Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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36.

Der Schatzgräber.

Die beiden jungen Leutchen waren nicht lange beim Boote geblieben, bald hatten sie sich den Arm gegeben und schlenderten nun langsam am Strande auf und ab. Hope erzählte eben ihrem Begleiter das Schicksal der Franziskanermönche dieses ehemaligen Klosters, wie sie abgeschlachtet oder verbrannt worden waren, und daß die Vestalinnen sich auch vorgenommen hatten, die Ruine zu besuchen, aber die Entführung hätte natürlich diesen Plan vereitelt, als plötzlich aus dem zerfallenen Mauerwerk ein entsetzliches Wehegeschrei erscholl, das gar nicht enden wollte.

Beide waren erschrocken zusammengefahren. Hope hatte auch erzählt, daß die Geister der Gemordeten noch spuken sollten, und so waren beider Gedanken unwillkürlich sofort mit dieser Sage der Chinesen beschäftigt.

»Ach was,« lachte Hope, »es gibt ja keine Geister. Sharp wird dem Chinesen ordentlich auf den Leib gehen, wenn er nicht auf seine Fragen antwortet. Nicht?«

»Natürlich,« stimmte Hannes bei, »was soll es anderes gewesen sein? Sharp versteht keinen Spaß, und er wird ihn so lange prügeln, bis er entweder gestanden hat oder tot ist.«

»Na, wenn der Schulmeister wäre,« meinte Hope nachdenklich, »möchte ich dessen Schülerin auch nicht sein.«

Hannes mußte über den seltsamen Gedanken des Mädchens laut auflachen.

»Wie wäre es, wenn wir den Ruinen jetzt einmal einen Besuch abstatteten?« schlug Hope vor.

»Wir können nichts sehen, es ist zu dunkel. Wir fallen ja über die Knochen der Verbrannten.«

»Du fürchtest dich wohl?« scherzte Hope.

»Ich mich fürchten?« wiederholte der Matrose entrüstet. »Da kennst du aber den Hannes Vogel schlecht. Ich habe schon als vierjähriger Junge meine Mutter ausgelacht, wenn sie mich mit Gespenstern zu fürchten machen wollte, damit ich keinen solchen Skandal machte. Ich habe sogar immer selbst Gespenst gespielt und die alten Frauen und Kinder erschreckt, und als Junge habe ich mich einmal fast einen Tag lang in einem Sarg versteckt gehalten, um die dummen Leute recht erschrecken zu können, und wäre dann beinahe, weil ich eingeschlafen war, selbst als Leiche begraben worden.«

»So wollen wir hingehen.«

»Aber es ist zu finster,«

Hope zog eine Laterne hervor.

»Sieh, dies hat mir Mister Sharp zu tragen gegeben, er hat noch mehr Lichter bei sich, ich habe sie ihn kaufen sehen, und da wird es wohl nichts schaden, wenn wir eins davon gebrauchen.«

»Du liebst ja ungeheuer das Abenteuerliche!«

»Gerade so wie du,« antwortete Hope, »es ist auch wunderschön, wenn einem so die Gänsehaut über den Rücken läuft. Denn, wenn auch nicht fürchten, gruseln tut sich doch jeder etwas, das liegt einmal so in der menschlichen Natur, und mir gefällt dieses schauerliche Gefühl.«

Hannes war jetzt damit einverstanden, und beide betraten die Ruinen von einer anderen Seite als der, von welcher noch immer ab und zu das Angstgeheul des gemarterten Chinesen erscholl.

Der Weg führte zuerst durch einen hohen Steinbogen, in dem sie schon von der undurchdringlichsten Finsternis umhüllt wurden, so daß Hope schon hier die Laterne anzündete, obgleich sie dann nochmals einen oben offenen Hof erreichten.

In dem tunnelartigen Gewölbe war noch kein Anzeichen zu bemerken, daß hier der Tod seine Sense geschwungen hatte. Die Wände waren zwar baufällig und von Rauch geschwärzt, aber sonst noch ziemlich gut erhalten.

Erst als sie den Hof erreichten, konnten sie die Unglücksstätte voll überschauen.

Ueberall waren die oberen Teile der Wände eingestürzt, ein Turm war vom Feuer vollständig zerstört worden, und mächtige Steine lagen rings umhergestreut, zwischen ihnen eine Menge von halbverkohlten Menschenknochen.

