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Zwanzigstes Kapitel

Spät an einem trüben Nachmittag fuhr der Paris-Expreß donnernd in die dunkle Halle ein, und Sam war ganz aufgeregt vor Ankunftsfreude, er sah auf die Träger hinunter, als ob sie seine Freunde wären, und lächelte die Cointreau- und Fernet Branca-Plakate, die Anschläge von Rouen und Avignon an den Bahnhofswänden an. Er stieg rasch aus und suchte nach Fran, wurde ängstlich, als er sie nicht sah, und kam sich ganz verloren vor, während er hinter seinem Träger einherstapfte.

Sie stand am Ende des Bahnsteigs. Er sah sie von weitem und erschrak, als er gewahr wurde, um wie viel sie hübscher war, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. In einem schmucken blauen Kostüm mit weißer Bluse, das Haar hell und locker wie frisches Stroh, die schlanken Beine so seiden, die Schultern so zuversichtlich, war sie das amerikanische Sportmädchen, rasch im Tanz, im Tennisspiel, im tollen Fahren. Sie war so lebendig, so jung! Sein Herz zog sich in Bewunderung zusammen. Aber er merkte, daß ihr Gesicht unglücklich aussah, und daß sie die näherkommenden Passagiere nur mechanisch musterte. Wollte sie ihn nicht –

Schüchtern trat er zu ihr heran. Das eigentlich nur höfliche Lächeln, das ihr Gesicht maskierte, verwirrte ihn, als er aber die Hände auf ihren Schultern hatte und zu ihr hinuntersah, murmelte er: »Habe ich daran gedacht, dir zu schreiben, daß ich dich anbete?«

»Wieso, nein, ich glaube nicht. Es ist aber wirklich lieb von dir.«

Ihr Ton war so leicht und glatt und leidenschaftslos, ihr Lachen so fern wie das Spiel einer Schauspielerin in einer Salonkomödie.

Sie waren Fremde.

Im Hotel sagte sie zögernd: »Äh, Sam – es macht doch nichts – ich dachte, du wirst nach der Reise müde sein. Ich wenigstens bin es nach meiner Fahrt von Deauville hierher. Und deshalb habe ich zwei Einzelzimmer genommen, aber sie sind nebeneinander.«

»Nein, nein, es ist vielleicht wirklich besser, wir ruhen aus«, antwortete er.

Sie kam mit ihm in sein Zimmer, aber sie blieb in der Nähe der Tür und sagte mit fürchterlicher Höflichkeit: »Hoffentlich bist du mit dem Zimmer zufrieden. Es hat ein ganz nettes Badezimmer.

Er zauderte. »Ich werde später auspacken. Bleiben wir jetzt nicht hier. Gehn wir gleich fort, setzen wir uns in ein nettes Trottoircafé und sehn wir uns die Leute an, die vor überkommen!« Unglückselig konstatierte er, daß sie eine erleichterte Miene bekam. Er hatte sie kaum mit einem Kuß berührt. Sie hatte nicht nach weiteren Zärtlichkeiten verlangt.

 

Sie war höflich, während er von Zenith plauderte. Sie lachte in den richtigen Augenblicken; und sie blieb eine Fremde, die gezwungen ist, den Freund eines Freundes zu unterhalten, und die Erfüllung ihrer Pflicht hinter sich haben will. Sie erkundigte sich nach Emily und Brent. Aber wenn er von Tub sprach, vom Golfspiel, hörte sie nicht zu.

Er konnte es nicht ertragen, aber er fragte nur zärtlich: »Was hast du denn nur, Kind? Du scheinst ja ganz wo anders zu sein. Fühlst du dich nicht wohl? Freust du dich, daß ich wieder da bin?«

»Natürlich! Es ist nichts. Nur – Ich glaube, ich habe in der letzten Nacht nicht sehr viel geschlafen. Ich bin ein bißchen nervös, aber selbstverständlich bin ich froh, daß du wieder da bist, du guter alter Bär!«

Und noch immer hatten sie nicht von Madame de Pénable gesprochen, von Arnold Israel, von Stresa und Deauville. Er hatte das Thema ebenso vermieden wie sie, hatte nur gesagt: »Zu schlimm, daß du den Ärger mit Mrs. Pénable hattest, aber ich bin froh, daß du dich nachher noch vergnügt hast. Deine Briefe waren großartig.« Er kam sich selbst provinziell vor, als er von Zenith erzählte, kam sich ziemlich langweilig und schwerfällig vor, aber seine Sinne waren grausam wach. Er bemerkte, wie aufgeregt sie zu sein schien. Er bemerkte, daß sie drei Cocktails trank. Er bemerkte, daß er, Sam Dodsworth, sich langsam auf einen Kampf vorbereitete, und daß er ihn fürchtete.

