Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19.

Santa.

Auf einem geräumigen Wiesenplatz, umgeben von Büschen und Bosketts, waren Tische in Hufeisenform aufgestellt und an ihnen die Damen und Herren plaziert.

Immer wieder wurden die mächtigen Glasterrinen mit würziger Ananasbowle gefüllt, die Gläser erklangen, muntere Scherzreden flogen hin und her, und die Stimmung war allgemein eine fröhliche.

Neben Wilhelm van Kuiper saß Miß Finchlay, das Mädchen, dessen Herz er heute abend erobert, und welches versprochen hatte, von ihren Gefährtinnen zu lassen, um ihm anzugehören. Es war nichts, was sie nach der Heimat gelockt hätte; wie die meisten Vestalinnen stand auch sie allein, und so war sie entschlossen, in Batavia zu bleiben und von hier aus ihre Angelegenheiten zu ordnen.

Um diese beiden hatten sich alle die geschart, welche enger befreundet waren, vom ›Amor‹ sowohl, als von der ›Vesta‹, Lord Harrlington, Hastings, Williams, Davids, Chaushilm und Hendricks, von den Damen Miß Petersen, Murray, Thomson, Nikkerson und Lind. Erstere, anfangs erzürnt über den Entschluß ihrer Gefährtin, die ›Vesta‹ zu verlassen, hatte bald ihren Unwillen fahren lassen, sie wollte ja dem Glücke ihrer Freundin nicht hinderlich sein.

Aber auch noch eine andere, ihnen fremde Person, hatte in ihrer Mitte Platz gefunden, Sardal, der malayische Fürst. Kurz vor Anordnung der Tafel hatte der Sohn des Hauses ihn gebeten, sich an ihrem Tische niederzulassen, und der Fürst konnte seinem Gastfreunde dies nicht abschlagen, obgleich es fast schien, als ob er nur widerwillig dieser Einladung gefolgt wäre; er saß Wilhelm gegenüber.

Sardal war ein Mann von etwa dreißig Jahren, eine mittelgroße, schlanke Gestalt, mit ausgeprägtestem Typus des Malayen, das heißt, mit einer breiten, niedrigen Stirn, unter der die mandelförmigen, schiefstehenden, schwarzen Augen hervorblitzten, über dem etwas großen Mund mit aufgeworfenen Lippen den spärlichen, lang herabhängenden, schwarzen Schnurrbart, prachtvollen Zähnen und wunderbar kleinen Händen und Füßen, welche einem Kinde anzugehören schienen.

Nach der hier entworfenen Beschreibung würden die Malayen kein Menschenschlag von besonders anziehendem Aeußeren sein, und doch ist dies der Fall, alles an ihnen ist harmonisch gebaut, und die Kühnheit oder vielmehr Wildheit, welche in ihren Zügen liegt, übt einen anziehenden Reiz auf den Beschauer aus.

Der malayische Fürst war in seinem Nationalkostüm erschienen; ein weites, mit Gold- und Silberstickereien reich besetztes Gewand, von einem Gürtel zusammengehalten, der mit Edelsteinen übersät war, schlang sich mit graziösem Faltenwurf um seinen Körper, und auf dem schlichten, glänzend-schwarzen Haar saß der weiße Turban, wie überhaupt die Malayen, fast alle Bekenner des Islam, das heißt Mohammedaner sind, und in Sitte und Tracht viel Aehnlichkeit mit den Arabern haben. Seine Waffen, die sonst unzertrennlichen Gefährten des malayischen Großen, der sich fast nie ohne Säbel, Dolch und Pistolen sehen läßt, hatte er diesmal zurückgelassen; wahrscheinlich darum, weil er bemerkt hatte, daß die deutschen Offiziere ihre Säbel im Vorzimmer abgeschnallt hatten.

Nur ein Paar wurde bei der Gesellschaft seit einiger Zeit vermißt, Mynheer van Kuiper und Gemahlin; sie hatten sich vor etwa einer Stunde durch ihren Sohn unter irgend einem Vorwande für einige Zeit entschuldigen lassen.

