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VlI.

Sie ging eines Abends (es war der dritte nach meiner Übersiedelung) vor meiner Türe vorbei. Ich war immer erst die Treppe hinabgestiegen, wenn ich ihren Schritt ferner gehört hatte. Sie war nicht beleidigt, daß ich ziemlich weit hinter ihr ging. Sie schritt aufrecht und tadellos, ohne den Kopf zu wenden, in der Haltung einer ehrbaren Bürgersfrau, blieb da und dort einen Augenblick vor den Schaufenstern stehen und betrat eine Kirche.

Doch an diesem Abend verstummte ihr leichter kleiner Fußtritt ganz leise vor meiner Türe, die, ich weiß nicht durch welchen Umstand, unverschlossen war. Es schien beschlossen zu sein, daß sie diesmal über meine Schwelle kommen würde. Dennoch hatten wir noch kein Wort von Liebe gewechselt. Ich hatte sie ein einziges Mal angesprochen und seither waren unsere Lippen stumm geblieben.

Ich brauchte also nur kaum merklich die Türe aufzudrücken, dann schloß ich sie schnell wieder, denn sie war schon eingetreten. Sie tat, als ob sie schon früher bei mir gewesen wäre, und wir sprachen lange, wie auf der Straße, kein Wort. Sie blickte sich um und lachte aus ihrem großen roten Munde, ihr Lachen war nicht geräuschvoller als das Schwirren eines Fledermausflügels in altem Getäfel. Ich aber zitterte an allen Gliedern, so plötzlich hatte mich mein ungeheures Verlangen überkommen. So hatte ich an dem Tage gezittert, da mich der stumpfsinnige Romain der großen Eva übergab. Ich wußte nicht mehr, mich dem Weibe gegenüber zu benehmen; ich stand wie ein junger, jungfräulicher, Mann vor ihr.

Es gab keine besonderen Einleitungen. Sie warf die Arme um meinen Hals und begann an meinem Mund zu saugen, so wie es Elise, wie es jene andere getan hatte. Doch ihr Leib hatte kaum den meinigen berührt, als er mir eine sinnliche Glut, eine erfahrene Kunst offenbarte, die sich weder die Magd noch das junge wilde Kind erworben hatten. Sie nahm meine Lippen zwischen die ihrigen, und hielt sie lange in denselben wie eine Frucht, deren Saft sie erpressen wollte. Und gleich geschmolzenem Reif, gleich einem eisig geschlürften Sorbettrank ließ sie in kleinen Läufen ihren scharfen Speichel in meinen Mund rinnen. Ihr Leben, eine Ewigkeit, die Tiefensäfte ihres Leibes flossen so mit meinem Leben zusammen.

Jetzt lachte sie nicht mehr. Ich hatte die Augen geschlossen, um besser diesen wunderbaren Hexentrank zu schlürfen, wie ein Säugling gierig die Milch von einer weißen Brust leckt. Und ich sah sie, mir vor unerhörter Wollust entrückt, nicht mehr, doch wußte ich, daß sie mich betrachtete. Ich hatte durch meine geschlossenen Augenlider hindurch die Empfindung, in den unendlichen Wogen, dem Moorglanze ihres Blickes untergegangen zu sein. Ihr kalter Mund preßte leicht knisternd, wie sonnenschmelzender Schnee, den meinigen; jetzt trank auch sie die steigenden Säfte meines Lebens.

Wir hatten in diesem Wahnsinn noch nicht gesprochen. Wir hielten uns mit aller unserer Kraft aneinander gepreßt. Die stählernen Spitzen ihres Mieders drangen mir in die Brust und dahinter fühlte ich den schweren zähen Druck ihrer Brüste.

