Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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41.

Angemustert.

»Hölle und Teufel,« schrie Nick Sharp erbost zum Fenster des Eisenbahnwagens hinaus, »wo steckt denn wieder Hope, dieses Unglücksmädchen? Es ist doch wahrhaftig, als wenn ihr alle zusammen noch eine Kinderwärterin nötig hättet.«

Der Bahnhof der kleinen Station war gedrängt voll, eine Anzahl von chinesischen Soldaten sollte von hier nach Scha-tou abgeschickt werden, alles wimmelte von den langbezopften Kriegern, Ordnung konnte unter ihnen nicht aufrecht erhalten werden, sie kannten gar keine Disziplin, rannten hin und her und stiegen da ein, wo sie eben Platz fanden.

Dadurch war Hope von den anderen getrennt worden, aber weit konnte sie nicht sein, denn eben hatte Hannes die Gestalt des Schiffsjungen, als welcher Hope noch immer ausgegeben wurde, hinter einer Gruppe von Soldaten gesehen. Er stand noch auf der Plattform und zögerte, in das separate Coupé zu steigen, welches Sharp für die kleine Gesellschaft gemietet hatte, hauptsächlich der Mistreß Congrave wegen.

Diese hatte die ganze Reise in einem besorgniserregenden Zustande verbracht. Man hätte nicht gewußt, ob sie tot oder lebendig gewesen wäre, wenn nicht die Augen unausgesetzt gerollt hätten. Sie lag in beständigem Krampf da, die Kniee angezogen, die Fäuste geballt und den Mund verzerrt, kein Ton kam über die blau angelaufenen Lippen.

Allen graute es, wenn sie das unglückliche Weib ansahen, dem das Schicksal so schwer mitgespielt hatte, und sie waren verzweifelt darüber, daß niemand dessen Lage bessern konnte. Ein Arzt war hier nicht zur Stelle, und keiner, auch Sharp nicht, wußte, wie man einen solchen vom Krampf befallenen Kranken zu behandeln hatte.

Nur so schnell wie möglich nach Scha-tou, wo ein Hospital für Europäer existierte – das war der Wunsch aller. In vier Stunden konnte man die Stadt erreicht haben.

»Ich habe sie eben gesehen,« antwortete Hannes auf den Ausruf des Detektiven, »sie ist durch einige Soldaten von uns getrennt worden.«

»Komm herein,« drängte Sharp. Es ist schon zur Abfahrt gepfiffen worden, da kommt sie ja schon.«

Hannes setzte den Fuß auf das Trittbrett, die Glocke läutete schon, aber er konnte das Mädchen noch nicht sehen. Doch er gehorchte, er stieg ins Coupé, ohne die Augen von der Plattform zu wenden, wo Hope eben hinter einer Gruppe von chinesischen Soldaten von dem Detektiven erblickt worden war.

Jetzt setzte sich der Zug in Bewegung, die Räder des Wagens begannen schon sich zu drehen, und noch war Hope nicht in dem Coupé.

Mit einem Sprunge hatte Hannes den Wagen wieder verlassen.

»So fahre denn mit dem nächsten Zuge nach Scha-tou,« rief ihm der Detektiv zum Fenster hinaus nach, »Geld hast du ja – vergiß nicht zu depeschieren, Wagen 259, erhalte Depesche unterwegs auf jeder Station.«

Das war das letzte, was Hannes zu hören bekam – der Zug brauste davon.

Sharp mußte sich darein fügen, Hope und Hannes verloren zu haben, aber er ängstigte sich nicht im mindesten. Von Hannes wußte er recht gut, daß er der Mann war, sich aus jeder Situation herauszufinden, und in dieser Gegend, welche von einem Eisenbahnnetz, von Engländern erbaut, bedeckt war, konnte er die beiden ruhig sich allein überlassen. Sie kamen eben einige Stunden später in Scha-tou an, weiter hatte dieser Vorfall nichts zu bedeuten. Seine Pflicht aber war es, die beiden Damen sowohl, wie auch die kranke Frau, nicht ohne Schutz reisen zu lassen.

Hannes hatte Hope sofort gefunden, sie konnte sich zwischen den Soldaten nicht hindurchdrängen, welche ihre Kameraden nach der Bahn gebracht und deren Gepäck getragen hatten.

Das Mädchen war über den unfreiwilligen Aufenthalt auf dieser Station bald getröstet, war doch Hannes bei ihr. Sie hatte vor Aufregung fast geweint, als der Zug sich in Bewegung setzte und sie sich zwischen diesen hölzernen, rücksichtslosen Chinesen nicht hindurchdrängen konnte.

