Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Eine Pantherjagd in den Wogen.

Wieder waren einige Tage verstrichen; die ›Vesta‹ hatte bereits einen direkt westlichen Kurs eingeschlagen. Das jenen Breiten eigentümliche Seegras zeigte an, daß man sich bereits den kleineren Inseln des malayischen Archipels näherte, und Miß Petersen hoffte, in kurzer Zeit ihr nächstes Ziel, Java, erreicht zu haben.

In den letzten Tagen hatten heftige Stürme gewütet, nur von Regengüssen unterbrochen, aber sie hatten den Lauf des Vollschiffes nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, sie waren immer aus einer günstigen Richtung gekommen, und stets war die ›Vesta‹ mit gerefften Segeln mit der Schnelligkeit einer Möve vor dem Sturm dahingeflogen, so daß der ›Amor‹ keine Kohlen sparen durfte, wollte er im Kielwasser des voraussegelnden Schiffes bleiben.

Heute war endlich wieder ein schöner Tag angebrochen, das Meer war während der Nacht von einem starken Platzregen beruhigt worden, und nun wurde die Oberfläche nur von leichten Wellen gekräuselt. Schon konnte man die Sonne sich im Wasser spiegeln sehen, und der Wind war so schwach, daß er kaum die leichtesten, obersten Segel zu schwellen vermochte.

Ein flauer Wind wird auf einem Segelschiff niemals ersehnt; haben aber vorher tagelang Stürme gehaust, so ist er doch willkommen, denn dann können die Matrosen mit Muße die entstandenen Schäden in der Takelage ausbessern, die Wanten, deren Stricke durch das häufige Auf- und Abentern durchgetreten sind, werden wieder vollzählig gemacht, die Brassen, zum Richten der Raaen dienend, werden stramm geholt, und ist endlich nichts mehr m der Takelage zu tun, so setzt sich der Matrose im Sonnenschein an Deck, flickt die zerrissenen Segel, dabei gemütlich seine Pfeife rauchend, oder er legt sich im Schatten eines Sonnensegels hin, liest, macht Schnitzarbeiten und verträumt so seine Wache.

Ist völlige Windstille eingetreten, so wird auch viel geangelt, während der Fahrt ein undankbares Geschäft, sofern es nicht den Fang von Haifischen gilt, und zeigt sich in der Nähe des Schiffes ein Trupp von Schweinsfischen, eine Art von Delphinen, so holt der Kapitän die Harpunen aus der Kajüte, und die Matrosen treffen unterdessen Vorbereitungen, um den getroffenen Fisch mit einer Schlinge fangen und an Bord hiven zu können.

Vorher aber wird die Richtung besprochen, welche die Fischherde nimmt.

Die Schweinsfische, zwei bis drei Meter große Tiere, schwimmen auf eine ganz eigentümliche Weise, fast so wie eine Seeschlange, und zwar immer dicht an der Oberfläche. Einmal hebt sich der Kopf aus dem Wasser, dann der Schwanz, und daran kann man diese Art von Fischen schon auf weite Entfernung hin erkennen. Das Merkwürdigste aber ist, daß sie sich immer nach der Richtung hin bewegen, aus der in den nächsten Tagen der Wind kommen wird, und gar während einer Windstille kann man fast genau sagen, woher der nächste Wind strömen wird.

Der Seemann, dessen Aufmerksamkeit Tag und Nacht hauptsächlich auf den Wind gerichtet ist, hat zahllose Erkennungszeichen, um dessen spätere Richtung beurteilen zu können, nicht nur Instrumente und Berechnungen, sondern er liest auch in den Wolken, und der Flug der Seevögel, das Verhalten der Fische geben ihm viele Anhaltspunkte. Aber die Gewohnheit der Schweinsfische, immer gegen den später auftretenden Wind zu schwimmen, ist das sicherste Zeichen.

Auf der ›Vesta‹ herrschte eine sonntägliche Ruhe.

Unter den über das Deck gespannten Sonnensegeln saßen die Mädchen, lasen, plauderten, angelten und waren herzlich froh, nach den letzten schweren Tagen freie Zeit zu haben, sich dem Genusse des Müßigganges hingeben zu können, den man nur empfindet, wenn die Kräfte bis zum Uebermaße in Anspruch genommen worden sind.

