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XVII.

Ich verwechsele das Tier mit dem sinnlichen Wesen nicht. Das Tier war nicht in Eden, es entsprang erst spät dem Schoße der Geschlechter, die die Unschuld eingebüßt hatten. Schon damals, als ich Elise unter den Bäumen erblickte, war ich nicht mehr das unbewußte Kind. Sie erschien mir als begehrenswerte Sünde. Sie aber war der Natur viel näher als ich. Wenn ich dem Verlangen nachgegeben hätte, hätte ich vielleicht wieder an den Fluß zurückkehren können. Das kleine wilde Tier hätte mir ernste warme Freuden gespendet. Es hätte mich die einfachen Wonnen gelehrt, die ich seither nie wieder gekannt habe.

Ein frisches Idyll verfolgt mich zuweilen. Ich sehe das Haus nahe am Flusse, mit seiner milchweißen Tünche, seinem Dach von rotleuchtenden Ziegeln. Ein Weinstrauch umspinnt seinen Osten. Und Leute kommen vorbei, fragen, bewundern durch die geöffnete Türe die ruhige Ordnung, das herzliche Aussehen der Zimmer. Eine Uhr schlägt langsam und verweist den Tod. Der Mehlkasten ist voll köstlichen Brotes, das Saat und Ernte erzeugt haben. Und jene, die vom Flusse kommt, ist meine liebe Elise selbst, die in Tätigkeit und Ausdauer keiner Magd nachgibt. Das Wasser schäumt silbern an ihren rüstigen Armen auf. Sie ist nicht mehr dasselbe magere und traurige Mädchen, das mir weh tat, als es meinen Mund preßte. Sie spiegelt in ihren Augen die Sanftmut der grünen Weiden, der fließenden Wasser, des regengewaschenen Himmels wieder.

Ich nähere mich der Schwelle, ich blicke hinaus auf die Felder, ich lebe mit den Menschen in Frieden, und ich wünsche nichts zu diesem bescheidenen Glücke. Aude hat nie über die Gartenhecke kommen können. – Das sind liebenswürdige Bilder. Der Alte ist nicht über den Wald hinausgegangen; er lebte – so herzlich liebte er die Erde und die Schlichten – immer in der Nähe der Dörfer. Wenn er sich an ihrem Herd trocknete, fühlten die Frauen die Nähe ihres starken guten Herrn. Er nahm sie auf seine Knie, sie liebkosten ihn entzückt; er war der Arbeiter in dem Weinberge des Lebens. Auch er hatte der Natur wie die Hirten, der Holzhacker, wie der Fischer am Flußufer, wie der Stier im Gehege, die Arten, die beim Mondenlichte kreisen, nahe gestanden. Er liebte die hübschen vertraulichen Kinder und die reifen Frauen, den Frühling und den Herbst des strahlenreichen Obstgartens der Sinne. Er war Elisens Vater. Gesegneter Greis aus den glücklichen Altern der Erde! Dein freies Herz schlug, wie die Wiese unter dem Tau kocht und dampft, wie die Furche zur Saatzeit. Das Werk des Fleisches war für dich das Jagdglück, das der alte Silvan ins Holz schnüffeln ging. Du trugst das ganze Göttervolk der Waldnymphen und des lockeren augustlüsternen Ziegenfußes in dir. Ich habe der Stimme des Mannes kein Gehör geschenkt. Nur einmal öffnete sich der grüne Wald, doch der Tod legte seinen Finger auf den Mund der Liebe. Ich kannte das Paradies erst, nachdem Eva daraus entschwunden war.

Das Tier! Das ist die Kreuzigung und ihr Nagel. Das ist der gallengetränkte Schwamm. Ich bin davon zu Tode verwundet. Alles Übrige heißt nur der Natur und ihrem vernehmlichen Rate gehorchen. Alles Übrige ist göttliche Ordnung, wie die Quelle rieselt, der Fluß aber zwischen den Bergen rollt.

