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Vierundzwanzigstes Kapitel

Nachdem Fran Minna von Escher zugerufen hatte: »Gute Nacht – es war wirklich ein reizender Abend – auf Wiedersehen!« schwieg sie eine Minute, und es war eine Minute von sechzigtausend Sekunden, deren jede mit Zorn geladen war, wie die Minute des Wartens vor einem Gewitter, in einer Wiesenlandschaft, wo das Gras vor Angst giftgrün wird. Sam wartete und versuchte an etwas zu denken, worüber er denken könnte.

Sie sprach im Ton einer Schullehrerin, die zu viel erduldet hat, sich aber noch zu beherrschen sucht:

»Sam, der Himmel weiß, daß ich in gesellschaftlicher Beziehung nicht viel von dir verlange. Aber ich glaube, ich habe ein Recht, von dir zu verlangen, du sollst nicht so egoistisch sein, daß du nicht nur mir mein ganzes Vergnügen verdirbst, sondern auch noch allen anderen! Ich kann wirklich nicht einsehen, warum du immer wieder mit unfehlbarer Gewißheit fordern sollst, daß alle Welt tut, was du willst!«

»Ich habe –«

»Wir waren alle ganz zufrieden, wie wir dagesessen und miteinander geplaudert haben. Und mir ist auch durchaus nicht aufgefallen, daß du so vernachlässigt warst – diese von Escher mit dem Hundegesicht hat dir ganz entschieden genug zum Übelwerden mit deiner Pionierkraft und Zähigkeit geschmeichelt, und du hast es einfach aufgeschleckt! Und es war nicht einmal sehr spät – du wirst wohl nie lernen, daß es in Berlin und Paris nicht genau so ist wie in Zenith, und daß es den Leuten hier manchmal gelingt, länger als bis zehn Uhr wach zu bleiben! Graf Obersdorf hat mir alles von seiner Familie erzählt, und es war schrecklich interessant und plötzlich bist du schläfrig und – päng! Der große Samuel Dodsworth wird schläfrig! Der große Industrieführer will nach Hause gehen! Augenblicklich muß alles aus sein! Auf niemand darf Rücksicht genommen werden! Der große Ich Bin hat gesprochen!«

»Fran! Ich habe nicht vor, die Geduld zu verlieren, und dir heute abend das Vergnügen eines Krachs zu machen … Wenigstens hoffe ich das!«

»Los! Verlier doch die Geduld! Es wird nicht so neu und erschreckend für mich sein! Ich bin es schon einigermaßen gewohnt!«

»Einen Dreck bist du! Du hast noch nicht erlebt, daß ich sie wirklich verliere! Der letzte, dem das passiert ist – Na, ich habe die Krankenhausrechnung bezahlt!«

»Oh, der wunderbare, großartige Held, der den Leuten den Kopf einschlagen kann! Der alle reizenden Tugenden eines betrunkenen Holzknechts hat! Der –«

»Das ist ein bißchen daneben geredet, Fran! Ich habe nicht damit geprahlt – ich habe es bedauert. Hör mal, mein Kind; jetzt hast du Dampf abgeblasen, kannst du da nicht wieder für eine Weile vernünftig sein?«

So kamen sie zum Adlon, nickten dem Portier zu, als wären sie in der allerbesten Stimmung, gingen, ein schönes, reiches, würdevolles Paar, durch die Marmorhalle, traten heiter in den Fahrstuhl und fingen wieder an:

»Fran, wir müssen ganz ernsthaft miteinander reden. Wir haben uns ganz ohne Pläne treiben lassen, und ich wollte immer über feste Pläne sprechen. Vielleicht hast du mit heute abend recht. Es sollte nicht brummig klingen, als ich vom nach Hause gehen redete, und wenn es so geklungen hat, tut es mir leid.«

»Das macht nichts. Und es war sogar wahrscheinlich sehr gut. Ich habe ein bißchen Kopfschmerzen, es war zu rauchig in dem kleinen Zimmer – du solltest nicht immer deine eigenen Zigarren mitnehmen und rauchen – das sieht so patzig aus. Aber reden wir heute abend nicht von Plänen. Himmel, wenn dir gar so viel daran gelegen hat, fortzukommen und schlafen zu gehen, dann ist es doch wirklich zu viel für dich, die halbe Nacht aufzubleiben und von Plänen zu reden, wenn –«

