Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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12.

Auf Freiwache.

Die vor dem Steuerrad hängende Schiffsglocke des ›Amor‹ gab vier Doppelschläge von sich, das heißt in der Seemannssprache, es wurde acht Glasen geschlagen, was wiederum um vier, um acht oder um zwölf Uhr bedeuten kann, da die Zeit auf den Schiffen in sechsmal vier Stunden oder in sechs ›Wachen‹ eingeteilt ist. Diesmal war es nachts um zwölf Uhr, der ›Amor‹ bereits seit fünf Tagen unterwegs, die Mannschaft ging also ›Seewache‹.

Gleichzeitig gellte ein Pfiff aus der Bootsmannspfeife des zweiten Steuermanns, John Davids, und der gewöhnliche Ruf erscholl:

»Backbordwache zur Koje, Steuerbordwache an Deck!«

Sofort kletterten aus einer Luke die englischen Herren und lösten ihre Kameraden ab, allen voran Lord Hastings, in einem weiten Oelmantel und hohen Seestiefeln, der dem zweiten Steuermann das Kommando abnahm, nachdem er sich erst vom Stande der Segel, von der Richtung des Windes und der Stellung des Kompasses überzeugt hatte.

Ebenso wurden Marquis Chaushilm vom ›Ausguck‹ am Bugspriet abgelöst, desgleichen Hendriks hinten vom Steuer und alle vierzehn Mann, darunter auch Hannes, trotz ihres guten, wasserdichten Oelanzuges bis auf die Knochen durchnäßt, wie man sagt, verschwanden im Zwischendeck, um sich erst umzuziehen und dann zu schlafen, aber vorher noch etwas zu plaudern.

Es war stürmisches Wetter gewesen, der Seegang war zwar nicht mehr so schlimm, aber er hatte doch noch genügt, das Deck des niedrigen ›Amor‹ fortwährend mit Wasser zu überspülen, und die ›überkommenden‹, d. h. die überspritzenden Wogen hatten die Männer tüchtig durchnäßt.

Es wurde auf dem ›Amor‹ mit dem Dienst bei weitem nicht so scharf genommen wie auf der ›Vesta‹. Auf diesem Schiff gingen die Wachen regelmäßig durch, Tag oder Nacht mußte immer die eine Hälfte der Mädchen an Deck sein, in diesem wollten sie den Seeleuten nicht nachstehen.

War das Wetter nur einigermaßen schön, so blieben auf dem ›Amor‹ bei Nacht beide Wachen unter Deck, nur daß die eigentliche Wache angezogen bleiben mußte. Der Posten am Steuer, auf dem Ausguck und der Steuermann wurden natürlich immer regelmäßig abgelöst.

Wenn vom Wetter oder Winde dagegen Gefahr zu befürchten war, so duldete Lord Harrlington eine derartige Bequemlichkeit nicht, dann mußten alle Mann der Wache an Deck bleiben, um bei einer Gefahr oder einem Manöver gleichzeitig und sofort bei der Hand zu sein, nicht, daß sie erst einzeln aus dem Schlafe gerüttelt werden mußten und dann schlaftrunken an Deck erschienen.

Lord Harrlington selbst ging immer mit gutem Beispiel voran. Er besaß dasselbe Recht wie jeder andere Kapitän, d. h., er befand sich am Tage immer auf seinem Posten und war während der Nacht jeden Augenblick bereit, seine Kleider überzuwerfen und an Deck zu eilen. War das Wetter nur einigermaßen schlecht, so schlief er auch während der Nacht angekleidet auf dem Sofa im Kartenhäuschen, neben sich den Kompaß.

Es gibt Kapitäne, welche während einer Reise prinzipiell niemals das Kartenhaus verlassen, von dem aus sie alles beobachten können, Segel, Wind und Kompaß, welche niemals ein anderes Lager haben, als das lederne Sofa, und niemals aus den Kleidern kommen, es sei denn zum Wechseln, und wenn die Reise monatelang dauerte.