Lange schon hielt Miß Petersen auf der Kommandobrücke das Fernrohr in der Hand und spähte fortwährend nach dem Horizont, dann wieder die Sonne aufnehmend und auf der äußerst genauen Seekarte messend. Ihr Benehmen war den anderen Mädchen schon aufgefallen, auch sie hatten mit dem Fernglas den Horizont abgesucht, aber weder Land, noch ein Segel oder sonst etwas gefunden.

»Es ist eine Insel, die auf der Seekarte nicht verzeichnet steht,« sagte endlich Ellen zu Miß Nikkerson, welche zu ihr auf die Brücke ging, »sehen Sie durch dieses Glas, es ist das beste.«

Das Mädchen mußte es bestätigen.

»Es gibt noch viele Eilande, welche noch nicht vermessen worden sind und daher nicht in den Karten stehen,« sagte sie.

»Aber nicht hier,« entgegnete Ellen, »wir befinden uns gerade in einer Gegend, welche genau durchforscht ist. Nicht nur jedes kleinste Felsenriff ist hier angegeben, sondern auch die Meerestiefe. Fast alle hundert Meter könnte ich hier sagen, wie tief der Ankergrund ist. Wie sollte also eine solche Insel der Messung entgangen sein? Sie ist nicht so klein!«

Den übrigen Mädchen war es jetzt auch gelungen, die auftauchende Insel zu entdecken, und allerlei Vermutungen wurden laut.

Vorläufig konnte man durch das Fernrohr nur einen dunklen Punkt wahrnehmen, da aber die ›Vesta‹ direkt daraufzu hielt, so mußte mau sich ihm in einer Stunde so weit genähert haben, daß man ihn mit den bloßen Augen erkannte. Es wurde lebhaft bedauert, daß das Schiff so äußerst langsam segelte.

Aber es verging Stunde auf Stunde, und doch schien sich der Punkt nicht zu vergrößern, nur das Fernrohr bewies, daß es wirklich eine Insel war, und zwar eine bewaldete.

»Was in aller Welt mag das nur sein?« rief Ellen. »Es ist Land, und dennoch können wir es nicht erreichen. Die ›Vesta‹ fährt vier Knoten in der Stunde, daran ist kein Zweifel, also müßten wir in zwei Stunden dort sein, und dennoch nähern wir uns ihm nur fast unmerklich.«

»Vielleicht ist es der berühmte Riesenfisch aus Tausend und eine Nacht, auf dessen Rücken Wälder wachsen können, während er schläft,« scherzte Hope Staunton.

»Fast scheint es so. Aber was sollen wir tun? Weiß eine der Damen einen Rat, um dieses Rätsel zu ergründen?«

Alle überlegten.

»Ich wüßte etwas, was uns schnell dorthin bringen würde,« begann endlich Johanna, »wir wollen dem ›Amor‹ signalisieren, zu uns zu dampfen. Dann nimmt er uns in Schlepptau, und in einer Stunde sind wir auf der Insel.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall, die Flaggen gingen hoch, und zehn Minuten später lag der ›Amor‹ unter vollem Dampf vor die ›Vesta‹ gespannt.

Auch die Herren konnten sich die Erscheinung nicht erklären, sie kamen auf allerlei Vermutungen, aber eine bestimmte Meinung wagte niemand auszusprechen.

Warum kam man dieser Insel nur so langsam näher? Es war doch keine Strömung vorhanden, welche die Schiffe in der Fahrt gehemmt hatte.

»Gibt es ein Geisterschiff, dann kann auch eine Geisterinsel existieren,« meinte Williams, »aber einen Besuch wollen wir ihr doch abstatten.«

Seit der ›Amor‹ schleppte, näherte man sich der rätselhaften Insel sehr schnell, und eine Stunde später konnte man sie vollkommen erkennen.

Es war allerdings eine Insel, nicht gerade bewaldet, aber doch mit einer üppigen Vegetation bedeckt, hauptsächlich mit hohem Graswuchs und Büschen. Im ganzen mochte sie wohl einen halben Quadratkilometer groß sein.