Das erste, was Hannes tat, war, daß er zu einem höheren, chinesischen Bahnbeamten ging, den er schon vorhin hatte englisch sprechen hören.

»Wann geht der nächste Zug nach Swatow?« fragte er.

»In einer Stunde zehn Minuten,« war die Antwort.

»Halloh,« sagte Hannes zu Hope, »das geht ja sehr schnell. Ich hätte nicht gedacht, daß hier die Züge so kurz hintereinander passieren.«

Vorsichtshalber erkundigte er sich nochmals, wann der nächste Zug nach Swatow abginge, erfuhr aber dasselbe. Swatow ist die englische Bezeichnung für Scha-tou.

Die Zeit war bald verstrichen, Hannes löste die Billets, und sie stiegen in den haltenden Zug.

In demselben Coupé, in welchem sie Platz genommen, befanden sich nur Chinesen und kein einziger Europäer, sodaß die beiden jungen Leute nur auf sich angewiesen waren und mit ihren Nachbarn kein Gespräch anknüpfen konnten. Aber sie hatten auch kein Bedürfnis dazu, sie waren sich vollständig genug, und beachteten nicht die verwunderten Blicke der reichen Chinesen, mit denen diese die beiden, nicht eben sehr sorgsam gekleideten Seeleute betrachteten, welche zweiter Klasse fuhren.

Besonders das überstandene Abenteuer, die Flucht durch den Wald, der Aufenthalt in der Erdhöhle hatten ihre schon an sich nicht neuen Kleider sehr mitgenommen.

Es war ein Schnellzug, in dem sie sich befanden, viele der sowieso spärlichen Stationen wurden übersprungen; wo gehalten wurde, geschah es höchstens für eine Minute und nur an einer einzigen Stelle hielt er einmal für einige Minuten. Gerade an dieser verließen sehr viele Passagiere den Zug, und andere kamen zu.

»Wenn wir so weiterfahren,« meinte Hannes, »kommen wir noch eher nach Scha-tou, als die anderen, der Zug fahrt ja blitzschnell, ganz nach englischer Manier.«

Nach der letzten, größeren Station wurden ihnen die Billets zum Nachsehen abgefordert, und da mußten unsere beiden jungen Freunde zu ihrem Entsetzen von dem kontrollierenden Beamten hören, daß sie sich in einem falschen Zuge befanden. Wollten sie nach Swatow, so hätten sie auf der letzten Zwischenstation umsteigen müssen. Dieser Zug aber fuhr nach Canton, einem großen, chinesischen Hafen.

Als die erste Bestürzung über diese unangenehme Mitteilung vorüber war, sagte Hannes:

»Schadet auch nichts weiter! Der Beamte sagt, in einer Stunde sind wir in Canton, und ich telegraphiere dann sofort an Lord Harrlington, daß wir in einigen Stunden bei ihm sein werden.

»Canton liegt etwas weiter westlich als Scha-tou, wenn ich nicht irre, legen die Postdampfer diesen Weg in etwa sechs Stunden zurück, und so kommen wir eben etwas später dort an.«

Der Frohsinn war bald wieder hergestellt, ja, sie freuten sich sogar darüber, wenn sie sich ausmalten, wie sie beide zusammen einmal als Passagiere auf einem Schiffe reisen würden.

Es ist nämlich merkwürdig, wie gern Seeleute als Schiffspassagiere fahren. Steht es ihnen frei, zum Beispiel bei einer Rücksendung aus dem Auslande in die Heimat, den Landweg oder die Seereise zu wählen, so ziehen sie letztere immer vor, wenn sie auch viel länger währt, ja selbst, wenn sie zuzahlen müssen. Nicht etwa darum lieben sie die Reise auf einem Schiff, weil sie sich auf dem Meere heimischer fühlen, als auf dem Lande in einem schüttelnden Wagen, als vielmehr, weil es ihnen große Freude bereitet, einmal als Passagiere den arbeitenden Matrosen zusehen zu können, überhaupt das Schiff, auf dem sie fahren, nicht durch sich, sondern durch andere bedienen zu sehen.

»Aber,« fing dann Hannes wieder bestürzt an, »hast du auch noch genügend Geld bei dir?«

»Ich?« versetzte Hope, »viel nicht, aber ich denke doch, du hast die gefundenen Goldstücke noch bei dir.«

»Die habe ich dem Detektiven sofort ausgehändigt, als ich erfuhr, daß ich nicht ihr rechtmäßiger Eigentümer sei,« sagte der Matrose kleinlaut. »Hast du gar nichts bei dir?

