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XX.

Mein Freund kam mich allwöchentlich besuchen. Er stellte den Fortschritt in der Wiedererlangung meiner Kräfte fest. Keiner von uns sprach mehr von jener, die in der Stadt zurückgeblieben war. Dessenungeachtet ward in mir allmählich, je näher das Ende meines Aufenthaltes kam, ein Bild von ihr wach, von Stunde zu Stunde ward diese Vorstellung einer gütigeren Frau schöner. Aude war ihrer Wirklichkeit entkleidet und verzichtete auf die traurige schwärenvolle Liebe, die mich entkräftet hatte. Ihr verdammenswerter Glanz schien durch ein Wunder unkörperlich und unter dem zarten Pinsel der Entfernung fast schwesterlich zu werden. Ich glaubte sie falsch beurteilt zu haben, vielleicht, daß nur ein Mißverständnis zwischen uns herrschte, an dem ich zum größeren Teile als sie schuld war. Ich dachte an ein blindes Schicksal, an ihre zuverlässige Zuneigung; ich überhäufte mich mit Vorwürfen, daß ich ihr nicht einmal die einfachste Dankbarkeit bewahrt hätte.

Die Schönheit des Schauspiels um mich hinderte diese eigenartige Erregung, diesen Rückfall in eine unheilbare Krankheit nicht. Alles war hier gut und einträchtig durch den glücklichen Ablauf der Dinge geregelt; eine stumme Gelehrigkeit dieser demütigen Herzen war mit dem Hagel und Sonne, einem regnerischen August wie einem stöbernden Dezember zufrieden. So kam mir mit dem Anschauen ihrer unwandelbaren Hoffnungsfreudigkeit, ihres lebhaften Sinns für das »endliche« Gute die Stillung alter kochender Wunden. Ich glaubte, das knechtisch Trübe in mir erschöpft zu haben, den Grund meines Wesens nicht mehr fürchten zu müssen. Es gab ein Gesetz, welches das erste Chaos, das Wallen des Weltkerns in gewissen Menschen wieder herbeiführte und Alles in wilden Stunden wieder auflöste. Denn das Menschliche selbst ist nur ein Anschauungsfall des Alls und das, was es bewegt, gibt das schreckliche Erbeben des Herzens der Erde wieder. So war mein Leben wieder ruhig geworden, die entfernte Hefe gab der Milde, den warmen und frischen Entschlüssen Raum.

Das Mitfühlende, das Vertrauende in mir zog mich also zu Aude, deren Hände die Wunden, die sie geschlagen, würden heilen wollen. Mein leichter Glaube, eine jugendliche Bewegung führten sie mir unglücklich, von unserer beider Verbannung betrübt, vor Augen. Diese Täuschung war verwerflicher als alle anderen. Der Versuch hatte nur meine unheilbaren Wunden genährt. Das Blendwerk war nicht tot und ermattete mein vergiftetes Blut.

Ach, ich ließ mich nur allzusehr von dem höhnenden Frieden der Landschaft betrügen. Er rief eine weiche Hingebung in mir wach und gab mir nicht die Kraft zu dauernder Bekehrung. Schon bleichte wieder der Herbst das Grün, Nebel erkälteten die Luft und verdickten den Morgen, die Abende waren ernst und schweigend. Wenn ich an diesen Tagen meiner herrischen Geliebten hätte entsagen können, wäre für mein übriges Leben ein großes Glück daraus entsprungen. Doch sie lebte, von Mitleid und Milde verändert, zur verlassenen Liebenden geworden, in mir und rief mich zu wechselseitiger Verzeihung. Die Lügen ließen sich von ihrer Schönheit zurücklocken und berauschten sich leicht an dem wohlbekannten Most. Ich dachte bald nur noch daran, daß ich mein Unrecht wieder gut machen wolle und vertraute der Einbildung, daß sie sich selbst Heftigeres vorwerfe. Ich sehnte sie mit einer Seele zurück, die sich geheilt glaubte und nur schwer erkrankt war.

Mein Freund wollte, daß ich bis zum Winter bei den einfachen rechtschaffenen Pächtern bliebe. Ich versicherte ihn: »Nein, glauben Sie mir; ich habe meine Kräfte wieder erlangt; ich bin von der unseligen Liebe ebenso wie von ihren Folgen geheilt.« Er wiegte leicht den Kopf und ließ mich bedenken, wie schwach der Mensch sei. Ich widersetzte mich darum dem Bleiben nicht minder und nahm eines schönen halbwegs sonnigen Morgens den Wanderstab und sagte meinen Wirten Lebewohl. Ich wanderte durch den Wald zurück, ich atmete mit Lust seine würzigen Düfte. Auf dem Moose am Wege haftete perlender Tau, den die frische Stunde noch nicht getrocknet hatte; der Himmel von flüssigem Email sang wie ein Vorspiel.

