Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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28.

Bei der Arbeit.

»Es ist faktisch nicht mehr mit dir auszuhalten,« sagte die kleine, hübsche Mistreß Miller zu ihrem Manne, während sie Chinesen beim Decken eines riesig langen Teetisches anleitete, »wenn du nichts zu mäkeln hast, dann jammerst du, und wenn dir nichts mehr einfällt, dann mischt du dich gar in meine Angelegenheiten, und das kann ich nicht vertragen, das weißt du, denn dann bist du faktisch ein unausstehlicher Mensch.«

Der Blick, den sie bei diesen Worten dem großen, schlanken Mann mit dem blonden Backenbart zuwarf, strafte aber ihren bösen Ton Lügen, denn er war ein sehr freundlicher und liebevoller.

Mister Miller war Vertreter einer großen Teefirma in England und leitete in dem Hafen von Scha-tou das Befrachten der Schiffe und die sonstigen Kontorarbeiten. Seine Wohnung hatte er außerhalb der Stadt auf einem reizenden Landsitze, er hatte eine niedliche Villa und daneben einen großen Garten, alles nach chinesischem Stil eingerichtet, das heißt, das Haus sah wie ein geschnitztes Puppenhäuschen aus, und in dem Garten waren Quellen und Teiche angebracht, auf denen Enten und Schwäne schwammen, die Ufer waren zierlich mit Muscheln eingefaßt, auf dem Rasenplatze mit dem weichen, feinen Gras, stolzierten zahllose Goldfasanen, die Spezialität Chinas, umher, und hier und da erhob sich ein von hölzernen Säulen getragener Pavillon, an dessen Dache die klingenden Glöckchen nicht fehlten.

Zwei entgegengesetztere Charakter als Mister und Mistreß Miller, hatten sich selten zusammengefunden, aber bekanntlich ziehen sich verschiedengeartete Naturen an, und so war es auch mit diesen beiden geschehen.

Eine lustigere, übermütigere junge Frau, als Mistreß Miller, gab es nicht. Von morgens früh, bis abends spät hallten die Räume der Villa von den Klängen der heiteren Liedchen wieder, die sie unermüdlich trillerte. Die Spitzbübereien des frechsten, chinesischen Dieners vermochten nicht ein Wölkchen auf ihrer weißen Stirn hervorzubringen; brannte die Sonne mit sengender Glut herab, seufzte alles über die unerträgliche Hitze, so freute sie sich auf das kommende, abkühlende Gewitter, und regnete es vom Himmel in Strömen herab, so teilte sie ihrem Manne entzückt mit, daß die ausgetrockneten Teiche des Gartens bald wieder voll wären.

Das ganze Gegenteil von ihr war Mister Miller.

Er war wirklich ein Kauz, dem nichts recht war, und der alles bemäkelte, kritisierte und besser wußte. Die Sonne war ihm zu heiß, der Regen zu naß, das Essen wollte er am liebsten auf kaltem Feuer gekocht haben, und keiner der Diener tat etwas richtig, alle waren Faulenzer, die nicht einmal das tägliche Brot verdienten. Aber, im Grunde genommen, war er der gutherzigste Mensch, der zum Beispiel erst jemanden tüchtig ausschalt und dann über sich selbst zürnte, den armen Kerl so angefahren zu haben, was gewöhnlich zu einem Geschenk Veranlassung gab. Außerdem hatte Mister Miller noch eine sehr gute Eigenschaft, so sehr sein Zorn auch manchmal wachsen konnte, er selbst regte sich nicht dabei auf, er blieb immer ruhig und sagte die scheltenden Worte mit der größten Gelassenheit, immer mit einer weinerlichen Stimme, wegen welcher er von seiner Frau oft geneckt wurde.

»Was soll ich denn nur eigentlich tun?« sagte er auch jetzt in weinerlichem Tone zu den Vorwürfen seiner kleinen Frau, »ich will dir gern helfen, aber überall stößt du mich fort, nimmst mir den Teelöffel aus der Hand und läßt mich wie einen dummen Jungen stehen.«

»Geh' nur in dein Zimmer und lies die ›Times‹, zu etwas anderem bist du doch jetzt nicht zu gebrauchen. Die Gesellschaft wird sich sehr freuen, wenn sie einen so sauertöpfischen Menschen als Wirt bekommt, der nichts weiter als räsonnieren kann. Nimm dich einmal zusammen, setze dein freundliches Gesicht auf und spiele den Galanten, wie du es früher tatest, ehe du mich geheiratet hast. Geh' nur in dein Zimmer, du bist mir im Wege, stelle dich vor den Spiegel und übe dich, ein liebenswürdiges Gesicht zu machen!«

Sie faßte ihren Mann ohne weiteres an Arm und Rücken und schob ihn durch die Tür in ein anderes Zimmer.

