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XXIX.

Ich lebte wieder in meinem Elternhause. Der große Hund war tot, in Dienst und Jahren umgekommen. Die Katze hatte sich im Gegenteil so vermehrt, daß die ganze Umgebung von ihrem Wurf wimmelte. Und in der Küche saß nach wie vor, wie eine graue spinnende Parze, die Magd, die der alten Bilder gedachte. Sie war es, die Treue, die mir die beiden Ereignisse auf der Schwelle meines Zimmers mitteilte. Nichts hatte sich sonst begeben. Ich war jüngst fortgegangen und war jetzt wieder da. Der Holzwurm hatte ein wenig mehr die Uhr angefressen, die die Stunde meiner Geburt schlug und die Stunde, die mein Vater nicht mehr hörte.

Ich allein hatte mich verändert, nur ich betrat dieses stets aufrechte Haus, an Leib und Seele verfallen. Die Leuchter waren auf dem Kamine belassen worden, das leere Bett stand davor, daraus ein kaltes feierliches Antlitz der Ewigkeit traurig mir entgegengeschaut hatte. Dann stieg ich zu dem ›Alten‹, in das kleine Dachzimmer hinauf. Auch hier webte, wie zur Zeit, da er seine Netze geflickt hatte, ein tiefes geheimes Leben fort.

Mein Vater und er waren nacheinander ihren tiefen Schlaf zu meiner Mutter schlafen gegangen. Doch ihr geistiges Wesen bestand unter all dem Staub, als hätten sie nicht ihr körperliches Ich abgelegt, als würden sie jeden Augenblick auf den Platz zurückkehren, den sie zu einer unerwarteten vorübergehenden Reise verlassen hatten. Und neben dem Eisenbette des gutmütigen Riesen dachte ich an die kleine Ertränkte vom Flußufer.

– Schatten! – vielleicht hatte diese in ihrem Liebeskrampfe mich am stärksten geliebt? Ich werde, Elise, auf die Wiese gehen, ich werde die starken Rohre schneiden. – »Elise!« Und die Stelle, da ich deine leblosen Augen küßte, werde ich mit ihnen bedecken. Ob wohl der Busch noch stand, vor dem ich das erstemal sie und ihre Kühe gesehen?

Ich weinte herzliche Tränen, ihr Tau erfrischte mich. Ich fühlte mich so alt: das Elend der Welt stand hinter mir, der ich den Tod geschaut hatte und jetzt wieder auflebte. Und doch hatte ich in diesem selben Hause zuerst gesündigt.

Wie die Tage gingen, kam tiefe Ruhe über mich, eine Stille, wie in einem Bade des Vergessens. Ich hauste in den still liegenden Zimmern nicht geräuschvoller als die leichten Schatten, die in ihnen wandelten und mit ihrem Schritt des Gestern die Erinnerung erweckten. Vorsichtig ging ich mit den bewahrten Trümmern meines Lebens in der Hand, wie ein Verschlossener, der eine Reliquie trägt und sie auf dem Wege zu zerbrechen fürchtet. Und ich hatte wieder von meinem schmalen Knabenbette Besitz genommen; so lebte ich eine ganze alte Zeit hindurch hinter den geschlossenen Läden ein Leben in Geheimnissen, und ich hatte nur meine alte Dienerin, gleich einer Wächterin der Schatten, um mich. An Aude dachte ich nicht mehr.

Ich wurde ein anderer und sah die Dinge anders. Nicht in der Lust meines Leibes lag, wie sie mir gesagt hatten, das Übel. Diese war die Kunst, Glück aus ihm zu gewinnen, wie ein Poet schöne Verse spinnt, ein Künstler Mosaik, ein Künstler Email zusammenfügt. Alle weibliche Jugend zogen sie gleich Bajaderen zu einem Haremsdienste heran. Und deren Stirne war schmal, mit einem dumpfen Vliese bedeckt. Und darunter brannte ein krankes, sittlich von mir verschiedenes Wesen. Die ganze Welt lag auf Knien in ihrer Kirche. Die Dichter und Künstler hatten deren Mauern aus kostbaren Stoffen gefügt, um den Glanz der Opfer ihrer Weihe zu erhöhen. Zahllos im Bauche der Erde siechte ein elendes Volk hin, um dieser zu einer Verherrlichung die Edelsteine und Metalle zu entreißen. Geschlechter, überlegte ich, sind vor mir im Tiegel des Tieres geschmolzen.

Indessen schien mein eigenes Leben, von Balsam gesättigt, lind und der alten Bitternis ledig zu werden. Ruhig und dahinfließend war es ein milder Herbst nach den Wettergluten des Sommers.

Allmählich ging ich wieder aus dem Hause, ich liebte es, von den Wällen zu horchen, wie die Abendgebete der Gemeinden, vom Silberklang der Glocken geleitet, draußen über dem Dunstkreis der Stadt zum Himmel stiegen. Es war eine unendlich reine und ferne Kindheitsempfindung, gleich guten versöhnenden Worten, die von Hoffnung sprachen. Ich wandte mich nicht mehr nach den vorübergehenden Frauen um.


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