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IV.

An diesem Tage kehrte ich nicht mehr an den Fluß zurück. Mein Blut wallte, ich wand mich nachts auf meinem Lager und seufzte: Elise! Doch der nächste Morgen fand mich im Wald. Ich war entschlossen, zu tun, was der große Romain getan hätte. Es war für mich ein Gewissensfall, ich wollte, zurückgekehrt, ihm einen Handel berichten. Heute rieselte der helle Sonnenschein von den Zweigen, eine Traufe Licht, die auf dem Buchenpfade Lachen von Gold bildete. Ich sang mit den Vögeln, um Sicherheit zu gewinnen. Ich fühlte unaufhörlich die kleinen Brüste in meiner Hand, als ob ich Elise noch unter mir hätte.

Es war nicht Liebe, was ich empfand, nur daß sie mir ihren Leib schuldete, ein verworrener Begriff von Untertänigkeit, den auch der Alte gekannt haben mochte, er, dem alle Frauen der Umgebung angehört hatten. Sie waren so ungefähr die Nymphen seines Kreises gewesen, über die er, der Faun, sein Herrenrecht erstreckt hatte.

In solchen Empfindungen verloren, sah ich jetzt blau aus dem Morgennebel den Fluß aufleuchten und ich schlenderte wie den Tag vorher neben den Weiden hin. Doch gleichzeitig verließ mich meine Entschlossenheit, ich fürchtete fast, Elise zwischen den Stämmen zu finden. Ich schritt in der Richtung; Elise und die Kühe waren nicht zu sehen.

Da rief ich durch die Ebene mit heller Stimme ihren Namen; mein Mut war zurückgekehrt und sie erschien nicht. Niemals hatte ich solches Leid erfahren! Ich hätte, wenn man mir den Tod Ellens mitgeteilt hätte, das Gefühl Trennung nicht anders empfunden. Ich ging bis ins Dorf, erkundigte mich nach Elise, man lächelte fein. Offenbar dachten die Leute daran, daß wir verwandt waren. Und ich dachte nur mit quälendem Durst an ihren kleinen Busen.

Auch am folgenden Tag war heller Sonnenschein. Meine Augen blitzten, als ich durch den Wald schritt, wie die Augen eines jungen Helden. Ein stürmischer Lebensdrang machte mein Herz hoch schlagen. Ich kam zum Wasser herab. Jetzt wußte ich schon, wie man ein Mädchen anfaßt. Ich war entschlossen, auch ihren Mund zwischen meinen Zähnen zu küssen. Die beiden Kühe weideten vor den Bäumen. Allein ich suchte ihre Hüterin vergebens. Ich sagte mir: die Listige hält sich versteckt, um heißer begehrt zu werden. Wenn sie jetzt kommt, werde ich hinterlistig lächeln und sie an den Haaren bis auf die grüne Moosbank zerren. Und ich rief und blickte mich in den Wiesen um.

Als sie immer noch nicht kam, setzte ich mich ein wenig in das Gestrüpp am Rande des Flusses. Und da – plötzlich – sah ich ihren Mund geöffnet auf dem Wasser. Ja, der Mund, der von meinen Lippen getrunken hatte, schwamm hier, eine bleiche Rose, nahe dem Ufer, gleich einer welken Seeblume. Das Wasser, das den Leib hob, gab diesem ein übernatürliches auf- und niederwogendes Leben. Ich fühlte weder Schrecken noch Schmerz, der heiße sinnliche Strom ging noch hoch in mir. Ich zog sie leicht an ihrem blonden Haar aus dem Flusse und trug sie ans Ufer. Jetzt fürchtete ich nicht mehr ihr boshaftes Lachen. Mit verwegener Hand griff ich an ihren Rock. Ich tat, was andere gleich mir getan hätten. Doch im selben Augenblicke ergriff mich unendliches Mitleid und ich zog die barmherzige Hülle der Lumpen wieder tief auf ihr Knie. So war sie ganz mit Scham bekleidet, die vor mir beinahe nackt gelegen hatte. Und ich betrachtete sie, am ganzen Leibe zitternd. Ich wußte nicht mehr, was zwischen uns vorgefallen war. Ein wenig Wasser begann von ihren Lippen zu träufeln, gleich dem Naß, das mir ihre Küsse mitgeteilt. Ich trocknete diesen Lauf mit meinem Tuche, dann nahm ich Elise in meine Arme und küßte wie wahnsinnig ihre Wangen und ihr Haar und rief sie ohne Aufhören, als ob sie nicht tot an meiner Brust gelegen hätte. Doch bald verzerrte ein grauenhafter Zug ihren Mund. Jetzt glich sie dem Alten auf dem weißen Bette, wie ich ihn nach der Einsegnung zwischen den flackernden Kerzen gesehen hatte. Ich ließ sie ins Gras zurückgleiten: niemals mehr würde ich ihre kleinen Brüste liebkosen. Es war mehr Bestürzung als Widerwillen was ich empfand.

