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XXVIII.

Der neue Zauber hielt uns wiederkehrend gefangen. Er weihte mich vollends zum Priester des Tieres. Aude kam an mein Bett, mit der Maske wie mit dem Zeichen seiner dumpfen Herrschaft bedeckt, und ich verzehrte mich. Kein Giftkeller wäre der Kraft dieser Zierat gleichgekommen. Wilde, in Fell gehüllte Züge, funkensprühende Augen und Fackeln malten sich in meinem Geiste. Und immer gewisser, unentrinnbarer ward meine Unterwerfung, wahrlich, jetzt besaß sie mich vollends mit Mark und Bein, wie der Fleischer, wie der grausige Schlächter. Ein armes Tier in mir zitterte und blökte, angstvoll den Leib umschnürt. Dort draußen grünten die Felder, die Sommerwiesen kochten ihren heilsamen Saft, und mich hielten unzerreißbare Bande an dem rostigen Ring fest. Der stumpfe Blick des Rindes wendet sich nicht von dem Messer ab, das seinen Hals durchschneidet.

So schuf mir Audens Kunst wieder ein vergiftetes Glück. Schmerz und Schande peinigten mich. Ich wagte nicht mehr in meinem Spiegel das Antlitz zu suchen, aus dem für ewig das ruhige Gleichmaß entflohen war. Daß ich nichts mehr gut machen konnte, ward mir immer entsetzlicher klar. Manchmal, wenn ich allein war, überfiel mich ein Schluchzen. Ich hatte mich vom Dunkel erlösen wollen und fand mein Selbst nicht wieder. Das Weib aber konnte dem ruhig zublicken.

Dennoch hatte sie zu voreilig das Maß meines Duldens überschätzt und so ihre Macht selbst untergraben. Die Grenzen der Natur waren überschritten, auch die Egge, wenn sie die Erde zerreißt, wird stumpf. Da sie mich in Sklaverei mißhandelte, schenkte sie mir selbst die Tränen und die Reue stummer Pausen.

Mein würgender Ekel übergab sich. Das gedemütigte, geknechtete Ich bäumte sich mit der verborgenen Energie auf, die selbst der stumpfesten Ergebung verbleibt. O, dieses Schwarz der körperlichen Leibeigenschaft und sittlichen Angst! Sie aber glaubte nur an eine vorübergehende Erschlaffung. Ein unverborgener Spott lag in ihrer Betreuung, ein Gift, das den Tod hinausschiebt, um ihn desto gewisser zu machen. Ihre heimtückische Zärtlichkeit glich dem Alkohol, der für ein Schafott zum Leben weckt.

Was schon so lange gegärt hatte, kochte über. Wir brachen in heftige jähzornige Streitigkeiten aus, die unser Unrecht noch erschwerten, die Szenen, die uns ehemals durch Mark und Bein gegangen waren, wiederholten. Unser Leben ward in erbärmlicher Weise eine Aufeinanderfolge von Scheidung und Wiederversöhnungen. Bis ich einst in einer lichten Stunde die Maske mit den schwarzen Augenlöchern von ihrem Antlitz riß und die Fetzen in den Kamin verstreute. Der Talisman, der uns aneinander kettete, war so zerbrochen. Befreit von diesem traurigen Pfaffen, waren unsere Wiederversöhnungen von jetzt ab nur eine Lüge ohne Reiz. Und eines Tages war das Maß voll, ich wagte es, ihr das Unwürdige vorzuführen, das ein solches Leben für uns beide hatte. Sie zeigte weder Überraschung noch Traurigkeit. Sie schien vielmehr nichts einzuwenden, als ob sie im Grunde dieser Maßregel keine Bedeutung zuschriebe und sie für eine vorübergehende Lösung hielte.

»Ja«, sagte sie zu mir; »das ist vielleicht ein kluger Gedanke. Du bist …« Ich weiß nicht, warum sie auf einmal zu lachen begann, ich fürchtete, daß sie mir das schreckliche Wort wiederholen würde, durch das ich ihr wie das Tier dem Schlächter überliefert schien. Und so hatte ihre Lustigkeit einen schrecklichen Sinn für mich, der sich auf meinen Besitz bezog. »Du bist ja«, fügte sie nach einer gespielten Überlegung hinzu, »im Grunde genommen, dein eigener Herr.« O, nicht doch, sie sagte, daß ich der Herr sei, sie hätte ebenso gesagt, daß das Lamm Herr ist, das Messer gegen den Metzger zu wenden.