Jetzt wurde man zweifelhaft, ob es nur vorhin eine Täuschung gewesen war, daß sie sich bewegt hatte; die meisten meinten, die Schiffe wären durch irgend etwas im Laufe gehemmt worden.

Aber die Lösung sollte bald von anderer Seite erfolgen.

Die Schiffsglocke schlug acht Glasen, Mittag, und mit dem letzten Schlag kam Hannes an Deck, der bis jetzt geschlafen hatte und nun zur Wache an Deck gehen wollte; kaum hatte er einen Blick auf das Eiland am Horizont geworfen, als er ausrief:

»Eine schwimmende Insel!«

»Eine schwimmende Insel?« klang es überall erstaunt zurück.

»Was ist denn weiter dabei?« erklärte Hannes. »Solche sind in dieser Gegend nichts Seltenes, wenn längere Zeit Sturm gewesen ist. Hier herum gibt es überall größere und kleinere Inseln, und wenn dann die Wälder ordentlich vom Sturm zerzaust sind, dann bilden sich immer solche Dinger.«

Jetzt blitzte es auch bei den anderen verständnisvoll auf.

Sie fanden sich vor einer ebensolchen Naturerscheinung, vor einer schwimmenden Insel, von welcher schon Kolumbus während seiner Reise nach Westindien überrascht wurde, aber natürlich hatte damals seine Erzählung keinen Glauben gefunden. Er hatte damals eine meilengroße, schwimmende Insel angetroffen, doch konnte er sie nicht betreten, weil die Ufer zu sehr mit morastigem Boden, auf dem nur Schilf wuchs, eingefaßt waren.

Schwimmende Inseln sind in tropischen Breiten tatsächlich keine seltene Erscheinung.

Der Sturm entwurzelt auf dem Festlande und auf Inseln Bäume und Sträucher und schleudert sie ins Meer. Die treibenden Stämme vereinigen sich, an ihren Aesten hängen Schlingpflanzen, diese verflechten sich mit einander, immer mehr Bäume und Büsche treiben zusammen, an den Wurzeln hängt noch Erde, die Rinde ist mit dichtem Moos belegt, auf dem andere Pflanzen vegetieren können. Und wenn man bedenkt, daß ein Tag in den Tropen dieselbe Produktionskraft besitzt, wie eine Maienwoche in Deutschland, so erklärt es sich, daß ein Samenkorn, welches sich auf diese künstliche Insel niederläßt, bald zur Pflanze geworden ist.

Aber so schnell, wie diese Insel entstanden ist, kann sie auch wieder zerstört werden. Ein einziger Sturm genügt, um sie vollkommen verschwinden zu lassen, und die losgerissenen Bäume treiben dann so lange auf dem Meere umher, bis sie sich wieder mit anderen vereinigt haben.

Eine solche Insel hatten jetzt unsere Freunde vor sich, und nun konnten sie sich erklären, warum das Segelschiff sich ihr so langsam genähert hatte. Die Insel war ebenfalls mit dem Winde getrieben, nur etwas langsamer als das Schiff, in dessen Segeln sich der Wind besser fangen konnte.

Jetzt waren sie nur etwa noch eine Seemeile von ihr entfernt.

»Los die Stahltrosse!« kommandierte Ellen.

Klatschend fiel das stählerne Tau ins Wasser und wurde von den Vestalinnen an Bord geholt. Der ›Amor‹ stoppte im Laufe und hielt sich neben der ›Vesta‹.

»Wollen Sie an der Insel anlegen?« fragte Harrlington hinüber.

»Gewiß,« entgegnete Ellen, »wir legen an und statten ihr einen Besuch ab.«

»Aber Sie werden Schwierigkeiten haben, wieder von ihr freizukommen.«

Ellen wurde nachdenklich.

Es war in der Tat leicht an die Insel heranzufahren, aber sehr schwer, so ein großes Schiff wie die ›Vesta‹ wieder abzusetzen. Schon bei zwei Segelschiffen, welche doch zu steuern sind, bereitet das Schwierigkeit, vielmehr aber noch bei einem Gegenstand, welcher schwimmt, aber nicht zu lenken ist.

