Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vll.

Ich zählte also zwanzig Jahre und kannte die Liebe noch nicht. Ich war, ihr bestürzter und zitternder Priester, bis an die Schwelle ihres Bundes vorgedrungen, ich hatte das Götterbild in der schrecklichen Schönheit seiner Brüste gesehen, doch die Messe, das Opfer meines glühenden Blutes blieb mir versagt. Um mich zu demütigen, rühmte man mich um einer Tat willen, die ich nicht vollbracht, und die mir die Manneswürde verliehen hätte, obgleich ein Jeder meiner schlechten Gesellschaft gerade dadurch diese im Innernsten für verloren halten mochte. So erklärte sich ihre Wut, mich in das Haus zu stoßen; jetzt war ich ihnen gleich, Genosse ihres Falls, ein Sünder an der Kirche gleich ihnen. Und ich, der ich mich allein ohne die Sünde wußte, verachtete mich drob um so mehr!

Die Ferien brachten uns auseinander. Meine Mitschüler schienen sich mir gegenüber einer Pflicht entledigt zu haben, und ich konnte jetzt ohne ihre Hilfe im Leben fürderschreiten. Den großen Romain sah ich nie wieder; er war reich und beritt die Pferde auf einem entfernten Gut seines Vaters. Ich kehrte in mein Vaterhaus zurück. Daselbst vernahm ich zu meinem schmerzlichen Erstaunen, daß das Forsthaus verkauft war. Mein Vater hatte wohl von Elisens Tode erfahren und von dem verschmitzten Groll des alten Bauern Angriffe auf seine Geldkasse befürchtet. Niemals dachte ich so lebhaft an das wilde Mädchen. Es wäre für mich ein süßer Kummer gewesen, am Flusse, längs der Weiden zu gehen. Ihr kleiner bleicher Schatten zürnte, daß er so verlassen war. Sie legte den Finger an die Lippen; – war dies ein Zeichen, ihr nachzufolgen? Und ich wußte gar nicht mehr, wie ihr Antlitz ausgesehen hatte. Sie war fern in ein stilles Land entschwebt. Und sie schien mir, von diesem Schleier bedeckt, lebendiger als in meinen Armen; sie lebte ein ewiges Leben wie das Wasser und das Laub. Hatte ich sie geliebt? Sie hauchte um mich nicht anders als der sanfte Sommerwind. Sie war wie eine zarte Flötenweise in der Ebene zerflossen. Tage sind vergangen und du weißt nicht, warum du nur weinst, daß du sie gehört hast. Auch meine Tränen brachen hervor, ich rief in Bitterkeit ihren Namen. Und sie entzückte mich um so mehr, da sie nichts anderes war als diese kleine törichte Laune.

Indessen trug ich die offene Wunde meiner Jungfräulichkeit mit Pein. Wenn mich eine Frau auf der Straße mit der Hüfte streifte, wurden schmerzliche Wonnen in mir wach. Und keine schien des schüchternen und schwächlichen Begegnenden Acht zu haben. Und ich hatte doch noch immer die seidenen federgleichen Lockenhaare wie Troll, die Elise gefallen hatten; aber ich übte keine Anziehung aus; hingegen wandten sich alle Frauen lächelnd nach Romain um. vielleicht gewahren selbst die Keuschesten die Herrennatur, das heftige und entschlossene Temperament des Königs über sie. Ein wunderbarer Sinn, ein Reiz von Unterwürfigkeit verkündet ihnen die Gegenwart des Eroberers. Und ich errötete nur als ein zaghaft bestürzter junger Mann; mein sanfter Gesichtsausdruck ließ meine heftige Leidenschaft nicht durchblicken. Ich verzehrte mich vor Kummer, ein Mann zu sein und seine Freuden nicht zu kennen.

Eines Tages, als mein Vater nichts davon wußte, betrat ich den Bücherraum. Der Zutritt war mir noch stets verboten gewesen; als hätte Papa, in seiner beschränkten Voraussicht, die Wirkung gewisser Bücher auf meine allzugroße Reizbarkeit befürchtet. Er wäre ebenso bezüglich einer Werkstätte gefährlicher Gifte oder brennender Elixire vorgegangen; er trug gewohnheitsmäßig den Schlüssel bei sich.

Ich hatte noch in meinem Leben keinen Roman gelesen. Die »Väter,« gewissenhafte Organe, übten einen strengen Überwachungsdienst bezüglich aller derart verdächtigen Bücher aus. Ich fand, daß mein Vater einen einzelnen Band von »Ritter Faublas« besaß. Weiterstöbernd entdeckte ich noch ein Bündel Abbildungen. Ich erschrak: So schön war die Sünde, die sie mir enthüllten!

