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XXVI.

Aude gab mir ein Zeichen. So blitzschnell, wie ihre Kleider gefallen waren, stiegen sie wieder in die Höhe und bedeckten sie. Als ob ein Trugbild die Anwesenden gleich mir gehetzt hätte, schien sie das Geheime ihrer Schönheit unter Schleiern, die sich nicht entfaltet hatten, bewahrt zu haben. Nur Einer der Trunkenen erhob sich taumelnd und erklärte, daß die Flammen nach einem solchen Schauspiele nicht mehr die Nacht zu erhellen würdig seien. Es war ein Künstler; doch die Frauen schrieen: »Die Maske herunter!« Sie fuhren, wie Mänaden, mit geballten Fäusten durch die Luft. Eine Verwirrung herrschte: ich warf einige Stühle um, um unbemerkt auf die Treppe zu gelangen. Aude war mir schon zuvorgekommen. »Fliehen wir! Fliehen wir!« Ihre Röcke wirbelten wie die Schwinger eines Nachtvogels. Wir bargen uns wie zwei Spießgesellen nach einer unsauberen Zusammenkunft. Ohne den Kopf zu wenden, rasten wir durch die Schatten der Straße, die schon der trübe folgende Tag bleichte.

Der maßlose Alkohol, den ich hinuntergestürzt hatte, ließ eine trübe selige Erschöpfung in mir zurück. Kalter Schweiß rann über meinen Rücken; ich konnte nicht verhindern, daß meine Zähne wie im Fieber zusammenschlugen. Ich glaubte einem Nachtalb, einer Sippe von Gespenstern, den Greueln eines Menschenopfers entkommen zu sein. Aude preßte sich leidenschaftlich an meine Seite. Wir hatten noch keines zu dem anderen gesprochen, als ob nach einem solchen Geschehen keine Worte den Schacht des Stillschweigens überwölben könnten, in dem ich mich dem Tode, sie selbst sich vielleicht ihrem Leben näher empfand.

Ich erinnere mich, daß ein Schlüssel in einem Tore gedreht wurde. Doch erst als ich beim Schimmer einer Kerze auf mein Bett fiel, erkannte ich, daß ich mit ihr zu Hause war. »Nein, nein«, rief ich sogleich, »kein Licht. Das Licht braucht unsere Gesichter nicht mehr zu bescheinen!« Ich hörte, wie sie leise lachte, dann nahm sie im Dunkel der zurückgeschlagenen Vorhänge meinen Mund in den ihren. Ich rang nach Atem; ich brach in Schluchzen aus; ich hatte ihr meinen Mund entzogen, ich drehte mich und beschimpfte sie und weinte in das Kissen: »Aude! abscheuliche Aude! Pack dich! Alles ist zu Ende.« Ich hatte mich noch nie in einer solchen Verzweiflung befunden. Ich war wieder empfindlich wie ein junger Mann vor der abstumpfenden Wiederkehr des Fehltrittes. Wenn es ein Gleichmaß nach dem Tode gibt, wo sich erlittenes Übel und Absicht gegen einander abwägen, so muß wohl das Übermaß meines Schmerzes in dieser Stunde ein gut Teil meiner schweren Vergehungen ausgewogen haben.

Ich schlug mit der Hand in die Kissen. Ich schlug meine Stirne an die Wand, die Stirne, die sich unter die Füße des Tieres gebogen hatte. Ich hätte gewünscht, mir die Augen ausreißen und so die greuelvolle Entweihung der Liebe in ihnen vernichten zu können. Tiefe Finsternis umhüllte uns beide, sie war das Zeichen meiner Verlassenheit, wie die geistige Nacht, in der schon meine Seele untergegangen war. Und endlich verlor ich mein Bewußtsein, sank in die Schatten der Ohnmacht.


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