Ich wollte meinen Schritt nicht übereilen; er maß sich nach meinem ruhig schlagenden Herzen ab. Ich überredete mich, daß ich geheilt sei, da ich so die Schritte, die mich Aude entgegenführten, mäßigte. Ich genoß noch dieses Selbstvertrauen, als sich schon die Türme der Stadt im dunstigen Himmel abzuzeichnen begannen. Doch da begann mein Blut schneller zu kochen, mein Herz pochte stürmisch. Ich hätte die Warnung hören und mich plötzlich umdrehen, zur guten Natur und ihrer unermeßlichen Milde zurückkehren sollen. Doch ich verdoppelte meine Schnelligkeit; ich konnte den Durst nach ihren Lippen nicht mehr von mir weisen, aller Wille, außer jenem, mit dem ich mich jetzt selbst als ihrer Macht untertan bezeichnete, war aus mir entflohen. Ich mußte mich am Treppengeländer halten, um mein Stockwerk ersteigen zu können; ich war am Tage meiner Abfahrt nicht schwächer gewesen. Endlich öffnete ich die Türe und – Aude stand in meinem Zimmer.

Nichts schien sich geändert zu haben; ich war wohl nur wie sonst auf die Straße hinabgestiegen, um die leichte Abendmahlzeit zu holen, die sie liebte und die uns nach der Wollust wieder zu Kräften brachte. Sie trat einfach an mich heran und streckte mir ihre Hand entgegen. »Ich wußte, daß Sie nicht länger ausbleiben würden, ich habe Sie erwartet! Es weiß hier niemand, daß ich die letzten Tage in diesem Lehnstuhl sitzend, hinter den herabgelassenen Vorhängen, zugebracht habe. Da Sie so plötzlich fortgingen, hatten Sie mir nicht den Schlüssel abverlangt. Ich nahm an, daß Sie es mir nicht übel nehmen würden, wenn ich ein wenig Freude inmitten der Dinge suchen würde, die von uns Leben erhielten.« Ich wünschte sehnlich, in ihrem Antlitz einen leidvollen Zug zu entdecken, doch sie war nicht traurig und sprach nur mit ungewohntem Ernst zu mir.

»Aude! Aude!« rief ich aus, »wirst du mir jemals vergeben, daß ich dich verlassen wollte? Jetzt weißt du es, daß ich wahrhaftig die Kraft, dich nicht wiederzusehen, zu finden hoffte. Sie reicht an jene nicht heran, die mich heute wieder zu dir bringt.« Ich setzte sie in den Lehnstuhl, ich umschlang sie; sie trug eine ruhige Sicherheit zur Schau. Ich hätte es nicht entscheiden können, ob sie dieser Augenblick, der uns nach einer Trennung, dem Vorbild eines Bruchs, einander wiedergab, glücklich machte. Meine Sinne stürmten. Ihr Kleid tat mir süßes Weh wie ein härenes Büßergewand meiner Liebe. Ich hatte ihre Haare, die so schwarz waren, daß sie in der Nacht purpurn erschienen, gelöst; ich wickelte mich wie in ein Leichentuch hinein.

Ich war wahnwitzig. Meine Nervosität hätte meine Finger elektrisch laden müssen, und dennoch blieb sie kalt, wie für sich selbst und für mich eine Fremde. »Ich werfe Ihnen nichts vor«, sagte sie, indem sie meinen Mund von sich hielt, »ich habe Ihnen nichts vorzuwerfen. Es ist möglich, daß wir uns beide über uns selbst getäuscht haben, wir wollen also Freunde bleiben, nachdem wir nicht mehr –.« Sie vermied einen bestimmten Ausdruck, es schien, als ob sie sich dagegen sträubte, die Liebe durch eine Anspielung zu entweihen. Ich aber rief: »Aude, Geliebte! Ich bin zurückgekommen. Ich bin dein! vergessen wir alles, außer der Freude, uns wieder beisammen zu finden! Diesesmal biete ich dir die echte Liebe.«

Sie sah mir außerordentlich scharf in die Augen und sagte: »Erinnere dich in der Folge daran, daß ich dich nicht zurückgerufen habe. Du willst es so.« Das Duzen verlieh ihren Worten eine herzliche Färbung, ich glaube auch nicht, daß diese Herzlichkeit gespielt war und dennoch sagte sie mir da etwas, was mich ihr in Zukunft wie ein stillschweigender Vertrag unterwürfig machen sollte. Ich bedeckte sie mit Küssen und rief aus: »Aude, ich hätte ohne dich nicht leben können. Als ich dich floh, floh ich mich selber! Du warst mir nur um so näher.« Da lachte sie zum erstenmal wieder mit ihrem lautlosen Lachen und sprach, indem sie mich in das benachbarte Zimmer zog: »Siehe, ich hatte das Bett geöffnet.« Es gab kein Wort, das besser hätte ausdrücken können, wie sie meiner bei der lächerlichen Fluchtepisode sicher war. Ich aber sah darin in meiner Aufregung nur das Zeichen ihrer Unterwürfigkeit, des hingebungsvollen Angebotes der treuen Liebenden, »Wohlan«, sprach ich zu ihr, »mag es über unseren Wonnen geschlossen sein und die Reue der Stunden, da wir einander fern waren, auf ewig begraben.«


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