»Entsetzlich!« flüsterte Hope, als die Totenschädel sie von allen Seiten angrinsten und ihr Fuß immer wieder an Knochen stieß. »Was müssen diese armen Mönche ausgestanden haben, als sie rings von Flammen umgeben, doch nicht zum Ausgang flohen, weil dieser sie den Schwertern der fanatischen Chinesen überlieferte!«

»Ihr Leiden wird kurz gewesen sein,« meinte Hannes. »Noch ehe sie die nahenden Flammen verspürt haben, sind sie vom Rauche erstickt.«

»Das sind Vermutungen, es ist hier alles Mauerwerk, und das Feuer wird nicht so plötzlich und heftig aufgetreten sein. Ich glaube eher, die Menschen sind hier von den herabfallenden Steinen des Turmes erschlagen worden.«

Sie gingen über den Hof.

»Wollen wir einmal hier hinein?« fragte Hannes und deutete auf eine offene Tür.

Hope nickte.

Der Matrose nahm ihr die Laterne ab und schritt voran, erst durch einen Flur und dann eine steinerne Treppe hinauf. Auch auf dieser lag ein Gerippe, mit dem Kopfe nach unten.

»Er ist entweder seinen Brandwunden hier erlegen, oder die plündernden Chinesen haben ihn hierher geworfen,« meinte Hannes.

Die Treppe endete in einen kleinen Saal, von welchem aus viele Türen in kleine Gemächer führten, die Zellen der Brüder. Die Türen waren offen, denn natürlich war alles Holzwerk verbrannt, die Türen, die Fenster, die Möbel.

In jeder Zelle war fast immer nur ein Gerippe zu finden, wahrscheinlich, darin stimmten die beiden jungen Leute überein, hatten sich die Brüder während des Angriffes der Chinesen in ihre Zellen zurückgezogen und hatten dort Gott um Rettung aus dieser Gefahr angefleht. Das Feuer ergriff den Dachstuhl, und das Holzwerk geriet in Flammen, die Hitze in den Zellen ward so groß, daß die hölzerne Bettstelle, der Tisch, der Stuhl von selbst Feuer fingen, aber die Mönche wollten lieber in der Stille, im Gebet zu ihrem Gott enden, als sich der Wut der Chinesen preisgeben; so waren sie hier oben verbrannt.

Die beiden jungen Leute besaßen eine lebhafte Phantasie, sie malten sich alles ganz deutlich aus, was hier vorgegangen war, und sprachen darüber.

»Wie mögen die Chinesen enttäuscht gewesen sein, als sie in diese Zellen drangen,« sagte Hannes, »und anstatt wertvoller Gegenstände, wie Pokale, Schmucksachen u. s. w., nur nackte Räume vorfanden!«

Er legte sich bei diesen Worten mit dem Rücken, auf dem er die Hände gefaltet liegen hatte, gegen die schwarzgebrannte Wand, fuhr aber mit einem leisen Schrei wieder zurück.

»Was hast du?« rief Hope erschrocken.

»Nichts,« lachte Hannes, »die Phantasie ist so erhitzt, daß man immer gleich an etwas Uebernatürliches glaubt. Mir war es fast, als ob die Wand hinter mir wiche.«

»Das könnte auch leicht möglich sein, es ist alles baufällig und dem Einsturz nahe,« sagte Hope besorgt, »lehne dich nicht wieder an!«

Hannes hatte die Blendlaterne vom Boden aufgehoben und betrachtete nun die Stelle, gegen welche er sich gelehnt hatte.

»Wahrhaftig,« rief er Plötzlich, »die Wand ist auch wirklich zurückgewichen oder wenigstens ein Stein!«

Es war so. Ein Stein war durch das Gewicht von Hannes' Körper merklich nach hinten geschoben worden.

»Den müssen wir herausheben,« sagte Hannes, »vielleicht steckt ein Beutel voll Gold dahinter.« »Mein Traum geht in Erfüllung, nur schnell, sonst vermißt uns Sharp!«

Beide versuchten, mit vereinten Kräften den Stein herauszuziehen, aber es ging nicht. Es war kein Ring, keine Handhabe daran, um ihn aus seiner Lage zu entfernen, wohl war ein ganz kleiner Spalt vorhanden, aber er war kaum groß genug, daß Hope ihre Fingerspitzen hineindrängen konnte.

»Es hilft nichts, wir müssen mit dem Messer zu arbeiten beginnen,« sagte Hannes, »kratze du unten den Mörtel aus, ich oben, das Zeug bröckelt ja nur so aus.« Sie entfernten von dem Stein nebenan an allen Seiten den Kalk mit den Messern, aber bald langte die Klinge nicht aus, die hinterste Partie zu entfernen.