Eben darüber unterhielt sich die kleine Gesellschaft, die sich der englischen Sprache bediente, deren auch Sardal mächtig war; letzterer bedauerte sehr, daß gerade die Wirte, um derentwillen er hauptsächlich die weite Reise gemacht habe, in ihrer Mitte fehlten.

Nachdenklich hatte Wilhelm mit einigen Orangenschalen gespielt, welche neben seinem Weinglase lagen; er hatte sich überhaupt bis jetzt ziemlich schweigsam verhalten, nur höchstens einige zärtliche Worte mit dem Mädchen neben ihm gewechselt; auf diese Rede Sardals aber hob er, als hätten sie ein Stichwort enthalten, plötzlich den Kopf und blickte sein Gegenüber mit festen Augen an.

»Es wundert mich, daß Sie sich gerade darüber aufhalten, Rajah,« sagte er, »Ihnen sollte doch noch bekannt sein, daß heute der Jahrestag ist, an dem Santa zum letzten Male Abschied von ihren Eltern nahm.«

Der Fürst stutzte, legte nachdenklich die Hand auf die Stirn und sagte dann langsam:

»Wirklich, ich hatte es vergessen. Mich beschäftigen in letzter Zeit so ernste Gedanken, daß ich nicht daran gedacht hatte. Verzeihen Sie meine Unachtsamkeit!«

Ellen hatte bei Nennung des Namens hoch aufgehorcht.

»Santa?« fragte sie verwundert. »Es ist mir doch, als hätte ich diesen Namen schon einmal gehört.«

»Wohl möglich,« sagte Sir Hendricks leichthin, »Santa ist ein häufig vorkommender, holländischer Name!«

»Die Santa, an welche ich eben dachte,« entgegnete Ellen, »hatte ihre Heimat auch in Java und, wenn ich nicht irre, in Batavia.«

»Hier heißt jedes dritte holländische Mädchen Santa.«

»Ist Ihnen ein solches Mädchen im Leben begegnet?« fragte Wilhelm.

»Das nicht, eine Geschichte handelt von ihr, und ich fand sie auffallend, weil auch ihr Hauptteil in Java spielt.«

»Erzählen Sie uns die Geschichte!« meinte Wilhelm. »Es interessiert mich, zu erfahren, wie wohl in fremden Ländern über uns Holländer in Java geurteilt wird, denn ich nehme an, daß der Schriftsteller ein Engländer oder Amerikaner gewesen ist und die Geschichte erdichtet hat. Jedenfalls wimmelt sie von Romantik und phantastischen Begebenheiten, welche man bei Nennung des Namens Java zu glauben geneigt ist.«

»Sie nennen sich Holländer?« fragte Sardal, und ein leiser Spott klang aus seinen Worten.

»Allerdings,« entgegnete Wilhelm ernst, »bin ich auch nicht von rein holländischem Blute, so bin ich doch als Holländer erzogen worden und nenne mich einen solchen.«

»Die Geschichte ist an sich schon kurz,« begann Ellen nach wiederholter Aufforderung zu erzählen, »und ich will nur den Hauptinhalt wiedergeben. Santa war die Tochter eines auf Java ansässigen Holländers, welcher eine Malayin aus angesehener Familie geheiratet hatte. Das erwachsene, schöne Mädchen wurde von Freiern umschwärmt, nicht nur von Holländern, sondern auch, besonders da sie zur Hälfte von malayischer Abstammung war, von Malayen, welche deshalb den größeren Anspruch auf ihre Hand zu haben glaubten. Unter diesen Freiern befand sich auch ein eingeborener Fürst von Java, welcher sich ganz besonders um die Gunst des Mädchens bewarb. Warum sie die Hand des Fürsten ausschlug, weiß ich nicht mehr genau, ich glaube der Grund war, weil er Mohammedaner war und schon zwei Frauen hatte, und Santa als Christin nicht in einen Harem eingeschlossen werden wollte, auch nicht als Lieblingsfrau, denn dem malayischen Fürsten gestattete seine Religion auch noch eine vierte Frau, und es war vorauszusehen, daß er sich in Kürze auch noch eine solche anschaffen würde.

