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II.

Meine Tante hatte, da sie bereits bejahrt und es müde war, sich von den Dienstboten betrügen zu lassen, eine Haushälterin angestellt, die diese überwachte. Es war ein großes braunes Mädchen, von knorrigem und festem Körperbau, mit männlichem Gang und derben Bewegungen, die die Luft um sie her zu zerschlagen schienen. Sie mochte schon die vierzig überschritten haben, und hieß seltsamerweise mit einem Mannsnamen: Ambros'.

Diese »Ambros'« mit ihrer hageren, unten ein wenig fleischigen Nase, mit ihren kleinen grauen Augen, die von wunderbarer Beweglichkeit waren, und deren Brauen zusammenwuchsen, wäre niemals irgend einer Schönheit verdächtig gewesen, wenn ihre energische Stirne nicht von dem üppigsten braunen, nur leicht in ein herbstliches Rot spielenden Haupthaar gekrönt gewesen wäre. Dessenungeachtet schenkte ich ihr keine Aufmerksamkeit; erst ihre dauernd übergroße Zuvorkommenheit zwang endlich meine Gleichgiltigkeit zur Übergabe. Sie lächelte mir immer zärtlich und betrübt in demütiger Weise zu. Ihre Hände wollten mich stets berühren. Wenn ich nach Hause kam, fand ich zuweilen meinen Tisch mit kleinen Blumensträußen geschmückt, die sie für mich auf der Straße kaufte. Niemals betrat sie mein Zimmer, ohne laut zu seufzen. Und ich hatte die dunkle Empfindung, ein wenig lächerlich zu sein; eine Empfindung, die Männer teilen, die von häßlichen oder im Leben bereits lecken Mädchen allzu offenbar begehrt werden.

Eines Morgens, da mich ein leichtes Unwohlsein ans Bett fesselte, kam sie in mein Zimmer, stellte einen Trank auf mein Tischchen, entfernte sich, kehrte wieder zurück und offenbarte mit einemmale die widersprechendsten Gemütsbewegungen. Jetzt war sie bleich, ihre Augen funkelten wie Johanniswürmchen, sie stützte sich auf mein Kissen und betrachtete mich mit einem seltsamen stillen Lachen, das ihre breiten kräftigen Zähne sehen ließ. Ich wandte den Kopf nach der Seite der Mauer: ich empfand Furcht und Widerwillen vor dem, was sie unternehmen würde. Doch schon beugte sie sich über mich und streichelte mit ihren langen Händen meine Haare, die allen gefielen, die denen ›Trolls‹ glichen.

»O Gott, wie hübsch er ist! O, mein Jesulein! Nein, wahrhaf'.« Sie sprach zu mir wie in leichtem Irrsinn und stieß mir einen warmen Hauch, den Atem ihrer glühenden Brust, ins Gesicht. Nach einem kurzen Augenblicke der Unschlüssigkeit warf sie sich breit zwischen die Decken, nahm mich in die Arme und preßte wahnsinnig meinen Mund zwischen ihre Lippen, wobei sie rauhe, erstickte Schreie ausstieß. Das war die Beutegier der großen wollüstigsten Amazonen. Doch ließ mich ihr Sturm kalt, ich ließ sie gewähren, ohne Begierde nach dieser Liebe einer Magd. Ihre Jacke flog plötzlich aus dem Bett, die Schnüre ihres Unterrockes knarrten, sie ließ die prunkende Nacht ihrer Haare fallen. Da erkannte ich, daß ein jedes Weib in den Augenblicken seiner freien Liebe schön ist. –

In wildem Ansturm bemächtigte sich meiner dieses Weib, in dessen Adern ein ausbrechendes Feuer glühte. Ich lag an ihrem Busen, mein Leben war in Wonne entflohn. Und sie sprach zu mir nur das Eine, Entzückte: »Mein Jesulein; mein lieber guter Abgott!« (und sättigte sich kaum), der scharfe Geruch aus ihren Achseln, ein beißender Mißduft erhob sich wie aus einem Kampfe. So lernte ich die Liebe kennen. Sie enthüllte sich mir in dem Augenblicke, da meine Fibern, gewürgt von Abscheu und Schrecken, noch zuckten. Ein Weib, mit der Leidenschaft und dem Herzen eines Mannes, die die Schranken meiner Zaghaftigkeit überstieg, lehrte mich ihre wütende Umarmung, die mir Elise so zart offenbart hatte, die mich jene dicke, mütterliche, Liebe Eva nicht hatte lehren können.