War ich auch nur sicher, daß ich im Augenblicke anders als einer Eingebung ohne Dauer gefolgt war? Jetzt begriff ich den Grund ihres Lachens, sie sprach es ohne Hohn aus, was vom bittersten Hohn erfüllt war. Ich erwiderte: »Wohlan« – und nahm meine Kraft wie ein Mann, der einen Graben übersetzen will, zusammen –, »nachdem wir uns soweit, Aude, verstehen, werden wir jedes unsere Freiheit wieder gewinnen.« »Aber natürlich«, sagte sie, »nichts ist einfacher. Es ist seltsam, daß wir nicht früher darauf gekommen sind.« – Sie benahm sich von Stund an so demütig, als hätte sie wirklich nicht mehr daran gezweifelt, daß ich der Herr wäre, und versuchte weder an diesem, noch am folgenden Tage, mich in ihrer Weise zu küssen. Ich erfand als das Beste, die Stadt zu verlassen, und besorgte schleunigst alles zu meiner Abreise. Doch am Abend des dritten Tages betrat sie mein Schlafzimmer und wollte wie sonst tun. »Höre«, begann ich roh zu ihr; »dort in *** an der Kathedrale war ein Weib gleich dir, auf dem Schoß eines Mönches gemeißelt. Beide brannten und doch versah sich keines, daß schon das Feuer an seinem Leibe war.« Es war nur eine äußerliche Beziehung zu dem Munde, den sie mir anbot und zu meiner geistigen verspäteten Zerknirschung. Und doch schrie ich immer wilder: »Weib, Weib; der Mönch brannte und diese Dirne hatte eine Hundsschnauze. Findest du das nicht wahrhaft teuflisch? –« Sie sagte in Ruhe: »Ich weiß nicht, was Sie meinen; aber glauben Sie mir, wir werden noch einmal dort beisammen sein!« Und wies auf das Bett. Da bekam ich einen heftigen Weinkrampf: »Das nicht, meine liebe Aude, nein, das niemals mehr! Schau, jetzt müssen wir jeder auf einen anderen Weg gehen.« Sie zuckte mit den Achseln, sie schien nicht erzürnt, doch sie sprach zu mir mit freiem Blicke, fast mit den Augen eines Kindes: »Gut, wir tun, wie Sie wollen. Nicht ich bin zuerst wiedergekommen. Jetzt gehen wieder Sie weg, wie Sie zurückgekommen sind!« Ich sagte in entsetzlicher Pein: »Ja, ich fand dort stille Felder und einfache Herzen. Ich habe alles gelassen, um wieder zu dir zu kommen. Aude, Aude, warum hast du mich nicht geliebt! Ich wäre nie von dir gegangen!« Ihre Schönheit brach aus ihren Kleidern wie ein wildes Tier, wie die ungebändigte Kraft der Katzen. Ich zitterte und wagte sie nicht mehr anzusehen. Sie näherte sich mir um einen Schritt und begann von neuem – verschwiegen zu lachen. Da schrie ich hart: »Pack dich! Pack dich!« – Sie sah mich voll Erstaunens, als hätte ich den Verstand verloren, an; dann wandte sie sich gegen den Spiegel und ordnete ruhig mit einem leichten Händerauschen ihren Hut. Sie tat, als ob sie in Wahrheit nur diese eitle Sorge beschäftigt hätte, und ich sah mich hinter ihr in dem hellen Spiegellichte mit meiner lächerlichen Geberde stehen.

Endlich ging sie fort; ihre schön geformten Hüften streiften die Türe und sie schien sich erst jetzt dessen zu besinnen, daß ich irgend etwas in ihrem Leben war. »Ich wollte dir nur sagen«, betonte sie, »wenn du glaubst, von mir genug zu haben, und wenn du auf eine Insel leben gehst und dort ist ein Mädchen, das dir gefällt: gut, du wirst noch an mich denken, wenn sie sich für dich entkleidet. Und wenn du allein auf dieser Insel bist, dann wirst du im Grase wühlen, du wirst die Erde umfassen und du wirst sie besitzen mit meinem Namen auf den Lippen. Aude gehört nicht zu jenen, die man vergißt!« Ich schloß hinter ihr die Türe. Ich dachte bei mir: »Jetzt heißt es fliehen, als ob – das Haus in Flammen stünde.«

Aude besuchte mich noch ein letztes Mal, wir wechselten nur einige Worte, die sich nicht auf unsere Trennung bezogen. Ich bat sie, die Möbel meiner Wohnung als Andenken an unsere Liebe zu behalten. Ich übergab sie ihr wie ein Vermächtnis, da ich um ihretwillen dem Leben entsagte. Indem sie ohne weiteres darauf einging, schien sie keinen Hintergedanken zu hegen, doch wandte sie, als ich ihr die Schlüssel einhändigte, ihr Gesicht ab. Ich weiß nicht, ob sie neuerlich lachte. Ich sah in der Tat aus, als ob ich schon das Heimweh fühlte. Dennoch war ich entschlossen, sie nie wiederzusehen; wir hatten einander so viel Leid bereitet, daß eine endgiltige Lösung für uns beide noch das einzig übrige Glück zu ermöglichen schien.

Tiefer Frieden, die Hoffnung auf Freiheit regte sich in dieser flüchtigen Stunde. – »Wir wollen einander vergessen!« – Ich nahm ihre Hand und drohte in Tränen zu ersticken. Sie mahnte mich zuerst an das unumgängliche Muß. Sie drückte auf die Klinke, nickte mir einen kalten Abschiedsgruß zu, dann stieg sie langsam die ersten Stufen hinab. Mein Herz war zerrissen, ich hätte sie zurückrufen mögen. Sie wandte sich nochmals um und sagte mit ruhiger Gewißheit: »Wenn Sie zurückkommen werden, werden Sie das Bett – wie damals – finden.«


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