Hannes sah sich im Zimmer um, es war darin nichts zu sehen, als das auf dem Rücken liegende Gerippe des Mönches.

Hannes warf einen zweifelhaften Blick auf seine Gefährtin.

»Soll ich?« fragte er und berührte das Gerippe mit den Beinen.

»Was willst du denn tun?« fragte Hope verwundert.

»Hier das Bein abreißen und es als Brechstange benutzen.«

»Um Gottes willen nicht, Hannes,« bat Hope erschrocken, »das ist Frevel.«

Sie leuchtete mit der Blendlaterne im Zimmer herum und stieß dann einen Freudenschrei aus.

»Dort die Stange an dem Fenster hängt nur noch mit einer Seite in der Mauer, und diese werden wir wohl losbekommen, probiere einmal!«

Hannes war mit einem Sprunge an dem Fenster, ergriff die eiserne Stange und – wäre bald zum Fenster hinausgefallen, denn sie blieb von selbst in seiner Hand.

»Hurrah,« rief er, »jetzt wollen wir einmal Schatzgräber spielen. Was machen wir dann, Hope, wenn wir hunderttausend Millionen Goldstücke finden?«

»Es werden wohl weniger sein,« lachte Hope, »mir ist es überhaupt ganz gleich. Du hast sie ja gefunden, also gehören sie auch dir.«

Hannes ließ die angesetzte Stange fallen.

»Du würdest nicht mit mir teilen?« fragte er vorwurfsvoll.

»Nein, sie gehören dir. Ich habe schon genug von dem Zeuge, man sagt immer, je mehr Geld man hat, desto mehr Sorgen hat man.«

»Ich habe niemals Sorgen, und wenn ich die ganze Tasche voll Taler habe.« lachte Hannes. »Also du willst wirklich nicht mit mir teilen?«

»Nein,« antwortete Hope, »ich brauche es nicht.«

»Dann mache ich den Stein auch nicht auf,« rief Hannes trotzig und warf die Stange heftig zu Boden.

»Aber Hannes,« bat das junge Mädchen schmeichelnd, »wie kannst du nur gleich so hastig sein? Teilen wollen wir nicht, das Geld gehört aber uns beiden.«

»Das läßt sich schon eher hören, damit bin ich einverstanden.«

Hannes nahm die Stange wieder auf, schob sie in die Ritze und begann den Stein loszubrechen.

»Wenn nun aber kein Schatz dahintersteckt, sondern etwas ganz anderes, zum Beispiel, das Gerippe einer Katze?« sagte Hope lachend.

»Dann teilen wir uns dieses ebenso gewissenhaft,« entgegnete der Matrose und stemmte sich gegen das Hebeeisen, daß der widerspenstige Stein in allen Fugen zu krachen begann.

Endlich war er heraus, jetzt konnten sie auch den ersten Stein aus der Oeffnung entfernen. Hannes steckte seine Hand in das dunkle Loch und zog sie sofort wieder zurück – sie hielt eine kleine, eiserne Schatulle.

»Der Schatz, Hannes,« jubelte Hope, »mein Traum ist in Erfüllung gegangen.« »So sehr viel Goldstücke werden in dem winzigen Ding nicht enthalten sein.«

»Aber vielleicht Diamanten,« entgegnete das Mädchen, »oder auch Papiere und Banknoten.«

»Wie sollen wir das Kästchen öffnen? Es ist verschlossen, und ein Schlüssel steckt nicht daran.«

Er leuchtete in das Loch, aber es war nichts mehr darin, auch nicht der fehlende Schlüssel.

»Es ist ja gar kein Schloß,« rief Hope nach Besichtigung des Kästchens, »das ist ein Mechanismus. Sieh hier diese Knöpfe, welche alle nach verschiedenen Richtungen geschoben werden können. Haben alle sieben die richtige Stellung eingenommen, dann springt der Deckel von selbst auf. Ich will einmal probieren.«

Sie schob vergebens die Knöpfe, welche in Schlitzen beweglich waren, hin und her, versuchte dann immer, nach jeder neuen Stellung, den Deckel zu öffnen, aber die sieben Knöpfe gestatteten eine ungeheure Anzahl von verschiedenen Kombinationen, und so lange sie nicht die richtige einnahmen, sprang der Deckel nicht auf.

»Gib mir das Kästchen her,« sagte Hannes, »ein paar Schläge mit der eisernen Stange werden wohl den Schlüssel unnötig machen.«

Er legte das Kästchen auf die Erde und hob schon die Stange zum wuchtigen Schlag, als Hope ihm in die Arme fiel.