»Trotzdem der Fürst von der schönen Santa einen Korb erhalten hatte, verkehrte er nach wie vor im Hause ihres Vaters, Geschäfte vorgebend, dem Anschein nach sich in sein Schicksal fügend, in Wahrheit aber innerlich vor Wut kochend, daß ihn, einen mächtigen Fürsten, ein Weib verschmäht hatte.

»Der Holländer, ich weiß nicht mehr, wie er hieß, besaß in Singapore Verwandte, und nach längerem Hin- und Herschreiben beschlossen Santa und ihr Bruder – sie besaß einen um wenige Jahre älteren Bruder, dessen Namen ich ebenfalls vergessen habe – dieselben einmal zu besuchen, es war ja nur eine kleine Reise.

»Der Dampfer, welcher beide aufnehmen sollte, fuhr des Nachts ab. Die Billets waren gelöst, Bruder und Schwester begaben sich durch die spärlich oder damals fast gar nicht erleuchteten Straßen des unteren Batavia nach der Quaibrücke, als plötzlich aus den Winkeln der Gasse eine Bande vermummter Männer, wahrscheinlich Eingeborene, hervorbrach, und ehe der Bruder noch einen Argwohn gefaßt hatte, empfing er einen Stich in die Brust, welcher das Herz treffen sollte.

»Er wäre jedenfalls nicht mit dem Leben davongekommen, aber die Straßenräuber wurden vertrieben und mußten die Flucht ergreifen, sie schleppten jedoch Santa mit sich. Der junge Mann –«

»Fürst, was ist Ihnen?« unterbrach sich Ellen und blickte auf Sardal, der sich plötzlich mit aschfarbenem Gesicht erhob, den Stuhl zurückschob und sich entfernen wollte.

Er blieb die Antwort schuldig.

Wilhelm hatte während der Erzählung Ellens den Fürsten scharf beobachtet, er hatte gemerkt, wie schon nach den ersten Worten sich die gelbliche Hautfarbe des Malayen veränderte, wie sie eine graue Schattierung annahm, wie die schiefstehenden Augen unruhig hin- und herzurollen begannen, und wie er dem festen Blicke des Wirtes auszuweichen suchte, aber trotzdem ihm immer wieder, wie von magischer Gewalt angezogen, begegnete.

Die Erzählung Ellens war keine Dichtung gewesen; sie hatte alles aus Santas eigenem Munde erfahren, wie auch deren Mutmaßung, daß Sardal wahrscheinlich ihr Entführer gewesen war, aber sie konnte es nicht behaupten. Hätte Sardal die ganze Geschichte Santas mit ruhigem Aeußeren anhören können, wäre er noch immer nicht als Schuldiger zu verurteilen gewesen, er hätte alles ableugnen dürfen, ohne des Verbrechens überführt werden zu können.

Aber er konnte weder die Erzählung Ellens, noch den Blick Wilhelms aushalten, er fühlte sich verraten und suchte sich durch Flucht der Rache zu entziehen.

Wie der Sohn des Hauses, so waren auch die umsitzenden Herren bereits von Ellen eingeweiht, und in dem Augenblicke, da Sardal aufstand und den Stuhl zurückstieß, sprangen auch Lord Harrlington und Hastings auf und streckten die Arme aus, um den Malayen zu ergreifen.

In der hoch erhobenen Hand Sardals funkelte der Kris, jener, wie eine Flamme geformter Dolch der Malayen, den er blitzschnell aus dem Gewand gerissen hatte.

»Er ist vergiftet,« rief Wilhelm und fuhr mit den Armen erschrocken zurück.

Aber die Warnung kam zu spät, Lord Hastings stand gerade vor dem Malayen, welcher den Weg zur Flucht durch die riesige Gestalt des Engländers gesperrt sah, und ehe dieser die Hand zurückziehen konnte, zuckte, wie eine blaue Flamme, der Kris herab und traf den Oberarm des Lords.

Trotzdem wich derselbe nicht zurück; er warf sich auf den Malayen, dieser aber bückte sich und entglitt wie ein Aal den drohenden Fäusten; ein Sprung, und er war im Gebüsch verschwunden.