Ein betrübter Tag folgte. Die Liebe: was war sie? Dieser schmerzliche und wundenvolle Krampf zwischen zwei Ringern. Ich erinnere mich, daß ich mir sorglich den Mund wusch. Und ich hatte die Bilder vergessen. Meine nervöse geistige Lüsternheit fand in der Regelmäßigkeit, die jetzt folgte, in der Kost einer derben Zärtlichkeit ihr Ende. Mein Bett wurde das Lager, darauf ein erschöpftes Tier seinen weichen Schlummer fand.

Alles ward anders. Das Weib erschien mir jetzt als die Magd eines unreinlichen geistlosen Begehrens. Ich fürchtete ihr Geheimnis nicht mehr; ich war ein Kind gewesen, da ich mich vor dem nächtlichen Gespenst geängstigt hatte; doch jetzt war es Licht geworden. Nun war ich ein Wissender, ein Wissender! Die befriedigte Natur füllte den dunkeln Krampf meiner grillenhaften Phantasie. Man mag den Jüngling daran erkennen: ich wagte nicht, mich vor meinen Freunden dieses Liebesanfalles eines Weibes zu rühmen, in meinem Innern aber war ich stolz darauf.

Dieses entflammte Mädchen mit seinen Anfällen von Leidenschaft wurde für mich zu einer ruhigen Gewohnheit, zu einem täglichen, geregelten Glück. Sie brannte von seltsamem Feuer, nannte mich ›ihr Jesukind‹ und ihren ›lieben Abgott‹. Es war ein Feuer einer guten, lange jungfräulich gewesenen Seele. Sie ließ nach der Wollust einen Rosenkranz durch ihre Finger gleiten. Eines Tages gestand sie mir, daß sie kurze Zeit Nonne gewesen sei. Der Gärtner des Klosters hatte sie entehrt. Und sie hatte jene klugen weichen Hände, die das Bett eines Kranken zu glätten wissen. Endlich jedoch verrieten sie die Mägde, denen ihr herrisches Zanken ungelegen war, und sie erhielt ihren Abschied. Ich habe sie, wie man vermutet, nicht wiedergesehen.

Da, als ich wieder entbehren mußte, ward auch der Gedanke wieder meiner Herr, doch glich er sich selber nicht mehr. Er sprach jetzt von einer noch peinlicheren Gewißheit. Ich konnte keine Frau beim Spaziergange mehr sehen, ohne an ihren Schoß zu denken, sie mir in der Lage einer sich Hingebenden vorzustellen. Sie alle verwandelten sich in jene Magd, die mich noch viel mehr, als ich sie besessen hatte. Ich befleckte in dieser Art die schüchterne Schönheit der Jungfrau; ich tat einem jeden Frauenleib vor mir Gewalt an. Ich war ein heimlicher Tempelschänder, der im Geiste alle Schleier wegriß. Und jetzt, da mir sein Geheimnis nicht mehr unbekannt war, sah ich das Weib nackt und als Tier in seinem Zweck vor mir, in seinem unbeständigen und doch unzerstörbaren Leibe, als verkörpertes Schicksal.

Der Sinn ihrer Herrschaft ward ein anderer; er verlor das Geheimnisvolle; sie war nicht mehr die Priesterin eines Zauberdienstes, die Kirke tierischer Verwandlungen. Sie selbst war ›das Tier‹ mit dem klaffenden, zermalmenden Rachen, dem Kennzeichen des Tieres, zwischen ihren Lenden. Ihr Leib blieb wie vom Zorn der Götter von ihrem Blitzstrahl gespalten. Er hatte eine ewig errötende Wunde, die der geheime Groll des Weibes und ihr Sieg über den Mann war.

Ich kaufte Bücher und verschlang in bitterer Qual Flaubert, die Goncourt und Zola. Bei Baudelaire empfand ich ätzende Wonnen. Ich schlürfte das Gift von Barbeys glühenden Entartungen. Dies waren die Propheten, die Schwärenden, die Seher der Menschheit. Sie alle schilderten das Weib als die Goldfliege auf dem Düngerhaufen der Erde, als die Wespe, die das blutende Fleisch der Männchen bekriecht, den Blutsauger der Geschlechter, der das traurige Werk der Vernichtung vollendet. Sie schien tragisch, eine Barbarin, mit einer schrecklichen Größe gerüstet.