Jeder der Herren warf, ehe er unter Deck verschwand, noch einen Blick nach den farbigen Lichtern, welche nicht weit vor dem ›Amor‹ sichtbar waren. Es waren die der ›Vesta‹.

Auf dieser war die Ablösung eben ganz genau so vorgegangen, wie auf dem ›Amor‹.

Die Herren hatten die Schiffsglocke, den schrillen Pfiff und selbst das Kommando deutlich vernehmen können, jetzt wechselten die Mädchen ebenso ihre Rollen, die Steuerleute übergaben sich das Schiff, für das sie während der vier Stunden verantwortlich waren, und die abgelösten, jungen Mädchen begaben sich jetzt auch unter Deck, ganz genau so durchnäßt wie die Herren, und dort auf der Kommandobrücke im Kartenhäuschen lag die Kapitänin auf dem Sofa und ließ sich hin- und herwiegen.

»Oh, oh,« seufzte Chaushilm, als er sich im Gange des Zwischendecks die Stiefel auszog und diese in einem Eimer ausgoß, »und das nennt nun der Mensch ein Vergnügen. Oben naß, an den Seiten nässer, und unten am allernässesten.«

»Holen Sie sich nur keinen Schnupfen,« meinte Hendricks, der mit gespreizten Beinen dastand und seinen Freund hielt, damit er bei dem schwierigen Experiment des Stiefelausziehens nicht umfiel, denn der ›Amor‹ schlingerte heftig, »aber sagen Sie einmal, verehrter Herzog, haben Sie denn eigentlich mit Ihren Stiefeln den Ozean ausschöpfen wollen? Das sprudelt ja heraus, wie bei einem Wasserfall. Sind sie nicht wasserdicht?«

»Das schon, aber stehen Sie einmal zwei Stunden auf dem Ausguck, da fließt ja das Wasser immer von oben herein. Und wären die Stiefel auch noch so hoch wie die Peterskirche zu Rom, voll werden sie doch.«

In diesem Augenblicke kam Hannes vorüber und hatte die Bemerkung des Herzogs gehört. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Dagegen gibt es aber ein sehr einfaches Mittel, Chaushilm,« sagte er – er nannte niemanden bei seinem Titel. »Kennen Sie das nicht?«

»Nein, was denn?«

»Sie schneiden einfach die Seestiefel unten an beiden Seiten auf.«

»Dann läuft aber doch noch mehr Wasser hinein!«

»Durchaus nicht. Auf der einen Seite läuft es hinein und zur anderen wieder hinaus, so hat man nie Wasser im Stiefel, und der Fuß bleibt immer trocken.«

»Das ist ein sehr fauler Witz. Meinetwegen können Sie das tun, ich mach's nicht. Hendricks, halten Sie den Wassereimer fest, er fällt.«

Aber es war geschehen, das Schiff hatte einigermaßen heftig übergeholt, der Eimer war umgefallen, und das Wasser rauschte im Zwischendeck hin und her und ergoß sich über die Strümpfe des Marquis.

»Na, das macht nun auch weiter nichts,« meinte dieser, »es plätschert so schon durch die Luken wie ein Platzregen herab, und naß bin ich nun einmal. Nun will ich mich aber auch noch inwendig anfeuchten. Hendricks, leisten Sie und Williams mir nachher Gesellschaft bei einem Glas Grog?« »Tut mir leid, wir beide und Lord Stevenson haben schon Harrlington versprochen, nach der Ablösung noch für eine Stunde mit ihm im Kartenhaus zu plaudern.«

»Harrlington ist verrückt, die ganzen Nächte da oben auf dem Sofa zu liegen. Die Knochen müssen ihm ja lahm werden. Gute Nacht denn, ich gehe in meine Kabine.«

Er ging, während sich einige der jungen Leute zur fröhlichen Unterhaltung im Kartenhaus zusammenfanden. Der Morgen versprach, schön zu werden, und so konnte man hoffen, daß die Wache um vier Uhr nicht wieder vollzählig abgelöst zu werden brauchte.

