Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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5.

Ein grausamer Scherz.

Ein tiefer Schlaf hatte sich der in der Nähe des Eingeborenenlagers Zurückgebliebenen bemächtigt, trotzdem sie anfangs in ihren nassen Kleidern vom Frost geschüttelt wurden. Aber wer so etwas als etwas Unerträgliches bezeichnet, der darf nicht Seemann werden, und wessen Gesundheit es nicht verträgt, der wird nicht lange Seemann bleiben.

Lord Harrlington und Williams hatten versucht, sich durch ein Gespräch wachzuhalten, aber als erst die Mädchen sanft entschlummert waren und dann noch der sorglose Hastings wie ein Bär zu schnarchen begann, da überwältigte auch sie bald die Müdigkeit, und ein wohltuender Schlaf befiel sie. Die Anstrengung des letzten Tages nach einer schlaflosen Nacht war zu groß gewesen.

Der erste, der erwachte, war Charles, und er sah die Sonne schon hoch am Himmel stehen. Schnell weckte er seine Freunde und die Mädchen und mußte ihnen leider zum Morgengruß mitteilen, daß sich bis jetzt weder Drake, noch einer seiner schwarzen Soldaten bei ihm hatte sehen lassen.

Die Bestürzung über diese Nachricht war groß. Niemand konnte sich erklären, was den zwar etwas unhöflichen, aber zuverlässig scheinenden Stellvertreter des Leutnants veranlaßt hatte, sie noch nicht wieder aufzusuchen, umsomehr, da er doch versprochen hatte, in kurzer Zeit zurückzukehren.

An einen Verrat wagte vorläufig noch niemand zu denken.

»Wir wollen noch eine Stunde auf ihn warten,« schlug Harrlington vor, »und ist er bis dahin nicht zurück, so – –«

Er schwieg verlegen, denn er wußte augenblicklich nicht, was dann zu tun war. Eine Verfolgung auf eigene Faust wäre ganz unmöglich gewesen, denn selbst Ellen, welche von allen vielleicht die meiste Zeit in wilden Gegenden zugebracht hatte, gestand offen, nicht hundert Meter weit eine Spur im Grase verfolgen zu können, um wieviel weniger hier, wo der Boden teils aus harter Erde, spärlich mit Gras bewachsen, teils aus steinigem Grund bestand.

Der Morgen war wie gewöhnlich noch kälter, als die Nacht, und so zündeten die Männer jetzt, da man ein Feuer nicht mehr so weit, wie in der Dunkelheit, erblicken konnte, ein solches an, um sich wenigstens noch eine Stunde der wohltuenden Wärme zu erfreuen.

Aber die Stunde verrann, und Drake ließ sich noch nicht sehen.

»Was soll man nur davon denken?« rief Ellen. »Die Pferde weg, Mister Drake weg und die Schwarzen auch! Der Mann hatte ein sehr sonderbares Benehmen; sollte man nicht fast glauben, daß nicht alles ehrliches Spiel gewesen wäre?«

»Wenn er sich höflicher gegen uns benommen hätte, würde ich auch an ähnliches denken,« sagte Charles, »aber dieser Kerl behandelte uns mit einer Rücksichtslosigkeit, die auf keinen guten Charakter schließen läßt.«

»Sie haben, wie immer, Ihre Anschauungen für sich,« nahm Miß Thomson das Wort, »aber mit dieser Rücksichtslosigkeit, daß er uns hier allein sitzen und vor Zweifel vergehen läßt, ist uns nicht geholfen. Auch ich traue ihm nicht mehr.«

»Bedenken Sie doch,« sagte Johanna, »wie ihn uns Leutnant Atkins empfohlen hat! Er wäre sein Freund, sagte er, und Atkins, den alle Farmer kannten, ist gewiß ein Ehrenmann, welchen Eindruck er auch auf mich machte. Ich bin fest überzeugt, daß Mister Drake zurückkommen wird, sodaß ich gar keine Unruhe verspüre.«