»Aber ich habe Lust dazu!«

»Aber ich nicht! Ist es denn gar so eilig, mein Lieber?«

»Aber wir werden es wieder aufschieben, wie wir es bis jetzt aufgeschoben haben, wenn wir bis morgen warten.«

»Macht das etwas?«

»Allerdings macht es etwas! Bei Gott, ich will auch einmal ein bißchen eigensinnig sein!«

»Einmal! Ach, Sam, als ob du jemals etwas anderes wärst!«

»Gut. Wie du willst. Wenn ich immer eigensinnig bin, wird es dich nicht überraschen –«

» Und – bitte – schrei – nicht

»Ich schreie gar nicht! Fran, bitte hör auf, Katze und Maus mit mir zu spielen. Es ist Zeit, daß wir nach Hause fahren, von Obersdorf ist mir zwar sympathisch, aber er gehört zu den Leuten, die immer eine Menge Menschen um sich haben, und wenn wir hier bleiben, werden wir in einer ganzen großen Gesellschaft drinstecken und wochenlang nicht abreisen können.«

»Und? Ist das nicht gerade das, was wir wollen? Lohnt es nicht, eine europäische Stadt wirklich kennen zu lernen? Nicht daß Kurt etwas damit zu tun hätte. Es handelt sich eigentlich um meine Vettern, die Biedners.«

»Aber auf Kurt kommt es an! Er ist ein kolossal netter Kerl, aber es läßt ihm keinen Frieden, bis er nicht ununterbrochen mit allen zusammen ist, bis er dich nicht jeden Tag sieht, und vor allem, da er sich doch einigermaßen für dich interessiert –«

»Sam, willst du andeuten, daß er und ich – Oh, das ist zu viel! Also bloß weil mir einmal auch ein anderer Mann gefallen hat als deine großmächtige und heilige Persönlichkeit, wirst du jetzt das Vergnügen haben, mir das immer wieder unter die Nase reiben und mir die entsetzlichsten Dinge in die Schuhe schieben, wenn ich mich einmal ganz einfach höflich mit einem Mann unterhalte!«

» Fran, hör um Gottes willen auf, Komödie zu spielen

»Und du hör um Gottes willen auf zu fluchen! Ich weiß gar nicht, was in dich gefahren ist! Vor ein paar Jahren, ja noch vor ein paar Monaten, hättest du dir nie träumen lassen, so zu mir zu sprechen, wie du es jetzt tust, und jeden Tag wird es schlimmer. Du hast keine Ahnung, in was für einem Ton du sprichst –«

»Hör auf Komödie zu spielen! Ich weiß recht gut, daß dieser Obersdorf und du, daß ihr bis jetzt unschuldig wie kleine Kinder gewesen seid, aber ich weiß auch, daß du dich mehr, als gut ist, für ihn interessieren könntest –«

»Unsinn! Wir haben nicht mehr füreinander als das höfliche Interesse, das jeder europäische Herr und jede Dame füreinander haben. Es ist ganz genau so, wie ich heute abend gesagt habe! Der amerikanische Mann ist absolut unfähig, in einer Frau eine angenehme Teetisch-Gefährtin zu sehen – wenn ich nicht zu höflich gewesen wäre und dich nicht hätte schonen wollen, hätte ich ganz gehörig mehr von amerikanischen Frauen und Ehemännern erzählen können! Du kannst in einer Frau nur entweder eine eventuelle Geliebte sehen, oder sie ist nicht hübsch genug, um dich zu interessieren, während Kurt – ›Unschuldig wie kleine Kinder!‹ Ja, natürlich sind wir das gewesen, und wir werden es auch bleiben!«

»Sicher werdet ihr das bleiben! Und wenn es nur deshalb sein sollte, weil ich eine zweite Arnold Israel-Geschichte nicht dulden werde!«

Sie schlug nicht zurück, wie er erwartete. Sie stand erstarrt da, sah ihn vorwurfsvoll an, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie war mit einemmal jung und hilflos und mitleiderregend und sagte ganz langsam:

»Oh, Sam, das war nicht nett von dir! Ich kann mir nie etwas merken und dir dann ins Gesicht schleudern, wie du es machst. Du hast das mit Arnold nie verstanden. Ich habe mich damals nicht verteidigt. Aber er war die Romantik – vielleicht zum letztenmal für mich – und ganz entschieden zum erstenmal! Du warst immer so gut; ich habe dich bewundert und Respekt vor dir gehabt; aber du warst immer so vernünftig und vorsichtig, und bei Arnold, da hat es Gefahr gegeben und Aufregung und Tollheit und – Nur ein einziges Mal in meinem ganzen Leben wollte ich wissen, was Gefahr ist! Und ich habe auch gemerkt, daß ich Talent dazu habe! Und dann habe ich für dich darauf verzichtet; ich habe mich gefügt und bin mit dir von Hotel zu Hotel gereist, wohin du wolltest. Arnold hat mir immer wieder geschrieben, und ich habe ihm kaum einmal geantwortet, und jetzt habe ich ihn natürlich für immer verloren, um deinetwillen! Und dann beschimpfst du mich seinetwegen! Ach, Sam, das war wirklich nicht edelmütig!«

Sie weinte ein wenig, sie saß zusammengekrümmt in einem großen Sessel, das Gesicht in die Lehne gedrückt.

Sam spürte, daß da etwas nicht stimmte, daß da etwas gespielt war, aber sein Ärger darüber, genarrt zu werden, war kleiner als seine Zärtlichkeit für sie. Er strich ihr über das Haar; er sagte wärmer und inniger als seit langem:

»Ich war gemein. Verzeih mir. Und außerdem weiß ich, daß deine Freundschaft mit Kurt etwas ganz anderes ist.« Er hörte in sich eine verbissen kritische Stimme: »Gar nichts anderes ist sie, und das weißt du recht gut, du Dummkopf!« Aber er ließ sich nicht abhalten. Er zog einen kleinen Goldstuhl heran, der unter seiner riesigen Gestalt lächerlich wirkte, und behielt ihre Hand in der seinen, während er sprach:

»Fran, ich will nach Hause fahren und zu arbeiten anfangen. Ich bin von Natur aus ein Mensch, der etwas tun muß, ich kann dieses müßige Herumlaufen nicht mehr aushalten. Aber ich will nicht mehr Autos fabrizieren. So halb und halb kann ich vielleicht unterschreiben, was du heute abend vom industrialisierten Amerika gesagt hast. Was ich tun will – Ach, es wird sicher noch eine Menge Industrielles damit zusammen hängen; wir werden bestimmt moderne Produktions-, Verkaufs- und Reklamemethoden anwenden müssen, wenn wir uns von der Konkurrenz nicht unterkriegen lassen wollen. Aber es würde etwas Individuelles sein, hoffe ich, und etwas Dauerndes. Ich denke schon seit neun, zehn Monaten darüber nach, aber ich habe dir nichts davon gesagt, weil ich sicher sein wollte. Und das wäre auch etwas, woran du teilnehmen könntest –«

Sie setzte sich mit einem Ruck auf, die Tränen waren verschwunden, und rief: »Ach, so sag es schon! Halt nicht eine Rede! Entschuldige, Sam, daß ich unhöflich bin, aber du brauchst wirklich so lange –«

»Ja, ich will das ganz klar stellen, vor allem für mich selbst. Ich habe mir nicht eingebildet, daß ich sehr rasch schießen kann!«

»Du denkst sogar sehr rasch, sobald du einmal deine Tatsachen hast, aber du hast einen Aberglauben – ich glaube, das geht noch auf deine College-Zeit zurück, wo du die Rolle des schweigsamen Helden spielen mußtest. Du hast so eine kindische Vorstellung – ach, ich kenne dich ja viel besser, als du selbst – du hast die Vorstellung, daß es für einen so großen und starken Mann lächerlich wäre, rasch zu sprechen, und du hast immer darunter gelitten –«

»Wir kommen von der Sache ab. Laß mich aussprechen. Wie schon gesagt, das ist ein Projekt, bei dem du ebenso viel mitarbeiten und ebenso viel Spaß haben könntest wie ich, und vielleicht noch mehr. Das ist die Idee.«

Und ziemlich unbeholfen, häufig unterbrochen, skizzierte er seine Pläne für eine verbesserte Sanssouci-Siedlung.