»Liebet euch in eurem Stoff. Sänftigt darin den Sommer eures Herzens, den Herd, der der Mittelpunkt des Geschöpfes und der Welt ist. Das gleiche Gesetz der Verbindung lenkt übereinstimmend das Weltall und den Menschen, der nur ein Brennpunkt von dessen Schönheit ist. Doch laßt das Fleisch dem Fleische nicht zum fruchtlosen Kampfspiel werden, in dem der Sinn der Umarmung verloren geht! Mag es dem Wasser gleichen, das an sein Ende läuft, und doch weiß das Wasser nicht, wohin es geht, und der Wiese vor der Ankunft der Herde, da nur der Hirt weiß, daß sie erblühen wird. Daß es sich nicht zu frechen Werken locken, noch von dem Wunsche peinigen lasse, sich über die Grenzen, die ich seinem Freudengarten gesetzt habe, hinaus zu erkennen! Dahinter lauert die schreckliche Wüste, voll vom Geheul der Wölfe.«

So sprach am Anfang die Stimme. Doch der Mensch ward alt und verachtete die jungfräuliche Liebe, wie sie Gott wollte. Aus der Tiefe seines Wesens stieg ein neues Chaos, der Wächter der Vorhölle, eine Geburt von Blut und Feuer hervor. Das Element brüllte, von einer unreinen Kraft getrieben. Der Abgrund öffnete sich aufs neue und spie schlammige Lava aus, um den Menschen umzubilden. Widrige Mischungen entstanden: die liebenden Paare sahen den Himmel nicht mehr. Die Liebe brüllte wie ein Stier, sie schnaubte mit dem Rüssel einer Bache, rasend wie ein brünstiger Bock. In ihrem Wahnwitz verschmähte sie den zarten feierlichen Kuß, die feuchte Verzückung glänzender Augen und Lippen. Sie war nicht mehr die Vermählung, unter Blumen und Bächen, des Stoffes mit dem Stoffe, nicht mehr die tiefe Freude, sich eins mit dem Gesang der Sterne, ein Abbild der großen glücklichen Eintracht der Welt, selbst göttlich und ewig, zu den Sphären entrückt zu fühlen. Heuchlerisch und hinterlistig geworden, suchte sie ihresgleichen, die Nacht, wo die Seele nicht mehr die Seele erblickt, wo traurige schmerzliche Schatten irren. Nach unmöglichem Erkennen hungernd, wollte sie die Grenzen duldender Wollust überschreiten. So streute sie selbst ihren Samen ins Leere. Weit voneinander an den Enden der Erde verloren, suchten sich die Geschlechter und fanden sich nicht mehr. Was sie erfuhren, war nur noch die düstere, einsame Gewißheit, sich selbst in einem fremden stummen Kampfe geliebt zu haben.

Das ›Tier‹ im Menschen ist ein anderes als die unbewußte Brunst der Tiere. Es ist bis zur Tiefe der großen Katzen, des Schakals und des Widders verkommen. Doch besitzt es nicht ihre unberührte wilde Größe. In der Tiefe des ›Tieres‹ gibt die Vernichtung Gesetze: eine jede solche Paarung ist ein Gemetzel, darin zwei von Gott stammende Seelen einander hinschlachten. Sie lieben einander nicht mehr; sie sind nur der galvanisierte Stoff, ein willenberaubtes Zittern, das durch ihre Glieder geht.

Das alles empfand ich mit Gewißheit in den lichten Stunden, die unseren Orgien folgten. Es war ein bitterer Nachgeschmack jenes Todes, den ich von den Lippen und der Brust Audens geküßt hatte. Es war mir, als wäre fröstelnd ich selbst dem Grabe entstiegen, als hätte ich einen Tag im Unterirdischen verweilt. Umsonst dachte ich, daß wir uns vereinigt hätten, wir blieben weiter als durch Meere voneinander getrennt. Und jetzt hatte ich auch meinen Glauben eingebüßt; ich sah die himmlischen Helfer nicht mehr.


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