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Siebentes Kapitel

Das lärmende Getümmel der ungeheuren roten Busse, die Westminstertürme an der Themse, die hellen hohen Häuser in Carlton House Terrace, all das konnte ihn nicht so sehr davon überzeugen, daß das Unglaubliche wahr geworden, daß er in London sei, konnte ihn nicht in dem Maße entzücken, wie ein Milchwagen auf seiner nachmittäglichen Lieferfahrt – ein absurdes, von einem Pony gezogenes kleines Gefährt mit einem einzigen großen Milchbehälter aus Messing, kein schwerer Lastwagen mit genau dimensionierten Flaschen.

»Das ist mal altmodisch!« murmelte er überaus zufrieden in der Autodroschke.

Sie hatten vor, im Berkeley abzusteigen, als er aber, sich ein möglichst wichtiges, gleichgültiges und vielgereistes Aussehen gebend, an der Anmeldung stand und nonchalant sagte: »Ich möchte ein Appartement«, erwiderte der Manager: »Bedaure sehr – wir sind besetzt.«

»Aber wir haben telegraphisch bestellt!« warf Fran gereizt ein.

»Jetzt fällt mir ein – ich habe vergessen, das Telegramm abzuschicken«, sagte Sam entschuldigend zu dem Manager, wegen der Ungezogenheit seines Kindes Fran um Vergebung bittend.

Sie atmete rasch, sie war geärgert, aber vor anderen Leuten hatte sie noch nie mit ihm gestritten.

»Vielleicht versuchen Sie es im Savoy. Oder im Ritz – gleich auf der anderen Seite von Piccadilly«, schlug der Manager vor.

Mit dem Gefühl, unwillkommen zu sein, gingen sie zu der Taxe zurück, die mit ihrem Gepäck wartete, und als sie im geschützten Wageninnern waren, fing sie an:

»Ich meine, du hättest wirklich daran denken können, das Telegramm abzuschicken, ganz besonders wo du doch an Bord überhaupt nichts anderes zu tun hattest – abgesehen vom Trinken! Wo ich alles gepackt und – Sam, bist du schon einmal auf den Gedanken gekommen, daß es deiner gigantischen Industriellenseele nicht den geringsten Abbruch tun würde, wenn du manchmal nur ein ganz klein wenig an mich dächtest, wenn du es nicht mir überließest, alle Haus- und Reiseangelegenheiten zu erledigen? Das war wirklich nicht sehr nett von dir? Und ich bin so müde, nach dem Zoll und –«

»Teufel! Die Karten nach Europa hast du wohl besorgt! Die Pässe hast du wohl besorgt –«

»Nein. Das hat dein Sekretär getan! Ich fürchte, damit kannst du nicht viel Ehre einlegen, mein Bester!«

Mehr Zeit für die Familienszene hatten sie nicht, bevor sie am Ritz ausstiegen, aber Fran wurde in die Lage versetzt, schlechtgelaunt und schwer märtyrerhaft zu bleiben, denn auch das Ritz war nahezu voll besetzt, und ein Appartement war vor dem nächsten Tag nicht zu haben. Heute abend mußte Fran sich mit einem einfachen Doppelzimmer mit Privatbad begnügen.

»Ich soll wohl«, raste sie, »meine ganze Zeit in London mit Packen und Auspacken und Umziehen und noch einmal Auspacken verbringen! Dieses schreckliche Zimmer! Ach, ich meine, du hättest wirklich daran denken können –«

Alle Fröhlichkeit war aus Sams großem Gesicht verschwunden. Er nahm sie am Arm, daß es ihr weh tat, und knurrte: »Jetzt ist's aber genug! Du solltest dich schämen! Ich leugne es immer, sogar dir gegenüber, aber du kannst wirklich eine Zankliese sein! Gerade das, was du haßt! Ein besseres Zimmer als das haben wir noch nie gehabt, und morgen bekommen wir ein Appartement, und außer einer Zahnbürste brauchst du heute abend gar nichts auszupacken – zum Dinner brauchen wir uns nicht umzuziehen. Du bringst mich zur Verzweiflung, wenn du diesen leidenden, gekränkten, tragischen Anfall kriegst. Ich weiß, es ist, weil du müde und nervös bist, aber kannst du nicht auch einmal müde und nervös sein, ohne unbedingt darauf zu bestehen, daß alles in deiner Nähe in denselben Zustand kommt?«