»Einen Dollar ungefähr,« entgegnete Hope, in ihrer Börse suchend.

»Und ich habe auch nicht viel mehr. Da sind wir wieder in eine schöne Lage gekommen. Es reicht eben hin, um nach Scha-tou zu telegraphieren.«

»Wir bitten gleich um Sendung von Geld,« schlug Hope vor.

»Aber ehe das ankommt, vergeht ein Tag.«

»So lange werden wir uns schon halten können.«

»Es ist zu fatal,« sagte Hannes ärgerlich, »nicht, daß uns dieses passiert ist; aber daß wir schließlich über unser Unglück noch ausgelacht werden. Nein, weißt du was, Hope,« fuhr er plötzlich lebhaft fort, »was wir machen? Ich habe einen köstlichen Vorschlag.«

»Nun?«

»Ich telegraphiere in Canton für unser letztes Geld sofort, daß wir einen oder einige Tage später eintreffen. Dann gehen wir an den Hafen, erkundigen uns, welche Schiffe nach Scha-tou fahren – zwischen Canton und Scha-tou herrscht ein sehr starker Schiffsverkehr – und suchen dann, an Bord eines solchen als Matrosen anzukommen. Können wir nicht als Matrosen anmustern, so bitten wir den Kapitän, uns wenigstens als solche hinüberarbeiten zu lassen; in dergleichen Angelegenheiten weiß ich ganz genau Bescheid.«

Hope klatschte vor Entzücken in die Hände.

»Wahrhaftig,« rief sie, »das machen wir. Ich wollte ja schon immer einmal als Matrose fahren. Aber werde ich auch als solcher auf einem Schiffe angenommen werden?«

Hannes lächelte, als er die kleine, zierliche Gestalt Hopes musterte.

»Als Matrose allerdings nicht,« meinte er, »aber als Schiffsjunge kannst du überall ankommen.« »Gewiß,« versicherte Hope eifrig, »ich kann alles, was von einem Matrosen gefordert wird.«

»Nun kommt es darauf an, daß wir etwas ausfindig machen, wie wir anmustern können. Ich habe nämlich keine weiteren Papiere bei mir, als meine eigenen, und so mußt du auf dem Seemannsamt etwas vorlügen, etwa, daß du dein Schiff verpaßt hast oder so etwas Aehnliches, sonst kannst du auf kein anständiges Schiff kommen, höchstens ein chinesisches oder portugiesisches Schiff nimmt dich ohne weiteres auf, ohne dich erst zu fragen, wer du bist und wie du hierherkommst, aber auf einem solchen sollst du nicht deine erste Fahrt machen.«

Das war Hope zufrieden. Hannes instruierte sie, wie sie sich auf alle Fälle benehmen sollte, wenn sie den Kapitän eines Schiffes um Aufnahme bäte und sie auf dem Seemannsamt angemustert würde, oder, wenn sie als Matrosen nur die Ueberfahrt verdienen wollten, wozu man sich nicht erst auf dem Seemannsamt anzumelden hat.

»In Canton ist immer Mangel an Seeleuten, das weiß ich bestimmt,« sagte Hannes zuletzt. »Chinesen laufen zwar genug herum, aber wenn dort ein Kapitän einen abgemusterten englischen oder deutschen Matrosen durch die Straße laufen sieht, dann versucht er immer, ihn auf sein Schiff zu bekommen. Also brauchen wir keine Angst zu haben, ein Schiff zu finden.«

Es war Nachmittag, als sie Canton erreichten.

Hannes hatte nicht zu viel gesagt, als er behauptete, die Seeleute würden hier auf der Straße angesprochen. Sie begaben sich von dem Bahnhof nach dem Telegraphenamt, als die beiden Seeleute, von einem untersetzten, breitschultrigen Manne angehalten wurden, der, die Schiffermütze auf dem Kopf, die Kalkpfeife im Munde, unverkennbar den Seemann verriet, auch wenn man nicht seinen breitspurigen Gang bemerkt hätte.

»Woher, wohin?« fragte er die beiden jungen Leute in englischer Sprache. Hope, wie Hannes hörten sofort an dem Nasenlaute, daß sie einen Amerikaner vor sich hatten.