Als sie sich zum Dinner umzogen, schloß sie die Tür zwischen den beiden Zimmern.

»Gehn wir zu Voisin, dort können wir still sitzen und miteinander sprechen«, sagte er, als sie kam, um mitzuteilen, daß sie fertig sei.

»Möchtest du nicht lieber irgendwo hingehen, wo etwas mehr los ist?«

»Das möchte ich nicht!«

Dann wurde er zum erstenmal schroff.

»Ich will sprechen!«

Sie zuckte die Achseln.

Nach der Suppe sagte er freundlich: »Also, ich habe dir wohl so ziemlich alles erzählt. Reden wir jetzt von unseren Plänen. Wohin möchtest du im Herbst gehen? Wie wäre es mit einer schönen, langen, gemütlichen Reise durch Italien und Spanien, und dann vielleicht hinüber nach Griechenland und Konstantinopel?«

»Ja, das könnte sehr nett sein, etwas später. Aber gerade jetzt – Schließlich habe ich einen schauerlich ländlichen Sommer hinter mir, und du natürlich auch, armer Kerl. Ich glaube, wir beide haben uns etwas Fröhlichkeit hier in Paris verdient, bevor wir reisen. Wenn man so von einem Ort zum andern, fährt, ist man doch eigentlich schrecklich von aller Welt abgeschlossen.«

Dann sagte sie, ganz sanft, als ob es gar nicht nötig wäre, ihn um seine Zustimmung zu fragen: »Ich glaube, wir können noch ungefähr drei Monate hier bleiben und eine nette Wohnung in der Nähe der Etoile nehmen. Ich habe genug von den Hotels.«

»Ja –« Er unterbrach sich; dann stieg es langsam in ihm hoch. »Ich nehme dir nicht übel, daß du genug von den Hotels hast. Ich hab auch genug davon! Aber ich habe ganz entschieden nicht die Absicht, den Herbst, wie den ganzen Frühling, in Paris auf meinem Hintern zu sitzen –«

»Mußt du ordinär werden?«

»Ja, ich glaube, ich muß. Ich habe nicht die Absicht, hier den ganzen Herbst herumzusitzen und darauf zu warten, wann du gehn willst. Als wir abreisten, war ich bereit, entweder weiter in Zenith zu leben oder zu, reisen. Aber wenn ich reise, will ich reisen – etwas sehen, verschiedene Menschen und Städte sehen. Ich möchte Venedig und Madrid sehen; ich möchte deutsches Bier trinken. Ich habe keine Lust mich weiter aufzuopfern für deinen Ehrgeiz, gesellschaftlich höher zu klettern –«

Sie brauste auf: »Das ist eine Lüge, und du weißt recht gut, daß es eine Lüge ist! Meinst du, ich habe es nötig, zu klettern, um Leute wie Renée de Pénable kennenzulernen? Wenn schon klettern, dann hinunter! Aber ich finde es reichlich amüsanter, mit zivilisierten Menschen umzugehen, als in der New York Bar zu sitzen und zu süffeln – ja, oder als mit einem Baedeker in der Hand herumzulaufen und Ruinen anzuglotzen! Für dich ist das ja sehr schön und gut, aber packen muß ich, und dolmetschen für dich muß ich. Ich muß den Reiseplan machen. Herrgott, wir werden ja nach Venedig fahren! Aber ist es denn nötig, daß wir mit großem Geschrei losgaloppieren, wie eine Cookgesellschaft, wenn wir einen entzückenden Herbst hier verleben können in unserer eigenen Wohnung, mit unseren Dienstboten, mit den Freunden, die ich jetzt hier habe – ganz unabhängig von dieser de Pénable? Entschuldige, Sam, aber kannst du nicht ab und zu versuchen, auch den Standpunkt eines Anderen zu verstehen – Ich möchte vorläufig lieber hier in Paris bleiben –«