»Nein nein,« rief sie, »versuche noch keine Gewalt. Ehe wir den Mechanismus ruinieren, weiß ich noch ein anderes Mittel, Mister Sharp ist ja so ungeheuer schlau, der weiß sicher, welche Figur die Knöpfe bilden müssen. Wir wollen ihn rufen.«

»Das ist auch wahr,« antwortete Hannes freudig, »wenn Sharp diese Schatulle nicht sofort offen hat, dann will ich zeitlebens nur noch Salzwasser trinken.«

Beide traten ans Fenster und riefen den Namen des Detektiven. Nach einer Minute schon stand dieser in der Zelle. Er ließ sich schnell erzählen, auf welche Weise man den Kasten gefunden hatte, nahm ihn in die Hand, betrachtete eine kurze Zeit den Mechanismus, und ehe die beiden Zuschauenden noch wußten, daß er sich mit dem Oeffnen beschäftigte, sprang der Deckel schon auf.

Aller Augen hingen begierig an dem Kästchen, in das der Detektiv jetzt hineingriff.

»Was ist das!« flüsterte Hope, welche viel aufgeregter als Hannes war, während der Detektiv völlig seine Kaltblütigkeit behielt.

»Eine feuersichere Schatulle,« antwortete er, »mit doppeltem Boden und Wänden, sonst wären diese Papiere hier verkohlt.«

Dabei zog er eine Hand voll Scheine hervor, denen einige wenige Gold- und Silbermünzen folgten, dazwischen ein Medaillon, zuletzt nahm er ein Zettelchen heraus, welches er zuerst durchflog, dann zählte er die Scheine und das Geld leise.

»Wem von euch beiden ist es zuzuschreiben, daß diese Schatulle gefunden worden ist?« fragte er ernst.

»Hannes hat sie gefunden,« rief Hope schnell.

»Dreimalhunderttausend Pfund Sterling in guten Banknoten, auf der Bank zu England zu erheben, dreiundzwanzig Pfund in Gold und ein Pfund und sieben Schillinge in Silber. Hier,« er legte alles wieder, bis auf das zuletzt gefundene Zettelchen und das Medaillon in die Schatulle und händigte diese dem verblüfften Hannes ein, »sie sind dein, mein Junge, vernasche sie nicht, und hier das Testament, welches dich als Finder zum Erben dieser Summe einsetzt.«

Damit gab er dem Matrosen das Zettelchen, aber die Hände des vor Ueberraschung Sprachlosen zitterten zu sehr, so daß er die Schriftzeichen nicht lesen konnte, und ebenso flimmerte es vor den Augen Hopes. Beide waren unfähig, die Buchstaben zu lesen.

»Gebt her,« sagte der Detektiv und nahm das Zettelchen wieder an sich, »ich will euch vorlesen, was der Erblasser in seinem Testament an den Finder dieser Schatulle schreibt. Hört zu:

»Wer Du auch sein mögest, der Du diese Schatulle findest, ich, Endesunterzeichneter, gebe Dir hiermit die Befugnis, innenliegende Summe, (hier folgen die vorhin angegebenen Zahlen), als Dein Eigentum zu betrachten – es ist mein ehrlich erworbenes Geld.

»Ich bin vor zehn Tagen mit Frau und Kind von meinem Besitztum geflohen, weil die Chinesen einen Aufstand gegen die Engländer im Sinne hatten, begab mich nach Scha-tou, erhob mein dort stehendes Vermögen und wartete auf ein Schiff, welches uns nach London, meiner Vaterstadt, bringen sollte.

»Aber auch hier brach der Aufstand los, ich mußte mit meiner Familie vor Verfolgern fliehen und nahm meine Zuflucht nach diesem Kloster. Auf dem Wege hierher sah ich mit meinen eigenen Augen, wie mein Weib und das Kind auf ihren Armen unter den Schwertern der Chinesen fielen, ebenso auch die anderen, welche uns begleiteten.

»Ich war der einzige, welcher dieses Kloster erreichte. Vergebens versuchte ich, die Franziskaner zu überreden, sich auf einen Sturm der Chinesen vorzubereiten, sie hielten es ihrem Glauben nach nicht für angemessen, sondern wollten ihr Schicksal Gott überlassen. Das einzige, was sie taten, war, ihre wertvollen Schriftstücke in Verstecken unterzubringen, wie sich solche in jeder Zelle befinden, gleich diesem hier, in welcher Du wahrscheinlich meinen verbrannten Körper finden wirst, denn ich schreibe diese Zeilen erst jetzt, da schon die Flammen um meine Zelle lecken.