»Ich versuche es doch,« entgegnete die Kapitänin schließlich, »es wird uns schon gelingen. Im Notfall können Sie uns ja freischleppen.«

»Einverstanden,« rief Harrlington, »fahren Sie in Gottes Namen hin! Wir bleiben dicht neben der ›Vesta‹.«

Aber von ganz unerwarteter Seite wurde gegen dieses Manöver Einspruch erhoben.

Schon gab Ellen die Kommandos, die ›Vesta‹ nach der Insel zu steuern, schon ordnete Harrlington an, daß der ›Amor‹ neben ihr bleiben sollte, als Hannes vor den Kapitän trat und energisch rief:

»Sie wissen ja gar nicht, was Sie tun. Glauben Sie, Sie könnten von einer schwimmenden Insel je wieder freikommen? Nie wieder, so lange sie nicht zerstört wird und wenn Sie jahrelang daran kleben bleiben.«

Harrlington sowohl, wie Ellen, welche an die Bordwand getreten war, hatten diesen Worten erstaunt zugehört.

»Aber warum denn nicht?« fragte Ellen.

»Die ganze Insel ist rings von Schlingpflanzen umgeben, und sobald sich das Schiff ihnen nähert, legen sie sich um den Kiel und hauptsächlich um das Steuer herum. An ein Lenken des Schiffes ist dann gar nicht mehr zu denken.«

»Der ›Amor‹ kann uns ja wieder wegschleppen,« entgegnete Ellen auf diese eifrige Rede.

»So dumm werden wir wohl nicht sein und Ihnen nachfahren,« war die selbstbewußte Antwort. »Kommt der ›Amor‹ in die Schlingpflanzen hinein, so ist er noch hilfloser als die ›Vesta‹, denn die Schraube verwickelt sich und ohne Taucher kommt er im ganzen Leben nicht wieder frei.«

Daran hatte allerdings noch niemand gedacht, aber man mußte dem jungen Matrosen recht geben, der doch bei weitem mehr Erfahrung in derartigen Angelegenheiten hatte.

»Dann schlage ich vor, wir fahren in Booten an die Insel,« sagte Ellen wieder, »und wenn die Herren damit einverstanden sind, so können wir zu gleicher Zeit probieren, welches Schiff das schnellste Boot und die besten Ruderer besitzt.«

Einen besseren Vorschlag hätte Miß Petersen nicht machen können, sofort war das englische Blut erwacht, das auch in den Adern der Amerikaner fließt. Wenn es bei den Engländern um eine Wette geht, so hat alles andere zu schweigen, da gibt es keine Schonung, keine Rücksicht, kein Erbarmen mehr, und wenn es das Leben gilt und direkt in die Hölle geht.

Hätte vorhin Ellen gesagt: Ich wette, daß ich von der Insel freikomme, so würde der besonnenste Widerspruch nichts dagegen geholfen haben, aber sie war zu vernünftig, um solch einen Versuch zu machen, und begnügte sich damit, auf andere Weise die Insel betreten zu können.

Kaum aber war der Vorschlag aus ihrem Munde, die Kräfte im Rudern gegenseitig zu messen, so scholl auch schon vom ›Amor‹ sowohl, als von der ›Vesta‹ der Ruf:

»Es gilt! Um was geht die Wette?«

Um Geld konnte sie nicht gut gehen, daraus machten sich beide Teile nichts, dessen Verlust hätte sie nicht im mindesten geschmerzt; es mußte also etwas anderes sein.

Während die Boote in stand gesetzt wurden und die Herren und Damen sich zum Wettrudern rüsteten, wurden verschiedene Meinungen laut, aber keine fand den Beifall aller, und die von Sir Hendricks, daß die Verlierer an Bord der Gewinner acht Tage lang als Sklaven dienen sollten, wurde von den Vestalinnen mit Abscheu zurückgewiesen.