Sardal brauchte keine Verfolgung zu fürchten. Alle, welche bis jetzt noch gesessen, waren entsetzt aufgesprungen und drängten sich um den Engländer, der matt auf einen Stuhl gesunken war und den getroffenen Arm schlaff herabhängen ließ. Sofort hatte Lord Harrlington sein Messer gezogen und den Rockärmel seines Freundes aufgeschlitzt, um die Wunde zu untersuchen.

Der Dolch hatte gerade den Muskel durchbohrt. Atemlos sahen alle auf Kuiper, welcher sich herabbog und die Wunde betrachtete; aller Augen hingen an seinem Munde, jeder fürchtete seinen Ausspruch, denn es war ihnen bekannt, daß die Malayen ihren Kris oftmals mit dem Safte einer Pflanze bestreichen, einem furchtbaren Gifte, das nach wenigen Minuten den unabwendbaren Tod herbeiführt.

»Gott sei Dank,« sagte Wilhelm und richtete sich auf, »der Kris war nicht vergiftet, sonst wären die Ränder der Wunde bereits blau angelaufen.«

Ein Ruf der Freude ging durch die Reihen der Umstehenden, denen sich andere beigesellt hatten, die noch gar nicht wußten, um was es sich handelte, und ebenso schnell hatte sich Lord Hastings von seinem plötzlichen Unwohlsein, welches man nach einer größeren Verletzung gewöhnlich empfindet, erholt und wurde ganz unwirsch, als er sich zum Mittelpunkte allgemeiner Teilnahme gemacht sah.

»Es ist ja gar nicht nötig, daß man so viele Umstände macht,« wehrte er ab, als ihm Harrlington mit einigen Taschentüchern einen Notverband anlegte.

»Goddamm, ich bin doch kein altes Weib, das an einem Nadelstiche gleich stirbt.« Es half ihm aber nichts, er mußte sich ruhig gefallen lassen, daß ein sofort geholter Arzt ihm in einem Zimmer des Hauses einen regelrechten Verband anlegte, und er mußte sich, auch trotz alles Sträubens der Anordnung des Arztes fügen, in einem Wagen nach dem ›Amor‹ zu fahren, wobei ihn zwei andere Engländer begleiteten, welche sich an Bord zu begeben wünschten.

Mit einem schmerzlichen Blicke nach der noch halbgefüllten Bowle nahm er Abschied von der Gesellschaft und schwur hoch und heilig, wenn seinetwegen eine Unterbrechung stattfände, wenn sich Harrlington oder sonst jemand etwa einfallen ließe, seinetwegen eher an Bord zu gehen, als es sonst geschehen wäre, so wolle er trotz aller Verbote doch wieder zurückkehren.

Man brauchte um ihn auch wirklich keine Sorge zu haben; keiner der Herren hätte sich übrigens aus solch einem Stiche in den Arm viel gemacht, und seiner kräftigen Natur konnte es nicht einmal so viel anhaben, daß er Wundfieber bekam.

Bald hatte sich unter der Gesellschaft verbreitet, was geschehen war; ein jeder wollte darüber genauer orientiert sein, wollte erfahren, wer diese Santa eigentlich sei, und da alle Vestalinnen und auch einige der Herren ihr Schicksal kannten, so entstanden bald Gruppen von Zuhörern, welche sich um einen Erzähler sammelten.

»Schade, daß wir den Burschen nicht bekommen haben,« meinte Harrlington zu Wilhelm. »Wohin mag er sich nur gewendet haben?«

»Er ist geflohen, ohne noch einmal in seine ihm zur Verfügung gestellten Zimmer zurückzukehren,« antwortete van Kuiper, »er hinterläßt Diener, Waffen und Gepäck. Jedenfalls befindet er sich jetzt bei einem seiner Freunde und begibt sich so bald als möglich in sein Land zurück.«

Des jungen Mannes Züge nahmen einen etwas sorgenvollen Ausdruck an.

»Hegen Sie Befürchtungen, daß er Rache ausüben wird, weil sein Vergehen entdeckt worden ist?« fragte wieder Harrlington.