»Wir suchen eine Heuer,« entgegnete Hannes, »womöglich einen Küstenschoner, der uns nach Swatow bringt.«

»Top,« rief der Seemann und schlug die Matrosen auf die Schulter, »das paßt ja, wie es gar nicht besser sein könnte. Willst du mit, Junge? Mein Schiff geht morgen früh in See, soll wenigstens, aber mir fehlen noch ein paar Mann. Kommt, Jungens, wir wollen erst ein Glas dort in jener Wirtschaft trinken. Dabei können wir die Sache gleich abmachen.«

Einige Leute passierten gerade das Trottoir, so daß die drei für einen Augenblick auseinander treten mußten.

»Wir haben Glück!« flüsterte Hope ihrem Begleiter schnell zu.

Ein schlaues Lächeln huschte über Hannes' Gesicht.

»Nicht so fix!« gab er zurück. »Ich bin kein Grünfink mehr, ich kenne diese Art von Geschäften.«

»Was für ein Schiff ist es?« fragte er dann wieder den Mann.

»Die »Recovery« Nordamerikaner, dampft von hier nach Schanghai, läuft aber unterwegs Swatow und andere Plätze an. Ihr könnt in Swatow abmustern, wenn Ihr wollt, dort bekommen wir mehr vernünftige Seeleute, als hier.«

»Was für Mannschaft ist an Bord?«

»Meistens Engländer, aber auch einige Spanier sind darunter. Doch wollen wir, wenn in Swatow englische Matrosen sind, jene herunterschaffen und diese dafür an Bord nehmen.«

»Seid Ihr der Kapitän?«

Der Mann wurde etwas verlegen.

»Das nicht, aber ich soll Seeleute anzumustern suchen. Kommt mit, bei einem Glase Whisky wollen wir die Sache schon in Ordnung bringen.« »Wir haben kein Geld,« sagte Hannes kurz, drehte sich um und ging, die verdutzte Hope mit sich ziehend.

»Aber warum hast du diese Heuer nicht angenommen?« sagte letztere, über das sonderbare Benehmen von Hannes ganz erstaunt.

»Weil ich kein Grüner bin, wie ich dir schon sagte,« lachte der Matrose. »Ich kenne das genauer. Dieser Mann ist ein sogenannter Renner, der mit Matrosen Schwindel treibt. Er hat allerdings von dem Kapitän den Auftrag, für dessen Schiff Seeleute zu besorgen, und er sagt auch jedem, dem er begegnet, und den er für einen Matrosen hält, er könne anmustern, läßt sich aber natürlich vorher von diesen Leuten mit Bier und Branntwein traktieren. Dann sagt er ihnen, sie sollten zu der und der Zeit an Bord des betreffenden Schiffes sein und sich mit seiner Karte beim Kapitän melden. Kommt der Matrose nun dahin, so findet er schon fünfzig andere vor, unter denen sich der Kapitän die aussucht, die ihm gefallen, und nimmt er den Mann nicht, so hat dieser nur für den Renner einen Dollar für Whisky bezahlt, sonst hat er weiter kein Vergnügen gehabt – ich kenne das sehr gut, bin früher auch darauf hereingefallen, wie es dir jetzt passiert wäre.«

»Und was willst du nun tun? Wie finden wir ein Schiff, das uns aufnimmt?«

»Jetzt geben wir erst ein Telegramm auf, erkundigen uns, was für Schiffe nach Scha-tou abgehen, zuerst nach der »Recovery«, und ist es wahr, daß sie schon morgen früh in See sticht, so versuchen wir, auf diese zu kommen. Unser Geld reicht noch, daß wir irgendwo schlafen können.«

Der Agent hatte sie nicht belogen, die »Recovery« fuhr wirklich am anderen Morgen, nachdem sie Leute angemustert hatte, und nachdem Hannes das letzte Geld einem Chinesen gegeben hatte, bei dem sie beide die Nacht geschlafen, machten sie sich ganz in der Frühe nach dem Hafen auf. ,

Die »Recovery« hatte vor einem Monat ihre Leute in Canton abgezahlt, weil sie für längere Zeit wegen eines Schadens am Kiel in das Dock zum Ausbessern mußte. Die Besatzung war nach einem anderen Hafen gereist, und jetzt hatte der Kapitän, ein ehrenwerter Amerikaner, seine liebe Not, tüchtige Seeleute zu finden,

Wohl stand das ganze Deck voll Menschen, die alle hofften, an Bord bleiben zu können, aber es waren meist Galgenphysiognomien, zerlumpte Gestalten, die nur in der äußersten Not wieder zur Arbeit griffen, wenn sie vom Hunger zu sehr geplagt wurden.