»Dann haben Sie eine glücklichere Natur, als ich,« rief Hastings und sprang von dem Feuer auf. »Unruhe verspüre ich auch nicht, aber eine Wut, eine Wut sage ich Ihnen, über den Menschen, der uns erst einen Ritt machen laßt, bei dem man Hals und Beine brechen konnte, uns dann zweimal ohne Zweck durchs Wasser jagt und uns schließlich fünf geschlagene Stunden im Walde an der Nase herumführt, und in einem Eilmarsche, als wäre man professionierter Dauerläufer. Herr, Du mein Gott, wenn ich den Kerl jetzt hier hätte!«

Trotz der üblen Lage mußten alle über den aufgeregten Lord lachen.

»Die Stunde ist vorüber,« sagte Ellen, nach der Uhr sehend. »Ein Entschluß muß gefaßt werden. Was schlagen die Herren und Damen vor?«

»Warten!« rief Johanna.

Sie war die einzige, welche ohne Zögern einen Rat abgab, alle übrigen schwiegen. Sie wußten seit langer Zeit zum ersten Male weder aus, noch ein. Die Situation war wirklich unerträglich. Es gab nur zwei Wege, entweder zurück, nach der Farm wollten sie sich schon wieder finden, Wassermangel brauchten sie dabei auch nicht zu leiden, denn der Weg führte ja immer an einem Bache entlang – dann aber entfernten sie sich immer weiter von Jessy; oder aber sie folgten der eingeschlagenen Richtung.

Aber ohne Führer, fast ohne Nahrungsmittel und vor allen Dingen ohne Aussicht auf Wasser zu stoßen? Nein, es war unmöglich!

Jetzt galt es, so schnell wie möglich den Rückweg anzutreten, ohne Säumen nach der Farm zu eilen und neue, sichere Führer zu requirieren. Mit blutendem Herzen schlug Ellen die Richtung nach rückwärts ein; beinahe vierundzwanzig Stunden waren schon verstrichen, seit Jessy geraubt war, und gestern um diese Zeit waren sie ebenso weit wie jetzt.

Das arme Mädchen! Welche Angst mochte es ausstehen! Wie sehnsüchtig mochte es auf seine Befreiung warten, jede Stunde, jede Minute hoffte es wahrscheinlich, ihre Freunde zur Rettung herbeieilen zu sehen, und diese entfernten sich immer weiter von ihm!

Nur Johanna war stehen geblieben.

»Ich bitte Sie,« rief sie, »gehen Sie nicht von hier! Mister Drake hat gesagt, wir sollen an diesem Orte auf ihn warten, und ich bin fest überzeugt, er kommt zurück, Ebenso wie wir jetzt über ihn unwillig sind, wird er es dann über uns sein, findet er uns nicht mehr vor, und der Grund seines Unwillens ist dann stichhaltiger, als der unsrige.«

Noch einmal blieben die Fortgehenden stehen und sahen auf Johanna, welche noch immer auf dem alten Platze verharrte.

»Nein,« rief aber dann Ellen, »die Vernunft sagt mir, daß es besser ist, umzukehren. Kommen Sie, Miß Lind, folgen Sie uns! Mein Gott,« unterbrach sie sich plötzlich und hob den Kopf nach der Richtung, von wo sie gekommen waren. »Merken Sie nicht etwas, Lord Harrlington?«

Die Herren sahen, wie die Nasenflügel des Mädchens zitterten, wie es die Luft tief einsog.

»Der Wald brennt!« schrie sie dann. »Ich kenne den Geruch, der Wind kommt vom Bache her, wir müssen fliehen. Rennen Sie, daß wir einen Ort erreichen, wohin das Feuer nicht kann.«

Noch hatten die übrigen die Gefahr gar nicht begriffen, sie verstanden ebensowenig die Angst, welche die sonst so mutige Ellen befallen hatte, die Verzweiflung, die sich in ihren Mienen widerspiegelte, aber sie folgten ohne Besinnen dem Mädchen, das bereits so schnell wie möglich der Richtung zulief, der sie die vorige Nacht nachgegangen waren.

