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XIV.

Ich wußte nichts von ihrem früheren Leben. Sie erwähnte ihre Vergangenheit mit keiner Silbe. Sie gab sich nicht im geringsten den Anschein, bei einem andern Mann dasselbe wie bei mir gefunden zu haben. Und doch hatte sie mir damals, ohne je wieder darauf zurückzukommen, von ihrer Verheiratung gesagt. Indessen ich daran dachte, daß der Mund, der den meinigen in seinen Schraubstock gepreßt hielt, von anderen Lippen gesogen hatte, die sich dann auf ewig schlossen.

Ihr Mann war wie ein erstickter Winzer am Fuße seines Weinstockes hingesunken. Er hatte mit wahnsinniger Gier eingesammelt, er hatte aus Körben die schwarzen Trauben genossen und war daran gestorben. Und dann hatte ein anderer an ihre Türe gepocht, sie hatte ihr Kleid fallen lassen, und auch dieser hatte ihre tödliche Liebe gekostet. Sie wußte nicht mehr, wer der erste gewesen war, noch wer der letzte sein würde. Ich war wie ein Lamm gekommen, das, wenn der Fleischer die Schafe eingetrieben hat, auf der Schwelle blökt und gleichfalls eingelassen sein will. Sie hatte meinen Mund geküßt, jetzt trug ich, gleich den andern, ihr Zeichen.

Aus der Tiefe ihres Lebens stieg keine Erinnerung auf. Sie schien sich das erstemal hingegeben und vor mir noch die Jungfräulichkeit ihres Körpers bewahrt zu haben. Betrog sie sich selbst und heuchelte sie das Vergessen? Schloß sie ihre Augen entschlossen vor den Bildern, die im Spiegel ihrer Seele wieder auftauchten? Es verlieh ihr neue Schrecken, daß sie so sich selbst nicht zu kennen schien. Die Erinnerung floß von ihrem Geiste wie Wasser von einer eingefetteten Haut ab. Ich selbst war in ihren Armen ein Schlafender, der nie geweckt werden sollte.

Sie war wohl für alle anderen, die sie geliebt hatten, ein gleiches, unerhört schreckliches Rätsel gewesen! Der Speichel, den sie ihren Zähnen eintrichterte, war auch für diese, ihre Seele, die einzige Seele, die sie je besessen hatte, gewesen.

Sie waren in der schauerlichen Leere ihrer Liebe wie Wanderer in einer unermeßlichen Heide, deren Rufen unerhört bleibt, hingestorben. Sie hatten in der Wüste geschrieen, sie aber hatte nicht geantwortet. Und o, wie viele waren es, die sie durch dieses Schweigen umgebracht hatte!

Ihr Witwenkleid schien mir ein Gleichnis zu bergen. Der tränenlosen Witwe, die mit kleinen Grabknöchelchen spielt. Ihr Geheimnis begann mich bald immer furchtbarer zu quälen; ich schwieg, doch ich hatte furchtbare Gesichte. Tote waren auf diesem dunklen Wege Audens geschichtet, unzählige Geliebte, die heute Staub waren, doch, da sie noch sündig lebten, an ihrem Busen gezittert hatten.

Ihre unselige Schönheit war wie ein Kirchhof über alter Fäulnis mit Rosen bepflanzt. Sie schaffte im Dienst der Gräber. Im Tiegel ihres Schoßes waren Männer hingeschmolzen. Sie war von der Pest des Todes umgeben. Und ich litt Mitleid und Eifersucht vor diesen bleichen Schatten, die ich niemals kennen würde. Sie hatten auf Liebe gehofft – gleich mir – und waren an dem letzten Krampf ihrer fruchtlosen Erwartung verschieden.

Lange Zeit wagte ich nicht, ihr die Ursache dieser neuen Qual zu offenbaren. Dennoch brachte ich es einmal über die Lippen, mit gekünstelter Ruhe von den Männern zu sprechen, die meine Vorgänger in ihren Armen gewesen waren. Sie begann ohne weiteres zu lachen und versiegelte meinen Mund mit ihrem Kusse. Ich fühlte mich selbst mit dem Geheimnis dieses Mundes auf meinem Munde wie in einem tiefen Grabe, darüber man den Stein gewälzt hat.

An diesem Tage drang ich nicht weiter in sie. Doch begann ich sie nach kurzer Zeit wieder über diesen Gegenstand auszuforschen. Da lachte sie von neuem und näherte mir wieder ihren Mund. Ich aber fühlte wohl, daß ich bei der bloßen Berührung den Mut verlieren würde und wandte mein Gesicht ab. Da nahm sie meinen Kopf zwischen die Hände und wollte mir wider Willen die Begierde einflößen. In meinem Zorn biß ich in ihren Hals, ein Blutstropfen rötete das Bettuch und ich rief: »Aude, sage mir die Namen derer, die du getötet hast! Ich will es!« Ich sah auf ihre Lippen, die müden vollgetrunkenen Blutegel. Doch sie lachte trotz der Verwundung ruhig mit ihrem lautlos zitternden Munde. Endlich wurde sie bleich und sagte mit schrecklich blickenden Augen: »Es sind ihrer zu viele. Ich habe sie doch vergessen.«

Eva, jenes Freudenmädchen, hätte mich mit zärtlichen Worten getröstet. Jetzt erschrak ich vor dem, was ich heraufbeschworen und dem, was sie mir gesagt hatte. Ich fühlte mich von einer rohen mitleidlosen Kraft, der blinden Macht des Todes und der Liebe, betäubt. Wir sprachen längere Zeit kein Wort zu einander; dann wusch ich ihr weichmütig zärtlich das Blut ab und bat sie um Verzeihung. Sie lachte von neuem und sprach so seltsam, so unerbittlich: »Aber ich hab dich doch so wie so ganz mit deiner Haut!« Dieser tierisch üppige Schrei, der an den Brühkessel anklang, sprach mich endgültig, wie mit dem Schäfer ausgemacht, dem Fleischer zu. Ich war starr vor der übernatürlichen Häßlichkeit, die sie in diesem Siegesgefühl hatte. Doch fand ich kein Wort der Erwiderung und fühlte in diesem Augenblicke wohl, wie recht sie hatte. Ich hatte das Blut gestillt, diese Mißhandlung ihres Leibes, der kleine rote Tropfen hatte mich ihr sicherer zu eigen gemacht, als ob ich ihr Leben getrunken hätte. Und ich sprach zu ihr niemals mehr von den Männern, denen sie sich vor mir hingegeben hatte. Indessen kämpfte meine Seele zu jener Zeit, und war noch nicht, wie es später geschah, von allen guten Geistern verlassen. Diese brachten den Balsam, lindernde Salben, die einen anderen vielleicht noch geheilt hätten, und versuchten die von innerem Feuer klaffende Wunde zu schließen, die mich verzehrte. Ich war damals ein empfindender Mensch, den wechselseitige Ergüsse und tröstende Liebkosung noch aufgerichtet hätten. Der Widerstand des Guten in uns ist unendlich rege und verlangt nur ein wenig freundlichen Willen des Lebens, der ihm an die Seite träte.


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