»Dann muß ich wieder einmal mit meiner Weisheit glänzen,« begann endlich Williams. »Meine Damen und Herren, was sagen Sie zu diesem Vorschlag? Auf Sumatra und Java wütet der Kampf zwischen Atchinesen und Holländern schlimmer denn je, fast alle Soldaten der letzteren sind Ausländer, keine Holländer, und nur in fremde Dienste getreten, weil sie durch hohen Lohn verlockt wurden. Aber es sind nicht nur Abenteurer, welche freiwillig die Waffen für ein fremdes Volk ergriffen haben, gar viele haben es nur darum getan, um ihre Angehörigen in der Heimat ernähren zu können, eben wieder darum, weil der Verdienst für sie ein sehr großer ist. Als sie sich zur Fremdenlegion einschreiben ließen, dachten sie nicht, daß einige Monate später der heftigste, grimmigste Krieg entbrennen würde. Unter den vergifteten, absolut tödlichen Pfeilen fallen sie nun zu Tausenden – dadurch sparen die Holländer das Invalidengeld – und ihre Angehörigen in der Heimat warten vergebens auf die monatliche Sendung. In Batavia, wohin wir vielleicht auch noch kommen, gibt es viele reiche Holländer, Engländer und so weiter ...«

»Aber was wollen Sie denn eigentlich?« unterbrach Thomson den Sprecher lachend, »Sie sehen, die Boote warten schon auf ihre Bemannung, und wenn Sie so weiterreden, so schwimmt uns schließlich die Insel noch davon.«

»Wäre schon längst fertig gewesen, wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten,« sagte Charles gelassen, »und alle diese können einmal ihren Geldbeutel auftun ...«

»Eine Kollekte?« unterbrach ihn wieder jemand.

»Nein. Derjenige Teil, welcher verliert, Engländer oder Amerikanerinnen, ist verpflichtet, in Batavia eine Spezialitäten-Vorstellung zu geben, woran jeder einzelne teilnehmen muß.«

Ein lautes Bravorufen unterbrach den Redner.

»Aber wer nun nichts zeigen kann?« sagte Harrlington. »Der muß wenigstens eine Grimasse ziehen. Wir Männer können übrigens ganz unbesorgt sein, denn wir gewinnen doch.«

»Oho,« riefen die Damen, »das wollen wir doch erst sehen.«

»Gut, es gilt,« sagte Ellen lachend, »der verlierende Teil ist verpflichtet, in Batavia eine Vorstellung zu geben, zu Gunsten der Hinterbliebenen der gegen die Atchinesen Gefallenen. Sir Williams, als was treten Sie auf?«

»Als Clown,« entgegnete Miß Thomson für ihn.

»Erst abwarten, jetzt in die Boote!«

Auf der Insel war am äußersten Saum ein Baum zu erkennen, dessen Zweige weit über das Wasser ragten. Wessen Boot zuerst diese Zweige berührte, oder wer im Falle, daß ein völliges Einfahren nicht möglich war, am weitesten und zuerst dahin vordrang, der hatte gewonnen. Nur die ersten zwei Boote kamen natürlich in Betracht.

Ein jedes Schiff stellte zwei Boote, und in diese begaben sich jetzt die besten Ruderer, in jedes acht, und als die Schiffsglocke das Zeichen gab, fuhren sie zur gleichen Zeit ab.

Anfangs hielten sich alle vier Boote dicht nebeneinander, aber bald bemerkten die Vestalinnen, daß sie doch ihre Kräfte überschätzt hatten, wenn sie glaubten, mit den Engländern gleiche Fahrt halten zu können. Sie hatten sich allerdings in letzter Zeit fortwährend im Rudern geübt, die Engländer dagegen gar nicht, und hätte die Wettfahrt in leichten Rennbooten stattgefunden, wie sie auf Flüssen und Seen zur Anwendung gelangen, und in denen es fast nur noch auf Geschicklichkeit ankommt, so wäre der Sieg ihnen allerdings nicht entgangen, aber Seeboote sind keine Rennboote. Wohl sind sie auf guten Schiffen auch scharf und schlank gebaut, aber sie dürfen doch bei weitem nicht jene dünnen Planken besitzen, wie sie die Wettboote aufweisen, in ihnen entscheidet mehr die Kraft, und darin waren die englischen Sportsleute den Vestalinnen natürlich überlegen.