Aber Mistreß Miller blieb nicht lange mit den Kulis allein in dem Salon, um das Ordnen des Teetisches zu Ende zu bringen. Bald öffnete sich die Tür wieder, und des Hausherrn flachsblonder Kopf erschien in der Spalte.

»Der Spiegel ist ja heute wieder nicht abgewischt worden,« sagte seine gedehnte, weinerliche Stimme, »wenigstens tausend Fliegen haben ihre Spuren darauf zurückgelassen.«

»So wisch' ihn ab,« entgegnete seine Frau und warf ihm ein Tuch zu. »Aber jetzt laß uns ungestört.«

Brummend zog sich Mister Miller zurück, aber diesmal war es seine Gattin selbst, welche ihn wieder zu sich ins Zimmer brachte.

»Emil, Emil,« rief sie mit einem Male laut auf, als sie gerade an einem Fenster stand, das nach dem Garten hinausführte, und als Emil bei ihr war, fuhr sie im Tone der höchsten Entrüstung fort:

»Da hört denn doch alles auf, läuft dieser Kerl mir nichts, dir nichts über unsere schönsten Blumenbeete weg. Schnell, Emil, geh und bringe ihn zur Vernunft.«

»Fällt mir gar nicht ein,« meinte ihr Gatte, »wozu haben wir denn die Diener? Ich soll aber auch alles hier im Hause besorgen, schließlich sogar noch solche zudringliche Gäste hinauswerfen.«

Durch die Gartentür war ein Fremder getreten und schritt den Kiesweg entlang, der nach dem Hause führte, aber eine Krümmung machte. Diese nun hatte der junge Mann in Pumphosen, der über die Schultern ein Kästchen und eine Ledermappe trug, nicht bemerkt und war gemütlich über den Rasen und die Blumenbeete geschritten, immer die Augen auf die Villa gerichtet, wo er am Fenster Mistreß Miller gesehen hatte. Als er endlich durch eine Quelle watete und die Kälte an den Füßen spürte, wurde er seines Irrtums gewahr, mußte aber nun weiter durch die Blumenbeete marschieren, ehe er den Weg wieder erreichte.

»Sie denken wohl, die Blumen wachsen hier wild?« sagte da plötzlich eine traurige Stimme ihm zur Seite, und als der Verirrte den Kopf wendete, sah er den Hausbesitzer vor sich stehen.

Der junge Mann, der sich eben zwischen einigen Rosenbüschen befand, stand still.

»Habe ich das Vergnügen, Mister Miller zu sprechen?« fragte er höflich.

»Das ist mein Name.«

»Absalom Youngpig, never mind,« stellte sich der Reporter vor und legte einen Finger an die schottische Mütze, »soll Ihnen Grüße von Mister Ward aus London bringen.«

»Mister Ward? Denn kenne ich gar nicht,« entgegnete der Hausherr, »wer ist denn das?«

»Kennen Sie nicht? Never mind, dann habe ich mich geirrt,« entgegnete der Reporter und trat auf den Weg.

»Sie haben sich wohl verlaufen?« fragte Mister Miller, der fast zu glauben anfing, daß er es mit einem nicht ganz Geistesnormalen zu tun habe.

»Nein, ich wollte zu Mister Miller,« behauptete der Reporter, »Sie geben doch heute abend den Tee für die Herren und Damen, welche vorgestern hier mit dem ›Amor‹ und der ›Vesta‹ angekommen sind?«

»Natürlich gebe ich den, aber was wollen Sie denn eigentlich? Oder sind sie vielleicht einer von den Herren?« setzte er höflich hinzu.

»Eigentlich noch nicht, aber es wird nicht lange mehr dauern. Aber ich gehöre mehr zu den Damen, ich gehe an Bord der ›Vesta‹.«

Jetzt war es klar, dieser Mensch war etwas verrückt, solchen Unsinn konnte kein Vernünftiger sprechen.

Mister Miller überlegte, was er tun sollte. Durch einen Diener ihn hinauswerfen lassen konnte er nicht. Der Fremde war ein Engländer, sein Landsmann, und dazu befanden sie sich in einem fremden Lande. Aber auf irgend eine Weise mußte er sich seiner entledigen.