Kein im Leben angestellter Versuch hat in mir jemals den wütenden Sturm dieser Bilder hervorgerufen. Es waren teuflisch umeinander rankende menschliche Leiber, üppige Trauben eines Sündenweins. Ich stand wie in einem wahnwitzigen Fiebertraum, der Bogen meiner Sinne war bis zum Zerspringen gespannt, meine Seele wand sich glühend wie ein Eisen unter Hämmern. Mörderische und ach so süße Hände schienen mir die Leisten geöffnet zu haben, prunkende glutenvolle Leiber, üppig schwere Brüste ballten sich, überluden mein Verlangen, erstickten meinen Hunger wie meine Schreie. Mein Mark dehnte sich wie im Todeskampfe, die Nerven knarrten wie Taue um eine Schiffswinde. Es scheint mir unbegreiflich, daß ich nicht an der Unmöglichkeit, nach dieser Schau weiterzuleben, verstarb. Schaum stand vor meinem Munde. Ich litt eine Zeit Folterempfindungen: als wäre ich die Ewigkeit hindurch in eisigen Seen eingefroren; als briete ich lange über einem glühenden Becken; dann sank ich in Nacht.

Als ich das Bewußtsein wieder erlangte, fand ich mich auf den Fußboden hingestreckt und die Stiche zerknittert in meiner Hand. Ich weiß bis heute nicht, welch übernatürlicher Arm mich eine Zeitlang schwebend außer den Marken des Lebens hielt. Ich starb durch Augenblicke den Tod eines Teils meines Ich; ich war ohnmächtig nach der höchsten Steigerung meiner körperlichen Qual. So gingen für mich nicht schäkernde Spiele der großen Enthüllung voraus; sie überkam mich grausam als ein Schwindel. Ich litt die Todesangst meiner Jünglingskrise. –

Ich schleuderte die Bilder von mir: o, daß ich sie niemals gesehen hätte! In diesem Augenblicke verspäteter Rückkehr meines Gewissens fliegen – ich darf daran nicht zweifeln – die heiligen Engel der Barmherzigkeit und des göttlichen Heils zu mir herab. Meine Tränen strömten so heiße Bäche, als hätten sie die unseligen Eindrücke auszugleichen gehofft. Doch badeten und labten sie nur einen Augenblick meine verwundete Seele. Dann faltete ich die Hände und versuchte zu beten. Ich wollte die versöhnenden Worte sagen, die ich als Kind gestammelt hatte, doch meine Lippen waren schon gleich meinem Herzen befleckt. Die Worte der himmlischen Zuflucht erstarben zur gleichen Zeit, da in meinen Augen der sühnende Tau versiegte, die hilfreichen Boten des Himmels entschwanden wieder. Meine Finger, lüsterne Liebediener meiner Schwachheit, fühlten sich tastend aufs neue elektrisiert, vergebens beschwor sie die Erinnerung an die Prüfung, der ich aus Barmherzigkeit entronnen war, meine Blicke wandten sich, wie Verdammte, nochmals zu dem marternden Gesicht zurück. Jetzt empfand ich in ihrer ganzen Stärke die Verheerung des unseligen Fiebers, das sich meiner bemächtigt und mich schon willenlos gemacht hatte. Mit knisterndem Mark sättigte ich meine Begier an dieser unerhört üppigen Küche, leerte ich ihren wilden Glutentrank. Kein tödliches Vitriol hätte mein Blut ätzender mit Flammen entzünden können.

Jetzt versank ich in der Unzucht wie in einem zähen kochenden Moor. Ohne Kampf meiner gelähmten Seele riß ich die hilflosen Engel der Errettung mit in den Pfuhl, auf die Düngerstätte. Und ich erschrak nicht mehr vor der Verdammnis; schon entwaffnete die unreine Freude an der Herabwürdigung, die wahnwitzige barbarische Lust, die zarte Schönheit unwiderruflich zu zertrümmern, all meinen Widerstand und bestärkte mich in dem Verbrechen.

Indessen ward eine Bestürzung wach, goß kalte Ströme in den stürmischen Most: Wie, mein Vater, der würdige Rechtsgelehrte, der angesehene Ehrenmann, dessen Lebenslauf so geachtet war, hatte sich an diesem abscheulichen Wollusttrank geweidet? Seine durstige Begier hatte gleich der meinigen in dieser wahnwitzigen Hexenküche gepraßt? Was ich für heilig gehalten, mein tiefes Gefühl war zerfetzt. Ich sah die Schändlichkeit der Gesellschaft wie eine Krankheit durch ihre vorgehaltene Maske. Sie fraß an den Besten; sie verzerrte die Weisesten. Ich schien durch die gemeine stillschweigende Gestattung von meiner Schuld losgezählt: Mein Schmerz ward nicht geringer, denn ich errötete für Alle. Eine Scham jedoch empfand ich bleibend vor allen bei dem Gedanken an die schändlich aufgedeckte Blöße meines Vaters. Noa wälzte sich nochmals nackt und trunken vom sinnlichen Weine vor mir. So fühlte ich mich in meiner Ehrfurcht, in dem gläubigen Vertrauen getroffen, das gerade von jenem gebrochen war, dessen Beispiel mich vor dem niedrigen Falle hätte bewahren sollen.

