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XXXII.

Eine Stimme rief im Hause: »Vive!« Ich erinnerte mich dabei, daß sie mit diesem tönenden, strömenden Namen hieß. Sie schrie nicht mehr leicht gekränkt auf, wenn ich an das Fenster trat. Sie tat so, daß sie mich nicht sehen mußte. Dennoch blickte sie einmal auf und sah mich, seither jedesmal an. Ich lächelte ihr schüchtern und mit Achtung zu und sagte in meinem Herzen lange: Guten Morgen, Vive! Nur meine Lippen zitterten.

Jetzt glaubte ich meiner reinen Liebe gewiß zu sein. Ich war jener Unstete nicht mehr. O Vive, anbetungswürdige Vive! Ich habe lange Zeit einen entsetzlichen Schlaf voll wilder Bilder geträumt, und jetzt öffne ich die Augen. Ich erwache und bin allein. Ich bin jungfräulich wie unser Morgen.

Zuweilen, spät in diesen Sommertagen, da sich die Wolken elektrisch luden, drang ein gedämpfter Klang wie von Instrumenten aus der Entfernung her. Eine Militärkapelle spielte dort unten unter den Bäumen des Parkes. Dann empfand ich seltsam wonnevolle Pein, die mich zu sanften Tränen rührte. Ich glaubte, daß auch sie sanft in ihrem Hause Tränen, die wie ihre himmelblauen Augen leuchteten, vergoß.

Bald traf mich ein heftigeres eigenartiges Leid. Mein ganzes Wesen bebte in seinen Wurzeln vor dem Leben, das sich in dem geheimnisvollen Hause meiner teueren Vive abspielte. Ich hatte mein Lager näher an die Wand gerückt, um das gedämpfte Zittern jenes Fremden außer mir zu vernehmen

Bald belebte ich die Steine mit Strömen, einer magnetischen Anziehung der Körperwelt. Und schon war es zu spät, daß ich das Bett wegrücken wollte. Diese Steine, die sie leicht mit ihren Kleidern streifte, waren fette Erde voll Poren, ein Teil des großen All-Körpers gewesen, ehe sie in einem Industrieofen zu Ziegeln wurden. Ich beseelte sie mit feinen Geistern, die sie sich, jeder Schranke bar, des blonden Dufts ihres Haares, ihrer leichten Atemzüge voll sogen. Vive lebte dort hinter der Mauer! Vive, noch ruheloserer Gedanke, schlief dort ihre nur leicht verhüllten Nächte!

Geräusche wurden laut, verstummten; eine Stimme schien von einem Orgelchor hoch aus einem Kirchengewölbe herabzusteigen, eine Stimme, gleich einer Marienfülle fein, wellend und leis – die Seelen zitterten wie ein Haferfeld im Winde nach. Und dann kleine Schritte, die kleinen Schritte vom Garten kamen in der Tiefe des Hauses gegen mich heran. Nur diese Steine einer Mauer schieden uns, dünn, das Beben eines Busses wäre durch sie hindurchgegangen – und dennoch schien es mir, daß dieses Zittern, das von ihr ausging, unbestimmt wie ein Traum, süß wie die Minute, bevor ein Traum zur Wirklichkeit wird, von dem andern Ufer des Lebens zu mir kam. Und dies war so süß, daß ich anfangs nicht achtete, wie sich auf solche Weise mein Übel wieder bei mir einstellte.

Ich dachte nicht sogleich daran, daß auch sie, diese kleine Madonna, einen Busen besaß, der wie die andern, die ich geliebt hatte, zur Liebe geschaffen war. Ich ging eines Abends in das Haus mit den geschlossenen Läden, dahin auch mein Vater gegangen war. Das war ein Abend, da mich die Enthaltsamkeit peinigte. Und dann empfand ich wieder eine Zeitlang die beglückende Ruhe. Da dachte ich mir: Ich werde jedesmal, wenn ich an ihren geheiligten Schleier rühren möchte, in die Nacht gehen und das Tier in mir ersticken. Doch wehe, ich hatte nicht die Kraft, mein Lager wieder zurückzuziehen, und jenseits der Mauer atmete mein süßes Lieb. Als ich alsbald ernsthaft an das Anbetungswerte dachte, das ihr Mädchenleben für mich war, war ich nicht mehr Herr, meinen Verstand wiederzugewinnen. Schon hatte mich mein Wahnsinn wieder ergriffen.