»Gefällt Ihnen mein Garten?« fragte er.

»Wunderschön.«

»Nun, gehen Sie aber einmal auf die andere Seite des Hauses, dort ist es noch viel schöner. Kommen Sie!«

Auf der anderen Seite der Villa war nämlich die Einfahrt in den Hof, und durch diese wollte er den fremden Eindringling sich empfehlen lassen.

Er schritt voraus, an dem Eingang der Villa vorüber und sagte, ohne sich dabei umzudrehen:

»Sind Sie schon lange in China, haben Sie ein Geschäft hier?«

Er mußte die Frage wiederholen, und als keine Antwort erfolgte, drehte er sich um und blieb sofort verdutzt stehen – Mister Youngpig war ihm gar nicht gefolgt, sondern war, als er an dem Eingang der Villa vorbeikam, ohne weiteres in diese eingetreten.

»Jetzt schmeiße ich den Kerl hinaus; so eine Unverschämtheit ist mir doch noch nicht vorgekommen,« jammerte Mister Miller, stürmte in das Haus und fand den Reporter schon in einem Gespräch mit seiner Frau, die sich über ihn sehr zu amüsieren schien.

Mister Miller hatte keine Zeit mehr, seinem Unmut freien Lauf zu lassen, denn schon fuhren zahlreiche kleine, zweirädrige Wagen mit Pferdchen davor in den Hof, die Gesellschaft mit sich bringend. Er eilte hinaus, um zu empfangen, und außerdem kam ihm dann auch der Gedanke, dieser seltsame Kauz könnte doch mit zu den Gästen gehören, von denen er nur sehr wenige persönlich kannte.

Mistreß Miller hatte erfahren, daß der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ in Scha-tou verankert lagen, und sie ließ ihrem Mann keine Ruhe, bis dieser fest versprach, sein möglichstes zu tun, um diese berühmten Weltumsegler zu einem Besuche in ihrem Hause zu bewegen.

Es war dem Gemahl nicht schwer gefallen, dieses zu stande zu bringen. Er kannte einige der Herren von England aus, erneuerte die Bekanntschaft mit diesen, und bald hatten alle zugesagt, einen Nachmittag auf der Besitzung des englischen Kaufmanns zu verbringen.

Die Vorstellung war vorüber, die Mädchen waren sofort mit der lustigen Hausfrau vertraut geworden, die Herren waren zeremoniell begrüßt worden, als auch die Person des Mister Youngpig entdeckt wurde, der bisher hinter einem Fenstervorhang gestanden hatte und so unbemerkt geblieben war.

»Um Gottes willen,« flüsterte Ellen der Mistreß Miller zu, »haben Sie diesen Herrn dort auch eingeladen?«

»Nein,« antwortete die Hausfrau erstaunt, »er ist von selbst gekommen, und ich glaubte, er wäre ein Herr vom ›Amor‹. Ist seine Gesellschaft Ihnen unangenehm?«

»Das gerade nicht,« lachte Miß Thomson leise, »manchmal kann man sich recht über ihn amüsieren. Er ist ein Reporter der ›Times‹ und verfolgt uns hier auf Schritt und Tritt, hat immer sein Notizbuch in der Hand, will uns über alles ausfragen und arbeitet ununterbrochen mit seinem Photographenapparat. Ich glaube, es ist keine mehr unter uns, deren Bild er nicht schon in der Ledermappe trägt.«

»Gestern fragte er mich ganz ernsthaft, ob er nicht an Bord der ›Vesta‹ kommen könnte,« meinte Ellen.

»Zum Ansehen?« fragte Mistreß Miller.

»Nein, ob er mit uns darauf fahren könne.«

Das Gespräch war von Mister Miller aufgefangen worden, und sofort wendete er sich an Youngpig.

»Ach was, Sie sind der Reporter der ›Times‹?«

Er hatte plötzlich seine weinerliche Stimme und sein Phlegma verloren, er interessierte sich nämlich ganz ungeheuer für die ›Times‹, sie waren seine einzige Lektüre, und als er gar einst von der Redaktion mit überschwenglich höflichen Worten ersucht worden war, einen Artikel über die Teefabrikation in China zu schreiben und nach Lieferung desselben einen ebenso von Dankesphrasen strotzenden Brief erhalten hatte, schwärmte er für alles, was mit dieser Zeitung in Verbindung stand. Er selbst fühlte sich als Mitarbeiter dieses Weltblattes, ohne dessen Hilfe damals der Redaktion ein empfindlicher Schaden zugefügt worden wäre, und immer wieder konnte er davon erzählen.