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da sprudelte sie auch schon los: »Ach, das ist doch einfach ganz unmöglich!«

»Warum?«

»Du hast nicht genug Geschmack dafür – heimische Architektur und Innendekoration und so weiter. Aber Sam, ich gehe jede Wette ein, daß du mir nicht sagen kannst, was für Farbe unsere Vorhänge im Wohnzimmer zu Hause haben!«

»Sie sind – also, sie sind so – Warte mal. Sie sind hellrot.«

»Sie sind beige mit so wenig Rot, daß es gar nicht der Rede wert ist. Sam, ich weiß, was für Vergnügen ein solches neues Unternehmen machen kann, aber für dich –«

»Also, ich habe mich selbst um die Auswahl der Farben für die Karosserie und die Polsterung des Revelation gekümmert, in den letzten fünf Jahren, und ich glaube, es ist allgemein anerkannt, daß sie die schönsten –«

»In Wirklichkeit hast du das ja gar nicht gemacht. Du hast dich auf diese schreckliche Eidechse verlassen, auf Willy Dutberry, den du im Zeichenbureau gehabt hast!«

»Na, auf jeden Fall habe ich doch Willy ausgesucht, nicht? Und war vernünftig genug, seiner Führung zu folgen, nicht wahr? – auch wenn er Koteletts gehabt und eine rosa Krawatte getragen hat! Und für meine Siedlung werde ich – Teufel, Fran ich weiß wirklich, wie man Menschen aussucht! Ich bilde mir nicht ein, alles zu verstehen, nicht einmal von Autos. Das habe ich auch nicht nötig. Aber ich kann –«

»Und noch etwas, Sam. Ich finde es herrlich, daß du etwas Individuelles und Dauerndes schaffen willst. Aber eine amerikanische Gartenvorstadt – brr! Ein häßliches, zusammengepferchtes Durcheinander von Weltausstellungsgebäuden, mit hochtrabenden Straßennamen –«

»Dann muß man eben eine machen, die nicht hochtrabend und nicht zusammengepfercht ist. Irgendwo müssen die Menschen leben! Und wegen des guten Geschmacks und aller dieser Dinge verlasse ich mich eben sehr auf dich –«

»Das ist schrecklich schmeichelhaft von dir gemeint, aber ich habe ganz entschieden nicht vor – oder zumindest nicht, bis ich ein gutes Stück älter bin – ich habe nicht vor, alle meine Tage und Nächte darauf zu verwenden, daß ich nett zu einem Haufen schauerlicher Parvenüs bin, die Touraine-Schlößchen mit eingebauten Frigidaires haben wollen, und alles zu den Preisen von Postbestellfirmen!«

 

Sie stritten eine Stunde lang herum. Fran hatte sich von ihrer Duserolle erholt und war abwechselnd hochmütig und mitleidsvoll mütterlich. Sam hatte das Gefühl, seinen Plan nicht ganz klar gemacht zu haben, aber sie verrammelte ihm jede Möglichkeit, deutlicher zu werden, und als sie um drei Uhr schlafen gingen, stand höchstens fest, daß sie vielleicht die Freundlichkeit haben würde, nach einer ziemlich unbestimmten Frist von vier, fünf oder sechs Monaten mit ihm nach Hause zu reisen, aber nicht daran dachte, ihm beim Bau von »Steinburgen aus Zement und Backsteinherrenhäusern aus Linoleum« zu helfen, und daß sie sich lediglich um ihrer Künstlerethik willen weigerte.

Während Sam wach lag und das ganze Gespräch wiederkäute, konnte er nicht recht begreifen, wieso es ihm wieder mißlungen war, sie nach Hause zu locken.

»Und sie sagt, ich bin ein Tyrann. Na, als Tyrann gehöre ich in die Klasse ½ PS, 2 Stundenmeilen«, seufzte er, als er einschlief.

Er träumte, Fran sei von einer Klippe abgestürzt, sie liege tot unter ihm, und Minna von Escher sei gekommen, um ihn verführerisch anzulächeln. Er wachte auf und machte sich Vorwürfe, dann freute er sich, daß es nicht so war. Er setzte sich im Bett auf, um Fran in der Dämmerung zu betrachten, und sie sah so kindlich aus, sogar ihre kleine Nase war unter der Decke begraben, daß er sich kein Zauberwort denken konnte, das ihn aus ihrer Macht befreien würde.