Die Luft des Zimmers ward mir unerträglich, wie ein Kirchenschänder entfloh ich dem Ort, dahin mich mein Schicksal geführt hatte. Ich nahm das schlechte Buch mit mir, ich stahl auch zwei der anzüglichsten Bilder. In dem kleinen Winkel, der mir zum Lernen angewiesen war, in den grünen, abgelegenen Schatten des Gartens konnte ich freier die Sünde meiner Augen und meines Geistes begehen. Zuletzt verließ ich die Stadt und vergrub mich irgendwo auf dem Lande. Hier las ich fast ungefährdet die neidenswerten Händel meines teuern Ritters. Ach, wie ich ihn beneidete! Ich weinte vor Bewunderung für ihn wie für meinen Helden, wie einen aufregenden Trank, gleich giftgewürztem Honig genoß ich diese liebenswürdige Nichtsnutzigkeit – sehr gemäßigt, wenn man sie mit der Küche vergleicht, die seither die Geilheit des Publikums gereizt hat, doch die Zeichnungen vor allem waren mir eine Quelle eifriger, stets neuer Wonnen. Sie brachten mich dem Gifte geschlechtlichen Wahnsinns nahe.

Jetzt hätte ich mich selbst verdammen lassen, um einer Mitschuld an dem Sodom willen, dessen Tierfratze aus dieser Unzucht lugte. Ich war der Jüngling nicht mehr, der vor Gottes Verbot gezittert hatte. Jetzt lag die Stadt in der Asche seines Zorns, ein Schleier war zerfetzt; ich hatte die schrecklichen Geheimnisse durchforscht. Die Glut des Bösen in einem neu verdorbenen jungen Geiste ist eine Wiedergeburt der quälenden Begierden der Vorzeit. Sie wiederholt aufs neue die dunkle Leidenschaft, den finsteren Wahnwitz vergangener Geschlechter. Der alte Schmerz greift aufs neue zu seinem Recht; wer könnte zweifeln, daß das Verhängnis in diesem Gewande den Menschen in Bahnen des Leidens einengt, draus er nur durch den Tod entkommen kann.

Ich hatte glänzende und traurige Feste. Ich war der Priester, der sich gewalttätig die Hüllen vom Leib reißt und sich vor ruchlosen Altären niederwirft. Auch ich hatte meinen Kinderglauben geplündert. Ich hatte die Arme gegen die sündige Liebe ausgestreckt und nur Schatten umarmt. Der Hohn der Leere tönte hart nach den Lügen unbefriedigter Verführung ins Ohr. So war die Zeit meiner Einweihung ein schmerzlicher Lebensabschnitt, der mir den Mann enthüllte, zu dem ich werden sollte. Ich empfand ein gemischtes Gefühl von Schande und Stolz, das gleichzeitige Bewußtsein eines sittlichen Falls und einer Entfesselung meiner Kräfte. Denn ich begriff dunkel, daß ich mich ebenso durch die Willfährigkeit dem Teufelswerk gegenüber – befreit hatte.

So absonderlich an Glut meine Reizbarkeit war, ich bin überzeugt, daß ich nicht der einzige bin, der diesen Weg ging. Die falsche Sittlichkeit unserer Erziehung, die Entfernung der Geschlechter voneinander während der Kinderjahre, die traurige Scham, die wir vor unseren Gliedern empfinden sollen, all dies weist uns beständig auf ihn hin. Die Entdeckung eines Buches, eines Kupferstiches genügt, den Sauerteig durch Hefe in Gärung zu bringen. Und in der Qual halben Erkennens und halben Geheimnisses bilden wir uns, blasse Jünglinge, scheinbare Gewißheiten und sehen, von Gespenstern gequält, nur einen Ausweg aus der finsteren Hetzjagd. – Dich, traurige christliche Lehre, klage ich an!

O sanftmütiges, o unschuldig herrliches Menschentier! Mensch in der Kindheit, der du dich an deiner leuchtenden Nacktheit entzücktest und voll großen Staunens die Kraft sich ihr beigesellen fühltest; vollster Klang in dem vollen Klange des Alls! Rein und jung wandelst du in der Morgenfrische der Welt, ein Leib, dessen Gestalt den Rücken der Berge, den Spalt der Schluchten, die kraushaarigen Wälder nachahmte. Sie lagen gleich dir unverschleiert, nackt vor der lächelnden Morgenröte, für den Kuß des Mittags, unter den kosenden Händen der Nacht. Du mußtest dich nicht mit Unruhe über dich selbst quälen, frische und strahlende Kraft, die wuchs, wie deine Augen männlicher aufleuchteten und die sich selbst schrittweise offenbar ward. Glänzend und rein sahst du aus deinem Leben einen freien Gott erstehen, den kein anderer Gott unterdrückte, wie hättest du dich selbst entweihen können, der du an dir nicht irrtest? Deine Liebe war groß und einfach wie jene der Arten unter den Sternen. Und das Tier war in Eden noch nicht eingetreten.

.


 << zurück weiter >>