Eine Stunde später trennten sich auch die Herren, um sich, wie die übrigen schon getan hatten, zur Ruhe zu begeben.

Als Charles die Tür seiner Kabine öffnete, blieb er, erstaunt über den Anblick, der sich ihm bot, stehen.

Vor dem großen Toilettenspiegel stand sein Diener Hannes, an den Füßen noch immer die Seestiefel, den Oberkörper in Williams schwarzen Frack gezwängt, bemühte er sich eben, auf seine großen Hände weiße Glacéhandschuhe zu streifen, natürlich ebenfalls die seines Herrn. Als ihm dies endlich nach ungeheurer Anstrengung gelungen war, setzte er seines Herrn besten Zylinderhut auf den Kopf und betrachtete sich nun mit unendlichem Wohlgefallen im Spiegel, sich hin- und herbewegend, so daß der Frack in allen Nähten krachte.

Williams hatte er noch nicht bemerkt.

Dann räusperte er sich wiederholt, nahm mit einer zierlichen Verbeugung den Zylinder vom Kopfe, schwenkte ihn graziös hin und her, kratzte mit dem Fuß nach hinten aus, räusperte sich wieder und begann zu deklamieren:

Süße Betty, holdes Wesen,
Bin schon längst dir gut gewesen.
Aber mündlich dir's zu sagen,
Dies zu tun, konnt ich nie wagen.
Deiner Augen, nächtig dunkel,
Sinnverwirrend Prachtgefunkel
Hat es so mir angetan, Daß ich ...

»Wo haben Sie dieses Lied gelesen, Sie Unglücksmensch,« wurde er plötzlich von einer heftigen Stimme unterbrochen und dabei am Arme gepackt.

Ruhig wandte Hannes den Kopf zur Seite, blickte in das gerötete Gesicht seines Herrn, deutete mit dem Daumen über die Schulter nach dem Schreibtisch und sagte gelassen:

»Dort in dem Buche.«

»In meinem Tagebuche? Wie können Sie sich unterstehen, darin zu lesen?«

»Warum denn nicht? Da ist doch weiter nichts dabei.«

»War das Buch nicht in der Schublade?«

»Allerdings, ich hätte es auch nachher wieder hineingetan,« war die unverzagte Antwort.

»Aber wie in aller Welt können Sie nur wagen, meinen Schreibtisch ohne weiteres zu öffnen?«

»Schließen Sie ihn doch ein andermal zu.«

»Wissen Sie nicht, daß man in einem Tagebuch die größten Geheimnisse niederschreibt, die für das Auge keines anderen Menschen bestimmt sind?« »Nein,« sagte Hannes im Tone der vollsten Aufrichtigkeit.

»So merken Sie sich das für ein andermal! Versuchen Sie niemals wieder, in meinem Tagebuche zu lesen, ich könnte einmal sehr böse darüber werden!«

»Bah, Tagebuch,« sagte aber Hannes in wegwerfendem Tone, »das ist etwas für kleine Mädchen. Kein Matrose führt ein Tagebuch. Das Gedicht ist übrigens gar nicht so schlecht, es muß nur hübsch vorgetragen werden, so etwa, wie Sie es vorhin von mir gehört haben.«

Jetzt mußte Williams doch lachen.

»So! Und ist es unbedingt nötig, daß man beim Vortrag Frack und Handschuh von jemandem anders anzieht?«

»Wollen Sie damit etwa eine Anspielung machen?« entgegnete der unverwüstliche Hannes. »Ich will es ja gar nicht behalten, da haben Sie Ihr Gelumpe wieder.«

Damit zog er die weißen Handschuhe von den teerigen Fingern, streifte den Frack ab und warf alles auf das Sofa.