»Spezial-Korrespondent der ›Times‹, zu dienen,« erwiderte Youngpig.

Jetzt hatte Mister Miller seinen Mann gefunden.

»Seien Sie mir willkommen, mein lieber Herr,« rief er, »das freut mich ungemein, Sie sozusagen als Kollegen begrüßen zu können. Auch ich bin nämlich ein eifriger Mitarbeiter der ›Times‹, der Chefredakteur ist mein spezieller Freund und quält mich immerfort, Beiträge zu liefern. Haben Sie zum Beispiel meinen Artikel vor zwei Jahren über die chinesische Teerösterei gelesen?«

»Natürlich, der hat Sensation gemacht, andere Blätter haben hunderte von Pfund geboten, um ihn abdrucken zu dürfen. Das läßt sich aber bei uns nicht machen, wir bringen nur Originale und verkaufen nichts und wenn uns eine Million Pfund Sterling geboten würde.«

Der Reporter hatte den Aufsatz gar nicht gelesen, aber er hatte Mister Miller sofort richtig beurteilt.

Die Gesellschaft hatte unterdes an der mit Teetassen und Backwerk bedeckten Tafel Platz genommen, aber noch im letzten Moment wußte es der Hausherr so einzurichten, daß der Reporter an seine Seite zu sitzen kam, und während die chinesischen Diener die gefüllten Tassen und Kuchenteller präsentierten, die übrigen sich in Gespräche verwickelten, welche sich natürlich hauptsächlich um die erlebten Abenteuer drehten, vertieften sich Miller und Youngpig darin, wie heiß die kupfernen Platten sein müßten, um den Teeblättern die nötige Kouleur zu geben, ohne sie zu verbrennen und wie er darüber auch noch einiges an die ›Times‹ einsenden wolle.

»O weh,« seufzte seine Gattin in komischer Verzweiflung, »Mister Miller reitet auf seinem Steckenpferde, und ehe das nicht tot zu Boden sinkt, steigt er nicht ab.«

Der Hausherr merkte gar nicht, wie der Reporter auf dem Stuhle hin- und herrutschte, wie er dem Sprecher nie ins Gesicht sah, sondern seine Augen fortwährend von einer Dame zur anderen schweifen ließ und jede ihrer Handlungen und Bewegungen beobachtete. Kaum aber wurde Mister Miller einmal von seiner Dame zur Linken gefragt, ob er dem Geschmack des grünen oder des schwarzen Tees den Vorzug gäbe, so wendete sich der Reporter mit einem Ruck zur Seite, zog schnell das Notizbuch aus der Tasche und fragte seine Nachbarin:

»Trinken Sie immer Tee auf der Vesta?«

»Es ist verschieden, manchmal Tee und dann wieder Kaffee,« antwortete das Mädchen.

»Was trinken Sie früh?«

»Tee.«

»Nachmittags?«

»Kaffee.«

»Und abends?«

»Wieder Tee.«

Das Mädchen hatte nicht bemerkt, daß Mister Youngpig auf seinen Knieen ihre Antworten notierte, als sie es aber sah, mußte sie lachen.

»Interessiert das die ›Times‹ wirklich so, ob wir Tee oder Kaffee trinken?« fragte sie lächelnd.

»Ganz ungeheuer, und es ist von der größten Wichtigkeit, über derartige Sachen genauen Bescheid zu wissen. Der kleinste Fehler kann große Folgen nach sich ziehen.«

»Aber bedenken Sie nicht, daß wir vielleicht gar nicht gewillt sind, solche wichtigen Fragen, wie Sie an uns stellen, zu beantworten, oder vielleicht ganz anders, als es sich wirklich verhält?«

Der Reporter zog eine verblüffte Miene.

»Ich hoffe doch nicht von Ihnen, daß Sie mir etwas vorlügen?« sagte er bestürzt.

