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VI.

– Geheime sich verbündende Strahlen reifen, ohne daß wir ihrer gewahr werden, die Ereignisse des Lebens. So daß wir einer gegen den anderen nur die Figuren eines Schachbrettes sind, das ein unwiderstehliches Gesetz für die letzten Stellungen vorbereitet. Wir wissen nicht, wohin wir gehen; doch jene ewigen Gesetze wissen es für uns und wir können keinen Schritt tun, der nicht, als von aller Ewigkeit vorgesehen, uns einem anderen, uns Entgegenkommenden nähern würde. Und alles geschieht höchst einfach, ohne daß die Ereignisse, von denen das Bedeutendste unseres Lebens abhängt, darum weniger die abgrundtiefen und kaum greifbaren Vorbereitungen für ein uns dunkles Ende wären. Dennoch sind diese letzten mit ihren unendlichen Verästelungen, mit denen sie die einander fernsten Zeiten verbinden, unser einziges wahres Sein. Nichts ist ohne sie möglich, und was endlich geschieht, hat sich bereits in den gleichwertigen Ahnungen der Freude und des Schmerzes im voraus verkündet.

Es bedurfte des Ungestümes meines Geschlechtes in mir, seiner Erhöhung durch eine heuchlerische, äußerlich sittenstrenge Lebensweise, meiner krankhaft gesteigerten Eigenheiten, der Marter und Wollust einer weiblichen Annäherung und nicht bloß dieser inneren Ursachen, sondern auch des heftigen Unfalles meines Vaters und meiner überstürzten Abreise, damit wir, ich und jenes Weib, von entgegengesetzten Wegen, und ohne uns jemals anders als in den ›Zufallsspiegeln‹ der Vorherbestimmung erraten zu haben, zur ebenfalls vorherbestimmten Stunde zum Stelldichein erschienen, das von Anfang der Zeiten her für uns festgesetzt schien. Und endlich fand sich die allergewöhnlichste und doch zugleich außerordentlichste Begegnung – doch wir hatten noch kein Wort zueinander gesprochen. Gleichwohl lenkte eine Hand eine jede Bewegung, die ich aus freiem Willen zu machen glaubte, und spann die Maschen meines Schicksals.

Darum überwarf ich mich mit meiner Tante wegen ihrer Kleinlichkeit, die im Alter noch zugenommen hatte. Es war eine scheinbar unbedeutende Veranlassung, die mich eine andere Wohnung zu suchen zwang und so eine für mein Leben entscheidende Bedeutung gewann.

Es fügte sich, daß ich mich, da ich meine Bücher und Habseligkeiten übertragen ließ, plötzlich auf dem Treppenabsatz meiner Unbekannten gegenüber befand. Ich fühlte, wie mein Blut stockte; sie grüßte mich mit einem leichten Kopfnicken zuerst. Ich hätte meinen Fuß nie wieder in dies Haus gesetzt, wenn sich nicht meine Kleider und Bücher schon darin befunden hätten. – Doch dies ist eitel Einbildung; ich wäre dahin zurückgekehrt, da sich mir der Sinn meines Lebens dort enthüllen sollte.

Als sie sich mit Mühe zwischen den Kisten hindurchwand, entschuldigte ich mich und gab meinem Erstaunen Ausdruck, sie unter so besonderen Umständen wieder anzutreffen.

Sie gab keine Überraschung kund, sondern sagte ruhig mit ihren seltsamen unbeweglichen Gesichtszügen: »Aber das ist nur ganz natürlich; ich wohne in dem Stockwerk über Ihnen.« Keine Frau machte sich weniger Auslagen, mich zu gewinnen. Und ich gehörte ihr schon mit all dem wilden Wahnsinn meines Blutes.

Nichts war also weniger romanhaft als diese Entscheidung; Alles, was vorherging und sie unausweichlich machte, war das einzig Geheimnisvolle daran. Ich betrat die Kreise dieser Frau, wie sie selbst zur Stunde, da ich zu meinem aufgebahrten Vater fuhr, erschienen war. Wir waren eins wie das andere von Ereignissen gelenkt, die uns einander näherten und so die bewegenden Kräfte unseres Lebens wurden.


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