»Das muß ich Ihnen aber sagen,« fuhr er fort, »die Thomson wird sich riesig freuen, wenn Sie ihr die Verse vordeklamieren, ich glaube, die fällt vor Lachen auf den Rücken.«

»Still nun,« sagte Williams und setzte sich vor seinen Schreibtisch, »mit Ihnen ist doch nichts anzufangen. Nun seien Sie aber wenigstens so freundlich und packen Sie die Sachen wieder dahin, woher Sie sie genommen haben.«

»Natürlich, das ist meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie der Bootsmann von der ›Kalliope‹ immer sagte.«

Williams wollte lesen, aber nicht lange dauerte es, so wurde an der Wand der Nebenkabine gepocht. Dort war Marquis Chaushilm einquartiert.

»Williams, der Chaushilm drüben klopft,« meldete schon der dienstbeflissene Hannes an.

»Ich höre es,« entgegnete Charles und stand auf, »aber lassen Sie es sich nun endlich gesagt sein, es heißt Marquis Chaushilm und nicht bloß Chaushilm. Bei mir können Sie meinetwegen das Sir weglassen, ich mache mir nicht viel daraus, aber andere können es übelnehmen, wenn sie nicht mit ihrem Titel angeredet werden.«

»Ach was,« war die Antwort, »mich nennt auch niemand Herr Vogel, und das ist auch ganz richtig, denn auf dem Schiffe sagt man nicht einmal Herr Kapitän. Werde ich so einen Matrosen mit Marquis oder Herzog anreden, weiter fehlte nichts.«

»Was machen Sie eigentlich mit meinem Hute?«

Hannes hatte einen Zylinder in der Hand, aus dem Stahlfedern hervorsahen, und wickelte eben Segelleinwand darum.

»Ich repariere Ihren Chapeau klapp,« entgegnete er.

»Der ist nicht mehr zu reparieren, die Federn sind gebrochen. Außerdem heißt es nicht Chapeau klapp, sondern Chapeau claque.«

»Das habe ich auch gesagt, Chapeau klapp. Und der ginge nicht mehr zu reparieren? Da sind Sie aber schief gefahren. Jetzt wickle ich das Stück Segeltuch darum, nähe es hübsch sauber mit kleinen Stichen zusammen und pinsele es morgen früh mit Teer schwarz an. Dann setze ich ihn in die Sonne, und ist er getrocknet, so können Sie mich mit ihm in die feinste Gesellschaft begleiten.«

»Na, na,« lachte Williams, »so sehr fein wird die Gesellschaft wohl nicht sein dürfen.«

»Machen Sie nur, daß Sie hinauskommen, sonst pocht Chaushilm noch die Wand ein, der hat wieder einmal zu viel Grog getrunken.«

Gehorsam folgte Charles der Aufforderung.

Wie gewöhnlich lag Chaushilm, neben sich ein Tischchen mit dem dampfenden Grogglas, auf dem Sofa und streckte dem Eintretenden die Hand entgegen.

»Nun lieber Herzog, was haben Sie für Schmerzen?« begann Charles, seinem Freunde gegenüber Platz nehmend.

»Sie haben recht, wenn Sie von Schmerzen sprechen, mein lieber Williams,« seufzte Chaushilm, »eine schier unerträgliche Pein wütet in meinem Innern.«

»O, o,« bedauerte Charles, »Leibschneiden? Warten Sie, ich hole Magentropfen, die werden Ihnen ausgezeichnet bekommen, das heißt, wenn sie Hannes nicht schon alle ausgetrunken hat.«

»Seien Sie nicht so unausstehlich,« war die unwillige Antwort. »Unterlassen Sie wenigstens dies eine Mal Ihre mutwilligen Scherze! Sie wissen recht gut, daß man die Schmerzen des Herzens ebensowenig durch Scherze, wie durch Magentropfen kurieren kann.«

»Schmerz, Herz, Scherz; Herzog, Sie sind zum Dichter geboren, die Reime sprudeln Ihnen nur so über die Lippen. Aber was ist es denn, was Sie noch nach Mitternacht, nach harter Arbeit, munter hält? Haben Sie keine trockenen Strümpfe angezogen? Unter Umständen kann sich ein heftiger Schnupfen den Weg bis zum Herzen bahnen und sich dort festsetzen.«

»Wenn Sie mich ärgern wollen, so lassen Sie mich lieber allein, Williams, ich bin heute nicht zu Späßen aufgelegt,« rief Chaushilm ärgerlich.