Ich hatte ja meine Schwester kaum gekannt; man hatte mich das brüderliche Wesen, das gleich mir in gleicher Weise litt, nicht verstehen gelehrt. Was man mich einzig gelehrt hatte, war die Verachtung meines Körpers, die Schande der Organe, die das Leben fortpflanzen, gewesen. Und jetzt sprachen in ihren Gesängen alle die bewundernswürdigen Künstler zu mir: »Hüte dich; sie ist der Gehirnwurm, das Ungeheuer mit den verästelten Fühlern. Sie ist der Zorn des Menschengeschlechtes. Wenn sie das Leben schenkt, so geschieht es, damit das Leben in ihren verfluchten Höhlen ersäuft, damit ihre Söhne, zu den Liebsten ihres Bettes geworden, sich vor ihren gewaltigen und unerbittlichen Füßen hinopfern.« So vollendeten die Bücher die Erziehung, die mir meine Jugendlehrer gegeben hatten. Von der Blumenkrone seiner Sündengestalt fielen Blätter zur Erde, wo das Weib hinschritt. Das All war von ihrem Saft vergiftet.

Ich gab mir noch keine Rechenschaft von meinem Übel; es wurzelte in meinem Leben. Es zersetzte mein Mark, wie der Spaltpilz eines Sauerteigs, wie das unselige, venerische Gift selber. Dennoch war der Keim nicht in meiner Natur gelegen; meine auf Abwege verführte Mannbarkeit, meine übermäßige krankende Reizbarkeit hatten ihn hineingetragen. Wenn ich als kleiner Junge die Spiele mit den Mädchen meines Alters, die unschuldige Zuneigung, die auf die reifen Leidenschaften vorbereitet, hätte kennen dürfen, wenn man mir später nicht die falsche Scham und das als Schande Empfinden des Geschlechtlichen eingeimpft hätte, hätte ich eine Frau nach meinem Herzen gewählt und mein Überströmen unter den Brückenbogen der Ehe gedämmt.

Die Quelle war offenbar ein krankhafter Zug nach dem Unbekannten des weiblichen Wesens. Ich folgte diesem Zuge; ich fand in meinem Willen nicht den Widerstand. Ohne die Mittel, solches zu verhüten, oder wieder gut zu machen, ward es mir unmöglich, das in mir zu beschwören, was mich auf die Dauer gleich einer grausamen Erscheinung peinigte. Wie ich reifer wurde, wurde auch die seltsame körperliche Qual heftiger, ein elektrisches Zittern ging bei der Annäherung eines Weibes durch meine Glieder.

Ich glaubte, sie jetzt zu kennen – doch ich kannte nur den Schmerz, sie durch die unübersteigbaren Schranken der Sünde und bürgerlicher Spitzfindigkeit von mir getrennt zu sehen. Ich war noch viel einsamer, seit sie sich mir offenbart hatte. Sie und ich, wir gingen zwei entgegengesetzte Wege. – –

In einer benachbarten Straße wohnte ein junges Mädchen. Ich ging täglich unter ihrem Fenster vorbei und sah sie jedesmal an einem Werk arbeiten, das kein Ende zu nehmen schien. Ich wußte, daß sie schlanke bleiche Hände hatte; die Hände zogen die Strähne so lieblich, so anmutig und traurig, als ob sie verzaubert gewesen wäre, ihre Tage mit einer geheimnisvollen Aufgabe zu verbringen. Sie wandelten immer wieder den Rahmen hinab: vielleicht daß sie Wollen zu einer Kunststickerei ordnete.

Doch das erfuhr ich niemals; ich sah nur ihre Schultern und die Hände am Fenster, ihr Haupt war geneigt und die hochreichende Wand verbarg mir ihre übrige Person. Eine Vorstellung, wie von dem Schicksal einer in ein Zimmer Zurückgezogenen, von Licht dämpfenden Vorhängen, einem Traumgesicht, das aus einem fernen klagenden Spiegel aufstieg, machte sie mir teuer. Ich wußte nichts von ihrem Leben; ich kannte nur den leidenden Reiz ihrer Hände und die blutleere Bleiche ihrer Haare. Sie wurde für mich ein liebenswerter Traum eines ruhigen und abgeschiedenen Seins, des Seins, das sie in ihrem Elternhause führte. Ich kam nach Hause, überwältigt von dem Gefühl meiner Einsamkeit.

Ein übersüßer Durst nach Herzensgüte und den Zärtlichkeiten des Weibes verzehrte mich, wie die Tage schwanden; ich fühlte nicht mehr die krankhafte Leidenschaft nach ihrem Leib. Wie in den Tagen Elisens wand ich mich auf meinem Lager, umarmte ich unter Tränen eine teure brüderliche Erscheinung. Das edle Leid meiner Jünglingsseele wurde mir so nach einer stürmischen glühenden Sinnlichkeit wiedergeschenkt. Das ›Tier‹ schien erst in die Rinde meines Gehirns gedrungen zu sein; in meinem Innern lebten die jungfräuliche Frische, die keuschen Düfte des Lebens noch wie ein verschont gebliebener Teil meines Ich fort.