»Verwandte habe ich nicht, meine Frau und mein Kind sind tot, so betrachte Du Dich als den rechtmäßigen Besitzer dieses Geldes. Ich betone dies ausdrücklich, damit Dich, bist Du, was ich von ganzem Herzen wünsche, ein ehrlicher, rechtschaffener Mensch, keine Zweifel plagen.

»Ich sehe den unvermeidlichen Tod vor Augen, möge Gott sich meiner Seele erbarmen, wie auch der meiner Frau und meines armen Kindes, um derentwillen bitte ich auch, daß er den verblendeten Heiden ihre Missetat nicht nachtragen möge.

Scha-tou, den 25. März 1889. Lionel Congrave.«

»Die mit Tinte geschriebenen Buchstaben sind vollkommen leserlich,« schloß der Detektiv, »dank der ausgezeichnet gearbeiteten Schatulle, welche die hier jedenfalls herrschende, große Hitze vollständig ausgehalten hat. Hannes, du bist ein Glückspilz, du bist jetzt der Besitzer von über sechs Millionen Mark, kein Mensch kann sie dir streitig machen, selbst wenn sich doch ein Verwandter melden sollte. Miß Staunten und ich sind Zeugen, deren Eide jede Gegenbehauptung entkräftigen. Ich gratuliere. Jetzt aber gehe ich in die anderen Zellen und sehe nach, ob die Mönche mir nicht auch ein paar Millionen vermacht haben. Kommen Sie mit, Miß Staunton?«

Das junge Mädchen schüttelte stumm den Kopf, sie hielt Hannes an der Hand und blickte ihn an. Hannes selbst war noch immer sprachlos, er konnte es nicht fassen, daß diese ungeheure Summe, die er in der Hand trug, sein eigen sein sollte.

Bevor der Detektiv ging, öffnete er das goldene Medaillon, und alle drei betrachteten die in demselben enthaltenen beiden Bildchen. Das eine stellte einen Mann mittleren Alters, das andere eine noch junge Frau dar.

Auf jeden Fall waren es Mister Lionel Congrave und Gemahlin. Weiteren Anhalt gab das Medaillon nicht, die Gesichtszüge waren allen fremd.

»Hannes, du bist nun reich,« begann Hope endlich. »Wie fühlst du dich als Millionär?«

»Es ist gar nicht möglich,« flüsterte der Matrose.

»Natürlich ist es so, das Papier, unsere Aussagen bestätigen es. Was gedenkst du nun zu tun? Gehst du jetzt in die Heimat und lebst als reicher Mann?«

Der Matrose schüttelte den Kopf.

»Oder was willst du sonst mit dem Gelde machen?«

»Ich brauche nicht viel davon,« kam es leise von den Lippen des Matrosen, »jetzt, da ich anfange zu begreifen, daß es wirklich mein Eigentum ist, eröffnet sich mir mit einem Male eine schöne Aussicht.« »Und welcher Art ist diese?«

»Schon lange ist es mein Wunsch,« fuhr Hannes fort, »so viel Geld zu besitzen, daß ich die Steuermannsschule besuchen kann. Du weißt, Hope, wie es mit uns Seeleuten geht. Wir haben oft genug Geld in der Tasche, um Jahre lang die Schule besuchen zu können, aber in den Hafenstädten wird schon dafür gesorgt, daß der Matrose den Weg zur Sparkasse nicht findet – zum Sparen komme ich doch niemals. Nun aber habe ich die Mittel, meinen Plan verwirklichen zu können.«

»Das ist alles, was du mit dem Gelde beginnst?« scherzte Hope. »Da bleibt aber noch viel übrig.«

»Dann mache ich auch noch mein Kapitänsexamen, kaufe ein eigenes Schiff und fahre dieses als selbständiger Kapitän.«

»Und was dann noch übrig bleibt?«

»Das vermache ich einem Hospital für invalide Seeleute, oder ich gründe ein Heim für Seemannswitwen und Seemannswaisen,« versicherte Hannes.

»Wann willst du diese Absicht verwirklichen?« fragte Hope weiter.