Von dieser Zeit an legte ich jedem leichten Geräusch, das durch die Scheidewand drang, einen Sinn bei, der sich auf ihr körperliches Sein bezog. Mein empfindliches Gehör unterstützte mich dabei in meinen Träumen und entzückte mich mit neuen und unerhörten Wonnen, als hätte ihre Gegenwart sich mir in Wirklichkeit mitgeteilt, als empfände ich, wie sich jenseits der Scheidewand ihr Fleisch gleich dem meinen erregte. Dann kam sie wieder in den Garten; ich hörte das Pförtchen knarren – dann kam auch ich an das Fenster und lächelte ihr zu. Und doch hatten wir zueinander noch kein Wort gesprochen, keine Geberde bräutlichen Sinnes hatte sich zwischen uns begeben. Ich trank die Röte ihrer Wangen, das furchtsame und erfreute anmutige Lächeln, und ich gewahrte, daß auch sie dem geheimnisvollen Überströmen unterläge.

Mit der Zeit handelte ich und dachte nicht anders, als ob wir unser beiderseitiges Sehnen einander gestanden hätten. Ich küßte die Mauer dort mit zitterndem Munde, wo auch sie, wie ich glaubte, ihre Lippen angedrückt hatte. O Vive! zarte lebensvolle Vive. Ein leichter Schleier bedeckt kaum deinen Busen, und du legst die Hand auf deine Brüste, du fühlst ihre Spitzen lange unter deinen Fingern beben. Dann erhebst du dich, trittst an deinen Spiegel – vor diesem Augenblicke noch hast du dich nicht gekannt.

Es gärte in mir wie in der Vergangenheit. Ich gewahrte mit Schrecken, daß ich auch sie in gleicher Weise wie all die andern begehrte. Hatte mir doch Aude mit ihrem wortarmen Lächeln gesagt: Ich habe dich, ganz wie du bist. Was du auch tun magst, du wirst immer durch jene, die du lieben wirst, zu mir zurückkehren. Und das Hexenwerk braute schon in meinen geheimen Wünschen.

Ich versuchte die verabscheute Vorstellung zu fliehen. Ich machte weite Spaziergänge über Land. Ich ging aus, um am Abend die frommen Glockenstimmen zu hören. Doch dann drückte ich wild mit Tränen und schluchzender Brust meine Küsse auf die Ziegel der Wand. Ich schlug die Mauer in meinem Zorn und in meiner Liebe. – Vive, auch dich hasse ich heute, die du nicht stärker warst als die unreine Liebe! Dann eines Abends pochte leise eine kleine Hand an die Mauer, wo meine Fäuste gepocht hatten.

Da ward ich meiner nicht mehr mächtig.

Diese Jungfräulichkeit des Kindes brachte mich also auf denselben Weg, zu dem mich jene seit lange Entgürteten geführt hatten. Ja sie ward für mich noch viel schrecklicher; sie verzehrte mich wie brennendes Pech. Jetzt quälte ich mich, ob auch Vive in der bräutlichen Stunde meinen Mund zwischen ihre Lippen pressen würde. Und sagte mir eines Tages: Geh doch, läute an der Türe, triff mit ihrer Mutter die üblichen Veranstaltungen, da auch diese gleich den andern dir gehören muß. Mit hoch klopfendem Herzen verließ ich das Haus, tat den Schritt zu dem Nachbargarten. Aber als ich die Hand nach dem Glockenhammer ausstreckte, ward ich von entsetzlicher Pein ergriffen. Ich dachte: Wie wirst du auch diese nach ihrem wollüstigen Kuß aufs Bett werfen! Und sie war nicht mehr die köstliche Jungfrau. Ich fühlte den besten Schmerz meines Lebens, dann ging ich in das Haus im Dunkel. –

Wisse es, teuere Vive! Ich bin nicht der Mann, dem du glaubtest. Nie wird sich mein goldener Abend über die Wipfel meiner Wälder senken. Niemals werde ich die reine und edle Helle eines Lebensendes schauen.


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