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XXXI.

Nein, nein! Diese liebe reine Seele des Morgengartens war nicht Aude, war nicht das Weib. Ich sah sie ganz fleckenlos in einer Wolke zarten Tuchs wie eine spielerische Maria in Prozessionen, wie die unbefleckte heilige Jungfrau mit reinem Fuße in einer Kapelle. Und ich dachte eine Zeitlang an nichts als an dieses. Doch einstmals, als ich die Totenglocken der Kirche hörte, sagte ich mir, daß man eines Tages auch für mich läuten würde.

Dann würden sie vielleicht hier unten sein und hören, daß es über der Mauer meinen Tod bedeute, und keine Traurigkeit darüber empfinden.

Wie mich das in meinen Tiefen erregte! Ich lag dann wie der Vater, wie der Alte zwischen den zwei Kerzen in meine Tücher gehüllt. Wer würde kommen? Ich hatte ohne Freunde gelebt. In dem Todesgeruch des Zimmers hielt sich nur die alte Magd aufrecht. Da lag ich auf dem Bette mit der eisigen feierlichen Miene – und hatte niemals die große Liebe gekannt.

Ich hörte es, wenn das kleine grün gestrichene Gartengatter anschlug. Ich war nun mit den leisesten Geräuschen des Hauses vertraut und wußte, daß sie jetzt erscheinen würde. Und sie kam, sie ging einige Schritte vor; sie trug einen großen lichten Strohhut mit zartem blauen Seidenband. Ich sah ihren leuchtenden Nacken; ich konnte ihre Augen nicht sehen.

Auch ich war einen Schritt vorgegangen; ich trat ans Fenster und öffnete es zum erstenmale. Sogleich ging sie mit einem leichten Schrei des Überfalls den Pfad und in das Haus zurück.

Ich war nicht mehr betrübt und dachte nicht an die Totenglocken mehr. Dennoch weinte ich leise über etwas Unbekanntes, Tiefes in meinem Innern. Ich kannte nicht einmal ihren Namen. – »O, deinen teuern Namen, den Namen, mit dem man dich als Kind nannte, da du zur Welt kamst!« Ich war ein so seltsamer junger Mann.

Ich zog das Fenster mit leichtem Geräusch an, damit sie wüßte, daß ich ins Zimmer ginge. Dann kam sie und säte ihre kleinen weißen Schritte wie die Blüten und Reize der Madonna auf den Pfad. Sie wurde für mich die kleine jugendfrische Königin im Eden, bei ihrer Gegenwart stieg mir eine jungfräuliche Röte in die Wangen. Dann brach auch eine Lebensflut, ein volles Meer in meine Gewölbe. Ich empfand und empfand, als ob sie mir schon in einem jenseitigen Sein erschienen wäre.

Sie war ja die zärtliche ewige Seele, die mir aus der Tiefe der Weltalter, ihre Stunde in der Hand, entgegenkam. Sich das zu sagen! Ein Leben, das seit tausend Jahren jenseits der Mauer im Schatten harrte, ein Leben, das schon in den unendlichen Leben der Weltalter war und jetzt den Gartenpfad herauf kam.

Ich hatte vergessen, daß ich ganz dasselbe schon bezüglich einer andern gedacht hatte. –


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