Und dann kamen kurze Seufzer, ein wütender Schmerzensschrei. Feurige Schlangen furchten ihr Rückgrat, stählerne Kämme fegten das meinige und ich röchelte. Plötzlich schlüpfte ihr Schenkel zwischen meine Knie. Da fielen wir beide zu Boden, als ob uns eine Faust niedergeworfen hätte. Und ich wußte noch nicht ihren Namen, als ich sie schon zu Tode besessen hatte.

Endlich fragte ich, an ihrem Busen liegend, in zitternder Liebe, wer sie sei. Sie antwortete mir: »Ich bin Mahaude, doch nennt man mich Aude.« Ihre Stimme war rauh, wie während unserer Umarmung. Sie streichelte meine Haare mit ihren heißen weichen, gesalbten Händen, Händen, wie sie die Ruhe von Toten nicht stören können.

Sie begann von neuem zu lachen: »Ich war früher einmal verheiratet; ich bin Witwe.« Sie sagte dies in seltsamer Weise, ohne Genugtuung oder Spott, ich hatte niemals ein solches Lachen gehört. Es durchbohrte mich wie ein Dolch und umfing mich gleichzeitig wie ein Schlummertrank. Ich kannte den Sinn nicht, der in dem stummen heimlichen Zug um ihren Mund lag. Sie lachte tonlos wie eine Maske oder ein Antlitz im Spiegel. Und sie unterbrach sofort ihre Rede.

Ich aber dürstete in der Glut, mit der mich ihr Leben erfüllte, danach, es kennen zu lernen. Meine Worte flossen gleich meinen Händen ihren Leib entlang. Ich wollte wissen, warum sie so zu einem jungen Manne gekommen sei. Da lachte sie nicht weiter, sondern sah mich mit ihren zäh glänzenden Augen an. Es war keine Bewegung in ihnen, so wenig wie in dem Wasser eines Brunnenschachtes. »O«, brach sie endlich ihr Schweigen, »Sie waren wohl nicht der erste.« Der herzliche Reiz eines Du war in mir von dem ersten Augenblicke Erkennens erwacht. Sie aber begegnete mir, trotz ihrer Hingabe, gleich einem Fremden.

Ich rief aus ganzer Seele: »Aude, ich habe dich erwartet! Ich wußte, daß du kommen würdest!« Ihre Hände glitten aus meinen Locken und ich wurde wieder geküßt. Es folgte eine ganze stürmische Nacht von Umarmungen und die Hälfte des folgenden Tages. So winkte mir heimlich mein Schicksal, und dennoch begriff ich noch nicht, warum dieses Weib den Mund eines Tieres hatte.

Welch einfaches, im Grunde gleichartiges Ding ist doch das Leben! Durch sein Gestrüpp, über seine unendliche Steppe führt geradewegs ein schmaler Pfad, der nur dem Toren sich zu winden scheint. Der Fuß des gereiften Mannes hinterläßt keine anderen Spuren als der Schritt des Kindes. Man glaubt, das Leben ändere sich: dennoch ist man immer der gleiche Mensch, ein winziges Abbild des Weltalls, das nach ewigen unantastbaren Gesetzen kreisend, die Bahnen anderer Leben schneidet. Aude hatte nicht anders als die anderen gehandelt. Alle waren mir zu einer bestimmten Stunde erschienen, eine jede war unter einem anderen Sterne geboren, und dennoch hatten alle dieselbe Geberde des Willens besessen, die den meinen an sich zog. Nur daß die Früheren diesen ehernen, letzten angekündigt hatten, der mich nicht mehr verlassen sollte, Alle zusammen waren wie ›die Bilder‹ meines Tierkreises.

Denn wenn Aude nach den anderen gesäumt hätte, hätte ich vielleicht weiter, von Keuschheit ausgemergelt, als ein Einsiedler gelebt. Sie schien aus einem finsteren Geheimnis zu kommen, von den Marken des Lebens, und dem dunklen Schoße der Bestimmung zu entsteigen: auch ich hatte vor dieser Höllenschwester meine Versuchung des Heiligen Antonius.


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