Aber Charles wußte, daß ihn der Herzog nicht gehen ließ, wenn er auch noch ganz anders mit ihm umgesprungen wäre, bevor er ihm nicht das neueste, süße Geheimnis seines Herzens mitgeteilt hatte. Nach einer kleinen Pause begann Chaushilm von selbst damit.

»Wissen Sie nicht, haben Sie nicht erraten, welche Empfindungen mich bewegen, welche Träume mich im Wachen umschweben, was mich bald in Klagen, bald in Jauchzen ausbrechen läßt? Charles, mein bester Freund, Sie wissen doch alles, haben Sie es noch nicht erraten?«

Williams schmunzelte.

»Doch jetzt kann ich es mit Bestimmtheit sagen.«

»Sprechen Sie es aus,« rief der Herzog enthusiastisch, »lassen Sie mich mein Glück von den Lippen eines anderen hören! Es ist so schön, einen Mitwisser eines süßen Geheimnisses zu haben, um welches man beneidet wird.«

»Dazu aber muß ich zwanzigmal raten dürfen?«

»Zwanzigmal? Ich verstehe nicht, warum gerade zwanzigmal?

»Das ist ein sehr einfaches Rechenexempel, lieber Herzog. Sehen Sie, 25 Damen sind auf der ›Vesta‹, in fünf waren teils Sie, teils waren diese in Sie verliebt, also bleiben gerade noch zwanzig, denen dieses Glück ebenfalls zu teil werden kann.«

»O, spotten Sie nicht,« rief Chaushilm, »die eine, nur die eine ist es, deren teuren Namen Sie mir nennen sollen. Aber ich will Ihnen auf die Spur helfen. Haben Sie damals, am letzten Tage in Townville, den wir alle zusammen gesellig in einem Kaffeegarten verbrachten, nicht gemerkt, wie mich Miß Nikkerson immer anlächelte, während ich mich mit ihr unterhielt? Ach, sie lächelte so unendlich liebevoll.«

»Allerdings,« entgegnete Charles, »aber ich weiß auch, warum sie so unendlich liebevoll lächelte. Während sie sich mit Ihnen unterhielt, war Miß Staunton so liebevoll, Ihren Rockzipfel in das Klavier einzuklemmen, an das Sie sich gerade lehnten, und dann abzuschließen. Sie bezeichneten den Hannes als den Uebeltäter, und dieser war auch dumm genug, die Schuld auf seinen Rücken zu nehmen. Darum mußte Miß Nikkerson immer so lächeln, und nun, Herzog, sehen Sie mich nicht so entsetzt an.«

»Das Geisterschiff,« hallte plötzlich der Ruf an Deck und überhob Williams der Aufgabe, Chaushilms Verteidigungsrede anhören zu müssen.

Wer noch nicht in der Koje lag, stürzte durch die Luke nach oben, und wer sich recht dazu hielt, konnte den grauen Schatten vorbeihuschen sehen. In der nächsten Minute war er den Blicken aller entschwunden.

»Hagel und Haubitzen, der hat's eilig,« meinte Charles, als er wieder in seine Kabine zurückkehrte, in der er noch Hannes vorfand, auf dem Sopha sitzend, an dem Zylinder seines Herrn nähend.

»Wollen Sie noch nicht schlafen gehen?« fragte Charles.

