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IX.

Ich nahm feige dieses Leben hin, ich dachte nicht einen Augenblick daran, mich ihm zu entziehen. Sie war die Magd verworfener Werke, sie kannte alle teuflischen Klügeleien des Vergnügens; sie erfand allmählich neue, um meine ermattete Begier zu befeuern. Dennoch verdiente sie im übrigen ihren guten Ruf weiter. Sie empfing in anständiger Weise eine kleine Damengesellschaft; die Männer achteten ihr lügnerisches Witwenkleid. Dieser Anflug von Ehrbarkeit war für meine krankhafte Lust nur eine Würze und machte sie mir noch kostbarer, wie einen gestohlenen und geschändeten Kirchenschatz. Sie willigte niemals ein, sich mit mir öffentlich in den Straßen zu zeigen oder umgab sich wenigstens, wenn wir Zusammenkommen wollten, mit den kleinlichsten Vorsichtsmaßregeln. Eines Tages verlangte sie lachend, daß ich sie jenseits der Wälle erwarten sollte. Ich kannte den Grund dieses Lachens nicht. Sie schritt kurze Zeit in der einsamen Ebene vor mir her; die letzten Glocken verstummten nacheinander von den Stadtkirchen. Und endlich ergriff sie meinen Arm und führte mich in ein dichtes Gehölz. Ich fühlte, wie ihre Hüften in der Nacht bebten. Auch ich empfand jene Schwüle, die mir den Blitz verkündete, so wie die Blätter kalt und leicht zusammenschrumpfen, wenn unter einer niederhängenden elektrischen Wolke ein Hauch des Gewitters durch das große Schweigen fegt.

So war ich plötzlich krank nach ihrem Leibe. Sie sagte befremdend: »Warte einen Augenblick hinter diesem Baume.« Dann war sie verschwunden; ich hörte nur, wie ihr Kleid über das Moos rauschte. Endlich kam sie zu mir zurück und war nackt, im Stolze ihrer Schönheit unter den Sternen, wie ein Mädchen aus dem jungen Alter der Welt, ein Fabelwesen an den Wassern.

Das waren in dem Geheimnis der Stunde und dieser feierlichen Natur unbekannte Götter für mich! Ich war selbst ein Mann der Urzeit, da die Welt als reizvoll unschuldiges Eden entsprang. Und ich »lustwandelte des Abends im Garten« Es schien mir, daß ich meine Geliebte noch nicht gekannt hätte; ich schritt durch den Wald, die Adern vom Verlangen nach dem Weibchen geschwellt, und spürte nach dem Gerüche der Waldnymphen, der die Liebe erregt. Ein Jäger mit klopfendem Herzen, kam ich von den Zelten meines Stammes. Und im hellen warmen Lichte der Sterne stand plötzlich das Wesen mit den weißen Brüsten und dem langen, seidenweichen Haar vor mir.

Ja, es war ein unerhörtes und beklemmendes Gaukelwerk: das Erblicken der ersten Frau, die gleich mir von ihren Stämmen unter dem zitternden Laub, auf dem Wege der Liebe kam. So führte mich Aude in eine neue Schönheit ein, wo ich plötzlich ein Anderer war, wo ich mich mit dem Leben des Alls und den Gestirnen eins fühlte, wie zu den Zeiten, da die menschlichen Wesen nackt gingen und noch von Städten nichts wußten.

Jetzt wußte ich auch, daß sie von den tierischen Weibchen, den zottigen, brünstigen Faunen und Schwestern der Tiere des Waldes abstammte, zu welchen zur Liebeszeit die Ahnen meines Geschlechtes gekommen waren. Sie war die Hündin, die Wölfin, die um die Sümpfe kreiste. Sie rief das Männchen mit dumpfem Heulen zur Liebe; sie war die Kraft der Brunst, der Begattung, die ewig und unzerstörlich wie die Säfte und der Stoff war. Und so in dieser Waldesnacht wandelte mich ein heiliger Schrecken, eine einfache Dichteranschauung des Menschlichen an, die mit meinen Gedanken eines lange Zivilisierten aufräumte, als müßte ich jetzt niemals mehr vor der Nacktheit der Arten, des Erschaffenen erröten, als wäre mein Wissen zum Urquell, bis zu dem Geheimnis der Fortpflanzung vorgedrungen.

Aude schritt, ewig und wunderschön wie die Sinnenliebe, die Mutter des Künftigen, in dem blauen Zittern der Nacht vor mir. Dann küßte ich in ihrem Busen, in ihren Haaren den Duft des Lebens, der Erde, der Rinden und des Abendtaues im Walde; ich empfand den gebeizten Geruch der Tiere, der aus ihrem Atem stieg. Und endlich umfing ich sie ganz in meinen Armen, wie die Erde selbst.


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