»Ich glaube das. Er hat jetzt eingesehen, daß er erkannt worden ist und mich sollte es nicht wundern, wenn er sich jetzt auf die Seite der Atchinesen schlägt und gegen die Holländer kämpft, die er, wie ich bestimmt weiß, als Unterdrücker Javas glühend haßt. Aber besser, die Holländer kämpfen gegen einen offenen Feind, als gegen einen verborgenen, der ihnen viel mehr schaden kann. Was ich getan habe, kann ich verantworten, ich will beweisen, daß der Regierung nur ein Dienst getan worden ist, indem ich ihn entlarvte.«

»Fürchten Sie keine persönliche Rache?«

»Vor der sind wir nie sicher, wir müssen aber die Augen offen halten. Unsere eingeborene Polizei ist gut, sie wird, wenn sie damit beauftragt ist, dafür sorgen, daß wir unbelästigt bleiben.«

Während sich diese Szene im Garten abspielte, saßen in einem Zimmer des Hauses Mynheer van Kuiper und Gemahlin und schienen gar nicht, wie gewöhnlich, daran zu denken, daß Aufregung dicken Menschen gefährlich werden kann. Bald lachten sie, bald weinten sie und herzten dazwischen das schöne Mädchen, ihre Tochter Santa, welche vor ihnen auf einem niedrigen Schemel saß und ihnen ihre Geschichte erzählte.

Eben schilderte sie, wie sie durch Männer von der Seite ihres Bruders gerissen worden war, und fuhr fort:

»Ich, wurde sofort nach einem entlegenen Teile des Hafens geschleppt, und wollte ich schreien, so drückte mir der Malaye, welcher mich auf dem Arme trug, mit der Hand den Mund zu. Schließlich verlor ich vor Angst die Besinnung, und als ich erwachte, lag ich auf einem weichen Bette, doch war es vollkommen dunkel um mich herum, sodaß ich nichts erkennen konnte.

»Aber ich merkte, daß wir schon auf dem Meere waren, ich wurde leise hin- und hergeschaukelt, und außerdem hörte ich an der Wand, an welche mein Ruhebett stieß, ein leises Rauschen von Meereswogen.

»Jedenfalls war es noch Nacht; es vergingen einige Stunden, dann wurde oben eine Luke geöffnet, durch welche der Morgen hereindämmerte, und ein Mann stieg die Leiter herab. Er brachte mir Datteln und Kaffee.

»Ich fragte ihn, zitternd vor Angst, was sie mit mir vorhätten, wo mein Bruder wäre, wohin ich gebracht werden sollte, aber soviel ich auch bat und flehte, der Mann gab entweder gar keine oder eine ausweichende Antwort, sodaß ich nichts Genaues über mein Schicksal erfuhr.

»Den Raum, in dem ich mich befand, erkannte ich als einen Teil des Zwischendecks einer malayischen Prau, also hatten mich Malayen geraubt, und mein ferneres Los war mir nun bewußt. Ich war eben von Mädchenhändlern entführt worden und sollte als Sklavin verkauft werden.

»Ich weinte und klagte den ganzen Tag, verschmähte alle Nahrung, und ich glaube, ich hätte mich bald zu Tode gehärmt, wenn nicht wieder ein anderer Umstand eingetreten wäre, der mich in Aufregung hielt.

»Es mochte Nachmittag sein, das Fahrzeug schwankte sehr stark, weil wir uns wahrscheinlich im offenen Meer und nicht mehr an der Küste befanden, als ich an Deck ein eiliges Laufen und Stampfen vernahm, die Matrosen schwatzten lebhaft zusammen, ich hörte Verwünschungen und Flüche, dann wieder angstvolle Ausrufe, und an der immer wechselnden Beleuchtung, welche durch die Luke zu mir hereinfiel, mußte ich annehmen, daß das Schiff bald vorwärts-, bald wieder zurückfuhr, und zwar änderte es alle paar Minuten seine Richtung. Das Geschrei der Matrosen ward immer ängstlicher, aber ich konnte nicht verstehen, was sie riefen, nur einige Male war es mir, als hörte ich ›Atchinesen‹ aussprechen.