Jetzt aber, während sie im raschesten Laufe dahineilten, drang auch ihnen ein brandiger Geruch in die Nase. Ellen hatte richtig geurteilt, der Wald mußte in Flammen stehen, wenn sie auch das Feuer noch nicht sehen konnten. Ellen kannte die riesigen Wald- und Präriebrände, durch welche oft ungeheure Strecken ihres Heimatlandes aller Vegetation beraubt wurden, welche Menschen und Tiere vor sich hertreiben, die, wenn diese nicht einen sicheren Ort, eine felsige Gegend, einen breiten Fluß oder einen Sumpf erreichen, unrettbar verloren sind.

Alle hatten doch von diesen Bränden und ihrer Gefährlichkeit erzählen hören, und als sie jetzt gar schon von Rauchwolken eingehüllt wurden und den Feuerschein bemerkten, stürzten sie mit doppelter Schnelligkeit vorwärts. Ehe sie das Feuer erreichte, mußten sie sich an einem sicheren Orte befinden, wo die Flammen keine Nahrung fanden, sonst waren alle verloren.

So glaubten sie wenigstens, als sie mit der Schnelligkeit der Verzweiflung vorwärtsstürmten, um wenigstens aus dem Walde zu kommen, dessen Boden mit von der Sonne verdorrtem Gras bedeckt war.

Allerdings sind auch die Grasbrände in Australien gefährlich für einen einsamen Wanderer, der von ihnen überrascht wird, aber sie kommen nicht im geringsten denen gleich, welche in Amerika von Zeit zu Zeit wüten, teils durch Zufall und Leichtsinn entstanden, teils absichtlich herbeigeführt, um entweder jemandem zu schaden, oder auch, um das alte trockene Gras zu vernichten, denn auf dem kahlgebrannten Boden schießen die frischen Halme mit überraschender Schnelligkeit hervor.

In Australien aber ist der Grasbrand ein ganz anderer, der unbebaute Boden ist nur spärlich mit Rasen bedeckt. Entzündet er sich, so jagt das Feuer wohl auch, vom Winde getrieben, mit großer Schnelligkeit dahin, besonders wenn vorher lange kein Regen gefallen ist, aber der Brand bietet für den erfahrenen Farmer und die Eingeborenen nicht die geringste Gefahr. Die letzteren halten es nicht einmal für nötig, den Ort, wo sie sich gerade befinden, zu verlassen, und wäre es auch eine Prärie mit manneshohem Gras; mit Leichtigkeit ersticken sie die Flammen um sich herum und lassen sie weiterziehen. Sie sind so schwach, daß sie nicht einmal den Busch in Brand setzen können, viel weniger den Wald.

Das aber wußte Ellen ebensowenig, wie die anderen, sie dachten an die Brände in Amerika und eilten in wahnsinnigem Laufe davon. Und wirklich wären sie auch nicht im stande gewesen, die Flammen, deren Hitze sie schon im Rücken fühlten, zu dämpfen, denn sie kannten die Kniffe nicht, deren sich die Eingeborenen dazu bedienen.

»Ich kann nicht mehr,« stöhnte Miß Thomson, als der Lauf erst zehn Minuten gedauert hatte. Noch immer befanden sie sich im Wald.

Schon wollte Harrlington sie auf den Arm nehmen, um mit ihr weiterzurennen, obgleich er sich und alle verloren gab, denn sie waren bereits von dichten Rauchwolken umgeben und sahen die Flammen mit riesiger Geschwindigkeit über den Boden auf sich zukommen, da sprangen plötzlich eine Menge dunkler Gestalten hinter den Bäumen hervor, und ehe sie wußten, ob sie sich über diese Begegnung mit den Eingeborenen freuen oder ängstigen sollten, waren sie schon von kräftigen Armen umschlungen und zu Boden gerissen.

