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X.

Ich begriff später, daß es ihr Geschick war, nur sich selbst lieben zu können. Sie betete sich selbst in meiner Liebe an und war meinem Leid gegenüber so gefühllos, wie sie es in ihren früheren Verhältnissen gewesen war. Wir waren nur der Spiegel, in dem sie an sich Wohlgefallen fand. Ihre Liebhaber waren ihr eigen, doch sie besaßen sie nicht. Ihr Leib war ihre Pracht, die sie selbst kaum erfaßte. Sie wahrte ihren einsamen Stolz auf ihn, während sie ihn scheinbar Männern überließ.

Ich glaube, daß die Natur ihre übermütige, wunderbare Schönheit auf ihr Maß zurückführen wollte, als sie ihr Antlitz entstellte. Sonst hätte die Natur das Gesetz einer Zeit verletzt, die die Freude und den Stolz auf eine herrliche Nacktheit unterdrückt hat. Doch die Pflanze reift nur, wenn sie Sonne und Wind hat. Die Faune, die Muskeln bekommen und knochig werden sollen, sättigen sich an Saft, am Himmel und an der Weite. Das jungfräulich bleibende Menschentier verkümmert in dem Käfig seiner Jugenderziehung, der es von der freien Luft trennt. Ein Füllen, ein Hund, ein Wolf im Walde, die werdende Färse bieten ein weit vollkommeneres Bild der Schönheit, als eine Spinnstube oder ein Schwimmbad, wo sich Frauen untereinander entkleiden. Ich sagte mir solches häufig, wenn ich den prachtvollen Körper meiner Geliebten betrachtete und mir das bestürzende Hospital von Krankheit und Häßlichkeiten, das Schauspiel der Mängel vorstellte, daß plötzlich all die wie Heiligenschreine behängten Spaziergängerinnen nackt, mit zerquetschten oder schwammigen Brüsten, schlaffer, trotz der Salben dürrer Haut, mit dünnen und unter dem aufgeblasenen Becken eingebogenen Beinen erscheinen müßten. Aude hätte im Gegensatz zu dieser Entartung ihr Kleid wann immer fallen lassen können und wäre vom Scheitel bis zur Sohle schwindelig schön, wie ein Symbol erschienen. Tanz und Gymnastik schienen ihren Bewegungen Musik verliehen zu haben. Sie war eine Korbträgerin im Umzuge der Ceres gewesen, sie hatte in der Schaubahn mit schönen Jünglingen wetteifert, bei den Dyonisien den Thyrsus und die Lanze geschwungen. Eines Tages kam sie und löste den Gürtel, und ich sah, daß sie die Spitzen ihrer Brust mit Kot bemalt hatte. Es war im zweiten Monat unserer Liebe. Ich hatte seit kurzem meine Kraft eingebüßt. Und so erschien sie mir in meiner Erschöpfung unter dieser Bemalung gleich Metall oder Edelsteinen einer Rüstung, wie eine versuchende Omphale, eine glühende Delila mit geschminktem Königinnenputz, rot vom Blute des Mannes.

Unter ihrer niedrigen Stirne wohnte all die eigenwillige und verschmitzte Anziehungskraft des »Tieres«; sie kannte alle Kunstgriffe, ein erkaltetes Begehren wieder anzureizen. Ich kannte ihre abscheuliche Fähigkeit wohl, und dennoch liebte ich sie wahnsinnig mit sklavischer Hingabe; ich war ihr gegenüber der Urmensch, das zottige Wesen mit dem Fauntriebe. So war einst vor den wilden Mann ein seltsames, mit dem Saft von Früchten bemaltes Wesen getreten. Er hatte sie nicht erkannt, bis sie lachte und ihren Mund weit wie eine Bisamkatze öffnete; und er fand sie so noch schöner, als in ihrer vollen Nacktheit. So kam Aude mit gefärbten Brüsten wie eine Königin Assurs zu mir und entflammte mich.

Nun war sie meiner sicher und sprach boshaft zu mir: »Jetzt habe ich dich ganz, wie du bist, wie einen Teil von mir.«

Ich verstand den genauen Sinn dieses Wortes nicht; doch erschauerte ich, da meine Knechtschaft so besiegelt erschien. Ja, sie hatte mich, alle meine Glieder – auf einen Rost gespannt und schob glühende Kohlen darunter. Doch ich entkam nicht, ich lief nicht durch die Gassen, wie ein Mensch in Flammen aus einem Brande stürzt.


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