»Fran!«

»Ja?«

 

Er zauderte. Während sie miteinander sprachen, waren sie von den Annehmlichkeiten der guten Bedienung umplätschert, und wenn sie zwei Vulkane waren, so grollten sie nur leise; für zufällige Beobachter schienen sie nichts anderes zu sein, als ein großer ruhiger Mann, wahrscheinlich Engländer, und eine Frau mit rasch wechselndem Gesichtsausdruck, die etwas geärgert war, ihren Ärger aber sehr gut beherrschen konnte.

»Fran! Du würdest mich also wirklich aufopfern, um hier zu bleiben?«

»Werde doch nicht so tragisch! Ich kann durchaus kein Opfer darin sehen, in der hübschesten Stadt zu bleiben –«

»Ist Arnold Israel hier in Paris?«

»Ja, er ist hier! Und?«

»Wann hast du ihn zum letztenmal gesehen?«

»Heute mittag.«

»Bleibt er einige Zeit hier in Paris?«

»Ich weiß nicht. Woher soll ich das wissen? Ja. Wahrscheinlich.«

»Stammt die Idee mit der Wohnung in der Nähe der Etoile von ihm?«

»Hör einmal, mein lieber Samuel! Hast du Romane gelesen? Was stellst du dir denn unter dieser Pose des zurückgekehrten Gatten vor, der seine verworfene Frau einem Verhör unterzieht –«

»Fran! Wie weit bist du mit diesem Israel gegangen?«

»Hast du eine Ahnung, wie beleidigend du bist?«

»Hast du eine Ahnung, wie beleidigend ich sein werde, wenn du nicht bald aufhörst, die beleidigte Unschuld zu spielen?«

»Und hast du eine Ahnung, wie böse ich sein werde, wenn du dich weiter benimmst wie ein Kneipentyrann – was du im Grunde ja auch bist! Ich habe es mir seit Jahren nicht eingestanden, aber gewußt habe ich es die ganze Zeit – Der große Sam Dodsworth, der Fußballspieler, der gefeierte Raufer, der berühmte Tyrann! Du gehörst ja in die Küche, mit dem Schutzmann von der Ecke, nicht unter zivilisierte –«

»Du hast mir noch nicht geantwortet! Wie weit bist du mit diesem Israel gegangen? Ich erweise dir die Ehre, dich zu fragen, nicht zu spionieren. Und du hast mir noch nicht geantwortet.«

»Und ich habe auch ganz entschieden nicht die Absicht, zu antworten! Es ist beleidigend – Und es ist auch eine Beleidigung für Mr. Israel! Er ist ein Gentleman! Ich wollte, er wäre hier! Du würdest es nicht wagen, in diesem Ton mit mir zu sprechen, wenn er hier wäre. Er ist genau so stark wie du, mein lieber Samuel – und Verstand, und Erziehung und Manieren hat er auch. Aah! ›Wie weit bist du im Sündigen mit deinem teuflischen Liebhaber gegangen!‹ Nach allen Jahren, in denen ich mich bemüht habe, etwas für dich zu tun, hast du noch immer die Phraseologie eines Kitschromans! Arnold, das wirst du nur mit Entsetzen hören, ist so verderbt, daß ihm André Gide und Paul Morand lieber sind als Kitschromane, und selbstverständlich ist es ein schweres Verbrechen von mir, daß es mir mehr Vergnügen macht, mit ihm zu sprechen, als mich mit deinem reizenden Freund Mr. Tub Pearson über Poker zu unterhalten –«

Während sie hysterisch weitertobte, wußte er schon die Antwort auf seine Frage, und es verblüffte ihn, daß er nicht verblüffter, es entsetzte ihn, daß er nicht entsetzter war. Er drängte nicht sehr auf die Antwort. Als sie aufhörte, von stummem Schluchzen geschüttelt, fragte er sanft:

»Du hast ihn sehr romantisch gefunden?«

»Selbstverständlich! Das ist er auch!«

»Das kann ich vielleicht verstehen – einigermaßen.«

»Ach, Sam, bitte, sei doch menschlich und verstehe! Du kannst es ja so gut, wenn du deine Rolle als strenger Mann von Granit vergißt und nett bist. Natürlich war nichts Unrechtes zwischen Arnold und mir – Es ist doch komisch, wie – Ich bin genau so schlimm, wie ich dir vorgeworfen habe! Ich gebrauche so alte verlogene Phrasen! ›Nichts Unrechtes zwischen Arnold und mir!‹ Schließlich war ich vielleicht doch ungerecht gegen dich, vielleicht hast du gar nichts derartiges gemeint, sondern nur – Du bist freundlich Sam, aber wenn ich so sagen darf, du bist wirklich ein ganz klein wenig plump, manchmal –«

Sie hatte ihre Hysterie überwunden, war wieder liebenswürdig, plapperhaft und zuversichtlich geworden, und die ganze Zeit mußte er denken: »Sie lügt. Sie hat doch sonst nie gelogen. Sie hat sich verändert. Der Kerl ist ihr Geliebter.«

»– und du hast wohl nichts anderes gemeint, als daß ich mich von meinem feurigen jüdischen Freund habe hübsch küssen lassen, bevor ich von Deauville abgereist bin. Also, das habe ich auch getan! Und es hat mir Spaß gemacht! Es liegt mir gar nichts daran, ob ich ihn wiedersehe – Ach, Sam, wenn du nur verstehen könntest, wie demütigend und empörend es von dir war, zu sagen, daß meine Absicht, hier zu bleiben, auch nur das Geringste mit Arnold zu tun haben könnte! Aber er war entzückend. Du hättest ihn nur sehen sollen, wie er sich auf den Sanddünen ausgestreckt hat, als ob er (und das habe ich ihm auch immer gesagt) ein Maharadschah auf goldenen Kissen wäre, in weißen Flanellhosen, und sein Haar war zerrauft, und sein Hemd am Hals offen – Bei jedem andern Mann würde es albern und affektiert aussehen, aber bei ihm hat es natürlich gewirkt. Und die ganze Zeit, obwohl er so herrlich war, hat er so einfach und so zutraulich gesprochen – wirklich, es war rührend. Aber haben wir nicht schon genug von ihm geredet? Wir müssen noch unsere Pläne machen –«

»Erledigen wir ihn zuerst. Ich habe –«

»Sam, eines könntest du nie an ihm verstehen, selbst wenn du ihn kennen lernen würdest, nämlich wie rührend er war. Gescheit und hübsch und reich und so weiter, und doch so ein Kind! Er hat jemand wie mich zum Sprechen gebraucht. Ich war nichts weiter als eine Zuhörerin für ihn – eine nette alte Beichtmutter. Er war herablassend genug, zu sagen, daß ich für eine ehrwürdige Dame von zweiundvierzig noch eine ausgezeichnete Imitation von einem jungen Mädchen bin, und daß er mich für fünf Jahre jünger gehalten hat, als er ist, und nicht zwei Jahre älter. Und daß ich die beste Tänzerin bin, die er in Europa gefunden hat. Aber das waren nur die Vorbereitungen, und dann hat er von sich und seiner unglücklichen Kindheit erzählt, und du weißt ja, wie närrisch ich mit Kindern bin – die kleinste Andeutung, daß jemand eine unglückliche Kindheit gehabt hat, und ich löse mich in Tränen auf! Der arme Arnold! Er hat als Kind gelitten, weil er wirklich klug und stark war. Niemand wollte glauben, wie empfindlich er war. Und seine Mutter war ein böser, unbarmherziger alter Drachen, sie hat jede Schwäche, oder was sie für Schwäche gehalten hat, gehaßt, und wenn sie ihn untertags beim Träumen erwischte, schimpfte sie über sein Nichtstun – Ach, es muß die Hölle gewesen sein für eine so schöne Seele! Und dann im College, das gewöhnliche Unglück des zu klugen und zu hübschen Juden – von oben herab behandelt von den dümmsten, langweiligsten, gemeinsten Yankees und Mittelwestlern – sie haben ihn verachtet, genau so wie ein Zuggaul vielleicht ein edles Rennpferd verachtet. Der arme Arnold! Natürlich hat es mich gerührt, daß ein so stolzer Mensch wie er Wert darauf gelegt hat, mir von sich zu erzählen.«