Die Kühe hörten die Tritte von Wanderern und brüllten. Ich versteckte mich im Holz und wirklich kamen Leute herzu, die sie ganz ruhig davontrugen und die Kühe vor sich hertrieben.

Gegen Abend kehrte ich ins Haus zurück. Ich hatte keinen Hunger, ich empfand in meinem Herzen ein süßes Leid. Ich dachte: So wird wenigstens kein anderer deine Knie berühren. Troll hatte es vielleicht getan. Doch war dieser vor mir gekommen; ich kannte ihn nicht. Und ich glaubte nicht einmal, sie geliebt zu haben, und fühlte mich dennoch getröstet, als ob sie mir treu ihre Liebe bewahrt hätte.

Ich stieg in mein Zimmer hinauf und blickte lange in die Nacht, wo der Fluß hinter dem Walde lag. Ich sah ihn nicht, ich sah nur die tiefe Masse der Bäume im Dunkel. Die Nacht war lau und dunstig, Grillen zirpten eintönig in der Ebene. Dann erhob sich ein sanfter Wind, der mich liebkoste wie mich ihre dunklen Hände liebkost hatten.

Da brach ich in Tränen aus und streckte die Arme gegen die Nacht des Flusses dort drüben. Ich raunte ihr zärtlich unter Schluchzen: »– Liebe Elise, warum bist du von hier gegangen, ohne mir deine Liebe zu schenken?« Die Züge des Grauens waren verwischt, sie schien mir im Tode noch schöner – Und so fühlte ich zum erstenmal aufrichtigen Herzens die Liebe. –

Am folgenden Morgen läuteten die Glocken. Die Frau des Gärtners sagte mir, daß man am Ufer ein Dorfmädchen gefunden habe. Sie sah mir nicht ins Gesicht, anscheinend verlegen, und auch der Mann blickte zum Fenster hinaus. Ich begriff, daß sie der Fehltritt des ›Alten‹ beschwerte. Alles beiseite, war dieses Kind von meinem Blut und es hatte das gleiche Leben in den Adern getragen.

Ich hätte diese fremden Stimmen nicht länger ertragen. Ich rettete mich in den Wald. Und die Glocken waren verstummt. Doch ich wußte, daß sie dort irgendwo in einem der weiß leuchtenden Häuser ausgestreckt vor den Kerzen lag. Ich wand mich im Moose, ich schlug mit den Fäusten auf den Boden. Ich wünschte, die Augen für immer geschlossen im Bette neben ihr zu liegen.

Dieser Wahnsinn untergrub meine Gesundheit. Ich aß nicht mehr und fand keinen Schlaf. Ich irrte den Tag über wie ein bleicher Schatten am Ufer. Mein Vater holte mich zurück und erst in der Stadt begann ich Elise zu vergessen. Jetzt dachte ich niemals mehr an die große Dina. – Ungestüme, liebende Seele, welch ungestillter Ruhedrang trieb dich in den Fluß? Suchtest du in seinen Wellen das Leben zu vergessen und Heilung für den armen geschlagenen Leib, der nur nach Liebe verlangte? Hat sich ein Bild in deine Gedanken geschlichen, das Bild des schwachen, ungelehrten Knaben, der deine junge Begier so schlecht erwiderte, – als du sie ins Wasser schlafen schicktest –? Niemals hat mir ein Mensch gesagt, warum sich Elise ertränkt hat.

Vielleicht, daß der starke Sommersaft ihr wildes Blut aufwühlte; und Troll nicht zurückgekehrt war!


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