Engländer, Spanier, Italiener, Chinesen waren unter ihnen vertreten und warteten auf das Erscheinen des Kapitäns, welcher sich dann unter den hundert Mann die geeignetsten aussuchte, welche ihm gefielen, wobei er auf den Rat des ersten Steuermannes hörte, oder diesem vielleicht, wie viele Kapitäne es tun, das Auswählen selbst überließ.

Der erste und zweite Steuermann, die Ingenieure, wie auch der Bootsmann waren nicht abgemustert worden, sondern an Bord geblieben und leiteten jetzt einige Arbeiten an Deck, das Klaren der Ankerketten, das Zudecken der Luken und so weiter, wozu einstweilen Chinesen engagiert worden waren, damit einige Stunden später, wenn die wirklichen Matrosen auf dem Seemannsamte angemustert waren, die Abfahrt sogleich stattfinden konnte.

Auch der Agent befand sich bei den an Deck herumlungernden Matrosen, ließ eine Branntweinflasche kreisen und nötigte die Leute, ihre letzten Münzen zusammenzulegen, damit die Flasche noch einmal gefüllt werden könne. Alle saßen oder lehnten an der Bordwand, rauchten ihre Pfeife und sahen den Chinesen zu, welche sich, da es nur wenige waren, sehr anstrengen mußten, um der schweren Ketten Herr zu werden.

»Da kommen wieder zwei,« lachte der Agent, oder wie ihn Hannes nannte, Renner, (runner heißt auf deutsch Renner oder Zutreiber, letztes bezeichnet am besten die Beschäftigung derartiger Agenten). Er deutete dabei auf zwei junge Menschen, welche eben die Laufbrücke des Schiffes betraten.

»Verdammt junger Bursche,« meinte ein neben ihm stehender Engländer mit einem zerstochenen und zerfetzten Gesicht, »der eine paßt besser in die Kinderspielschule, als an Bord. Werden wenig Glück hier haben, kalkuliere ich.«

»Dumme Jungen sind es,« entgegnete der Renner ärgerlich, »halten sich für, wer weiß, wie klug. Sprach sie gestern abend an, hielten es aber kaum für wert, mir zu antworten, und ließen mich dann ganz kaltblütig stehen.«

»Sie haben wohl nichts für Euch bezahlen wollen?« lachte der Engländer.

»Gott mache mich blind, wenn ich sie darum angesprochen habe!«

»Ihr müßtet viele Augen haben, wenn Euer Wunsch jedesmal in Erfüllung ginge. Wir kennen Euch Spitzbuben schon, Ihr nehmt lieber, als daß Ihr gebt.«

Der Agent nahm diese Bemerkung durchaus nicht übel, er gab die Flasche, aus der er eben getrunken, seinem Nachbar und wünschte ihm eine glückliche Fahrt auf diesem »blutigen« Schiffe.

Der gewöhnliche oder vielmehr rohe Engländer, besonders der Matrose, kann fast kein Wort sagen, ohne ihm die Bezeichnung »blutig« voranzusetzen.

Hope und Hannes – denn diese waren die beiden neuen Ankömmlinge – hatten das Schiff betreten und setzten sich entfernt von den anderen auf die Bordwand.

»Eine schöne Sippschaft, Jim,« sagte Hannes, den verabredeten Namen benutzend, »die sich hier zusammengefunden hat. Nichts ist so unangenehm für einen braven Matrosen, wie im Ausland an Bord zu mustern. Man kommt da oft unter eine Blase, gegen welche Zulukaffern noch gebildete Menschen sind. Bist du auch bange, hierzubleiben, Jim?« »Bange?« sagte Hope spöttisch. »Wenn ich meine Arbeit tue, können sie mir doch nichts anhaben!«

»Na, na, es sind rüde Kerle dazwischen, sieh nur den mit dem verhauenen Gesicht. Aber folge nur meinen Ratschlägen, wir wollen sie uns schon vom Leibe hatten! Der Kapitän ist ein Ehrenmann, desgleichen die Steuerleute, das ist die Hauptsache, und kommen andere uns schief, dann werde ich ihnen zeigen, daß ein deutscher Seemann seine Kräfte zu brauchen versteht. Lieb wäre es mir aber doch, wenn wir auf ein Schiff mit ordentlicher englischer, norwegischer oder deutscher Besatzung gekommen wären.

