeutet! Du guter Gott! Jetzt, wo er keine Arbeit hat, nichts was ihn in Anspruch nimmt, außer Fran, Emily, Brent und drei oder vier Freunden wie Tub Pearson. Und etwas Neues kann für ihn nicht mehr kommen; er glaubt nicht, daß eine neue Beschäftigung ihm so viel Freude machen kann wie die Schöpfung der Revelation Company; er glaubt nicht, daß er neue Freundschaften schließen kann; er glaubt nicht, daß Reisen, Bilder, Musik, Steckenpferde ihm mehr werden können als Zerstreuungen, die ihn hin und wieder eine Stunde lang interessieren. Und von allem, was ihm das Leben noch erträglich machen kann, ist Fran noch immer das erste. Sie ist alles! In seiner Tochter Emily liebt er eine zweite, eine erneuerte Fran. Sein Geschäft und sein Geldverdienen ist nur für Fran gewesen – na, vielleicht nicht ausschließlich – Teufel! wie schwer es ist, mit sich selbst aufrichtig zu sein – vielleicht nicht nur für Fran – es macht auch Spaß, Erfolg zu haben – aber auf jeden Fall ist sie das Wichtigste gewesen. Und seine Freunde – was, er hätte sogar auf Tub verzichtet, wenn Fran ihn nicht gemocht hätte!

Fran! Die eben noch ein junges Mädchen war, kühl und schimmernd und fremd, auf der Veranda des Kanuklubs –

Du lieber Gott, der Kanuklub ist vor zwanzig Jahren abgebrannt.

Strahlender Pariser Mai, die Kastanien auf den Champs Elysées blühten, und er saß zusammengekauert da und fror.

 

Er ging zum Lunch mit Fran, Madame de Pénable und Billy Dawson, einem jungen Amerikaner, der der eingebildetste und widerwärtigste von den Kammerdienern der Madame war. Sam war würdevoll höflich. Zwei Wochen lang ging er mit Fran und dem Gefolge der Madame de Pénable in alle möglichen Restaurants, die nach Zigarettenrauch, teurem Parfüm und elegantem Klatsch rochen. Zwischendurch stahl er sich fort, wie ein kleiner Junge, der in den Zirkus geht, um unvornehme Lokale aufzusuchen, wo er vor allem nach dem Wanderkorrespondenten Ross Ireland Ausschau hielt, und als er erfuhr, daß Ireland am fünfzehnten Juni mit der Aquitania abreisen wollte, dachte er, das wäre seine letzte Gelegenheit, rechtzeitig zum Abituriententag zu kommen, und belegte eine Salonkabine für sich und Fran. Er hatte Ross Ireland gern; besonders amüsant fand er es, daß Ireland völlig außerstande war, eine andere Sprache als die seiner Heimat Iowa zu lernen und deshalb, ganz ähnlich wie er selbst, laut verkündete, daß man mit Englisch »überall auskommen könnte«, und daß »die Leute, die davon reden, daß man Französisch können muß, wenn man in Europa politische Reportage machen will, bloß zeigen wollen, was für feine Burschen sie sind«. Und sehr gut gefiel ihm auch Irelands Art, in seine Erzählungen von burmesischen Tempeln Anekdoten vom guten alten Doc Jevons daheim in Iowa einzustreuen.

Diese niedrigen Exkursionen und die Tatsache, daß es ihm entsetzlich auf die Nerven fiel, nichts zu tun zu haben, verheimlichte Sam seiner Frau. Dennoch konnte seine Ergebenheit sie nicht zurückgewinnen. Stets war sie in höfliche Kälte gehüllt.

Als er endgültig wissen mußte, was mit der Rückfahrt nach Amerika sei, antwortete sie rasch:

»Ja, ich habe es mir überlegt. Ich kann verstehen, daß du zurück mußt. Aber ich komme nicht mit. Ich habe Renée de Pénable so gut wie versprochen, mit ihr für den Sommer eine Villa bei Montreux zu nehmen. Aber ich möchte, daß du fährst und Tub und alle Leute siehst und dich ordentlich vergnügst, und dann komm im Spätsommer zurück, und wir werden uns die Sache mit dem Orient überlegen.«

 

Als sie ihn aber auf die Gare St. Lazare brachte, wurde sie plötzlich gerührt.

Sie weinte, sie schmiegte sich an ihn, sie schluchzte: »Ach, ich hab mir nicht vorgestellt, wie sehr du mir fehlen wirst! Vielleicht komme ich dir nach Zenith nach. Unterhalt dich nur so gut du kannst, mein Herz. Mach eine Wanderung mit Tub – und grüß ihn von mir – und sag ihm und Matey, ich hoffe, daß sie herüberkommen werden – und sieh zu, daß Em und Brent kommen. Ach Lieber verzeih deiner idiotischen hirnlosen Frau! Aber laß mich doch jetzt meine Dummheiten austoben! Zu Hause hab ich dir's doch immer wirklich gemütlich gemacht, nicht? Und das werde ich auch wieder tun. Gib gut acht auf dich und schreib mir jeden Tag und sei mir nicht böse – oder ja, sei böse, wenn es dich glücklicher machen kann! Alles Gute!«

Und am ersten Tag schickte sie ihm ein Telegramm: »Du bist ein großer brauner bär und mehr wert als neunundsiebzigtausend gigolos sogar mit allerbester butter im haar stop habe ich schon einmal daran gedacht dir zu sagen daß ich dich anbete.«


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