»Mußt du mich anschrein, als Beweis für deine Ruhe – deine erhabene männliche Ruhe – und mußt du mir den Arm brechen? Ich bin nicht zänkisch! Ich habe dich nie ausgezankt! Aber daß du – Du sprichst so gern von dir als dem großen Industriekapitän, der nie eine Kleinigkeit vergißt – und daß gerade du –«

»Ich habe nie in meinem Leben so etwas behauptet!«

»– daß du dieses Telegramm vergessen konntest und dann auch noch zu zufrieden mit dir bist, als daß es dir leid tun könnte –«

»Fran!« Sein Arm umfaßte sie; er führte sie zum Fenster. »Schau da hinunter! Piccadilly! London! Ich habe es immer sehen wollen, ebenso sehr wie du. Sollen wir jetzt streiten? Erinnerst du dich an den Abend, an dem ich dich kennengelernt habe? Du warst von Europa zurückgekommen, und ich sagte, wir müßten zusammen hierher reisen? Und jetzt haben wir es getan. Zusammen – Ach, es klingt wahrscheinlich sentimental, aber hier in England zu sein, wo alle deine Leute her sind, mit dir –«

»Verzeih mir. Ich war häßlich. Verzeih mir.« Dann lachte sie. »Nur, meine Leute sind gar nicht von hier! Meine verehrten Altvorderen sind in kurzen grünen Hosen in den bayrischen Bergen herumgehüpft und haben gejodelt, und ganz bestimmt haben sie bei jeder Gelegenheit gegen deine Vorfahren gekämpft!«

Aber ihr Lachen war nicht sehr überzeugend; sie hatte ihre Zufriedenheit noch nicht ganz wiedergefunden. Während sie, in ständiger Bewegung zwischen Bade- und Schlafzimmer, ihre kleinere Tasche auspackte, sagte sie ziemlich trübselig und mutlos:

»Trotzdem, mein Lieber, du denkst nicht immer an mich. Amerikanische Ehemänner tun das nie. Du bist nicht schlimmer als die anderen, aber mehr taugst du auch nicht. Du denkst an nichts als ans Geschäft und an Golf. Es kommt dir nie in den Kopf, daß es einer Frau, so einer armen Idiotin, viel mehr Freude macht, wenn man daran denkt, ihr Blumen zu schicken, oder wenn man sie unvermutet anruft, bloß um ihr zu sagen, daß man sie lieb hat, als wenn man ihr ein neues Automobil schenkt. Bitte, denk nicht, daß ich zanke – das habe ich vielleicht vorhin getan, aber jetzt nicht, wirklich! Ich möchte so sehr, daß wir miteinander glücklich sind! Und jetzt, wo du nicht mehr ans Geschäft denken mußt, meinst du nicht, daß es ganz hübsch wäre, mit mir bekannt zu werden? Ich bin wirklich eine ganz passable Person!«

»Passabel? Mein Gott!«

Sie war besserer Laune nach dem langen Kuß, und er – er machte sich eifrigst daran, ein aufmerksamer Gatte sein zu wollen.

Und sie stimmte ihm zu, es sei reizend, daß sie sich zum Dinner nicht umziehen müßten, und dann packte sie die Abendsachen aus.

 

Es war spät geworden; er mußte ihr einen schönen ersten Abend in London bereiten; und wie die meisten amerikanischen Ehemänner war er der Ansicht, das beste Mittel dazu sei, jemand anderen einzuladen, womöglich jemand, der ein wenig jünger und munterer wäre als er selbst.

Major Lockert?

Ach, den Major sollte der Teufel holen!