»Ich lüge nicht, aber ich erkläre Ihnen hiermit, wie schon andere Damen getan haben, daß ich Ihre Fragen betreffs der ›Vesta‹ nicht mehr beantworten werde. Schon unsere Gesetze verbieten uns, darüber zu sprechen, und wenn Sie auch nur die Tee- und Kaffeeverhältnisse berühren.«

»Ich bin unglücklich,« seufzte der Reporter und steckte sein Notizbuch ein, »ich hätte nicht geglaubt, auf einen solch hartnäckigen Widerstand zu stoßen.«

»Sie tun mir leid,« bedauerte ihn das Mädchen, »aber ich kann Sie in Ihrem Berufe wirklich nicht unterstützen; mein Pflichtbewußtsein verbietet es mir. Doch warten Sie, Mister Youngpig, ich will Ihnen wenigstens einen Rat geben, wo Sie sich am besten Auskunft holen können.«

Das Mädchen blickte sich in der Gesellschaft um, und bald hatte sie die gesuchte Person gefunden. Sie saß zwischen Sir Williams und Mister Wood, mit dem Sie hier wieder zusammengetroffen waren. Er hatte gesagt, er befände sich geschäftlich in Scha-tou.

»Sehen Sie die junge Dame dort, in der blauen Blouse mit den gelben Spitzen?« fragte sie.

Der Reporter bejahte.

»Das ist eben die, welche ich noch nicht photographiert habe. Immer, wenn ich ihr den Kasten vors Gesicht halte, dreht sie sich um, hält sich das Taschentuch vor die Nase, riecht an eine Blume, niest, oder macht sonst etwas, was mir das Bild zerstört. Wie heißt sie?«

»Miß Staunton. Mit der müssen Sie nachher Bekanntschaft zu machen suchen. Sie ist die jüngste unter uns und daher die offenherzigste, die wird Ihnen alles ausplaudern, was Sie von ihr wissen wollen. Ob es Miß Staunton mit ihrem Gewissen ausmachen kann, wenn Sie verrät, wieviel Zucker sie in ihren Tee tut, ist nicht meine Sache.«

Mister Youngpig konnte kaum erwarten, daß der Teetisch aufgehoben wurde. Es war am Abend, und die Gesellschaft begab sich in den Garten, um die kühle Luft zu genießen. Sofort war der Reporter an Miß Stauntons Seite, welche neben dem mitgenommenen oder vielmehr mitgefahrenen Hannes ging, denn der Leichtmatrose ließ sich von seinem Herrn durchaus nicht befehlen, an Bord zu bleiben. Wurde er nicht aufgefordert, an einem Ausflug teilzunehmen, so ging er unaufgefordert mit, aber meist versäumte Williams nie, die Einladung erfolgen zu lassen, denn er hatte wohl erkannt, wie Hope und Hannes zusammen standen, und er war viel zu großherzig, um in dem Verkehr des Matrosen mit der reichen und gebildeten Amerikanerin etwas Anstößiges zu finden.

Mister Youngpig fand die beiden in ein leises Gespräch vertieft an einem Weiher stehen, und der Blick, den er von Hannes zugeschleudert bekam, schüchterte ihn zwar nicht gerade ein, ließ ihn aber doch jetzt schon ahnen, daß sich die beiden bald eines ungewünschten Zuhörers entledigen würden.

Doch der Reporter hatte Glück.

Noch ehe er seinen Mund zu einer Anrede öffnete, rief der in einiger Entfernung mit Sir Williams zusammenstehende Mister Wood des Matrosen Namen, und Hannes, welcher wußte, daß Wood der Detektiv war, vor dem er einen gewaltigen Respekt hatte, folgte nach einem mit Hope gewechselten Händedruck eiligst der Aufforderung.

»Habe ich das Vergnügen mit Miß Staunton zu sprechen?« fragte der Reporter, diesmal die ganze Hand an die Mütze legend, ein Zeichen seiner größten Ehrerbietung.

»Es freut mich, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen, Mister Youngpig,« erwiderte Hope freundlich, »ich habe schon so viel von Ihnen erzählen hören, über Ihre kecken Unternehmungen zum Beispiel, und auch die anderen Damen, meine Freundinnen, haben mich auf Sie aufmerksam gemacht; daher ist mir Ihr Name bereits ohne Vorstellung bekannt.«

Der Reporter war überglücklich. Endlich hatte er einmal ein Mädchen gefunden, welches, nicht wie die anderen Vestalinnen, die er seit vierundzwanzig Stunden auf Schritt und Tritt verfolgte, ihm bei jeder Frage den Rücken kehrte, sondern sich mit ihm in ein freundliches Gespräch einzulassen geneigt schien.

Das mußte ausgenutzt werden, so eine Gelegenheit bot sich nicht gleich wieder. – Youngpig hatte schon die eine Hand an dem noch in der Tasche steckenden Notizbuch, und die andere war bereit, nach dem hinter einem Ohre steckenden Bleistift zu greifen.