»Nein, noch nicht, aber wenn Sie schlafen gehen wollen, meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren.«

»Danke sehr, Sie sind außerordentlich freundlich. Warum waren Sie jetzt nicht mit oben und haben sich das Geisterschiff angesehen?«

»Das interessiert mich nicht. Ueberhaupt eine dumme Bezeichnung, Geisterschiff! Was ist denn da so besonders Merkwürdiges daran. Haben Sie noch niemals eine Lokomotive gesehen, die ohne Dampf fährt? In jeder großen Stadt gibt es jetzt solche.«

»Aber auf diesem Schiffe sind keine Menschen.«

»Zu sehen,« ergänzte Hannes, »das allerdings nicht, aber was ist da weiter dabei? Wenn man um solch' eine Lokomotive einen Blechmantel legt, dann kann man niemanden darauf sehen.«

Nach einer kleinen Pause fragte Williams wieder:

»Was macht Ihr neuer Kollege?«

»Der schläft in meiner Koje wie ein Murmeltier, der arme Kerl hat's aber auch nötig. So gejagt und gehetzt, wie der worden ist! Da soll man wohl nicht ein paar Tage ohne Unterbrechung schlafen können?«

»Wir werden noch manche Unannehmlichkeit seinetwegen erdulden müssen.«

»Macht weiter nichts! Das Fest bei Pollacks, welches wir für ihn bekommen haben, wiegt alles andere auf. Schade, daß Sie nicht dabei waren, Williams, Sie hätten sich köstlich dort amüsiert. Bier und Wein die schwere Menge, und Mädchen in Hülle und Fülle, ich habe mir die Stiefelhacken schiefgetanzt.«

»Tanzen Sie denn auf den Hacken?«

»Denken Sie vielleicht auf den Händen?«

»Das nicht, aber ich dachte, man drehe sich beim Tanzen auf den Zehenspitzen.«

»Das tun nur die Landratten, die wissen eben nicht, was manierlich ist. Seeleute drehen sich nur auf den Hacken herum.«

»Hat sich Miß Staunton auch auf den Hacken herumgedreht?« fragte Charles ganz unbefangen.

Hannes ließ vor Schrecken den Zylinder fallen und starrte den Sprecher an.

»Wa–as?« brachte er endlich gedehnt hervor. »Woher haben Sie denn das erfahren? Weiß davon noch jemand anders?«

Charles drohte ihm lächelnd mit dem Finger.

»Bis jetzt noch nicht, wenn Sie selbst nicht davon plaudern,« sagte er dann, »aber machen Sie solche Streiche nicht wieder! Miß Staunton ist sehr übermütig und geht auf den tollsten Vorschlag ein.«

»Gott sei Dank,« rief Hannes, »wenn die anderen Mädels nichts davon erfahren haben, so geht nichts schief; sie hatte eine Höllenangst davor. Mir selbst war etwas wie Furcht in den Kopf gestiegen.«

»Wenn es nur nicht das viele Bier gewesen ist, was Ihnen in den Kopf gestiegen ist. Sie kamen schwankender an Bord, als ein Seemann sonst geht.«

»Oho, ich habe doch erst die Staunton an Bord geschmuggelt, und das war eine verdammt harte Arbeit.«

»So, wie haben Sie das unbemerkt zustande gebracht?«

»Durch die Ankerklüse hindurch!«

Kopfschüttelnd zog Charles den Schreibtisch auf, um Papier vom Tisch hineinzulegen. Als er darin kramte, fiel ihm plötzlich eine kleine Photographie in die Hand. Verwundert betrachtete er sie, stand auf, um sie beim Licht zu besehen, wischte mit dem Aermel darüber, warf dann einen mißtrauischen Blick auf Hannes, der seinem Gebühren neugierig zusah, und blickte dann wieder auf die Photographie.

»Hannes« sagte er dann, »kommen Sie einmal her. Wer ist dies hier?«

Damit zeigte er auf eine Person des Gruppenbildes.

