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XV.

Einst nach dem Lesen eines Buches, das in mir das Bedürfnis nach Bekenntnissen und Mitgefühl erweckt hatte, gestand ich Aude die Trübsal meiner lieblosen Kinderjahre. Ein schwesterliches Wort von ihrer Seite hätte das Unrecht meines Lebens wieder gut gemacht. Sie aber fragte mich, welches Weib zuerst das Gefühl der Liebe in mir wachgerufen habe. Ich erzählte ihr die Geschichte Elisens, und die Erinnerung an die Hingeopferte bedrückte mir dermaßen das Herz, als ob die kindliche Tote mit dem Geheimnis auf ihren Lippen vor uns getreten wäre. Aude hörte mir ruhig zu und sagte, als ich am Ende war: »Sie hätten sie in das Gras werfen müssen!« – Romain hatte es gleich ihr gesagt. – Ich empfand in diesem Augenblicke so lastendes Weh, als hätten rohe Hände das Leichentuch verzerrt, darauf mein wildes Liebchen gebettet schlummerte.

O, ich kannte nur zu gut jenen stummen Krampf ihres Lachens, das aus der Brunnentiefe ihres Wesens gleich einer Luftblase dort, wo ein Mensch versunken war, auftauchte und platzte. Ich kann nicht sagen, daß eine grausame Absicht vorlag, doch fühlte ich alles Schöne in mir wie von einer stählernen Egge zerrissen. Ich sagte traurig: »O, diese war mehr wert, als alle deinesgleichen. Schone den unverstandenen Schmerz, der sie in das Wasser trieb!« Sie schien nicht zu verstehen, was ich sagen wollte.

Indessen vergaß ich dies wieder und offenbarte ihr hie und da ein reines Gefühl angesichts des Lebens oder der Natur. Ich ließ mich sogar von meinem unvernünftigen Verlangen, mein Bestes mit ihr zu teilen, so weit hinreißen, daß ich ihr Verse von Dichtern, herrliche klangvolle Werke, mitteilte, bis ihr Hohn, die Verachtung oder ich weiß nicht welcher Ausdruck ihres beschränkten Tierhochmuts meine Ergüsse immer wieder zu Eis erstarren ließ. Der Himmel brach über mir ein, ich fühlte an dem Abstande zwischen uns beiden, welche Schranken der Erniedrigung ich zwischen mich und meine Seele setzte, da ich dem Geist entsagte. Ich verachtete sie in diesen lichten Zwischenräumen so tief, daß man hätte glauben müssen, ich würde nie mehr ihren Mund küssen.

Dennoch brauchte sie den meinen bloß mit ihren Lippen zu umfangen, und mein Abscheu war dahin. Ich blieb, von ihr umschlungen, trübselig und erstarrt wie die kleine, von Polypenarmen ergriffene, Beute. Ich empfand zuletzt den selbstvergessenen Durst, mich freiwillig hinzuopfern. Ich vergaß jede höhere Hoffnung und schied mich von mir selbst wie von einem verlorenen Paradiese.

Auf unsere Wollust folgte schreckliches finsteres Ermatten, in welchem wir uns fern blieben, und meine von ihr mißachtete Seele aufs neue blutete. Auch sie kannte nach der Anspannung nur den unbegrenzten traurigen Stumpfsinn des Tieres. So blieben wir lange wie tot, als ob wir uns beide erschreckt am Rande eines Abgrundes erkannt hätten. Ich war in meiner Kindheit, in den Tagen meiner verschlossenen Verliebtheit, nicht einsamer gewesen.

Ich sagte ihr einmal: »Geliebte, du kamst und ich liebte dich. Und doch werde ich dich niemals kennen. Ist das nicht todtraurig? Ich sehe dich an, ich blicke bis in die Tiefe deiner Augen und doch weiß ich nicht, was für ein Weib du bist. Ich dürste nach dir und du bietest mir keinen Trank. Ich poche an deine Türe, die du mir nicht öffnest. Kein Weib ist schöner als du, und dennoch lebst du nicht.«

Ich hatte ihr Gesicht in meine Hände genommen und forschte. Ich stieg in ihren Blick, wie in einen Brunnen; doch er war leer. Sie schien ihren Augen und sich selbst abwesend zu sein. Ihr herrlicher Körper erglänzte warm wie ein fettes Erdreich, gleich Garben im Felde an einem Augustmittag. Ein roter Strom lief unter ihrer Haut und schwellte die Brüste. Ihre brombeerduftigen Haare zitterten wie ein Strauch im Sonnenlichte, wie das Laub hoher vom Feuer ergriffener Bäume. Sie hatte den tiefen dunklen Schoß erntereifer Schollen; doch sie war der Tod selber, wie die alten in Steinkohlen verwandelten Wälder, wie eine Grube.