Sie hatten zu viel von ihm auf dem Schiff gehabt – und die begönnernde Art, mit der er im Schiffszug in ihr Abteil gekommen war, um ihnen einen Graphic und einen Tatler zuzuwerfen – Und wie er auseinandergesetzt hatte, daß man Zweischillingstücke und halbe Kronen nicht verwechseln dürfe –

Trotzdem, Lockert war jünger als er – vielleicht fünf oder sechs Jahre – und konnte über Baccara und Paris plaudern, und über alles mögliche, was Fran wichtig zu finden schien –

»Wir wollen jemand zum Dinner dahaben, nicht?« sagte er, »und dann sehen wir uns vielleicht eine Revue an. Was meinst du? Soll ich Lockert zu erreichen suchen?«

»Aber nein!«

Er freute sich; freute sich erheblich weniger, als sie weiter sprach: »Er ist so freundlich zu uns gewesen und hat uns so geholfen, wir dürfen ihn nicht am ersten Abend zu Hause belästigen. Was ist mit diesem jungen Starling, mit Tubs Neffen an der amerikanischen Botschaft?«

»Versuchen wir's mit ihm.«

In der Botschaft meldete sich niemand, und in seiner Junggesellenwohnung erklärte der Portier, Mr. Starling sei auf zwei Wochen an die Riviera gereist.

»Weißt du noch jemand von den Leuten, die du kennengelernt hast, wie du zum erstenmal hier warst?« fragte Sam.

»Nein, niemand. Und ich habe auch gar keine Verwandten hier – die sind alle in Deutschland. Zum Kuckuck, ich meine, nach so vielen Jahrhunderten hätte meine Familie mich mit einem ordentlichen englischen Grafen als Verwandten versorgen können!«

»Wie wär's mit Hurd, dem Revelation-Vertreter? Ich glaube, in Zenith war er einmal bei uns.«

»Ach, der – das ist ein fürchterlicher Mensch – ein ganz ungeschliffener Kerl – wie konntest du nur auf den Gedanken kommen, einen Amerikaner wie Hurd hier herüber zu schicken, wo du doch einen netten Engländer als Londoner Vertreter hättest haben können, und – Übrigens, hast du vergessen, daß ich dich gebeten habe, ihm nicht zu schreiben, daß wir kommen? Ich will nicht die ›kleine Frau vom Generaldirektor‹ für diese schrecklichen groben Händler sein!«

»Na, Hurd ist ein kolossal guter Kerl! Er hat ein loses Mundwerk, und ich glaube nicht, daß er ein Buch gelesen hat, seitdem er sich als Junge die Wäscheinserate im Sears-Roebuck-Katalog angesehen hat, aber er ist ein blendender Verkäufer und kann ausgezeichnet erzählen, und er kennt auch bestimmt die besten Londoner Restaurants.«

Besänftigt, ein wenig mütterlich – oder mindestens ein wenig schwesterlich – tröstete sie ihn: »Du möchtest ihn wirklich gern sehen, nicht wahr? Also gut, dann wollen wir sehen, daß wir ihn kriegen.«

»Nein, das ist dein Abend. Ich möchte jemand, der dir angenehm ist. Ich habe noch Zeit genug, Hurd zu sehen; vielleicht suche ich ihn schon morgen auf.«

»Nein, wirklich, ich glaube, es wäre sehr nett mit deinem Mr. Hurd. Er war gar nicht so schlimm. Ich habe übertrieben. Ja, ruf ihn an – bitte! Es wäre mir fürchterlich, wenn ich das Gefühl haben müßte, dich davon abgehalten zu haben – Und vielleicht bist du es auch dem Geschäft schuldig. Er kann Telegramme von der U.A.C. haben.«

»Also gut. Und wenn ich ihn nicht erreiche, was meinst du zu Oberst Endersley und seiner Frau – das waren doch so ziemlich die nettesten Leute auf dem Schiff, und vielleicht haben sie den Abend noch frei. Oder der Flieger, Ristad?«

»Ausgezeichnet.«

Hurds Bureau war geschlossen.

Hurds Privatwohnung stand nicht im Telephonbuch.

Oberst Endersley und seine Frau waren überhaupt nicht im Savoy.

Max Ristad nicht zu Hause.

Wer sonst?