»Gleich jetzt,« rief Hannes enthusiastisch und raffte sich auf. »Was soll ich mich noch um den ›Amor‹ und die ›Vesta‹ kümmern, die mich nichts angehen? Der nächste Dampfer bringt mich nach Hamburg.«

»Hättest du mir nicht schon lange sagen können, daß du Geld brauchtest, um auf eine Seemannsschule zu gehen?« sagte Hope. »Du weißt, daß ich reich bin, ich würde dir das Geld gern dazu gegeben haben, und zwar, da du stolz bist, nur leihweise.«

»Ich würde es nie angenommen haben,« war die Antwort, »weil ich mir immer sagen muß, ich selbst könnte mir das Geld wohl sparen, wenn ich nur die Energie dazu hätte. Das hier ist etwas anderes, das Geld gehört mir, ihr selbst sagt es. Ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen, wenn ich es benutze.«

»So lebe wohl, Hannes, unsere Wege gehen also auseinander. Ich kann es dir wirklich nicht verdenken, wenn du deine Karriere nicht vernachlässigst; du hast recht, was gehen dich die beiden Mädchen au, deren Spur wir verfolgen wollen, du kanntest sie kaum, sie haben sich nie um dich bekümmert. Ich natürlich darf sie nicht verlassen, denn sie sind meine Freundinnen. Ich sage schon jetzt lebewohl zu dir, mein Hannes, weil wir gerade allein sind.«

Ein dumpfer Fall unterbrach diese von Tränen erstickten Worte Hopes, erschrocken zog sie die schon ausgestreckte Hand zurück – Hannes hatte die Schatulle plötzlich fallen lassen und umschlang mit den Armen das junge Mädchen, ihm ganz bestürzt in die Augen blickend.

»Aber was fällt dir denn ein, Hope?« rief er. »Glaubst du etwa, ich würde ohne dich abreisen? Nein, niemals. Aber halt – jetzt weiß ich, was in deinem Köpfchen vorgeht. Du denkst, weil ich nun auf einmal ein reicher Mann geworden bin, könnte ich dich vergessen? Denkst du wirklich so schlecht von mir,« fuhr er wehmütig fort, »daß ich über diesen lumpigen Papieren hier,« er stieß die Schatulle mit dem Fuße von sich, »meine Hope vergessen hatte? Dann tust du mir sehr unrecht. Habe ich dir nicht erst vorhin gesagt, die Hälfte gehört dir? Oder nein, es gehört ebensogut dir, wie mir; lerne ich etwas dafür, so ist es nur zu deinem Nutzen, und das Schiff ist auch das deinige. Glaubst du mir nun, Hope, oder zweifelst du noch?«

»Hannes,« schluchzte das Mädchen und schmiegte sich an die Brust des Matrosen, »ich fürchtete wirklich erst, der plötzliche Reichtum hätte dich berauscht, du würdest nicht mehr an mich denken. Du machtest gleich so viele Pläne, ohne mich dabei mit einem Worte zu erwähnen.«

»Daß du bei mir bleibst, ist doch selbstverständlich,« rief Hannes fröhlich. »Haben wir nicht erst vor einigen Wochen ausgemacht, auf einem eigenen Schiff zu fahren? Nun können wir dies mit einem Male, wir haben nicht einmal nötig, erst deinen Vormund zu belügen, um Geld von ihm zu bekommen – ich habe ja nun solches. Aber freilich, der Plan damals war etwas voreilig, besser ist es doch, wenn ich erst ein Jahr die Steuermannsschule besuche und dann das Examen ablege. Kein Mensch kann mir dann nachsagen, ich sei in meinem Handwerk ein Pfuscher, nur ein Sportsmann, wenn ich als zwanzigjähriger Kapitän mein eigenes Schiff fahre. Nein, Hope, es bleibt dabei, wir fahren beide als Kapitän, und ein prachtvolles Schiff und eine noch bessere Besatzung wollen wir kommandieren. Nicht wahr?«

»Was bin ich froh, daß ich mich getäuscht habe,« rief Hope. »Verzeihe mir, Hannes, ich habe dir unrecht getan. Aber noch kann ich dir nicht folgen, mein Gewissen läßt es nicht zu, daß ich den Versuch aufgebe, meine Freundinnen zu finden. So lange ich nicht weiß, ob sie tot oder lebendig sind, oder so lange ich sie in letzterem Falle, das heißt, wenn sie nur gefangen sein sollten, nicht befreit habe, kann ich dir nicht gehören. Man darf nicht aufgeben, was man einmal angefangen, hat, und gar aus bloßem Egoismus. Zürnst du mir nun um diesen meinen Vorsatz, mein lieber Hannes?«