»Nicht lange dauerte es, so bekam unser Schiff einen Stoß, der mich fast vom Lager geschleudert hatte, und sofort erhob sich oben ein wüstes Geschrei, Eisenhaken rasselten, Schüsse ertönten, ich hörte furchtbare Schmerzensschreie, und dazwischen erscholl das gellende Kriegsgeheul der Malayen.

»Jetzt wußte ich, was dies zu bedeuten hatte.

»Unsere Prau gehörte, wenigstens meiner damaligen Meinung nach, einem Mädchenhändler, der von einem Seeräuber entdeckt und verfolgt wurde, und jetzt fand oben an Deck ein Kampf zwischen beiden statt.

»Mich erfaßte plötzlich eine unsägliche Verzweiflung bei dem Gedanken, ein Spielzeug in den Händen dieser wilden Männer zu sein; schon beschloß ich, die Leiter emporzusteigen und mich ins Meer zu werfen, als es oben stiller wurde; nur ab und zu erscholl noch der röchelnde Todesschrei eines Sterbenden, dann verfinsterte sich die Luke, und ein Mann kam herab.

»Ich erkannte ihn an seiner Kleidung sofort als Atchinesen.

»Als er mich sah, flog ein freudiges Erstaunen über sein wildes, mit Narben und einer offenen Wunde bedecktes Gesicht, und grinsend rief er:

»›Sieh da, was für ein guter Fang! Also solche Ladung führt Sardal in seinen Prauen.‹

»Es war das erste Mal, daß ich hier den Namen Sardal hörte, und sofort dämmerte mir eine Ahnung auf, wodurch ich in diese Lage gekommen war. Wie dieser Mann sagte, gehörte die Prau dem Sardal, also war er es gewesen, welcher mich hatte entführen lassen. Weil ich mich geweigert hatte, dem Manne, der bereits zwei Weiber besaß, die Hand zu reichen, so wollte er mich mit Gewalt in seinen Harem schleppen.

»Dieser Gefahr war ich nun zwar entronnen, die Seeräuber hatten meine Entführer, um die Prau in ihren Besitz zu bekommen, angegriffen und ermordet, aber gebessert hatte sich meine Lage auch nicht, denn ich glaubte, sie würden mich nun nach ihrem Schlupfwinkel schleppen. »Aber es kam anders.

»Ich blieb auf derselben Prau; sie wurde von den Atchinesen besetzt, und nach einer stürmischen Nacht, während welcher ich unsäglich zu leiden hatte, hörte ich, wie es unter mir leise knirschte, als ob der Kiel des Fahrzeuges auf Sand stieße, dann rasselten Ketten, die Matrosen eilten hin und her, und wir blieben still liegen.

»Nach einiger Zeit wurde ich an Deck gerufen; ich war so bedrückt, daß ich der Aufforderung nicht Folge leisten wollte, als aber zwei Matrosen Miene machten, mich mit Gewalt an Deck zu schleppen, stieg ich der Leiter hinauf.

»Wir lagen an einer Küste, und aus den Reden der Matrosen hörte ich, daß es die von Sumatra, der Heimat der Atchinesen war.

»Obgleich es kein Hafen war, wo wir uns befanden, lag doch nicht weit von uns ein großes, europäisches Segelschiff, und an Deck unserer Prau stand ein Mann, ein Europäer, zu dem ich geführt wurde.

»Dieser Mensch besah mich von allen Seiten, betastete mich, und ich sah dann, wie er dem Atchinesen Geld gab, worauf ich in ein Boot steigen mußte und an Bord des großen Schiffes gebracht wurde.

»Auf diesem traf ich noch mit vielen anderen Mädchen zusammen, welche der Kapitän nach und nach, teils in Sumatra, teils in Java, aufgekauft hatte, also meistens Malayinnen, und einige davon waren sogar, wie ich, aus Batavia.