»Wer A sagt, muß auch B sagen,« entgegnete Hope, »meine einzige Angst ist, daß ich wegen meiner Jugend nicht angenommen werde.«

»Dafür weiß ich ein gutes Mittel, und das will ich dir raten, wenn ich es auch nicht nötig hätte, denn mich zöge der Musternde doch jedem dieser lahmen, krummen und verlottert aussehenden Kerle vor,« sagte Hannes mit einem Anfluge von Stolz, sprang vom Bord herunter und reckte seine schlanke, sehnige Gestalt. »Sieh dort, wie sich die beiden Chinesen mit schweren Ketten abquälen. Komm', Jim, wir wollen ihnen helfen.«

Eben schleppten zwei Arbeiter eine Ankerkette über Deck, vom ersten Steuermann beaufsichtigt, aber kaum konnten sie die schwere Last fortbewegen. Da sprangen, während die anderen Matrosen ruhig, die Pfeife im Munde, ihnen zusahen, zwei junge Leute hinzu und legten mit Hand an.

»Wohin, Steuermann?« fragte Hannes, zu diesem aufblickend.

Der Steuermann wies nach vorn, bezeichnete den Platz, und im Nu lag die Kette nicht nur dort, sondern wurde auch noch von Hannes und Hope kunstgerecht aufgestapelt.

»Narrenspossen!« murrte der Engländer mit dem zerfetzten Galgengesicht. »Weiter fehlte nichts, als daß man umsonst arbeitet. Wenn ich nicht dafür bezahlt werde, rühre ich keinen Finger.«

»Das sind die Bürschchen,« brummte auch der Agent. »Na, ich will schon dafür sorgen, daß sie mit langer Nase abziehen.«

»Soll die Luke zugedeckt werden, es kann leicht ein Arbeiter hineinfallen.« sagte Hannes unterdes wieder zum Steuermann.

»Kannst du tun, mein Junge,« war die Antwort. Den schlanken Burschen, der hier seine Arme so zu rühren wußte, schmunzelnd betrachtend, fuhr er fort: »Ist der Kleine da dein Schiffsmaat?«

Er deutete dabei auf Hope, die mitarbeitete.

»Ja, Steuermann, wir sind beide in Amoy von Bord gemustert worden; da dort keine Schiffe waren, so sind wir gleich hierhergefahren und suchen jetzt eine Heuer.«

»Als was fährst du, als Kochmaat?« wandte sich der Steuermann freundlich an Hope.

»Nein, ich war bis jetzt Schiffsjunge, kann aber als Leichtmatrose fahren,« antwortete Hope.

»So, na, nun könnt Ihr auch noch gleich das Segel hier aufrollen, damit es endlich einmal aus dem Wege kommt.«

Als auch diese Arbeit vollendet war, suchte Hannes den Steuermann wieder auf und sagte:

»Wenn der Kapitän dann anmustert, denkt an uns beide. Ich bitte Euch darum.«

»Dich können wir wohl brauchen,« meinte der Mann, »aber den Kleinen da? Er scheint mir etwas schwächlich zu sein, und Schiffsjungen nehmen wir nicht an Bord.«

»Oho, der ist durchaus nicht schwächlich,« versicherte Hannes, »ich bin lange Zeit mit ihm an Bord der ›Kalliope‹ gewesen, aber ich sage Euch, er arbeitet wie der älteste Leichtmatrose. Man täuscht sich oft im Aussehen einer Person.«

»Das ist wahr,« stimmte der Steuermann bei, »na, will einmal sehen, was sich tun läßt.«

»Das sage ich Euch gleich, kommt Jim nicht mit, da gehe ich auch nicht an Bord.«

»Gib dich nur zufrieden, will schon sorgen, daß er mitkommt! Du bleibst auf jeden Fall hier!«

Damit wandte sich der Steuermann ab.

»Siehst du, so wird es gemacht,« sagte Hannes zu Hope, als er wieder an ihrer Seite stand, »jetzt können wir so sicher darauf rechnen, angemustert zu werden, wie zweimal zwei vier ist. Diese sauberen Kerle da schimpfen natürlich, aber das soll uns ganz gleichgültig lassen. Auf diese Weise bin ich schon in Häfen angemustert worden, wo nur ein Schiff lag, auf das tausend Matrosen reflektierten. Immer, wenn es irgendwo Arbeit gibt, Jacke aus und angepackt, dann hat man allemal einen Stein im Brett.«

Hannes hatte recht gehabt.

Als der Kapitän an Deck erschien, sprach er mit dem ersten Steuermann, und dieser bezeichnete ihm die Matrosen, welche er sich unterdessen genau besehen und ordentlich befunden hatte, und ebenso gab der erste Ingenieur diejenigen an, welche er als Heizer im Maschinenraum wünschte.