»Niemals,« rief der Matrose und umarmte von neuem das Mädchen, welches er als seine Braut betrachten durfte, »es war wirklich recht eigensinnig von mir gesprochen, ich wollte gleich mit dem Kopf durch die Wand rennen. Nein, meine Hope, erst wollen wir deine beiden armen, Freundinnen retten. Wir suchen sie, bis wir sie gefunden haben, tot oder lebendig, und dann erst besprechen wir weiter, was wir später beginnen. Weine nicht mehr, mein liebes Mädchen! Einem Matrosen stehen die Tränen überhaupt nicht gut, wenn solche einem Manne auch nicht schimpflich sind. Wie sollen wir denn diesen ungeheuren Schatz nur fortbringen? Ich getraue mich gar nichts ihn in die Tasche zu stecken. Ich glaube, ich könnte weder schlafen, noch schmeckte mir das Essen, so lange ich ihn mit mir herumtrage. Was meinst du, Hope, wollen wir ihn einstweilen hier lassen?«

Hopes Tränen waren bald getrocknet, sie sah ein, wie sehr sie sich in Hannes Charakter getäuscht hatte. Alle Schätze der Welt hatten doch nicht vermocht, ihn in seiner Liebe wankelmütig zu machen.

Da kam der Detektiv zurück. Er war ohne Lampe durch die Zellen gewandert, sein Gesicht und seine Hände waren ganz schwarz von dem Suchen geworden.

»Etwas gefunden?« riefen ihm beide neugierig entgegen,

»Reicher bin ich geworden,« entgegnete der Detektiv, »aber nur an Erfahrung, nämlich an der, daß Schatzgraben eine sehr undankbare Sache ist, sobald man sie absichtlich betreibt. Ein Schatzgräber findet niemals etwas, aber ein blindes Schwein oftmals eine Perle. Du brauchst mich nicht so böse anzublicken, Hannes, ich habe bei diesem Vergleiche nicht an dich gedacht.«

»Waren die Verstecke in den Zellen wirklich alle vorhanden?« fragte Hope.

»Da waren sie, aber alle leer, wenn auch früher etwas darin gewesen sein mag. Die Löcher waren voll von Asche, wahrscheinlich von Papier herrührend. Die Mönche haben jedenfalls ihre Bibeln, Betbücher, Schriftstücke, Liebesbriefe, Schuldscheine und Gott weiß was hineingesteckt, aber natürlich ohne eine solche Schatulle, wie diese hier, und alles ist bei der furchtbaren Hitze verbrannt.«

»Mister Sharp, soll ich nicht einstweilen den Schatz hier lassen, bis wir wieder hierher zurückkehren? Mir ist es unheimlich, mit sechs Millionen in China herumzuwandern,« meinte Hannes.

»Wer weiß, ob wir je wieder herkommen,« entgegnete Sharp. »Gib sie mir her, mein Junge, bei mir sind sie so sicher, wie bei dir. Traust du mir?«

Hannes fühlte sich durch diese Frage ordentlich beleidigt. Als wenn er gegen die Ehrlichkeit des Detektiven nur das geringste Mißtrauen gehabt hätte! Er händigte ihm die Banknoten ein und steckte nur die Münzen und das Medaillon zu sich. Die Schatulle wollten sie zurücklassen.

Dann deutete Hope auf das in der Zelle liegende Gerippe, das mit seinen hohlen Augen die Gruppe zu beobachten schien.

»Dieser also war der Mann, dem die sechs Millionen gehört haben. Was nützen sie ihm nun? Hannes, er hat in seinem Testament an dich gedacht, wir sind es ihm schuldig, daß wir ihm ein ehrliches Begräbnis zu teil werden lassen. Aber wie sollen wir das bewerkstelligen?«

Es war dies wirklich eine Frage, auf die schwer eine Antwort zu finden war. Sie hatten weder Schaufel, noch Hacken, um das Gerippe zu bestatten, und selbst das Begraben drunten in dem Klosterhof wäre nicht so leicht zu bewerkstelligen gewesen, denn als der Detektiv es mit dem Fuße anstieß, fand er seine Ahnung bestätigt, die Knochen fielen alle voneinander, die Hitze hatte sie ganz mürbe gemacht.