 

Dinners mit Kurt – bei Hiller, Borchardt, Pelzer, im Bristol und im Kaiserhof, im einfacheren Siechen und im Pschorrbräu. Ein Dinner im Wintergarten auf der Terrasse, und die Varietévorstellung. Dinners in Gartenrestaurants in der Nähe des Tiergartens, als das Wetter wärmer und das Bier erquickender wurde. Eine rasend schnelle Autofahrt zum Landhaus eines Freundes von Kurt, wo sie an einem strahlenden Sonntagnachmittag im Garten herumlagen und in der Havel badeten.

Aber sie waren eben immer mit Kurt zusammen.

Und so sehr Kurt auch Sam schätzte und ihn bewunderte, es war ihm doch nicht entgangen, daß Sam und Fran, wie so viele andere amerikanische Ehepaare, die er in der Internationalen Touristen Agentur gesehen hatte, an dem Punkt des ehelichen Zusammenbruches angelangt waren. Und für ihn, den Wiener, der die heißblütigen Frauen aus den rauhen Bergen und den grauen Ebenen im Osten und Norden kannte, war diese kühle, lebhafte Amerikanerin etwas Exotischeres, Aufregenderes als eine Russin, Kroatin oder Zigeunerin … Und sie hatte ein sehr nützliches eigenes Einkommen … Und es gab in allen Ehren keinen Grund, warum er nicht da sein sollte, wenn dieser Zusammenbruch kam, noch, warum Fran nicht die Ehre haben sollte, dem alten Haus Obersdorf auf die Beine zu helfen.

So glaubte wenigstens Sam, daß Kurt denke, und er konnte sich nicht sagen, daß es durchweg falsch gedacht wäre.

 

Es war auch keine leichte Aufgabe für Sam, sich einzugestehen, daß er mit der geistigen Ausbildung eines führenden Geschäftsmannes und dem Körper eines Kohlenhäuers seine zierliche Frau weder mit Gewalt noch mit Schmeicheleien zur Vernunft bringen konnte, wenn ihre Verstiegenheit mit ihr durchging und sie ihm zu verstehen gab, daß ihre Vortrefflichkeit ihm die Verpflichtung auferlege, ihr zu folgen, wohin immer es sie locke, oder geduldig zuzusehen, wenn sie Kurt anstrahle.

Es war unmöglich, aber es war so.

Sam versuchte alle bekannten Methoden, um sie zu zwingen. Das nackte, armselige Gezänk nach der Gesellschaft bei Kurt wiederholte sich. Er erklärte, daß sie »nach Amerika zurückzukommen habe, und zwar gleich jetzt!« Aber was sollte er tun, wenn sie ihn daran erinnerte, daß sie ihr eigenes Einkommen hatte, und wenn sie versicherte (sie glaubte es wirklich) daß sie sich immer ihr Brot verdienen könnte?

Was sollte er aber erst tun, wenn sie nach einer Nacht, in der er, geplagt von gerechter Empörung, keinen Schlaf gefunden hatte, an einem funkelnden schönen Tag erwachten und den Kanal entlangspazierten, gut lunchten, an den Wannsee fuhren und wieder zurück, und den Sonnenuntergang über dem Tiergarten bewunderten; wenn sie da stehen blieb, ihn am Ärmel zupfte und feierlich sagte: »Ach, Sam, ich muß dir danken für alle die schönen Orte, die du mir gezeigt hast. Ich bin so gedankenlos und dumm, daß ich oft nicht davon spreche, aber die ganze Zeit, innerlich, Liebster –«

Ihre Augen waren feucht.

»– bin ich schrecklich dankbar. Venedig! Rom! Paris! Und dieser stille Sonnenuntergang. Ich danke dir, mein Herz … Und ich danke dir auch dafür, daß du kein tartarischer Ehemann bist, daß du es verstehst, daß ich ausgelassen und freundlich mit netten Menschen wie Kurt sein kann, ohne ein schlechtes Frauenzimmer zu sein!«

Was sollte er denn tun? Höchstens vielleicht murmeln: »Habe ich schon einmal daran gedacht dir zu sagen, daß ich dich anbete?«

Er konnte sich auch nicht gegen Kurt von Obersdorf wenden, da Kurt – nach vielem Zweifeln glaubte Sam es – ihn ebenso gern hatte wie Fran; da Kurt den ehrlichen Wunsch zu haben schien, sie wieder zusammen zu bringen, mochten dabei auch seine Aussichten auf Frans Gunst und Vermögen zu schaden kommen.