»Der das dumme Gesicht zieht und dem die Tränen über die Backen kugeln?« meinte dieser. »Das sind unbedingt Sie.«

Es war kein Zweifel, Hannes hatte recht.

Da standen Williams, Harrlington, Hastings, zwischen ihnen Miß Petersen, Lind und Thomson, alle an Bäume gebunden; vor ihnen schwang ein Australneger drohend den Speer, Balkuriri, und er selbst, Williams, bog den Kopf eben nach der neben ihm stehenden Miß Thomson, zog ein ungemein klägliches, oder wie Hannes sagte, dummes Gesicht, und die kleine Photographie war so scharf getroffen, daß man selbst noch die Tropfen erkennen konnte, die ihm über die Wangen flossen.

»Schändlich.« sagte er endlich, »wer hat mir den Streich gespielt? Miß Murray, die Tochter des Häuptlings? Aber sie kann doch nicht photographieren. Und wie kommt das Bild in meinen Schreibtisch? Hannes, wissen Sie etwas davon?«

Der Leichtmatrose war augenblicklich selbst verblüfft, wie die Photographie jener Situation, von der ihm Williams ausführlich erzählt hatte, entstanden sein könnte, plötzlich aber stand er auf und rief:

»Ich hab's. Wissen Sie noch, als ich einige Tage vor der Abreise von Townville dort hinten im Gange den Spektakel machte, Sie immer beim Namen rief und, als Sie wirklich aus der Kabine kamen, schnell davonlief?«

»Ja, ich entsinne mich. Was aber hat dies hiermit zu tun?«

»Damals hatte der Kapitän Besuch an Bord.«

»Auch das weiß ich, es war der Detektiv Nick Sharp.«

»Sehen Sie wohl. Kaum waren Sie aus der Kabine, so schlüpfte er hinein, kam aber gleich wieder heraus. Der hat dies Bild in den Schreibtisch gelegt und kein anderer, so wahr ich Hannes Vogel heiße.«

Williams schlug sich vor die Stirn.

»Nun fange ich an zu begreifen. Ja, das stimmt! Harrlington hat mir schon erzählt, daß jener Schlingel, der Anführer der schwarzen Polizei, der uns durch Wasser und Feuer jagte, Sharp war. Er hat uns auch photographiert und mir das Bild in den Schreibtisch gesteckt. So ein infamer Kerl, nun bleibt aber doch die Weltgeschichte stehen.«

Charles war über diese neue Entdeckung so aufgeregt, daß er sich nach oben begab, um sich noch etwas an Deck zu ergehen. Als er nach einer halben Stunde wieder in seine Kabine kam, fand er Hannes auf dem Sofa liegend, die Beine, an denen er noch immer die Wasserstiefeln trug, über die Lehne hängend, die Hände über der Brust zusammengefaltet – er schlief.

Die Mütze war ihm vom Kopf geglitten, so daß die blonden Locken ihm frei über die hohe Stirn fielen, welche noch die eigentliche, weiße Hautfarbe zeigte, während das übrige Gesicht von Wind und Sonne tief gebräunt war, doch nicht genug, um nicht noch die rötliche Färbung der Gesundheit durchschimmern zu lassen. Die Flügel der feingeschnittenen Nase zitterten unter dem kräftigen Atemzuge des Schläfers, der etwas geschwungene Mund, dessen Oberlippe der erste Flaum schmückte, war fest geschlossen. Ueber der sich hoch hebenden und tief senkenden Brust lagen gefaltet die sonst nimmer müden, muskulösen Hände, – sie waren jetzt kraftlos, der Hut war ihnen entglitten.

Lange betrachtete Williams den Schläfer, es war als könnte er die sinnenden Blicke nicht von den kühngeschnittenen Zügen des Jünglings wenden.

»Wie ein schlafender Engel,« sagte er endlich, als er Vorbereitungen zur Nachtruhe traf, »nur, daß er Seestiefeln an den Beinen hat.«


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