»Laßt das, Kinder,« schlug er vor, »kommen wir wieder nach Scha-tou, dann wollen wir das Versäumte nachholen, und führt uns der Weg nicht wieder hierher, dann will ich schon dafür sorgen, daß dieser Congrave, ebenso wie die anderen Verbrannten, ein anständiges Begräbnis finden. In den größeren Hafenstädten, wie Hongkong oder Schanghai kann man genug europäische, beschäftigungslose Arbeiter bekommen, die für einige Schillinge mit dem größten Vergnügen den Totengräber spielen. Dafür laßt mich nur sorgen! Jetzt kommt mit hinunter, ich darf den Chinesen nicht zu lange allein lassen, sonst beklagt er sich über meine Unhöflichkeit. Geht ihr einstweilen zum Boot, ich bin in fünf Minuten bei euch.«

»Bleibt der Chinese hier?«

»Ich werde ihn in Freiheit setzen. Er kann dann tun, was ihm beliebt. Die Hauptsache habe ich schon von ihm erfahren, was ich noch wissen will, wird er mir jetzt gestehen.«

»Kann er uns nicht schaden oder sich an Ihnen rächen, wenn er freigelassen wird?«

»Was soll ich anderes tun? Hier sitzen lassen kann ich ihn nicht. Ueberdies seid unbesorgt, um seine Rache kümmere ich mich nicht im geringsten, wir werden schneller sein, als er.«

Die jungen Leute waren noch nicht lange am Boot, als der Detektiv wieder zu ihnen stieß.

»Haben Sie alles erfahren, was Sie wissen wollten?« fragte ihn der Matrose.

»Kein Wort mehr,« entgegnete der Detektiv und sprang ins Boot; er schien sehr ernst zu sein.

»Warum nicht?« riefen beide gleichzeitig. »Weil Tote nicht mehr sprechen können. Der Chinese hat sich während meiner Abwesenheit selbst getötet.«

»War er nicht gebunden?« rief Hannes erstaunt.

»Er hat sich an beiden Armen die Schlagadern aufgebissen und ist verblutet. Dasjenige, was er mir verraten, hat ihn dazu getrieben. Er fürchtete die Rache für seinen Verrat, und das beste war es auch, was er getan hat.«

Die beiden waren bestürzt; von dem Tode dessen erzählen zu hören, den man eben noch am Leben gesehen hat, ist immer niederschlagend, und noch mehr, wenn es sich um einen Selbstmord handelt. Stillschweigend tauchten sie die Riemen ins Wasser, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und ohne die Richtung zu beachten, welche der Detektiv steuerte.

»Wohin fahren wir?« fragte endlich Hannes aufblickend.

»Wir legen etwas unterhalb von Scha-tou an,« antwortete der Detektiv.

»Hat Ihnen der unglückliche Chinese genug gesagt, damit wir die beiden Damen wiederfinden können?«

»Ja, vollständig. Diese Nacht verbringen wir schlafend, um neue Kräfte sammeln zu können. Morgen unternehmen wir eine Fahrt etwas ins Land hinein und richten es so ein, daß wir zur Nacht das Haus erreichen, wo die Mädchen gefangen gehalten werden.«

»Nehmen Sie noch Hilfe mit?«

»Wir drei werden genügen. Sollten wir Ersatz brauchen, so kann ich denselben für Geld immer noch gewinnen, aber ich glaube kaum, daß wir dies nötig haben werden.«

Sie legten im Hafen nicht am Quai selbst an, sondern da, wo die chinesischen Fischerboote ihren Ankerplatz hatten.

Hier war ein Gasthaus für Europäer, welche mit den Fischern Handel trieben, und in diesem quartierte Sharp sich und seine beiden Gefährten ein. Als sich letztere schon zur Ruhe begeben hatten, ließ sich Sharp von dem französischen Gastwirt, den er gut kannte, und bei dem er seine jungen Freunde gut aufgehoben wußte, für schweres Geld noch einen Karren besorgen, fuhr nach der Stadt und verschaffte sich trotz der späten Nachtzeit noch einmal eine Unterredung mit dem englischen Konsul, der ihn dann selbst zu dem höchsten chinesischen Beamten, dem Oberhaupt von Scha-tou, brachte.

Hier erhielt der Detektiv die Vollmachten, welche er sich erbat, erkundigte sich ganz genau über eine Person, über welche der Mandarin sehr gut orientiert war, und kehrte dann nach jenem Gasthaus zurück.

Nachdem er sich überzeugt hatte, daß die beiden jungen Leute, welche er in seinen Schutz genommen hatte, in ihren Zimmern waren, legte er sich selbst auf einige Stunden zum Schlafen nieder. Also war es doch nicht richtig, wenn von ihm behauptet wurde, seine eiserne Natur bedürfe keines Schlafes.


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