Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIX.

Ich verlor das Gedächtnis. Ich fühlte ein unerträgliches Hämmern im Nacken, ein Kneipen im Rückgrat. Ich hatte einem jungen Arzt in der Stadt eine Summe vorgestreckt, und ihn, durch die Möglichkeit, sich niederzulassen, verpflichtet. Er kam mir zu Hilfe, als mir eine schlaffe Todesfurcht Aude und die Liebe, die mich diesem so oft nahe gebracht hatten, verhaßt machte. Er hatte nicht Mühe, die Ursachen meiner Hinfälligkeit zu ergründen und verordnete mir völlige Enthaltsamkeit, sowie stärkende Mittel. Doch die Gegenwart Audens unter demselben Dache wirkte dem entgegen; ein peinlicher Magnetismus ließ mich ihr Fleisch durch die Balken über meiner Wohnung fühlen. Sie besaß einen Schlüssel zu meiner Türe, der ihr ermöglichte, unbemerkt zu mir zu kommen. Ihre peinliche Besorgtheit um den äußeren Schein hatte mir stets die Einrichtung ihres täglichen Lebens verborgen gehalten. Ich kannte ihr Schlafzimmer so wenig als ihre Vergangenheit. Es blieb mir also immer ein Geheimnis und um so verlockender; wie ich nicht zweifeln mag, daß das Unerklärte in ihr, so, wie in der tollen Hingabe ihrer Person, eine der ersten Ursachen meiner so sinnlosen Liebe war.

Sie schlüpfte trotz des Verbotes meines Freundes in mein Zimmer. Sie ließ ihren langen Mantel fallen und stand in ihrer nackten Schönheit vor mir. Der Arzt hatte mich vor den möglichen ernsten Folgen eines Rückfalls aufmerksam gemacht. Ich fluchte mir selber, daß ich sie in meiner Erschöpfung begehrte, ich verfluchte sie noch heftiger, weil sie mir ihren Leib, da er mir verboten war, anbot. Ich flehte sie an: »Gehe, du siehst, daß ich sterbe. Ich bitte dich, gehe wieder zu dir hinauf.« Ich sprach zu ihr von meiner körperlichen Schwäche, ohne mich ihrer zu schämen. Ein junger Mann pflegt eine solche aus männlichem Reckenstolz seiner Geliebten sorgfältig zu verbergen, vielleicht ist dies der Atavismus, in dem der Hausgebieter alter Zeiten, der in Begierde und Glanz unwiderstehliche und starke Herr fortlebt. Doch dieses Zeichen von Stolz und Zurückhaltung verträgt sich nur mit einer von freien Regungen gelenkten Liebe. Ich aber hatte den menschlichen Stolz abgetan.

Aude ersparte mir den Hohn ihres Lachens. Sie tat wie sonst. Sie vergewaltigte mich einzig mit ihren Lippen.

Als mein Freund sah, daß alles Bisherige zwecklos war, ordnete er einen Wechsel des Aufenthaltsortes an. Er versprach, mich selbst zu einem Verwandten, der eine Meierei einige Meilen von der Stadt entfernt besaß, zu bringen. Ich hütete mich davor, Aude von meiner Abreise in Kenntnis zu setzen. Wir benützten einen der Nachmittage, die sie in Besuchen zubrachte, um einen Wagen zu mieten, und fuhren aufs Land.

Eine sandige Gegend mit viel Tannen empfing mich. Es war gegen Ende des Sommers, die Ernte eingebracht, schon wurde das Korn in den rötlichen Scheunen gedroschen. Ich lebte fast einen Monat, von dem ruhigen regelmäßigen Reiz der Arbeiten der Jahreszeit umgeben, betreut von diesen Bauern, die mir einen einfachen Adel in ihrer schwierigen Pflichterfüllung zeigten. Ich bewunderte die felsenfeste religiöse Zuneigung, die den Vater mit der Mutter und den ältesten Sohn mit der Schwiegertochter verband. Diese Leute kannten meine traurigen Verirrungen nicht. Sie waren von Kindheit an mit der gesetzmäßigen und mächtigen Liebe der Tiere, mit der kurz währenden Hochzeit der Kuh, dem großen Hengststieg bekannt. Die Männchen entströmten das Leben, das den Schoß der Weibchen befruchtete. Die Verbindung vollzog sich in von Gott gesetzter Weise, so wie sich die Saat und die Pflügung abspielten, damit der Same ewig aufblühe und die Hochzeit der Arten wie der Scholle Bestand habe. Und so hatten sie auch selbst gleich ihren Tieren das alte ewige Liebesband geknüpft. Die weißen Tücher ihres Bettes waren für ihr Brautfest von der Ahne gesponnen worden und würden sie dereinst, ehrenhafte und ausdauernde Linnen, Schleier der heiligen fleischlichen Kommunion, Altartücher beim Empfange der Sakramente des Lebens und des Todes einhüllen.

Es waren die geweihten Kinder des Bodens; ganz klein waren sie mit seinem Tau, seinen Säften getauft worden. Sie waren unbekleidet in der Sonne, unter den Bäumen herumgelaufen; ihr Fleisch hatte sich, Seite an Seite, an den Quellen kennen gelernt und sie keine Scham davor empfunden. O, wie weise, rauh und sanft sind diese Schlichten! In ihrer Nähe faßte ich den Begriff einer besseren Menschlichkeit, die nach den Gesetzen der Natur handelt. Sie lehrten mich die Hochhaltung des Fleisches und seiner Werkzeuge von der Schönheit des Nutzens und der Frucht. Mich hatte man davor erröten gelehrt. Ich hatte sie für unselige Künste gehalten. Heute, wo ich dessen gewiß bin, daß ich den Jammer und die Schwäche mit einer großen Anzahl junger Leute geteilt habe, bin ich davon überzeugt, daß das Heil in dem einfachen Hören auf die Stimme der Natur, das ist, in der Achtung vor den Werkzeugen, die sie zu ihrem großen Zwecke verwendet, gelegen ist. Die demütige unbewußte Unschuld dieser Menschen ging mir zuerst in einer Art Gleichnissinn auf.

Ich fand meinen geraden Sinn wieder. Ich sah das Unglück meiner Verstocktheit ein und verglich meine traurige gebrandmarkte Jugend mit der stillen Heiterkeit ihres vorgeschrittenen Alters. Ihr Haus wurde für mich zum Symbol, zu einer wirklichen Arche, wo die Wesen ihr Heil fanden und Sanftmut täglich die Gebote Gottes befolgte. Alle Handlungen waren brüderlich und fromm, sie waren voll Dankes für den Sommer, der sie reich beschenkt hatte, für den Herbst, der bald die Keller füllen würde. Das Brot, das in Überfluß im Schrank vorhanden war, pries den Acker und die Hände, die es gebacken hatten. In den Holzeimern ward die süße fette Milch kalt, die nach den Wiesen roch. Die Fleischkost war vom Tische verbannt; diese Söhne der alten Bauern aßen nur den Weizen und die andern Früchte der Erde. Brot und Salz auf dem Tuche hatten noch ihre verehrungswürdige Bedeutung. Und das nährende Volk der Bienenstöcke, das Beispiel der geflügelten Arten, wurde im Hofe erzeugt.

Ich atmete hier mit vollen Zügen Genesung. Ich strich einen Teil des Tages zwischen den Baumsäulen der Nadelhölzer umher. Ich zog ihr warm quellendes Harz, ihr wie Hafenduft starkes und kräftigendes Brom in mich ein. Die ersten Sonnenstrahlen strömten ihren leichten Duft, den der junge Hollunder würzte. Der Mittag glühte und das Baumharz roch. Ein Saft wie von Pfeffer und Terebinthen gärte und sättigte die Luft. Dann verbreitete der Abend das berauschende Ausatmen der Pflanzen bis in die Zimmer. Die laue Dämmerung nahm es zitternd wie einen Gruß der Sonne an. Alles, das Antlitz, die Kleider, waren davon durchdrungen. Ich erinnerte mich an den Duft von Moos und Quendeln, der an dem Rocke Elisens gehangen hatte.

Ich trank all diese Säfte wie einen berauschenden jungen Wein, der mich mit Leben erfüllte. Aude und ihre Feuer, die der Glut des Hundsterns glichen, verfolgten mich nicht mehr. Es blieb nur eine milde und eher melancholische Erinnerung daran wie die einer Krankheit während der sicher fortschreitenden Genesung. Unser Leben war eine zeitlang Seite an Seite gewesen, doch das würde nie wiederkehren. Ich glaubte vom Schicksal dazu erkoren zu sein, alle die friedlichen vor mir auftauchenden Bilder wahrzumachen.


 << zurück weiter >>