 

Wie viele Millionen amerikanischer Ehemänner sind schon, überall von San Francisco bis Stockholm, auf Millionen von Hotelbetten gesessen und haben in das gefühllose Telephon geseufzt: »So, nicht zu Hause?« im Telephonbuch geblättert und wieder geseufzt: »So, nicht zu Hause?« – auf der Suche nach Spielgefährten für ihre hübschen Frauen, während die Frauen freundlich zuhören und nie rufen: »Aber ich will gar nicht noch jemand! Sind wir beide nicht genug?«

 

Ein wenig melancholisch, weil sie sich ohne Beistand durch ihren zweiten Honigmond kämpfen mußten, aßen sie im Hotel und gingen ins Theater. Im Wagen überkam ihn eine verwirrte Ängstlichkeit – keine Furcht vor Gewalt, keine Todesahnung, sondern die Empfindung, unzulänglich zu sein in diesem fremden Land, sich zum Narren zu machen, von Fran und diesen selbstsicheren Fremden verachtet zu werden; Angst vor Einsamkeit; Angst, er würde vielleicht nie wieder der Sicherheit Zeniths wiedergegeben werden. Er sah seinen Klub, das Bureau, das liebgewordene Gefängnis Zuhause, alles vor dem Hintergrund, den London mit seinen Reihen würdevoller Fassaden und seinen lärmenden Plätzen bildete, mit seinen Ecken, an denen Zeitungsverkäufer schrien, und seinem Durcheinander von Straßen, die ihn irritierten, weil sie sinnlos waren – er wußte nicht, wohin sie führten! Und ein ungeheures Restaurant, das größer aussah als das lärmendste Childs in New York; in einem Land, wo er alles so winzig und steif und anspruchslos zu finden erwartet hatte wie einen japanischen Puppengarten, verdroß ihn das.

Und der Taxichauffeur hatte ihn seiner Aussprache wegen nicht verstanden – er war gezwungen gewesen, den Namen des Theaters vom Hotelportier verdolmetschen zu lassen – und was für ein Trinkgeld sollte er dem Menschen geben? Fran konnte er nicht um Rat fragen. Daß er vergessen hatte, die Zimmer zu bestellen, mußte er wieder gut machen, indem er kurz angebunden und tüchtig war – ein Mann, auf den sie sich verlassen konnte, den sie nur um so mehr lieben würde, wenn sie sah, daß er auch in einer neuen Umgebung seinen Mann stellte. Herrgott, er liebte sie ja mehr als jemals, nun da er Zeit dazu hatte!

Und wie war das mit den halben Kronen (Moment: das waren doch fünfzig Cents, fast genau, nicht?) und den Zweischillingstücken? Warum hatte Lockert ihn denn überhaupt mit seinen Warnungen so verwirrt? Zum Teufel mit Lockert – ein netter Kerl – kolossal liebenswürdig, aber er behandelte ihn, als ob er ein kleines Kind wäre, das ohne einen freundlichen Führer, der ihm sagte, wovon man in Damengesellschaft reden kann und wie man sich anziehen muß, in besseren englischen Kreisen verraten und verkauft wäre! Schließlich hatte er es doch ohne Lockerts Hilfe zum Generaldirektor einer nicht allzu kleinen Firma gebracht!

Im Theater kam er sich noch verlorener vor. Er verstand kaum zwei Drittel von dem, was die Schauspieler auf der Bühne sagten. Er war in dem Glauben erzogen worden, Englisch und Amerikanisch seien ein und dasselbe, aber was sollte ein Bürger Zeniths mit den Worten anfangen, die er hier hörte?

Wovon redeten sie denn? Was ging in dem Stück vor?

Er wußte, daß in Amerika, sogar in dem gesunden Zenith im Mittelwesten, wo die Fabriken und Wolkenkratzer nicht allzu weit von der heilsamen Luft der Maisfelder entfernt waren, ein Geist unglaublicher Anarchie sich in das Familienleben geschlichen hatte, das seiner Meinung nach das Fundament der Größe Amerikas war. Leute, die man kannte – sein eigener Vetter Jerry Loring zum Beispiel hatte sich nach einem anständigen Leben als Bankier mit lockeren Mädchen eingelassen und hatte geduldet, daß seine Frau sich einen Liebhaber nahm, ohne dem Burschen das Genick umzudrehen. Bei Gott, wenn er, Sam Dodsworth, jemals merken sollte, daß seine Frau zu freundlich zu einem Mann würde –