»Wir wurden nach Konstantinopel gebracht und hatten unterwegs über nichts zu klagen, wir wurden sogar überaus sorgfältig behandelt, was wir uns nicht erklären konnten, da wir uns doch als Sklavinnen fühlten, bis uns eine, die schon einmal verkauft und wieder losgekauft worden war, sagte, dies geschähe nur, um uns gesund und schön zu erhalten, damit der Händler einen möglichst hohen Preis für uns bezahlt bekäme. »In Konstantinopel wurden wir getrennt, nur zwei Malayinnen und ich kamen zuerst vom Schiff, und merkwürdig ist, daß auch die beiden anderen aus Batavia stammten. Es war, als ob das Schicksal uns nicht trennen wollte. In dem Hause, in welches wir gebracht wurden, waren noch viele andere Mädchen, wir waren mit die letzten, die zu einem Transport gehörten, welcher nach Smyrna bestimmt war, wo wir an türkische Fürsten verkauft werden sollten.

»Aber Gott hatte es anders beschlossen.

»Noch an demselben Tage, an welchem wir Konstantinopel mit einem Segelschiffe verlassen hatten, wurden wir von den Damen, welche bei Euch als Gäste weilen, durch eine List befreit. Ihr wißt dies schon, denn als ich es Euch erzählen wollte, merkte ich an Euren Unterbrechungen, daß Ihr davon schon erfahren habt. Das sind kurz meine Erlebnisse. Wären die Damen nicht dazwischengekommen, so befände ich mich jetzt an irgend einem Teile der Erde als Sklavin im Harem.«

Schluchzend hatte ihr Frau Fatja zugehört.

»Mein Gott,« sagte sie, »wer hätte das denken können, daß auch du mit unter den Mädchen warst, welche die Vestalinnen befreit haben? Wir haben es wohl gelesen, aber es war so weit, weit von hier.«

»Ich hatte immer Hoffnung,« brummte Mynheer, »und erst als die ›Vesta‹ hier ankam und wir nichts weiter erfuhren, verlor ich den Mut.«

»Durch einen Zufall traf Miß Petersen gleich am ersten Tage mit Wilhelm zusammen,« erklärte Santa, »er hörte, wie sie sich nach deiner Wohnung erkundigte, und dachte sofort an mich, als er erfuhr, daß dies die Kapitänin der ›Vesta‹ wäre.«

»Mir ging es ebenso,« sagte die Mutter, »aber Wilhelm hat uns ja etwas ganz anderes erzählt, von dir gar nichts, und so gab ich die Hoffnung auf.«

»Ich sprach meinen Bruder, er bat mich, sofort nach Hause zu kommen, aber gab dann Miß Petersen nach, welche das Wiedersehen für heute aufgehoben hatte. Also Sardal, dieser Elende ist auch da?«

»Er ist hier,« entgegnete Mynheer. »Aber weißt du auch bestimmt, daß er derjenige ist, welcher an deiner Entführung die Schuld trägt?«

»Ich habe Wilhelm meine Vermutung mitgeteilt, und er stimmte mir bei. Nur Sardal ist der Anstifter des Planes gewesen. Weil ich mich weigerte, sein Weib zu werden, wollte er mich mit Gewalt dazu zwingen.«

In diesem Augenblick hörten sie draußen im Garten einen Tumult; sie sahen im Scheine der Papierlaternen, wie ein Mann auf den Stuhl niedersank und sich die anderen um ihn drängten.

»Dort läuft Sardal,« rief plötzlich Mynheer und deutete nach einem Gange des Gartens, in den sie vom Fenster aus gerade hineinsehen konnten.

Sie bemerkten den Malayen, wie er, das lange Gewand zusammengerafft, in weiten Sprüngen durch den Gang floh und sich am Ende desselben über ein Staket schwang, dann verlor er sich in der Dunkelheit.

»Ein neues Unglück!« rief Mynheer. »Dachte ich mir doch, daß etwas passieren würde. Wilhelm wird ihn herausgefordert und der heißblütige Malaye wird sich gerächt haben. Wenn es nur nichts weiter ist!«

Er eilte hinaus, so schnell es ihm seine Körperfülle erlaubte, Mutter und Tochter allein zurücklassend, die keine Lust fühlten, sich in die lärmende Gesellschaft zu mischen.


 << zurück weiter >>