Da die Dodsworths in Berlin isoliert waren, Kurt das Talent hatte, sich kopfüber in eine Freundschaft zu stürzen, und Fran eine ausgesprochene Schwäche für die, wenn auch vielleicht verblaßten Herrlichkeiten eines Grafen besaß, wurde aus den Dreien eine Familie, und als Glied der Familie suchte Kurt sie zu versöhnen. Er war seltsamerweise trotz seiner Sentimentalität ein unparteiischer Schiedsrichter. Wenn Fran ihren Mann in etwas zänkischem Ton seine Unfähigkeit vorwarf, mehr Deutsch zu lernen als »Zweimal Dunkles«, bat Kurt: »Ach, sprechen Sie doch nicht so böse, das ist nicht nett«, und wenn Sam brummte, der Teufel sollte ihn holen, wenn er bis zwei Uhr nachts sitzen bleiben und ihr beim Tanzen zusehen würde, dann machte Kurt ihm Vorstellungen: »Aber Sie sollten doch glücklich sein, wenn Sie sie so glücklich sehen! Verzeihen Sie! Aber sie ist so entzückend, wenn sie glücklich ist! Und sie ist zart. Sie leidet so leicht unter Dingen und Stimmungen, aus denen wir uns nichts machen.«

Kurt sagte – und es schien ihm wirklich ernst zu sein – auch er sei allein in Berlin, und obwohl er nichts weniger wünsche, als sich ihnen aufzudrängen, würde es ihm eine große Freude sein, wenn er mit den Dodsworths, so lange sie hierblieben, jeden Tag zusammen sein dürfte … Und so arm er auch im Vergleich mit ihnen sein mochte, er bezahlte immer seinen Anteil an den Rechnungen.

»Es wäre viel leichter, wenn er nicht so verdammt anständig und ehrlich wäre!« seufzte Sam.

Er hatte keinen Beweis dafür, nicht den geringsten Beweis, daß zwischen Kurt und Fran mehr bestünde als diese Familienzuneigung.

Ein oder zweimal, zum Beispiel als der Berliner Revelation-Vertreter Sam aufsuchte und zum Lunch im Amerikanischen Klub brachte, waren Kurt und Fran sich selbst überlassen. Er verbrachte einen Abend mit Gesprächen in der Adlonbar, während die beiden gebildet in die Oper gingen. Nach diesen Ausflügen sah Fran rosig und zufrieden aus.

In London hatte Sam sich dank den Aufmerksamkeiten Mr. A. B. Hurds etwas von seiner Stellung als Industrieller bewahrt. Seit damals war er, Schritt für Schritt, einfach der Gatte der reizenden Mrs. Dodsworth geworden. Er merkte das, obwohl er nicht eigentlich sehen konnte, wie es dazu gekommen war. In Berlin hatte er das Gefühl, daß kein Mensch ihn für etwas anderes hielt, als ihren Begleiter – und erst recht nach dem unglückseligen Zwischenfall mit Herrn Dr. Johann Josef Blumenbach.

Herrn Blumenbachs Karte wurde Sam gebracht, als er sich gerade zum Dinner umziehen wollte, »Ich weiß nicht, wer das ist. Aber der Name kommt mir doch bekannt vor. Wahrscheinlich irgendein Freund von ihr«, dachte Sam und sagte zum Boy: »Führen Sie ihn herauf.«

Als er Fran, die sich in ihrem Schlafzimmer ein Häkchen an ein Abendkleid nähte, davon erzählte, erklärte sie, sie kenne keine Blumenbachs. Sie kam mit ihm in das Wohnzimmer und zog die Nase kraus. Herr Dr. Johann Josef Blumenbach war ein vierschrötiger Mann mit rundem, borstigen Kopf, dicker Nase und lächerlich altmodischen Gamaschen.