Nein, wahrscheinlich nicht. Er würde nicht beide umbringen. Sie hatte ein Recht auf sich. Sie war besser als er – dieses zarte, leuchtende Geschöpf in dem Goldkleid, das sie unbedingt aus einem der Schrankkoffer hatte hervorholen müssen. Sie war ein göttliches Wesen, und er ein plumper Bauer – wie gern hätte er sie geküßt, wären alle diese Leute in seiner Umgebung nicht so fürchterlich still gewesen! Wenn sie wirklich einen anderen Mann auch nur ansehen könnte, würde er ganz einfach fortgehen … und sich töten.

Aber er mußte auf das Stück acht geben, er wurde ja gebildet, und noch dazu auf so kostspielige Weise.

Er kam zu dem Schluß, es sei barer Unsinn. In Amerika gab es wohl verbrecherisch viele Scheidungen, und Fälle, die nichts anderes verdienten, aber dieser Zusammenbruch aller guten Sitten war doch unmöglich in Old England, in dem einzigen Land, das seit Hunderten von Jahren sich Heim und Herd, Kirche und Thron bewahrt hatte! Dennoch wurde hier, ohne daß jemand zischte, ein Stück gespielt, in dem ein englischer Gentleman der Liebhaber einer anständigen Frau war und nicht mit ihr durchbrennen wollte, weil die beiden dann nicht mehr auf Kosten des Gatten Tee trinken und einander lieben könnten. Und das englische Publikum, gute, ehrenhafte Leute, wie es schien, lachte dazu.

Noch stärker packte ihn das absonderliche kalte Entsetzen im Zwischenakt, als er mit Fran im Foyer auf und ab ging. Die Menschen, unter denen er sich bewegte, zeigten ganz deutlich ihre Gleichgültigkeit gegen ihn. In Zenith wäre er sicher gewesen, Bekannte im Theater zu treffen, und sogar in New York hätte er damit rechnen können, einen seiner Jahrgangskollegen oder jemand aus der Automobilbranche zu sehen. Aber hier – er kam sich vor wie ein verlaufener Hund. Es war ihm ähnlich zumute wie am ersten Tage seines Fuchsjahres im College.

Und sein Frack, sah er, war ganz falsch.

Sam und Fran gingen ziemlich still zu Bett. Er hätte viel darum gegeben, wenn sie den Vorschlag gemacht hätte, am nächsten Tage nach Amerika zurückzufahren. Was sie eigentlich dachte, wußte er nicht. Sie hatte sich mit der Rätselhaftigkeit umgeben, hinter der sie seit jenem Abend im Kennepoose Canoe Club, an dem er ihr zum erstenmal den Hof gemacht hatte, ihr wirkliches Wesen stets verbarg. Sie war freundlich jetzt – allzu freundlich; sie sagte, ganz leichthin, das Stück hätte ihr gefallen; und sie sagte, ohne es auszusprechen, daß sie sehr fern von ihm sei, daß er ihren Leib, ihren heiligen, stolzen, mit leidenschaftlicher Sorgfalt gepflegten Leib, höchstens mit einem flüchtigen Gutenachtkuß berühren dürfe. Sie schien ihm so fremd zu sein wie das Londoner Publikum im Theater. Es war unfaßbar, daß er mehr als zwanzig Jahre mit ihr gelebt hatte; unmöglich, daß sie die Mutter seiner beiden Kinder sein sollte; unmöglich, daß es ihr etwas bedeuten könnte, mit ihm zu reisen – ihr, der Frischen, Faltenlosen und Selbstsicheren, mit ihm, dem müden, alten Mann, der keine Ziele mehr vor sich hatte.

Heute abend war sie nicht zweiundvierzig, er nicht einundfünfzig; sie war dreißig, er sechzig.

Er glaubte die Späße Tub Pearsons zu hören, die freundlichen Bemerkungen seines Chauffeurs zu Hause, die respektvollen Fragen seiner Stenotypistin.

Er merkte, daß Fran gleichfalls wach lag, und daß sie, das Gesicht in das Kissen gebohrt, ganz leise weinte.

Und er getraute sich nicht, sie zu trösten.


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