Unter den Matrosen befanden sich auch Hannes und Hope, die Übersprungenen zogen brummend ab, von dem Agenten mit dem Troste versehen, daß er bald ein besseres Schiff, als dieses hier in Aussicht habe, wo sie noch mehr Lohn empfangen würden.

Eine halbe Stunde später standen die Angenommenen vor dem Seemannsamt, einem Bureau, auf welchem die Matrosen gesetzmäßig angemustert werden. Doch wird im Ausland bei weitem nicht so streng dabei verfahren wie in Europa oder gar etwa wie in Deutschland, man braucht nicht einmal Papiere vorzuzeigen, sondern hat nur auf die Fragen Antwort zu geben. Dem Kapitän bleibt es vollkommen überlassen, seine Leute sich auszusuchen, will er sie auf sein Schiff haben, so braucht er dies nur dem Beamten zu sagen, und sie kommen ohne jedes weitere Hindernis zu ihm, selbst wenn sie sich nicht im geringsten legitimieren können.

Hannes richtete es so ein, daß er mit Hope zusammen in das Bureau kam.

»Name?« fragte der Beamte die jungen Leute.

»Jim Hackney,« antwortete Hope ungeniert.

»Als was fahren Sie?«

»Als Leichtmatrose,« antwortete für sie der Kapitän, welcher jedem Verhör beiwohnte und verschiedene Fragen zu beantworten hatte.

»Mit welcher Heuer?«

»Zwanzig Dollars monatlich,« entgegnete der Kapitän.

»Auf welchem Schiff waren Sie zuletzt?« »Auf der »Kalliope«.«

»Welcher Nation gehören Sie an?«

»Den Vereinigten Staaten von Nordamerika,«

Hope mußte den angegebenen Namen unter ein Schriftstück setzen und war als Leichtmatrose auf dem amerikanischen Dampfer »Recovery« angemustert. Die Fahrt ging vorläufig nach Schanghai, das Schiff lief unterwegs Scha-tou an und nahm dann weitere Frachten ein.

Das Schiff machte eine sogenannte »wilde« Fahrt, wie die meisten im Auslande anmusternden, das heißt, der Kapitän konnte keinen seiner Leute zwingen, an Bord zu bleiben, sondern diese konnten es in jedem Hafen verlassen, wenn sie wollten. Daher bekamen die Matrosen auch kein Handgeld, das heißt einen Vorschuß, weil sie sonst einfach nicht an Bord gekommen wären, ohne daß man sie zur Bestrafung hätte heranziehen können.

Als Hannes, der mit vierzig Dollars Heuer angemustert worden war, mit Hope wieder heraustrat, sah er unter den Leuten auch den Agenten stehen, der sich mit den Matrosen unterhielt. Dann, als der Kapitän herauskam, erhielt er von diesem für einzelne, welche er an Bord geschickt hatte, je einen Dollar, und zwar bezeichnete er auch Hannes und dessen Begleiter als solche.

»Was?« rief Hannes empört, »Ihr hättet mir diese Heuer verschafft, sagt Ihr? Kapitän, habt Ihr eine Karte von mir bekommen?« ,

»Nicht, daß ich wüßte,« antwortete der Kapitän.

»Ich habe auch keine erhalten, dieser Kerl will Euch nur um einen Dollar prellen.«

»So, habe ich Euch nicht gesagt, daß die »Recovery« Leute braucht?« rief der Mäkler, vor innerlichem Aerger blau im Gesichte werdend.

»Das hätte mir jeder andere auch gesagt, den ich gefragt hätte,« entgegnete Hannes, »ein Schuft seid Ihr, daß Ihr für Eure kleine Arbeit einen Dollar verlangt, der diesen armen Kerlen abgezogen wird, ein Schuft, der nur aus der Tasche der Matrosen lebt.«

»Hund verdammter!« brüllte der Renner und sprang auf Hannes ein. »Nimmst du dieses Wort zurück, ich schlage dir den Hirnkasten ein!« »Was ich gesagt habe, nehme ich nicht zurück,« rief Hannes, »und wenn es nicht wahr ist, so beweist es, indem Ihr nichts annehmt. Es ist ja doch nur Schwindel, was Ihr da mit den Seeleuten treibt.«

Der Renner antwortete nichts mehr, er drang auf Hannes ein und, selbst früher Seemann gewesen, wollte er diesen zu Boden boxen.

Aber er hatte sich verrechnet, als er mit dem schlanken Burschen ein leichtes Spiel zu haben glaubte. Der Stoß, den er dem Matrosen ins Gesicht geben wollte, ging ins Leere, Hannes war blitzschnell zur Seite gesprungen, doch ehe der Renner noch einmal ausholen konnte, empfing er einen Schlag unter das Kinn, der ihn zu Boden warf.