»Aude, die du vielleicht nur entschlummert bist, erwache, daß ich endlich weiß, was für ein Weib du bist!« Ich hatte Tränen wie ein betrübtes leichtgläubig gewesenes Kind im Auge. Ich war wie der Knabe der Erzählung in einen Wald eingedrungen und hatte an die Bäume mit dem Ruf geschlagen: »Wenn jemand hier ist, so werde ich ihn wohl zu zwingen wissen, daß er sich mit mir messe.« Jetzt aber hatte ich das edle Verlangen nach einer treu sprudelnden Quelle im dichten Zauberholz. Und so küßte ich sie immer wieder, rief sie und spähte in den Grund ihrer Augen, ob nicht endlich ein Lebenswellchen darin rieseln würde. Auch sie streichelte mich mit ihren schlanken Händen. Es war am Abend in meinem Zimmer. Ein Frühlingswind, die Kühle der Schatten strömte vermengt mit dem Duft der fernen Gärten zu uns. Meine junge Leidenschaft hätte die verholzten Rinden erweicht, aus eingetrockneten Becken einen frischen Strahl springen lassen. O, daß nur eine Träne von ihrem Lide getropft hätte! Mattigkeit in uns linderte das heftige liebende Begehren. Ihre Brust hob sich: die Minute war göttlich, voll Bebens und Hoffnung. »Aude«, begann ich noch einmal, »laß heute das erwartete Wort nicht unausgesprochen. Mein Vertrauen wankt vor dir auf den Knieen. O, niemals wird ein solcher Augenblick wiederkehren. Wer bist du doch, teure Geliebte?« –

Sie schien erdrückt wie ein Wesen, das noch in der Vorhölle schmachtet. Blöcke des Unbewußtseins lasteten schwer wie Marmor und Metall und sie konnte sie nicht heben. Sie war eine Karyatide, die den Sandstein und Quarz eines ganzen Berges trägt. Ich glaubte, daß auch sie weinen müßte; ich wußte nicht, daß die Tränen, die von Gott stammen, die Grenze sind, die das bleierne tierische Unbewußtsein niemals überschreitet.

Lebensempfindungen standen auf dem Flüssigkeitspunkt und gefroren wieder. Sie kämpfte gegen ein Geschick an. Ein Schleier umflorte ihre Augen, sie schien zu mir von einem jenseitigen Ufer zu sprechen. »Frage mich nichts!« sagte sie, »ich weiß nun nicht, ob ich lebe.« Wolken ballten sich, wir waren eines vom anderen gerissen. Und ich fühlte, daß sie mir verloren war. –

Allmählich ward das Kochen lebhafter, bittere innere Wunden öffneten sich. Mein duldendes Wesen empörte sich zeitweilig dagegen, die Last von Ketten zu tragen und nicht brechen zu können. Kraftlos und verdorben, wie ich bereits war, baute ich mir nur Luftschlösser, darin ich befreit wandeln wollte. Ich litt unter der Selbstverachtung, daß ich jene, wenn ein solches Wort nicht die Liebe beleidigt, zugleich verabscheute und liebte.

Mein Haß enthüllte sich allmählich um so deutlicher, als mich meine leidenschaftliche Entartung fester als die zärtlichste Liebe an sie band. Heftige Szenen wüteten, in denen ich ungerecht war und ihr stumpfsinnig mein verlorenes Leben vorwarf. Sie verteidigte sich dadurch, daß sie mich auslachte. Sie war mir darin über, daß sie nach diesen Ausbrüchen, nach denen ich ihr immer um so ergebener war, unempfindlich scheinen konnte. Und ich war wie ein Mensch, in dem ein wilder Wein, ein giftiger Most gärt. Da ich ihr Salz genossen, stieg ein beißender Geschmack in meinem Zorne in mir auf. Ich hätte sie gerne für meine Verirrungen verantwortlich gemacht und mich so selbst von meiner Schuld losgezählt. – Es waren jetzt zwei Jahre, daß ich mit ihr lebte.

»Gut«, sagte ich ihr eines Tages, »wir werden uns trennen.« Sie erwiderte mir: »Wozu dies, da Sie doch bald wieder zu mir zurückkehren werden?«

Und sie sah mich ohne Hohn oder Stolz, aus der schwarzen Tiefe ihrer still liegenden Augen an.

Ich zog die Gurten, mit denen sie mich umspannt hielt, fester um mich, wie ein junger Ochs, der sich unter dem Joch müht. Die heimlichen Himmelsboten sangen mir von der Freiheit, wenn ich nur die Kraft zu entfliehen, hätte. Ich traf Vorbereitungen zu einer langen Reise. Doch am Ende des fünften Tages, als die Nacht gesunken war, pochte ich wieder an ihre Türe. Ich hatte mich nie so sehr nach ihrem schönen, verfluchten Leibe gesehnt.


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