Ich ging am Morgen vorbei; dann kam ich am Nachmittag wieder, der Abend sank, und ich sah sie immer voll Ergebenheit, die vielleicht gleich mir ihren Traum hatte. Sie schuf an ihrer traurigen und bedeutungsvollen Arbeit fort, denn für mich war dieses immerwährende gleiche Aufnehmen ohne Ende das Gleichnis ihrer Tage.

Sie bemerkte mich und schien zuweilen nach der Richtung der Straße zu blicken, aus der ich kommen mußte. Dann hielten ihre Hände einen Augenblick im Strählen der Fäden inne. So sah ich, daß sie regengraue Augen, so sanfte Augen hatte, die auf die müde Handbewegung, auf die blutleere Blässe ihrer Haare gestimmt waren.

Ich liebte sie jetzt, wie ich einst die große Dina, wie ich Elise und all die Angebeteten meiner Kinderjahre geliebt hatte. Doch ich kann nicht sagen, daß diese Liebe von gleicher Art war. Ich liebte sie; und alles Heimweh nach der reinen Liebe war darin eingeschlossen – und all die Sehnsucht des jungen Mannes, der ich darüber geworden war. Ich war mir nicht mehr bewußt, das Weib gekannt zu haben.

Das war für mich eine Krise von Reinheit, wie in den Tagen meines hohen Glaubenseifers, den Tag, bevor ich die Kommunion empfing. Damals, als ich in den Freuden schwelgte, meine fleckenlose weiße Seele in den Händen zu tragen und nur die mystische Furcht vor einem Sakrament mich bange hielt. Ich nannte sie im Stillen mit einem unermeßlichen und wie sie reizvollen Namen: meine Madonna. Und in der Tat war sie mir kaum irdisch und sichtbar nur, wie im Äther, von leichten Schleiern umgeben, erschienen – gleich einer zarten Kirchenmadonna unter Weihrauchwolken.

Ich wußte nicht, ob ich eines Tages nach ihrer Mutter fragen würde, ich wußte auch nicht, ob sie eine Mutter hatte; es gesellte sich nur zuweilen ein greises Antlitz zu ihr, das ebensogut jenes einer Ahne wie das einer alten Nährmutter sein konnte. Ich lebte also in einer Art Unbewußtheit meiner selbst und meiner Zukunft, in der ich mich nur wie in einem fernen Spiegel sah, hin. Zwischendurch jedoch blickte ich durch etwas unendlich Süßes und Weißes. Das dauerte geraume Zeit; ich kann nicht sagen, wie lange; mein Traum kannte diese Grenze nicht.

Doch als ich eines Tages an dem Hause vorbeikam, sah ich sie nicht am Fenster; statt dessen öffnete sich zu meiner Stunde die Türe. Und ich sah, daß ich sie noch nicht gekannt hatte; daß das, was ich von ihrem Geheimnis entdeckt, noch weit von der Schönheit, die sie mir plötzlich enthüllte, entfernt war.

Es mochte in den ersten Sommertagen sein. Ein Trauerkleid fiel auf ihre kleinen Schuhe hinab. Sie trug am Hut einen schwarzen Flor, darauf das bleiche Gold ihres Haares sein Ansehen verlor. Jetzt ahnte ich, warum sie mir in ihrem Fenster und, von ihren Vorhängen beschattet, einer zarten Nonne gleich geschienen hatte, die aus leisen Fäden ein ungesehenes Schweißtuch erblühen ließ: es war das Kleid gewesen, und das Halbdunkel des stets geschlossenen Zimmers hatte alles noch dämmernder gemacht.

Jetzt aber, in den leuchtenden Morgenschauern, entströmte ihrem Leibe eine helle lebendige Röte, wie eine Flut schöner Rosengarben. Und ich dachte nicht mehr daran, daß sie lange Zeit traurig hinter dem Fenster gesessen, nicht mehr an die Trübsal der Arbeit, die sie jeden Morgen aufgenommen hatte. Ein Fieber rüttelte mein Blut, ich trank die bewegten Linien ihres Leibes, die feine wellende Anmut ihrer neuen Schönheit, ein Goldwasser, einen glühenden Inselwein. Sie war nicht mehr die Fliederlüge, die zwischen keuschen weißen Schleiern meinem glaubensseligen Traum entgegenkam – auf jenen weißen Straßen, die mein Heimweh nach einem reinen Leben gebaut hatte. Ich hatte sie in der warmen Wirklichkeit des Lebens, in dem erratenen Umriß ihres Geheimnisses gesehen, und sie nährte in mir den Gedanken.