»Teufel,« dachte er, »warum bin ich nicht gleich an die geraten! Lasse ich mich von den anderen kurz abfertigen oder gar hart anfahren, und dieses Mädchen ist die Liebenswürdigkeit selber. Jetzt aber aufgepaßt und geschickt gefragt, die Goldgrube muß ausgebeutet werden.

»Ich schätze mich glücklich,« sagte er laut, »daß Sie an meiner Wenigkeit solches Interesse nehmen, und so bin ich auch zu der Hoffnung berechtigt, daß Sie meine neugierigen Fragen –«

»O bitte.«

»– nicht als solche auffassen, sondern, da Sie wissen, daß ich Reporter der »Times«–«

»Gewiß, ich weiß, es ist mir erzählt worden.«

»– bin, mich unterstützen werden. So erlauben Sie mir vor allen Dingen –«

»Herzlich gern erlaube ich es.«

»– die Frage, welche ich schon an verschiedene der Damen immer vergebens gestellt habe. Waschen Sie sich des Morgens zusammen an Deck, wie es auf anderen Schiffen gebräuchlich ist, oder wäscht sich jede der Damen einzeln in ihrer Kabine?«

»Das ist sehr verschieden,« antwortete Hope ernsthaft, »es kommt ganz darauf an, wie das Wetter gewesen ist. Aber Sie können ja nicht mehr zum Schreiben sehen.«

Youngpig hatte das Notizbuch schon hervorgezogen und fing an zu kritzeln.

»Ich kann vollständig sehen,« sagte er, »ich brauche gar nicht hinzublicken, wenn ich schreibe. Waschen richtet sich nach dem Wetter – so bitte, wollen Sie fortfahren.«

»Ja. Ist es zum Beispiel schönes Wetter, so waschen wir uns alle Tage, und zwar in der Kabine, oft aber, wenn es stürmisch ist, haben wir uns wochenlang nicht gewaschen, und dann ist es natürlich nötig, daß wir uns später einer gründlichen Reinigung unterziehen.«

»Gründliche Reinigung,« notierte der Reporter und blätterte um. »Auf welche Weise geschieht diese?«

»Diese müssen wir natürlich an Deck vornehmen, und zwar bearbeiten wir uns gegenseitig mit Besen und Scheuerbürste.«

»Besen und Scheuerbürste,« notierte Youngpig, »so, danke, Miß, never mind, darüber wäre ich mir nun also klar. Aber nun gestatten Sie mir noch eine andere Frage, nämlich das Essen betreffend. Darüber herrscht noch eine allgemeine Unkenntnis.«

»Was sagt man, wie wir uns beköstigen?« fragte Hope.

»Die Meinungen sind verschieden; einige Reporter haben behauptet, Ihre Mahlzeiten wären sehr lukullisch, andere wiederum sagen, an Bord der ›Vesta‹ würde sehr einfach gelebt, ja, die Vestalinnen wären sogar Vegetarianer. Wollen Sie mich darüber belehren, bitte!«

»Wir leben in der Tat sehr einfach,« erklärte Hope, »wenn auch nicht gerade vegetarianisch, so kommt doch Fleisch auf unserem Küchenzettel nicht häufig vor, ausgenommen gesalzener Schweinespeck, den wir täglich haben. Unsere Hauptnahrung besteht in Kartoffeln und Hafergrütze, und wenn Sie es wünschen, so will ich Ihnen den wöchentlichen Speisezettel nennen, doch muß ich Sie bitten, nicht zu sagen, von wem Sie ihn erfahren haben.«

»Ich bin verschwiegen,« versicherte der Reporter. »Kehrt dieser Speisezettel denn immer wieder?«

»Jede Woche ist er derselbe. Also passen Sie auf, schreiben Sie alles richtig nach: Montag gibt es Speck, Hafergrütze und Kartoffeln, Dienstag: Hafergrütze, Kartoffeln und Speck, Mittwoch: Kartoffeln, Hafergrütze und Speck, Donnerstag: Speck, Kartoffeln und Hafergrütze, Freitag: Hafergrütze, Speck und Kartoffeln, Sonnabend: Kartoffeln, Speck und Hafergrütze, und am Sonntag werden die übriggebliebenen Reste aller dieser verschiedenen Mahlzeiten aufgewärmt, und dazu gibt es präserviertes Rindfleisch. Haben Sie es notiert?«

