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VI.

Einer nach dem anderen gingen die Mitglieder unseres Knabenkränzchens »das Haus« besuchen. Romain selbst führte sie der Reihe nach dahin und hatte den Vorsitz bei ihrer Einweihung. Er fand eine Art Ursache zur Selbstgefälligkeit darin, sie mannbar zu machen, und sie schienen ihrerseits vollkommener und in der eigenen Schätzung gestiegen zu sein. Sie trugen entschlossene Geberden zur Schau, auch ihre Stimme war voller geworden. Ich beobachtete, daß fast alle, wie vor ihnen Romain, aufhörten, von ihren Schwestern zu sprechen. Die Bekanntschaft mit der Liebe schien sie die brüderliche Achtung gelehrt zu haben.

So elend die Art war, in der sich ihnen das Geheimnis enthüllte, so bestanden sie dennoch vor seinem heiligen Sinn als vor einer gottesdienstlichen Handlung, einem Opfer auf den Altären des Lebens.

Diese jungen, von ihrer Mannbarkeit betörten Männer, deren Blut gärte, glichen jenen Barbaren, die in die Tempel stürmten, um die Götter zu beschimpfen, und statt dessen ergriffen vor ihren hohen strengen Bildern standen. Jetzt schämten sie sich ihrer Liebesproben mit den jungfräulichen Genossinnen. Ein Zug Geringschätzung jener unwissenden Färsenkeuschheit gesellte sich zu ihrer Zurückhaltung. Ihr Neulingstrieb reichte die Palme den reifen Dirnen, der Würze ihrer lusterfahrenen, gebeizten Leiber.

Die Sache nahm gegen das Ende meiner Schulzeit folgenden Verlauf. Geschmäht, unter dem Klein- und Kreuzfeuer meiner Genossen, klagte ich endlich die Natur an. »Nachdem Romain und alle übrigen nach Romain dies getan haben, so liegt«, so sagte ich mir, »der Grund dafür, daß du es nicht unternimmst, in einer dir innewohnenden Schwäche, die dich von den anderen unterscheidet.« – Und dennoch war ich unter gewöhnlichen Lebensumständen weder feige noch unentschlossen. Ich schlug mich einst wegen eines geringfügigen Streites mit einem Erwachsenen; es gab drei Ausfälle; unser Blut floß aus Schmarren, und der Große gebot zuerst Halt.

Allein vor dem Gedanken eines nackten Frauenleibs war ich schwach wie ein Kind. Sie hatten mir wohl versichert, daß die Handlung kurz und einfach sei. Doch ihr Schleier, das rächende Verbot der Kirche, und auch die Furcht vor dem Brandmal erregten mich schmerzlich. Jene hatten sich wenigstens, bevor sie in das Haus schlichen, in heimlichem Lehrlingsstand versucht. Sie hatten so ein Stück Erfahrung erworben, was den Schritt für sie weniger angstvoll machte.

Nach mancherlei peinlichen Wortkämpfen fiel endlich mein Widerstand. Es war selbstverständlich, daß mir Romain wie den anderen den Freundesdienst tun würde. In der Regel kamen nach dem Dienste die Genossen zusammen und feierten die Hingabe der Erstlinge in der Art eines antiken Opferfestes. Doch ich hatte mich jeder Kundgebung widersetzt und Romain versprach mir Schweigen.

Es waren fünf Mädchen daselbst, und eine sehr dicke mit straffer weißer Haut unter der Schminke hieß Eva. Sie wurde fast immer von Romain zur Einweihung gewählt und versah das Amt der Priesterin in diesem schwelgenden Knabenkultus.

Sie ging also mit mir in das Zimmer hinauf und lachte; doch ihr Lachen ermutigte mich eher. Ich war sehr bleich, meine Nerven peinigten mich, und dennoch sprach zu mir ein überschwängliches Hoffen auf Glück, auf Befreiung. Indessen war ich meiner Kräfte so wenig sicher, wie vor einer schrecklichen Naturerscheinung. Sie entkleidete sich bis aufs Hemd und schloß fast zärtlich ihre Lippen an die meinen. Auch Elise hatte sie wie eine Frucht ausgesogen. Allsogleich erstarrte ich, ich glaubte, mein Herz höre zu schlagen auf, doch stieß ich sie nicht von mir, ich lag an ihrer Brust wie ein leblos Ding.

»Mut, Kleiner«, sagte sie, »mein Lieber! Es ist nur ein Augenblick zu überwinden.«

Jetzt sprach dieses Mädchen mir fast mütterlich, wie einem Kinde beim Zahnarzt zu. Und sie küßte meinen Mund nicht länger, nein, jäh und leicht meine Wangen und meinen Hals; sie blies mir lachend, schmeichlerisch einen Hauch Leben in die Blicke. Sie übte die milden Werke einer ›Schwester‹ der Freude. Es trat eine Wendung ein, mein Leib wurde von schrecklichen Stößen erschüttert, ich zitterte, schluchzte, und meine Seufzer gingen in ersticktem Schrei unter. Ich verlor das Bewußtsein.