Der riesenstarke Hastings vergaß ganz, von seiner Kunstfertigkeit im Boxen und Ringen Gebrauch zu machen, sonst wäre es sicher der zehnfachen Anzahl von Eingeborenen, die sich auf ihn geworfen hätten, nicht gelungen, ihn zu überwältigen. Aber er glaubte anfangs, es handle sich nur um eine Rettung vor dem Feuertode, und erst, als ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren, erkannte er sich als einen Gefangenen der Schwarzen.

»Aber die Flammen!« dachte er.

Die schienen die Eingeborenen gar nicht zu beachten.

Lord Hastings sah die anderen Herren und Damen in der gleichen Lage, auch sie lagen mit gebundenen Armen auf dem Boden und sahen nur entsetzt auf das Flammenmeer, daß sich ihnen mit unheimlicher Schnelligkeit näherte, dichte Rauchwolken vor sich her treibend.

Und noch machten die Schwarzen keine Anstalten, sich durch Flucht zu retten.

Ruhig standen die nackten Gestalten, es mochten gegen vierzig Mann sein, und zeigten lachend mit den Fingern auf die Gefangenen, schwatzten miteinander und brachen dann wieder in ein Lachen aus, daß sich den am Boden Liegenden die Haare vor Entsetzen sträubten.

Waren diese Schwarzen Teufel, daß sie der Flammen spotten wollten? Fast machte es den Eindruck. Das Feuer überflutete sie mit einem roten Schein und ließ sie wirklich wie aus der Hölle entsprungene Geister erscheinen.

Jetzt war das Feuer nur noch zehn Meter entfernt, schon fühlten die Gefangenen die Glut im Gesicht, da erst schienen die Eingeborenen die Gefahr zu bemerken.

Gleichzeitig sprangen sie alle vorwärts, dem Feuermeer entgegen, als wollten sie sich in dasselbe, als in ihr Element, stürzen; plötzlich aber hielten sie alle grüne Zweige in den Händen und begannen mit denselben auf die Flammen zu peitschen, unermüdlich, Schlag auf Schlag.

Und die Flammen schritten nicht weiter; die feurige, meterhohe Garbe teilte sich und zog in großem Bogen um den Platz herum.

»Ich möchte mir die Haare einzeln aus dem Kopfe reißen,« sagte Charles zu Harrlington, der neben ihm lag, »sehen Sie denn nicht, daß diese Schwarzen hier den ganzen Boden von Gras gesäubert haben und nur die Flammen etwas ausschlagen, wenn die Stoppeln Feuer fangen wollen? Und wir sind wie die Kinder davongelaufen, als hätten wir dies alles nicht ebensogut machen können. Wenn meine Hände nicht gebunden wären, könnte ich mich selbst wegen meiner unverzeihlichen Dummheit ohrfeigen.«

Der glückliche Charles konnte noch scherzen, wahrend sein Nachbar fluchte und Harrlington in dumpfer Verzweiflung dalag. Er hatte recht. Auf eine weite Strecke hatten die Eingeborenen das Gras aus dem Boden gerissen, sich an die Grenzen verteilt und hinderten so das Feuer, auf die hier und da stehenden Grasbüschel überzuspringen. Etwas Hitze mußte man dabei aushalten, nichts weiter.

Kaum eine Minute war vergangen, da war alles vorüber. Auf der einen Seite sah man den schwarzen, rauchenden Erdboden, auf der anderen die Flammen, die vom Winde getrieben, weiter dem Westen zueilten, und die Eingeborenen standen um die sechs Gefangenen herum, sie mit sichtlicher Freude betrachtend.