Es dauerte nicht lange, so kamen die beiden englischen Boote langsam, aber doch sicher vor, und so sehr sich die Mädchen auch in die Riemen legten, wie sie auch vor Anstrengung glühten, den einmal gewonnen Vorsprung konnten sie nicht wieder einholen.

Das erste Boot war das von Lord Harrlington gesteuerte, im zweiten saß John David am Steuer, denn Lord Hastings, welcher sich im zweiten Boot befand, hatte man einen Riemen gegeben, und das war zum Nachteil. Sie waren nicht mehr weit von der Insel entfernt, als plötzlich Hastings Riemen mit einem Knacks abbrach, und er nur die Hälfte in der Hand behielt. Natürlich war das Boot in der Fahrt gehemmt.

»Noch ein Boot,« rief Ellen, vor Erregung glühend, »noch können wir gewinnen!«

Sie schoß an Hastings vorbei und bekam zum Gruß einen Fluch von den wütenden Engländern nachgeschickt.

Aber nur zehn Meter war Harrlington von dem Ziele entfernt, und immer größer wurde der Abstand der beiden Rivalen. Da geschah etwas, was den Vestalinnen den Sieg zu sichern schien.

Plötzlich geriet der Riemen eines Engländers unter Schlingpflanzen, das Boot wurde in der Fahrt gestoppt, es drehte sich, und an ihm vorüber schoß das Boot Ellens.

»Gewonnen!« rief diese. »Ganz flach die Riemen, damit sie sich nicht auch verwickeln! Noch drei Schläge, dann sind wir da!«

Aber dasselbe Unglück geschah auch bei ihnen, ein Riemen verwickelte sich in den Schlingpflanzen, und auch ihr Boot drehte zur Seite – und das zu ihrem Glücke.

Fast hatte es schon die Zweige des Baumes erreicht gehabt, da sauste ein schwarzer Körper aus den Aesten hervor, gerade auf das Boot zu, und hätte dasselbe sich nicht in demselben Augenblick zufällig gedreht, so wäre er mitten unter die Mädchen gestürzt, so aber verfehlte er sein Ziel, und nur Ellens Schulter streifend, stürzte er in die See.

Der schwarze Sundapanther – denn ein solcher war es – vielleicht schon tagelang ohne Nahrung auf dieser schwimmenden Insel, hatte in seiner Gier den Sprung mit so furchtbarer Gewalt gewagt, daß Ellen, obgleich nur leicht von der Hintertatze gestreift, sofort hintenüber ins Wasser geschleudert worden war.

Unterdes war Harrlingtons Boot herangekommen, und gerade vor diesem tauchte der Panther wieder auf, legte die Pranken auf die Bordwand und suchte sich ins Boot zu schwingen, furchtbar mit den Zähnen nach Harrlington fletschend. Dieser sprang auf, riß aus seinem Gürtel das Schiffsmesser und stieß es der Bestie mit aller Gewalt in den Kopf. Doch der Stoß verfehlte seine Wirkung. Die Klinge brach an dem harten Knochen ab, der Panther ließ mit einem Schmerzgeheul das Boot fahren, fiel wieder ins Wasser und schwamm der Insel zu, wobei er an dem ersten Boot der Mädchen vorbei mußte.

Harrlington hatte gesehen, wie Ellen über Bord geschleudert worden war, und jetzt, obgleich nur wenige Augenblicke vergangen waren, sah er sie immer noch nicht wieder an der Oberfläche.

»Wo ist Ellen?« rief er entsetzt, und fast schien es, als wollte er selbst ins Wasser, um nach der Vermißten zu suchen.

Aber er hatte es nicht nötig.

In diesem Augenblicke tauchten zwei Köpfe über der Oberfläche auf, der von Ellen und der von Johanna, welche die erstere, anscheinend bewußtlos, im Arme hielt und dem Boote zustrebte.