In dieser tiefen Bestürzung regte sich auf einen wunderschönen Augenblick in ihr die Liebe. Sie küßte meine Lider, nahm mich in die Arme und barg mich wie ein Kind an ihrem großen Busen. Sie sprach zu mir: »Sei still, ich liebe dich darum nicht minder, mein Püppchen. Nicht alle finden gleich Geschmack daran.« Und dennoch war sie nur eine Dirne, eine Magd der wohlfeilen Freuden, doch weiß ich nicht, welch zärtliche Anmut, welches Winkelchen harmloser Frische ihr ihm Grunde ihres Herzens verblieben war.

Die heißen Zärtlichkeiten, mit denen sie mich überschüttete, die Sanftmut ihres Liebens flößten mir neues Leben ein. Ich umschlang sie, ich zog ihren Kopf heran und biß jetzt wütend ihre Lippen. Alle die Geschlechter, aus Weltaltern kommend, der große Strom des Lebens flutete in dieser überirdischen Minute. Herkules liebte Zole nicht größer. Und nun schrie sie unter mir vor Lust auf.

Die Zeit verrann, lange Zeit ohne Zweifel; ich hatte den Eindruck ihrer Dauer verloren. Da drang ein dumpfer Lärm von der Treppe herauf, die Tür ist eingeschlagen, und ich sehe, johlend, Romain und die ganze Horde erscheinen, sie schneiden Gesichter und führen einen Mummenschanz im Zimmer auf. Alle riefen: »Da ist er, Hurra!« Sie hatten die Decke angefaßt. Doch dieses Mädchen zog sie in einer seltsamen Anwandlung von Scham bis an unser Kinn. Ich flüsterte ihr eilends: »Du siehst, ich kann nichts dafür. Ich komme gleich.« Ich wollte mich im Hemd aufrichten, um jene aus dem Zimmer zu jagen; sie aber plünderten, von Grog trunken, das Bett und bewarfen uns mit den Kissen: Ich war nur eine leblose Sache in ihrem Handgemenge. Jetzt lachte die tote Liebespuppe, die wieder die derben Freuden ihres wahnwitzigen Lebens genoß, mit ihnen. Ich allein litt tödlich wie unter einer Entweihung; als wäre mein Ich auf schimpflicher Tat ertappt, nackt auf die Straße gezerrt.

Endlich lachte ich auch stumpfsinnig und gab mir den Anschein, fröhlich meine Rolle in dieser groben Posse zu spielen. Wir schienen alle in diesem Augenblicke das gleiche Gefühl zu teilen; was sich hier in unserer Vorstellung malte, war eine unflätige Opferung, ein fröhliches Entsagen der Reinheit meiner jungfräulichen Sinne, die Freude an einer niedrigen Befleckung.

Alle hatten diese lächerlichen Bräuche auf sich genommen und man hatte zum Schluß auf ihren männlichen Mut getrunken. Ich wagte nicht, die Wahrheit zu gestehen und mußte die Schmach über mich ergehen lassen, für einen Sieg, eine Heldentat oder eine Jüngerschaft gefeiert zu werden.

Heute, wo ich daran ruhig denken kann, bin ich davon überzeugt, daß auch dieser Fall, der Natur ins Gesicht zu schlagen, dieses Belachen des rührendsten und zartesten der Weltgeheimnisse, auf unseren großen Irrtum der Gegenwart hinweist. Ein junger Mann entschließt sich selten, allein in die heimlichen Tempel des Priapusdienstes einzutreten. Stets wird er dort von Freunden eingeführt, die ihre Weihen wieder von Dritten empfangen haben. Auch euch, die ihr dieses leset, brachte man dorthin wie auf eine Bahn, drauf ihr eure jungen, euch zu Kopfe steigenden Manneskräfte erproben solltet. Und ihr tratet ein, um euch frei zu machen, doch ihr verließet das Haus mit Scham und Verachtung für euren Leib. Und seither war die Liebe in eurem Geiste entweiht.

Die großen Heiden, die die unbefleckten Gleichnisse des Alls verehrten, achteten sich nackt als vollkommensten Ausdruck der Schönheit. Sie bauten das Frauenhaus neben dem Ringplatz; gleichwohl kannten sie die keuschen Götter. Doch man hat sich geeinigt, daß das Heidentum die große Schule der Unsittlichkeit gewesen sei. Als die Kulte Asiens den hohen Gottesdienst der einfachen Hellas verdarben, waren die Seelen reif für den Wahnwitz, und Jakchos, Atis, Adonai hatten schon Jesus vorbereitet. – Jungfräulichkeit! Spitzfindige und verderbliche Vergötterung des Jungfrauenschoßes! Hier lag das Übel, dies war für immer die Sünde vor dem ewigen Gott.


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