»Fran! Du meinst doch nicht, daß dein Mr. Israel die Kiste mit der vernachlässigten Kindheit zum erstenmal probiert hat, und noch dazu mit so viel Erfolg!«

»Spielst du wieder darauf an, daß ich vielleicht – daß etwas passiert ist?«

»Ja! Es ist ziemlich wichtig, das zu wissen! Nun?«

»Also, gut – Ja.«

»Ah!«

»Und ich bin stolz darauf! Früher – unter deiner schwerfälligen Aufsicht, mein lieber Samuel! – hätte ich es nie für möglich gehalten, daß ich ein ›sündigendes Weib‹ werden könnte! Was für blinde Heuchler die Menschen doch sind! Und als es geschah, da schien alles so richtig, so natürlich und schön –«

Während sie weiterredete, konnte er trotz allem Unglauben nicht länger leugnen, daß dieses Fürchterliche, diese Zeitungsüberschrift, Ehescheidung, diese Sensationsromanschmach ihm wirklich zugestoßen war – und ihr – und Emily und Brent. Er empfand wie besessen den Wunsch, alle Einzelheiten zu wissen. Er stellte sich diesen Arnold Israel vor, diesen schwarzen Panther von Mann – nein, zu groß für einen schwarzen Panther, aber so graziös – wie er in Deauville mit ihr ins Hotel zurückkam, das Hemd an dem zu glatten Hals offen – nein, er wird im Abendanzug mit ihr zurückgekommen sein, wahrscheinlich mit einem zurückgeschlagenen Cape. Er wird sie bis zu ihrem Zimmer im Hotel in Deauville gebracht haben, geflüstert haben: »Laß mich noch auf einen Gutenachtkuß herein!« Dann wurde Fran wirklich. Seit Sam angekommen war, hatten seine Augen sie nur verschwommen gesehen, seine Ohren sie lediglich wie eine Fremde gehört. Jetzt blickte er sie an, sah er sie bewußt in Schwarz und Silber, sah er die Linie von der Schulter zur Brust, und er raste bei dem Gedanken an Israel.

Das ganze Denken und sein Zorn brauchte keine fünf Sekunden, und nicht eines ihrer atemlos hervorgestoßenen Worte war ihm entgangen.

»Du hältst es für einen vernichtenden Angriff, wenn du sagst, daß Arnold dieselbe Taktik wahrscheinlich schon einmal befolgt hat! Natürlich – natürlich hat er schon andere Affären gehabt – vielleicht sehr viele! Dem Himmel sei Dank dafür! Er hat etwas Übung in der Kunst der Liebe. Er hat Verständnis für Frauen. Er hält sie nicht ganz einfach für Geschäftspartner. Du kannst mir glauben, mein lieber Samuel, es wäre besser für dich, und für mich auch, wenn du von deiner kostbaren Zeit ein wenig auf die verachtete Kunst verwendet hättest, in einer Frau bis zu einem gewissen Grade romantische Leidenschaft anzufachen – wenn du von der Aufmerksamkeit, die du auf deine Vergaser verschwendet hast, mir etwas gegeben hättest – und eventuell sogar anderen Frauen – Du bist mir wohl seit unserer Hochzeit, wie man so schön sagt, immer ›treu‹ gewesen.«

»Das war ich auch!«

»Also, ich sollte natürlich überaus dankbar dafür sein –«

»Fran! Willst du diesen Israel heiraten?«

»Um Himmelswillen nein! … Ich glaube wenigstens nicht.«

»Und doch willst du ihn im Herbst jeden Tag sehen.«

»Das ist etwas anderes. Aber ihn heiraten, nein. Dazu ist er zu sehr wie ein Rosinenkuchen – wunderbar zum Weihnachtsessen, aber man könnte sich den Magen daran verderben. Als ständige Diät ist mir gutes, ehrliches, verläßliches Brot lieber – und das bist du – bitte, glaub nicht, daß das beleidigend ist, es ist sogar ein großes Kompliment. Nein! Außerdem will er gar nicht! Ich glaube nicht, daß ihm an einer Frau mehr als sechs Monate lang etwas liegen könnte. Ach, ich glaube ihm, wenn er sagt, daß er der einen Frau fast krankhaft treu ist, so lange es dauert, aber –«