Auch Johanna hatte, ohne sich weiter um den Panther zu kümmern, vergebens gewartet, daß ihre Freundin wieder auftauchte. Und als dies nicht geschah, spähte sie in das wieder beruhigte Wasser. Da sah sie, was dem Mädchen das Emporkommen unmöglich machte.

Ellen hatte sich in den Schlingpflanzen verwickelt und versuchte mit der Kraft, welche man in dem Todeskampfe besitzt, sich freizumachen, aber all ihr Ringen und Wenden hatte nur den Erfolg, daß sie immer fester in das Gewinde geriet.

Johanna stand mit dem Messer in der Hand bereit, zu Hilfe zu springen; aber sie zögerte noch und hielt auch die anderen Mädchen davon ab, und das mit gutem Grunde; denn diejenigen, welche dem Tode des Ertrinkens geweiht sind, klammern sich in ihrer Verzweiflung an jeden Gegenstand, den sie fassen können, und so würde Ellen auch getan haben.

Kaum aber ließen ihre Bewegungen an Heftigkeit nach, so glitt Johanna über den Bootrand, einige Schnitte mit dem Messer und sie tauchte wieder an die Oberfläche, die bewußtlose Ellen im Arm.

Aber eine neue Gefahr drohte beiden.

Eben als sie auftauchten, schwamm der Panther dem Boote der Mädchen zu, welche nach ihren Revolvern griffen. Als aber die vom wütenden Hunger gepeinigte Bestie die Köpfe sich im Wasser bewegen sah, änderte sie sofort ihre Richtung und strebte diesen zu.

Ein Schrei des Entsetzens erscholl ringsum. Nur ein Meter Zwischenraum trennte die beiden Mädchen von dem Raubtier, und an einen sicheren Schuß im schwankenden Boot war nicht zu denken, ohne eine neue Gefahr für die Freundinnen herbeizuführen.

Da, im letzten Augenblick, kam in voller Fahrt das von Davids gesteuerte Boot angeschossen, vorn im Bug Lord Hastings stehend, den halben Riemen wie eine Keule schwingend, und ehe der Panther sein Opfer erreicht hatte, sauste der Hieb herab. Mit zerschmettertem Schädel wollte das Tier untersinken; aber schon hatte Hastings es beim Genick gepackt und mit einem Ruck ins Boot geworfen.

Im nächsten Augenblick waren auch Ellen und Johanna geborgen.

Dies alles hatte sich bedeutend schneller zugetragen, als man erzählen kann, und nun richtete sich die Besorgnis auf die ohnmächtige Ellen. Doch deren kräftige Natur hatte sich bald erholt, sie war ja nur eben so lange unter Wasser gewesen, als sie es ohne Luft hatte aushalten können, und bald war sie so weit wiederhergestellt, um ihr Boot unter eigener Führung nach der ›Vesta‹ steuern zu können.

Nicht lange dauerte es, so war die anfangs erregte, dann gedrückte Stimmung wieder von einer allgemeinen Fröhlichkeit verdrängt. Während der langsamen Rückfahrt nach den Schiffen wurde jedes Detail des eben Erlebten nochmals besprochen. Viele hatten nicht einmal alles gesehen, verschiedene Meinungen wurden laut, wie der Panther auf die schwimmende Insel gekommen war, an deren Besichtigung gar niemand mehr gedacht hatte, und schließlich kam man auch darauf zu sprechen, wer eigentlich das Wettrudern gewonnen hatte.

Niemand war so unbescheiden, sich den Sieg zusprechen zu wollen.

»Aber soll das Erträgnis der Wette,« rief Williams aus seinem Boote, »den armen Soldaten verloren gehen?«

Auch das wollte niemand; und nach langem Disputieren kam man dahin überein, daß, da weder die Herren, noch die Vestalinnen gewonnen hatten, beide Teile als Verlierer gelten, das heißt, sich in Batavia an der Vorstellung beteiligen sollten, und zwar so, daß sowohl der ›Amor‹ wie die ›Vesta‹ eine gleiche Anzahl von Mitgliedern auswählte, welche sich am besten eigneten oder sich freiwillig meldeten.

Lachend wurde dieser Vorschlag angenommen.


 << zurück weiter >>