»Ja. Ist das Essen denn nicht am Sonntag manchmal verdorben?«

»Durchaus nicht, es riecht etwas, aber schmecken tut es immer delikat.«

»Wieviele Pfund Nahrungsmittel gebrauchen die Damen zusammen ungefähr täglich?«

»Durch den fortwährenden Aufenthalt in der frischen Luft sind wir alle enorm starke Esser geworden, aber wieviel wir verzehren, kann ich nicht genau angeben. Doch halt, durch eine Rechnung wird es mir möglich sein. Die ›Vesta‹ ist ziemlich leicht gebaut, so daß wir als Ballast nur Nahrungsmittel mitnehmen, eben Hafergrütze und Kartoffeln, und da diese immer weniger werden, so müssen wir anderen Ballast einnehmen, und zwar lassen wir Salzwasser in die leeren Behälter laufen, dessen Menge wir am Hydrometer messen können. Täglich müssen wir nun ungefähr zwei Hektoliter Wasser zulaufen lassen, wieviel würde das für jede Person ausmachen? Wir sind 25.«

»200 dividiert durch 25 macht 8,« rechnete der Reporter, »also jede Person täglich 8 Pfund. Sie scheinen guten Appetit zu haben.«

»Das könnte stimmen,« meinte Hope nachdenkend.

»Und wie steht es mit den Trinkverhältnissen? Sie trinken morgens Tee, nachmittags Kaffee und abends Tee, nicht wahr? Aber nehmen Sie auch zuzeiten Bier und Wein zu sich? Was trinken Sie, wenn Sie einmal Durst verspüren?«

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen dies erzählen darf!« sagte Hope zögernd. »Wenn die Damen davon erfahren, wären sie außer sich. Ich glaube, sie würden mich sofort wegjagen.« »Seien Sie unbesorgt, liebes Fräulein,« versicherte der Reporter, »ich plaudere es niemandem wieder aus.«

»Sehen Sie, das ist nämlich eine komische Geschichte. Als wir von New-York weggingen, waren auch wir, wie in Amerika unter den besseren Kreisen üblich ist, Temperenzler, das heißt, wir tranken nur Wasser, Tee und Kaffee. Spirituosen nahmen wir nur als Medizin mit. Nun klagte einmal eine Dame über Magenschmerzen, und sie bekam von Miß Petersen einen Löffel Rum in den Tee, am anderen Tage kam eine zweite, dann eine dritte, und schließlich hatten wir alle Magendrücken.«

»Das kommt von den vielen Kartoffeln.«

»Nichtwahr, das habe ich auch immer gesagt! Aber ein Löffel Rum reichte bald nicht mehr. Der Magen hatte sich schon an die Medizin gewöhnt, die Schmerzen ließen nicht nach, sondern wurden immer heftiger, und so ordnete die Kapitänin, die zugleich die Stelle des Arztes vertritt, an, daß der Tee und Kaffee regelmäßig mit Rum oder Kognak serviert würde. Bald aber tranken wir nicht mehr Tee mit Rum, sondern Rum mit Tee, und jetzt kommt es sogar manchmal vor, daß wir, wenn wir Tee trinken, uns den reinen Rum in die Tassen schenken.«

»Bekommt Ihnen diese Art von Getränk gut?«

»Ausgezeichnet. Jedesmal, wenn wir den Tee eingenommen haben, fühlen wir uns ungeheuer lustig; wir singen, tanzen, lachen und scherzen, und es kommt sogar vor, daß wir unsere Körperkräfte messen.«

»Sie treiben dann Ihre Spiele?«

»Ja, sehr lustige. Haben Sie zum Beispiel die Dame mit dem Verband um den Kopf gesehen?«

»Freilich, sie hat einen Streifschuß in dem Kampfe gegen die malayischen Seeräuber davon getragen!«

»Ach wo,« rief Hope, »das ist ja gar nicht wahr. Da ich Ihnen nun schon vieles von den Geheimnissen der ›Vesta‹ erzählt habe, kann ich Ihnen auch noch das sagen. Miß Nikkerson hatte mit einer Dame ein Spiel arrangiert, welches wir oft spielen, besonders nach dem Tee, wenn wir so gemütlich beieinander sind. Wir stellen uns mit geballten Fäusten einander gegenüber, und jede sucht die andere im Gesicht zu treffen. Welcher dies am meisten gelingt, die hat gewonnen. Manche nehmen auch Knüppel dazu, und von einem solchen ist Miß Nikkerson aus Versehen an der Schläfe geritzt worden.«