»Hat er irgendwo eine Frau?«

»Ich glaube nicht. Ich weiß nicht! Herrgott! Hat das denn etwas zu bedeuten?«

»Es könnte vielleicht!«

»Ach, versuch doch nicht tragisch zu werden! Das paßt nicht zu deinem starken, ruhigen Männertypus. Auf jeden Fall würde Arnold mich nicht heiraten, weil ich nicht Jüdin bin. Er ist genau so stolz darauf, Jude zu sein, wie du, daß du Arier bist. Dazu hat er aber auch alle Ursache! Er ist mehr oder weniger verwandt mit den Mendelssohns und den Rothschilds und allen möglichen wirklich wichtigen Leuten. Ein Vetter von ihm in Wien –«

»Fran! Hast du überhaupt eine Ahnung davon, wie ernst diese Sache ist?«

»Na, vielleicht mehr als du!«

»Das bezweifle ich! Fran, entweder wirst du ihn heiraten, oder du verzichtest auf ihn, sofort und ganz.«

»Mein lieber Samuel, er wird dabei auch vielleicht etwas zu sagen haben! Er ist keiner von deinen unterwürfigen Revelation-Sekretären. Und ich werde mich nicht zwingen lassen!«

»Ja, das wirst du! Zum erstenmal! Weiß Gott, du kommst leicht genug davon. Ach, ich gehöre nicht zu den Leuten, die einen Revolver nehmen und dich und deinen Geliebten umbringen würden –«

»Hoffentlich nicht!«

»Sei nicht so sicher! Ich könnte noch so werden, wenn du es lange genug treibst! Nein, ich bin gar nicht so. Aber, bei Gott, noch weniger bin ich der gefällige Ehemann, der dasitzt und zusieht, wie seine Frau ihren Geliebten empfängt, so wie du's für diesen Herbst vorgehabt hast –«

»Ich habe durchaus nicht zugegeben, daß ich vorhabe, irgend –«

»Das hast du zugegeben, und noch mehr als das! Jetzt wirst du entweder von hier fort und mit mir auf Reisen gehen und auf den Burschen verzichten und ihn vergessen, oder ich lasse mich von dir scheiden – wegen Ehebruch!«

»Lächerlich!«

»Viel schlimmer! Fürchterlich! Du kannst dir denken, wie Brent und Emily das aufnehmen werden!«

Sehr langsam: »Sam, ich habe bis zu diesem Augenblick nicht geahnt, daß – Ich habe gewußt, daß du beschränkt bist und plump und schwerfällig, und daß du eine Vorliebe für unfeine Menschen hast, aber ich habe nie gewußt, daß du ganz einfach ein elender, miserabler Polterer bist! In meinem ganzen Leben hat noch kein Mensch so zu mir gesprochen!«

»Ich weiß. Ich habe dich verzärtelt. Du hältst dich für den Typus der modernen Amerikanerin, mit feinen europäischen Verbesserungen. Aber ich bin viel moderner als du. Ich bin ein Arbeiter. Ich habe keine Titel oder Kleider oder soziale Stellung nötig, um etwas zu bedeuten. Das hast du nie gemerkt! Du hast bloß an mir herumgemäkelt, weil ich schwerfällig und plump bin, bis du mir das letzte bißchen Sicherheit, das ich hatte, gestohlen hast. Du hast mich in meinem eigenen Haus verraten. Kritisiert hast du! Nicht gezankt, aber es hat dir ganz einfach ein Vergnügen gemacht, süß und überlegen zu sein und mich zu demütigen. Das war schlimmer als deine Affäre mit dem Israel.«

»Oh, das habe ich nicht getan! Nein, das habe ich nicht gewollt! Ich habe so viel Respekt vor dir!«

»Nennst du es Respekt, wenn du willst, daß ich herumsitze und den Kammerdiener für deinen Geliebten spiele!«

»O nein, nein, nein, ich – Ach, ich kann nicht klar denken. Ich bin ganz durcheinander. Ich – Ja, wenn du willst, können wir morgen nach Spanien abreisen.«

Das taten sie auch.


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