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie überfalle, Herr Dodsworth«, sprudelte er los, »und bitte, entschuldigen Sie auch mein Englisch, ich glaube, ich spreche ein fürchterlich schlechtes Englisch. Aber ich bin mit einer Kleinigkeit an einer Automobilfabrik beteiligt, und aus den Automagazinen, ganz davon abgesehen, daß mein Vetter in Amerika lebt, in St. Louis, weiß ich sehr viel davon, wie sehr Sie sich für die Stromlinienentwicklung eingesetzt haben. Es würde mir ein sehr großes Vergnügen sein, wenn Frau Dodsworth und Sie unsere Fabrik besichtigen wollten.«

Fran erledigte Herren Blumenbach sehr freundlich mit den Worten: »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Äh, aber wir verreisen schon in ein paar Tagen und haben leider schrecklich viel zu tun. Sie werden uns sicher entschuldigen.«

Er sah sie mit ausgesprochenem Widerwillen an, er schnaubte: »Ach, vielen Dank«, und verschwand in ziemlich kläglicher Hast.

»Diese Unverschämtheit! Wahrscheinlich wollte er Geld von dir für irgendeine fürchterliche Spekulation«, sagte sie ganz ruhig, als Sam sie zu ihrer wichtigen Näharbeit zurückbrachte. »Ein fürchterlicher Mann! Und du hättest eine Stunde gebraucht, um ihn los zu werden!«

Als der unvermeidliche Kurt kam, um sie zum Dinner abzuholen, fragte Sam: »Haben Sie zufällig etwas von einem gewissen Blumenback gehört, Johann Blumenback oder so etwas – er muß etwas mit Autos zu tun haben?«

»Aber natürlich!« antwortete Kurt.

»Ein fürchterlicher Mensch«, meinte Fran.

»O nein! Ein ganz prachtvoller Mensch. Er ist sehr sozial gesinnt. Und er ist einer von den zwei oder drei ganz Großen in der deutschen Automobilindustrie. Er kontrolliert die Marsgesellschaft – ich glaube, der Mars ist eines der besten europäischen Autos –«

»Natürlich! Jetzt weiß ich auch, woher ich den Namen gekannt habe«, murmelte Sam.

»– und ich würde sehr wünschen, daß Sie ihn kennen lernen können. Er würde Ihnen wirklich authentische Informationen über unsere Automobilindustrie geben. Aber ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen. Ich habe ihn bloß auf einer Gesellschaft gesehen.«

»Wir müssen uns beeilen!« sagte Fran.

Und Sam sagte gar nichts.

Er dachte manchmal, wenn er mit Herrn Dr. Blumenbach telephonierte, könnte er in Berlin vielleicht als der Samuel Dodsworth anerkannt und aufgenommen werden, der er einst gewesen war – und so auch wieder dieser Samuel Dodsworth werden.

Und er tat gar nichts.

 

Sie gingen mit der Baronin Volinsky und Minna von Escher einige Male aus, bis Kurt tief verletzt (was er sehr oft sein konnte) überzeugt davon war, daß er Fran, und wenn er die Verdienste der hübschen kleinen Baronin noch so sehr herausstrich, nicht dazu bringen könnte, sie gern zu haben. Weshalb Sam und Minna miteinander nicht auskamen, begriff er nie, er machte also eine gekränkte Miene und gab es auf.

Für Sam war Frau von Escher eine Mahnung, daß es auch Frauen gab, die ihn nicht plump und kalt fanden, und dieser Mahnung wollte er entrinnen. Er konnte sich nur zu gut die unterhaltsamen Schwierigkeiten einer Liebschaft ausmalen. Er konnte sich sogar die Frage stellen, ob es etwa bloß Gefühlsindolenz war und Angst davor, »sich einzulassen«, und nicht Moral, was ihn »rein« erhielt. Daß er Minnas großen spöttischen Mund küssen wollte, war nicht vielleicht das die Ursache dafür, daß er kalt zu ihr war und ihr immer widersprach … und so Fran Gelegenheit gab, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er wirklich ungezogen sei, und daß nur ihr Einfluß ihn all diese Jahre zur Liebenswürdigkeit gezwungen habe?

»Teufel!« sagte Sam Dodsworth müde und verdrossen, und so sehr er auch suchte, fand er nie einen besseren Ausdruck für seine Gefühle.

So tastete er sich durch den Nebel, und kein Weg war zu finden. In der Ferne war der Schall drohender Wasser zu hören, und immer stolperte er über ungesehene Wurzeln, in einer Benommenheit, die unwirklicher war, als alle Träume.


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