Auf diese Weise ging es noch eine halbe Stunde weiter. Der Reporter schrieb die unsinnigsten Antworten Hopes, betreffs der ›Vesta‹ und der Vestalinnen, nieder, und sie war fest davon überzeugt, daß Youngpig ihr alles glaubte, sonst hätte er doch nicht immer eifrig notiert. Er machte nicht einmal ein zweifelndes Gesicht, wenn sie ihm die größten Unmöglichkeiten erzählte, nie erlaubte er sich eine Bemerkung einzuwerfen, und schließlich wurde Hope so kühn, zu behaupten, sie wären schon alle einmal am Mast durchgepeitscht worden, weil sie die Gesetze der ›Vesta‹ übertreten hätten. Aller Rücken zeigten schon die Narben von Peitschenhieben, und sie beschrieb dem immer nachschreibenden Reporter ganz genau, wie eine solche Exekution vorgenommen würde.

Die Gesellschaft schien aufbrechen zu wollen, die im Garten Spazierengehenden wurden gerufen, und so gingen auch sie beide in die Villa, um die abgelegte Garderobe zu holen.

Als sie sich in dem hellerleuchteten Treppenflur befanden, sagte Hope in ängstlichem Tone zu dem Reporter:

»Aber nicht wahr, Sie plaudern doch nichts aus? Ich glaube, die Kapitänin würde mich langsam zu Tode martern lassen.«

»Seien Sie unbesorgt, liebe Miß,« sagte Youngpig, »das Plaudern ist nicht mein Geschäft, sondern nur das Schreiben.«

Hope tat, als wäre sie über den Sinn, der in diesen Worten lag, ganz entsetzt, angstvoll blickte sie den Reporter an.

»Sehen Sie dort den Skorpion an der Wand hinaufkriechen?« rief plötzlich Youngpig, ehe Hope ihn noch um Verschwiegenheit bitten konnte, und deutete nach einem Winkel.

»Nein, wo ist er?« fragte Hope und blickte nach der angedeuteten Richtung.

Knacks! ging es neben ihr.

»Danke, never mind,« sagte der Reporter, hing den Photographenapparat wieder an die Seite, legte die Finger an die Mütze und ging noch einmal in den Garten hinaus – Garderobe hatte er ja nicht anzulegen.

»Jetzt hat er mich doch einmal angeführt,« murmelte Hope ärgerlich, »ich wollte mich ja nicht photographieren lassen. Na, never mind, ich habe ihn doch noch besser veralbert. Das gibt einen Hauptspaß, wenn die »Times« die ganz genaue Beschreibung der ›Vesta‹ und ihrer Besatzung bringen werden.« Und lachend stieg sie die Treppe hinauf.

»Nun, mein lieber Absalom,« redete draußen Nick Sharp den Reporter an, »hast du viele Neuigkeiten über die ›Vesta‹ erfahren, als du so angelegentlich mit der Dame sprachst?«

Der Reporter zog sein Notizbuch hervor.

»Wenigstens zehn Seiten habe ich vollgeschrieben,« sagte er stolz.

Der Detektiv betrachtete ihn mitleidig.

»Armer Kerl,« sagte er dann, »reiß' die Blätter heraus und wirf sie weg, du bist ganz furchtbar angeführt worden. Jenes Mädchen, das du fragtest, ist nämlich ein ganzer Ausbund, ihr Kopf steckt nur voller Dummheiten, und wenn sie jemanden hat, der ihr glaubt, den lügt sie so an, bis er schwarz wird. Versuche noch einmal, ob Johanna dir nichts erzählen will, auch ich werde nochmals mit ihr sprechen.«

»Aber Nick,« sagte der Reporter mit schlauem Lächeln, »denkst du etwa, ich habe dem Mädchen etwas geglaubt? Nein, für so dumm darfst du mich denn doch nicht halten.«

»Wozu hast du dir denn allen jenen Unsinn notiert?«

»Zum Einschicken an die »Times« jedenfalls nicht,« erwiderte Youngpig lachend, »die würden mir eine schöne Antwort zukommen lassen. Aber verwendet sollen diese Notizen doch werden, eine Geschichte wird es geben, wie sie noch gar nicht dagewesen ist,«

»Na, du bist ja von jeher ein Federfuchser gewesen,« brummte der Detektiv, »meinetwegen lüge ein Theaterstück daraus zusammen.«


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