Ein brausendes Gelächter und Jubelrufen zollte dem kecken Matrosen Beifall, der Renner war, wie jeder seines Handwerks, bei den Seeleuten nicht beliebt, ja, jeder Matrose haßte ihn, aber er wird gebraucht, weil er vielfach bewirken kann, daß man im ganzen Hafen absolut kein Schiff bekommen kann, wenn er nicht will, und weil er den mittellosen Seemann auf Kredit mit Zeug ausrüstet, natürlich gegen spätere doppelte und dreifache Bezahlung.

Fluchend und tobend erhob sich der Getroffene vom Straßenpflaster, aber er wagte nicht noch einmal, dem Matrosen zu nahe zu kommen, der sich so schlagfertig bewiesen hatte. Er machte sich davon, von dem Gelächter der Zuschauer verfolgt, die auf einmal alle für den jungen Matrosen, den sie vorher über die Achsel angesehen hatten, eine Art von Zuneigung verspürten.

»Wo aber bekommen wir Matratzen zum Schlafen?« fragte Hope auf dem Rückwege zum Schiff.

»Zum Schlafen?« lachte Hannes. »Wenn es gut geht, so sind wir heute abend schon in Scha-tou, diese Nacht aber auf jeden Fall. Zum Schlafen werden wir also gar nicht kommen, denn beim Ankerauswerfen müssen wir doch alle an Deck sein.«

»Weiß der Kapitän schon, daß wir in Scha-tou das Schiff wieder verlassen wollen?«

»Ich selbst habe es ihm gesagt, und er ist damit einverstanden. Er ist überhaupt ein guter Mensch, und es tut mir nur leid, daß er solch eine Halunkenbande an Bord bekommen hat. Mit der wird er noch manchmal seine liebe Not haben, denn diese Kerls sehen doch nur auf ihre eigene Haut; beim ersten Anblick von Gefahren suchen sie ihr Leben zu retten, mögen dann auch das Schiff und der Kapitän zum Teufel fahren. Ich möchte dich nicht allein unter solch einer Mannschaft wissen, Hope.«

»O, vor denen fürchte ich mich nicht so sehr; auf den Mund gefallen bin ich eben nicht, das weißt du, und damit kann man schon viel ausrichten. Aber etwas anderes ist es, was mich beängstigt, woran ich noch gar nicht gedacht habe, wenn ich sagte, ich wollte gern einmal als richtiger Matrose fahren,« und das junge Mädchen wurde verlegen. »Gesetzt nun den Fall, wir brächten einige Nächte auf diesem Schiffe zu, müßten also an Bord schlafen, wie würde es dann mit mir? Ich kann doch nicht –«

»Ach so,« lachte Hannes. »Nun, da kannst du ganz ruhig sein. An Bord eines Schiffes schläft man fast immer angezogen, diejenigen, welche sich vorher ausziehen und es sich bequem machen, werden sogar verachtet. Ist es warm, so schläft man an Deck, ist es schlechtes Wetter, dann legt man sich einfach, wie man geht und steht, in seine Koje, denn man muß ja immer bereit sein, sofort an Deck zu kommen.«

»Dann fällt mir eine Zentnerlast vom Herzen,« meinte das junge Mädchen.

»Und wenn wir nun in Scha-tou angekommen sind, was da?« fragte Hannes.

»Was meinst du damit?«

»Nun, nimmst du dann Abschied von den Vestalinnen, wie ich von den Engländern?«

»Hannes,« sagte Hope und wurde sehr ernst, »liegen keine Gründe vor, die mich zurückhalten, dann will ich mit Miß Petersen sprechen. Ich kann doch nicht so ganz eigenmächtig handeln. Auch habe ich mir alles reiflich überlegt, ich muß doch vorher einige Schritte tun, Briefe schreiben und so weiter, denn es wäre Torheit, wollte ich gleich so mir nichts, dir nichts ins Blaue hineinrennen. Ich weiß zwar, daß ich bei dir gut aufgehoben wäre, daß du für mich sorgen würdest, und schließlich würde ich mich auch selbst durchschlagen können, aber sieh, Hannes, ich bin es doch auch schon meinem Namen schuldig, daß ich nichts tue, was man mir oder uns später vorwerfen könnte. Bist du damit zufrieden?«

»Ich bin es,« entgegnete Hannes einfach und drückte dem neubackenen Leichtmatrosen herzlich die Hand. –


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