Das ›Weib‹ war augenblicklich in mir entfesselt; die verabscheuten Bilder, der Garten der Blumenungeheuer, rankten aufs neue; nochmals zerrissen meine Augen ein Kleid und ließen die Nacktheit aufrauschen. Ich genoß sie für mich, dieses Kind, in seinem noch feuchten Zittern – wie eine Dirne! Die Tage, die nun folgten, ging ich nicht mehr an ihrem Fenster vorbei.

Ich war aufs neue enttäuscht, grauenhaft unglücklich vor der geschlossenen Pforte, mit meinem toten Traum, meinem edlen, zertrümmert in den Staub gesunkenen Heiligenbild auf ewig aus dem Paradies gejagt.

Jetzt mußte ich es mir eingestehen: ich konnte keine Frau, auch keine jungfräuliche, mehr sehen, ohne zugleich an ihre Umarmung zu denken. Ich war aus dem Garten der Unschuld, dem keuschen Eden, wo Hand in Hand die schönen glücklichen Paare wandeln, verbannt. Mein Blut war verzaubert, ich fühlte mich einem dunkeln Schicksal verfallen. – Und in der Tat erschien es mir nicht lange danach. –

Gewiß; ich hatte das klare Bewußtsein davon: ich würde wie versengtes Land, gleich einem verfluchten Boden, niemals die Blüte der reinen Liebe aufgehen sehen. Salz und Feuer hatten die Quellen ausgetrocknet, die Wasserläufe, aus denen das innere Leben den erfrischenden Tau des Morgens aufnimmt, versiegen gemacht.

Jetzt begann ich mir einzig die unbeschwörbare Gegenwart des Bösen in mir vor Augen zu halten. Nur meine so lange spröde und begehrende Jungfräulichkeit hatte mich mit diesem Schlage getroffen; ich hatte dadurch, daß ich ihre rauhe Last so lange über meinem Haupte erhoben hielt, die Natur verhöhnt. Sie war mir rauchend in das Hirn gestiegen, hatte meine geistige Kraft weit mehr als die schmutzigen Ausschweifungen jenes Romain verzehrt, der seine Schwester aufs Bett geworfen hatte. Dieser würde, vergessend, eines Tages ein junges Mädchen wählen, das er achten und nachher, mit der strengen Schönheit der Gattin angetan, in sein Haus führen würde. – Ich wurde ganz keusch; ich lebte die ganze Zeit hindurch wie ein Mönch, in rauher Enthaltsamkeit. Ich schien mir selbst ein alter, sündenschwerer und verknöcherter Mann geworden zu sein, der seinen letzten fleischlichen Gelüsten mit den harten Steinen knieender Buße begegnete. Ich hatte gebeichtet, ich hoffte, Gott würde mich vor der Wiederkehr allzu starker Versuchungen beschützen. Und, als ob ich schon erhört gewesen wäre, beruhigte sich wunderbarerweise der Sturm. Ich las keine Romane mehr; ich verschimmelte tagelang in Geduld und Langeweile über Gesetzesstellen.

Meine Standhaftigkeit ließ mich auf eine dauernde Genesung hoffen. Ich fühlte mich zu den festesten Entschlüssen fähig. Und eines Abends warf ich die schuldige Wonne meiner Augen, die unseligen Stiche ins Feuer. Das Papier ward zu Asche; doch die Ranken des üppigen Weinstocks wurden nicht gleich den pflanzlichen Fasern verzehrt. Sie klammerten sich an mein Fleisch und Bein. So blieb ich der wahnwitzige Sklave meiner Sinnengesichte, die sich, wie eine Stange in glühendem Metalle, ein für allemal fest in den Wahnwitz meiner Blicke geprägt hatten.

Ich zerstreute doch die unzüchtigen Reize, die meinen jugendlichen Sinn verdorben hatten, im Feuer. Ich dachte:

»Alles im Leben ist ein fester Entschluß; das Übrige regelt sich dann von selbst.« Ich wußte nicht, um welche Fragen sich meine Zukunft drehen würde; ich wußte nur, daß ich die Liebe niemals so, wie sie Romain vielleicht jetzt schon kannte, kennen würde. Und dennoch war der alte Schmerz ruhiger geworden; ich nahm das Lockere, das mein Geschick in sich barg, wie eine natürliche Schwäche, eine Krankheit hin, deren Anfälle mit der Zeit seltener zu werden versprachen.

Wenn mich meine Enthaltsamkeit vorübergehend zu sehr marterte, ging ich unbemerkt in die Häuser.


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