»Aus dem Regen in die Traufe!« sagte Ellen. »Wer hat ahnen können, daß ein Präriebrand hier eine solche Kleinigkeit ist. Was mögen die Wilden mit uns vorhaben? Sie beratschlagen sich und scheinen nichts Gutes im Sinn zu haben.«

»Hoffen Sie auf Drake!« tröstete Johanna. »Er wird uns nicht verlassen haben. Jedenfalls hält er sich irgendwo hier versteckt.«

»Zum Teufel, mit Ihrem Drake!« fuhr aber Hastings wütend auf, »ein Spitzbube ist er gewesen, der wahrscheinlich das Feuer angemacht hat, um uns den Niggern in die Hände zu liefern. Aber ich kann meine Fesseln bald sprengen, sie lockern sich schon, und dann haue ich mit einem Schlage alle in Grund und Boden.«

Die Eingeborenen mußten entweder seine Drohung verstanden haben oder von dem riesigen Manne etwas Aehnliches befürchten, denn sie richteten den Lord auf und umwickelten seine Arme so stark mit Baststricken, daß eine Befreiung undenkbar war. Als einer von ihnen den Füßen des grimmig Fluchenden zu nahe kam, versuchte dieser, ihm einen Tritt zu geben, aber der gewandte Schwarze wich ihm aus und brach in ein lautes Lachen aus, in das die übrigen aus vollem Halse mit einstimmten.

»Nun hört aber doch alles auf,« lachte auch Charles, »das scheinen ja humoristische Nigger zu sein. Wenn ich jemanden lachen höre, muß ich mit einstimmen, und wenn es mir auch das Leben kosten sollte. Aber wirklich,« setzte er, jetzt ernster werdend, hinzu, »wir sind in letzter Zeit ganz und gar von Gott verlassen.«

»Was machen Australneger mit ihren Gefangenen?« fragte Miß Thomson.

»Sie töten sie, um sie zu berauben,« erklärte Charles dem erschrockenen Mädchen kaltblütig, »und ich will Ihnen keine Hoffnung machen, daß dieses Los nicht auch uns erwartet – unsere Gewehre sind ihnen allein schon Grund genug hierzu. Aber den Trost kann ich Ihnen geben, daß sie ihre Gefangenen nicht quälen.«

»Seien Sie nicht so grausam, Williams,« sagte Miß Thomson, »sie können uns ja die Waffen nehmen und uns dann laufen lassen.«

»Das tuen Sie nicht,« war die bestimmte Antwort, »weil sie dann Verrat und Strafe von der Regierung zu fürchten haben.«

»Gott sei uns gnädig!« seufzte Harrlington. »Auch ich weiß, daß die Australneger einen Menschen nur eines Messers, einer Stange Tabak wegen, wie ein Tier abschlachten, wenn sie keinen Verrat zu fürchten haben.«

»Und wo mag Jessy sein?« klagte Ellen.

Zu den Eingeborenen, welche noch immer schwatzend und fortwährend lachend um die Gebundenen herumstanden, gesellte sich jetzt ein anderer, der aus dem dichten Teil des Waldes herauskam. Die Gefangenen ahnten sofort, daß er der Häuptling des Stammes sei, denn er war höher und bedeutend kräftiger gebaut, als die übrigen Australneger, denen es bei der Wahl eines Häuptlings nur auf Kraft und Geschicklichkeit in der Führung der Jagdwaffen ankommt.

Der Mann sprach mit seinen Leuten und wies dann auf die Gefangenen, welche sofort zum Aufstehen aufgefordert wurden. Nur bei Lord Hastings verfuhr man anders. Einige von ihnen warfen sich auf den Lord und banden ihm nach heftiger Gegenwehr auch die Füße, hoben ihn auf, lehnten ihn an einen Baum und banden ihn an denselben.

»Sehen Sie,« sagte Charles zu ihm, als auch er an einen Baum geführt wurde, »wir dürfen wenigstens selbst an unseren Baum gehen, weil wir artiger waren als Sie. Aber was, zum Teufel, haben die Schwarzen mit uns vor? