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2. Buch.
Aude.

I.

Mein Vater träumte für mich von fetter Sorglosigkeit, von der ruhigen und regelmäßigen Beschäftigung eines Richters in der Provinz. Er hatte hinreichend Vermögen und einen nicht zu lebhaften Ehrgeiz, um sich mit dieser Stellung seines Sohnes zufrieden zu geben. Man hat gesehen, daß es sich ihm vor allem um den äußeren Schein des sittlichen Menschen handelte, der er auch zweifellos nach den Begriffen der Welt war. Er wünschte für mich nur die Würde eines arbeitsamen und ruhigen Lebens. Unglücklicherweise fand ich an den Rechten keinen Geschmack; meine glühende, leicht erregte Einbildungskraft und die Zügellosigkeit meiner Wünsche nach der Richtung des Empfindsamen hin hätten mich eher einer Laufbahn zugeführt, die den Träumen mehr Macht über das Leben einräumte.

Ich kam darum seinem Gebote nicht weniger nach; daß er mein Vater war, verpflichtete mich zum Gehorsam und ließ keinen Widerspruch aufkommen. Er vertraute mich also einer Verwandten an, die in der Universitätsstadt wohnte. Ich verbarg am Grunde meiner Reisetasche den ›Faublas‹ und die beiden Stiche, deren Zügellosigkeit in meinem Geiste gewütet hatte.

Ich fand bei meiner Ankunft junge Leute vor, die danach brannten, die Gunst der Freiheit, die ihnen die Entfernung von ihrer Familie gewährte, zu ihrem Vergnügen auszunützen. Das war etwas anderes als unsere traurigen Schülerleidenschaften. Diese frischen Jungen standen am Eingang des Lebens, sie hatten das Alter der dunklen Leidenschaft, darin sich das Fleisch sucht, hinter sich. Die Mehrzahl wünschte bloß, sich bald eine Stellung zu erringen, um das Leben genießen zu können. Sie saßen abwechselnd in den Kneipen und studierten.

Natürlich wurde ich sogleich auf meine Neigungen und den Grad meiner Bekanntschaft mit dem Weibe geprüft. Ich hütete mich vor dem Geständnis, daß ich es nur von zufälligen und nicht zu Ende geführten Händeln her kannte. Ich setzte sie vielmehr durch meine anscheinende und heitere Verderbtheit in Erstaunen. Ich gab mir vollends den Anschein, den Abfall bereits vollzogen zu haben.

Indessen führte ich, abgesehen von dem nächtlichen Kreisen, den Spaziergängen aufs Ungewisse des Grillenjägers im Herzen der schwermütigen alten Stadt, auf Spuren wandelnd, die mich meine schmerzvolle Kleinmütigkeit bald aufgeben ließ, ein verborgenes, einsiedlerisches Leben. Ich mied furchtsam die Fahrt nach den Sommerlauben längs des Flusses, wo fast alle in Gesellschaft ihrer lustigen Mädchen ein fettes Liebesmahl mit Kretzer befeuchten gingen. Es waren Geliebte, die sie kurze Zeit für sich behielten und die nur einverstanden waren, ihre Liebe nach einiger Zügellosigkeit an andere zu verschenken. Sie verschwendeten gemeinschaftlich in kleinen Gelagen, in Tänzen zu ländlicher Musik, in Ritten im Karussell, das Geld, das man den leichtgläubigen Eltern mit Geschick entlockt hatte.

Diese frohen Burschen, die von ländlicher oder kleinbürgerlicher Gesundheit strotzten, die einen vorherbestimmt, in den Gerichtssälen zu schwatzen, die andern, ihren Nächsten mit dem Gleichmut eines Fleischers lebend zu zerschneiden, kannten nicht die unberuhigten Forderungen meiner kranken Erotik. Ich beneidete sie um den wunderlich lässigen Anstand ihres Benehmens gegenüber den Mädchen, den Aufwand von Artigkeit, um sie zu erobern, um ihre Sinnlichkeit in Grenzen, die sie nach einem eigenen Ausdrucke die Liebe als ›Ulk‹ nehmen ließ. Das Weib war für sie wie für Romain nur ein zum Genusse bestimmtes Fleisch, ein tüchtiges Mahl in einer Kneipe am Rande eines befleckten Tischtuches, ein Schluck Wein, den sie eilends an der Türe eines Bedientenwirtshauses hinunterstürzten. Für mich jedoch fuhr sie fort, ihr priesterliches und schreckliches Wesen gleich einer schwarzen Isis zu bewahren.

Ich wehrte mich dagegen, an ihren Ausflügen teil zu nehmen. Ich hätte anders nicht gewußt, welche Stellung ich bei der stürmischen Deutlichkeit ihrer Dirnen hätte wahren sollen, ich, der Unberührte, von heißem Durste Gequälte, der lächerliche Herkules im brennenden Gewande meiner Keuschheit. Jetzt fühlte ich sie wie eine Schmach, ich hatte das Bewußtsein, daß es für einen freien und begehrenden jungen Mann meines Alters widerwärtig sei, im Mönchsleben ranzig zu werden. Ich machte auf mich selbst den Eindruck eines kleinen Landkaplans, dessen Blut die Enthaltsamkeit gedörrt hatte, und der jetzt in seiner Heiligen-Mannesbrühe, seine Zeichen des Kreuzes schlagend, draufging.

Gewiß, ich dachte darin wie jeder Andere, wie die Welt, der der Keusche zum Spott dient, weil sie selbst der Jungfräulichkeit entsagt hat und die dennoch nicht ausschweifend genannt sein will. Ich sprach zu mir: »Das kann nicht mehr lange dauern; ich muß ein Ende bereiten.« Doch die unerhörte Schwingungszartheit meiner Nerven und die Furcht vor dem Weibe, verbunden mit einem unerträglichen Abscheu vor ihren Geschlechtsteilen selbst, diesem »Mittelpunkte«, der sie für meinen Geschmack in die Reihe der Tiere hinabstieß, ließen mich stets aufs neue die Probe aufschieben.

Um alles zu sagen: Ich hatte dem Glaubenseifer noch nicht entsagt. Die Strenge der Kirche gegen die Sünde des Fleisches hatte ihren Teil an meinem Mißtrauen gegen die verfängliche ewige Versucherin, deren List ich nach der Leichtigkeit, mit der sie der Leute Herrin wird, veranschlagte. Sie war die Kriegerin in Seiden über dem Harnisch ihrer Brüste. Ihre feinen Glieder, schmiegsam wie Schlingpflanzen und widerstandsfähig wie Metall, waren geschaffen, den Willen des furchtbarsten Helden in ihren Netzen zu fangen. Die Fluchtlinie ihrer Lenden ahmte eine verschlagene Zeichnung, das tückische sich zum Sprung Lagern eines feindlichen Tieres nach. Die dunklen oder rötlichen Flammen ihres Haares erhöhten sie mit einem Helm, der fallend einen Strom entsandte, darin wie in einem Lethe die fruchtlose Tugend des Mannes versank. Eva, die zarte Urtochter, bewahrheitete hier, in den Weltaltern vervielfältigt, aufs neue die Ewigkeit der Sage, die dem leichtgläubigen Manne den tödlichen Apfel ihrer Schönheit darbot. »Genieße, wie meine Zähne blinken!«

Ich wohnte auf dem Hauptplatze der Stadt, vor dem Dom. Meine Fenster gingen nach seinem Portal, dem Vorhof mit den tiefen Wölbungen und den zufliegenden Engeln unter den Spitzen der Fialen. Ein wunderbares Blumenwerk durchbrach, fein gearbeitet, wie ein Garten von Gleichnissen die ergrauten Mauern und vergeistigte so gleich einem Stein gewordenen Gebete, zum Himmel schießender Glut und Pfeilern nach dem Paradiese, die inbrünstige Gotik seiner leichten Baldachine, der schlanken spindelzarten Säulchen und der riesigen Pfeiler.

Mein Glaube stürmte mit den feinen Steinbündeln empor, stieg in die Höhe der Gewölberippen – es war noch mein Kinderglaube, der mir Gott in den Gleichnissen, im geheimnisvollen irdischen Staube heiliger Bauwerke wohnend zeigte. Fast täglich betrat ich die Halle, um im Schatten der Kirche einen Augenblick meiner Gebetspflicht zu genügen. Doch die Schönheit des ungeheuren und doch so zarten Bogens, der Geheimnissinn der Linien, die mir hinter meinem Fenster erschienen, ging bereits in den merklichen Ausdruck einer Handlung der Verehrung über, nach der meine Leidenschaft brannte.

Der Morgen flutete und badete die Türme in zartem Licht, er rieselte um die steinbewahrten Legenden in den Nischen, brach sich, ein wandernder Regenbogen, in den Spitzen der nassen Türmchen, dann zog er die schlummernde Schönheit der Fensterrose aus dem Schatten und starb im violetten Halbdunkel des Vorhofes. Aus der Hand eines überirdischen Künstlers sprang golden in edelsteinblitzenden Gesängen eine gefrorene Musik von Spitzen und Wolken, der himmlische durchbrochene Heiligenschrein in die ätherflüssigen Höhen. Dann ergoß der Mittag seine Ströme von Glut, netzte mit geschmolzenem Gold oder Blei die schwindligen Quadern, schlief in roten Gluten auf den ausgehöhlten Fliesen, und die Heiligen, die speienden Fabeltiere schienen auf einem Rost zu braten, den die Flammen eines ungeheuren Ofens leckten. Und endlich wandelten die purpurnen Abende vorbei, Fälle von Rosen strömten aus dem durchbohrten Westen des Himmels wie aus den Wunden in der Seite des Gekreuzigten. Ein roter Chormantel sank in ungeheuren Falten nieder und umhüllte die Wohnung der lang Verstorbenen. Die Kirchenfenster glühten gleich feuerflüssigen Seen, Tiegeln schmelzender Metalle in letztem Glanz, gleich Kelchen, aus deren Neige das Blut der Sonne tropfte, Taufbecken, welchen die Nacht ihre bleiche Stirne näherte. Und in Todesflackern flammte all die mystische Welt noch einmal auf. In der Morgenröte und der Dämmerung, im hellen Glanz des Tages gewann der Zauberbau ein heiliges und wieder tierisches Leben, ein Ameisstaat einer wimmelnden Offenbarung: von Aposteln mit Heiligenscheinen, Märtyrern mit Palmen in den Händen, zottigen, gehörnten Dämonen, Gespenstern, Vampyren und Würmern, all dem Volk des Himmels und der Hölle durcheinander. Selbst des Nachts, beim schwachen Lichte der Sterne, täuschte ein unerhörtes Blendwerk der Einbildung ein bewohntes gestaltenreiches Dunkel vor. Ein wunderbares Gestrüpp erschloß sich, darin sich Faune und Elfen zu gottesfürchtigen oder abscheulichen Werken verbanden, so wie es eine Sünde, eine Barmherzigkeit und mein Gebet gab.

Ich war so gewohnt, diese feierlichen Steinsäulen zu betrachten, daß ich endlich mein stetes Unterliegen und Wiederaufrichten, mein Hoffen und Versinken mit diesem wunderbaren Leben derselben in Verbindung setzte. Es war ein Blick, der mir in das Wesen der Dinge zu tun vergönnt war, tief, darin auch die Regungen meiner Seele Körper gewonnen hatten. Meine Augen wurden hell und meiner Inbrunst wie meinem Schrecken offenbarten sich zum erstenmal die himmlischen Pfleger, die barmherzigen Gesandten der Heerscharen Gottes, und ihre Feinde in Ewigkeit: der Anhang der Hölle. Sie standen verzerrt und gekrümmten Leibes wie schreckliche Tierkämpfer, wie ein Lachen des Grauens da. Die unselige Rebe rankte wieder empor und strotzte in schmutzigen Umarmungen von der tierischen Unzucht glühender Leiber. Der große geile Weinstrauch, von der Sünde vieler Geschlechter gedüngt, stieg auf, fing sich an dem Boden der Lampen, schwärmte zur Höhe der Gewölbe, an den Rachen der Wasserspeier. Er kochte zur Zeit der Morgen- wie der Abendmette, beim jungen Frührot, wie da sich das bleiche Goldlicht ergoß, den geilen Saft, den teuflischen Most in sich aus, der brennend und üppig, voll Tobens, meinem Wahnwitz glich. Dem himmlischen Abendmahl, zur Verwandlung des Brotes und Weines, dabei die Engel des Bogens, von Weihrauch eingehüllt, standen, gesellte sich die gotteslästerliche Äffung der Fleischwerdung des Tieres, die ruchlose Messe des schäumenden Blutes, das sich in Strömen ergoß und den Menschen einer sinnlosen Tollheit weihte. Abtrünnige Mönche mit Schweinsrüsseln, unzüchtige Nonnen mit den Zitzen von Säuen und Bachen vereinigten sich fleischlich zum Spotte der Hostie mit zottigen Horden von Böcken, von Füchsen und Affen. Hurtige Teufel schmuggelten den glühenden Rost unter ihre Leiber und schärften zum Zeichen der unausweichlichen Strafen spitze Nadeln.

Ich erkannte erst später den satirischen Sinn dieser Zerrbilder, die steinerne Chronik, in der boshafte, in den Schoß der Kirche »gepreßte« Bildschnitzer auf ihr geheimes Treiben anspielten. Ein Schlußstein, rechts im Vorhof, nahm mich vor allem in seltsamer Weise gefangen. Eine nackte Dirne, die durch eine solche vom Staube der Zeit bedeckte zweideutige Tierschnauze entstellt war, saß auf den Knien eines Mönches und bot ihm die Fleischeslust an. Der Saum seiner Kutte entflammte schon von dem Feuer, das ein Teufel unter ihrem Sitz mit einem Blasebalg anfachte, und dennoch schien keines der beiden sich des Brandes, der sie bald verzehren sollte, zu versehen. Ein wütender Drang bog die Glieder dieser gebeizten Vettel; sie war wie ein wogender, lebender Leib in meinen Augen. Zuweilen schien sie mir jetzt Elise, dann jene Eva zu sein, und stachelte mich neuerlich zu der unvollbrachten Sünde, zu der sie mich verlockt hatten, an. Wie an der Kutte des Mönches flammte auch an meinem heuchlerischen Kleide das Feuer auf; mein Leib, der dem Rost zu nahe verweilt hatte, würde auf ewig die Narbe des Brandes tragen. So weckte das Bild in mir immer aufs neue die Versuchung und bestärkte meinen leichten Glauben an die göttliche Verdammnis: mäßigte und fachte es abwechselnd meine wilde Glut an.


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