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Dennoch, eines Nachts in der Verschwiegenheit der Vorhänge, sprach Aude zu mir von der einzigen Zeit ihres Lebens, die mir bekannt werden sollte. Es war von den süßen Kinderjahren und da ihr ihre Mannbarkeit offenbar wurde. Sie lebte mit einer frommen strengen Mutter in einem Hause ohne Wärme, dahin nur Geistliche kamen. Man sprach mit leiser Stimme wie in einer Sakristei; wenn die Türen sich öffneten oder schlossen, schlüpfte irgend ein demütiger Gang durch. Ihr Vater war jung gestorben, sie entsann sich nur noch seines traurigen, schon umschatteten Antlitzes. Diese große, dahingeschiedene Liebe hatte ihre Mutter vor der Zeit alt gemacht und ihr das Geheimnisvolle von Menschen gegeben, die sich im Leben nicht mehr aufzurichten wußten und stets in der Haltung gegen das Grab geneigt verblieben. Sie war selbst gegen ihre Waise nicht zärtlich. Deren Kindheit schoß dünn wie eine Zimmerpflanze, unter der Hut einer alten, wunderlichen Magd auf. Ein Priester pflanzte die ersten Glaubenslehren in ihre Brust und sprach immer vorsichtig warnend von der Sünde.
Sie wußte so lange Zeit nichts von sich; sie sah vor dem Fenster kleine Knaben spielen, mit denen sie nicht verkehren durfte. Niemals durfte einer von ihnen in das Haus kommen, und sie wußte gar nicht, daß diese irgend wie anders geartet waren. Da bemerkte sie eines Tages ihre kindlich geschwellten Brüste; sie schämte sich wie über etwas Ungehöriges, etwas, das ihren Kleinen-Mädchenleib verunstalten würde, das sie verbergen müßte und das vielleicht jene hervorkommende Sünde war, von der der Priester immer sprach. Dessenungeachtet begann sie sich in den Spiegeln zu betrachten und genoß ein heimliches Vergnügen daran; dann bereute sie wieder und brach in einsame Weinkrämpfe aus. O, Weib, dir wurde wie mir kund, daß dir die schmiegsame tiefsinnige Schönheit deines Leibes zu deiner Freude gegeben war und doch empfandest du nur Scham davor. Dein Blut erstarrte, weil es in wollüstigem Rot unter deiner Haut geschäumt hatte, weil du in Wonne errötet warst, daß du dich jetzt kanntest!
Von jenem Augenblicke an beunruhigte sie ein Vorgefühl; sie begann daran zu zweifeln, daß die Jungen wie sie eine zarte wellende Brust hätten. Und sie mußte immerfort an das Schöne denken, das diese wohl unter ihren Kleidern versteckt trügen. Dann bestürzte sie der Sturm ihrer Mannbarkeit; sie sah, wie sie gequält war, weil sie schwach und in ihren Leib verliebt gewesen war. Sie beichtete und sehnte den Tod mit angstvollem Wonnebeben und finsteren Gluten herbei. Das war um die Zeit ihrer Kommunion; diese war mystisch, von verzückter und tränenreicher Schönheit, die sie einer kleinen Heiligen gleich machte. Sie dachte vor Liebe und Schrecken zu vergehen, als die Hostie an sie kam. Doch als der Frühling kam, war ihr Schlaf von Träumen gequält. Sie war nur die kleine brünstige Jungfrau, die nach ihrer Hälfte verlangte. Da sah sie eines Tages, wie sich in einem gegenüberliegenden Hause jenseits des Gartens ein Mann entkleidete. – Sie tat gleich ihm.
Dann gab sie ihre Mutter zur Erziehung in ein Kloster. Fast alle waren dort ihrer selbst inne geworden und sündigten heuchlerisch weiter. Zärtliche und gleich Liebesverhältnissen leidenschaftliche Freundschaftsbündnisse wurden trotz der Wachsamkeit der guten Nonnen geknüpft. Die Mädchen fanden immer Gelegenheit, im Park, der die Kapelle umgab, umherzustreichen. Die Großen, wie Aude, machten einander auf dem Spaziergange seltsame Geständnisse. Manchmal ließ sich eine, wenn sie spielten und ihnen die Gärtner zusahen, auf den Rasen fallen. Aude offenbarte mir lachend, daß sie wahnsinnig bestrebt gewesen sei, sie alle zu verderben. Ich fragte sie, ob sie nicht das Bewußtsein ihres schlechten Handelns gehabt habe. Da stockte sie einen Augenblick und sagte: »Nein, ich schätzte sie alle gering, ich hatte nur mich gern.« – Das war alles, was ich von ihrem Leben erfuhr. Als ich zu erfahren hoffte, wer bei ihr der erste gewesen sei, sagte sie mir einfach: »Darüber können Sie denken, was Sie wollen.« Und so blieb der, der ihr das Mal aufgedrückt hatte, mir auf immer ebenso unbekannt wie beneidenswert.
Aude, Höllenschwester! Ein gleiches Elend und Geschick scheint uns von Kindheit für einander vorherbestimmt zu haben. Dein Kindheitsgarten hatte gleich dem meinigen breite Gänge der Gefahr, wo wir mit dem Schrecken vor dem Unbekannten irrten, wo uns die gute Natur nur ihre Maske der Sünde zeigte. Wenn uns der wahre Sinn des Lebens enthüllt worden wäre, dann hätte ich dich nicht als solche kennen gelernt, als die du mir erschienst – und wenn in dir das Tier wohnte, du hättest es nicht im Busen deiner Schwestern des Klostergartens geweckt – und du wärest niemals die hexende, heimgefallene Genossin meiner dunklen Nächte gewesen. Du kamst mit deiner ehernen Stirne, auf die einst der Schnee des Weißdorns gefallen war, jetzt aber verübten wir, nächtliche Gesellen, unsere ›Hochzeit‹, die die Liebe schändete. Wer ahnt es, wie viele Dirnen nicht reine Freude als zärtliche Bräute dem Gatten in die Arme führen würde, wenn die barbarische Verachtung des Menschlichen nicht die Opfer ihrer Erstlinge gefordert hätte?