Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

Ich war frei; ich konnte dem Leben in der Richtung folgen, nach der es mich drängte. Unglücklicherweise hatten mich jedoch meine Lehrer das Leben ebensowenig wie die heilige Schönheit meines Körpers und das weise Glück, das ich aus beiden ziehen konnte, gelehrt. Man hatte mir gesagt: Das Böse liegt darin, ein Mensch zu sein. Fliehe doch eine jede Versuchung der Natur, verbiete dir jede naseweise Regung deiner Seele. Du wirst sie nur dann im Gleichgewicht halten können, wenn du die Organe, (durch welche du an der ewigen Dauer des Weltalls teilnimmst), als unter deiner geistigen Würde befindlich ansiehst.

Später hatte mir mein Vater seinen Entschluß verkündigt: Ich werde aus dir einen Richter machen, da einem solchen, mag er selbst ein pflichtvergessener Verführer sein, schon sein Amt die Achtung der Menschen sichert. – So waren äußere Antriebe an Stelle meines unbeeinflußten Sich-Zurechtfindens getreten. Ich hatte es nicht einmal wie der Wilde, der einfache Waldmensch getan, der seinen Finger benetzt und in die Luft hält, um zu sehen, woher der Wind weht. Jetzt hauste das ›Tier‹, das aus der Scham vor dem Erniedrigenden geboren war, mit Feuer und Schwert in meinem Blute.

Ich war Herr meines Schicksals und unterwarf mich auch weiterhin den Einflüssen einer verfehlten Erziehung, die mich in die Reihe der Wesen ohne Persönlichkeit hinabgestoßen hatte. Ich hätte ein Leben nach meinen eigenen Neigungen leben und mich so für die Kämpfe und Entbehrungen meiner Jugend schadlos halten können. Mein Vater hatte mir ein hinreichendes Vermögen hinterlassen, um auf die Stimme meines eigenen Herzens hören zu können. Statt dessen ließ ich mich, ohne an der abgekarteten Käuflichkeit eines Rechtsuchers Geschmack zu finden, kampflos zu einer Wiederaufnahme meiner Studien bestimmen.

Das Haus war mir als Erbteil zugefallen; ich ließ es unter der Hut der einen der beiden Mägde, die noch meinen Großvater gekannt hatte, und vermöge ihrer langen Dienstjahre einen Teil dieses Hauses selber zu bilden schien. Ich hätte gewünscht, eines Tages eine junge liebevolle Frau, meine Frau, dorthin zu führen. In den alten Mauern des Geschlechtes ward dieser Wunsch, da noch die großen schwarzen Flügel um sich schlugen, in mir wach. Und doch wußte ich bereits, daß mein Vater auf der Schwelle des Hauses mit geschlossenen Läden zusammengebrochen war. Welcher Hohn! Er, der seinen Stolz einzig darein gesetzt hatte, sich mit ernstem keuschen Schein zu umgeben, hatte den Todesstoß öffentlich in einer von rechtschaffenen Leuten verachteten Straße erhalten. So offenbarte sich wieder einmal, wie unser Geschlecht im Grunde dem unseligen Reiz des Weiblichen nicht zu entsagen vermochte.

Auch meine Ruhe war nur von kurzer Dauer; ich sah wohl, daß die Erscheinung des Todes mich nicht klüger gemacht hatte. Es fügte sich, daß ich fast unmittelbar darauf meiner seltsamen Mitreisenden wieder begegnete; sie war stets in Schwarz gehüllt und ihr Gesicht unter dem Schleier verborgen. – Sie wohnte also in derselben Stadt.

Wir wechselten jedesmal einen Blick, ohne daß sie von ihrer Seite eine Spur von Anteilnahme gezeigt hätte. Sie schien unsere durch Zufall immer wiederholte Begegnung wie eine vorausgesehene doch nicht beachtenswerte Tatsache hinzunehmen. Ich hingegen fühlte mich immer wie magnetisch hingezogen und empfand bald die Qual jener ersten Begegnung nicht mehr. Statt dessen brachte mich eine schwere beklemmende Angst, der Gedanke an ein Schicksal außer sich, das diese Vorüberwandelnde mit den dunklen Tiefen meines Lebens verband. Ich dachte daran, daß die Nerven eines überaus empfindlichen Wesens im voraus von der Ahnung einer unausweichlichen Ereignung ergriffen würden.

Ich traf sie also binnen Kurzem ziemlich häufig und wurde jedesmal durch ein unerklärliches Gefühl davon abgehalten, ihr zu folgen, wenn sie mir im letzten Augenblicke in einem Wagengewirr oder einer kleinen Menschenansammlung entschwand. Ich wollte an eine lenkende Hand denken, um diese sich stets wiederholende Willensschwäche vor mir selbst zu rechtfertigen. Ich erfuhr also nicht, in welchem Haus sie wohnte; sie blieb für mich die gleiche rätselhafte Erscheinung, als die sie aus dem Unbekannten aufgetaucht war und die zuletzt wieder darin untergehen würde.


 << zurück weiter >>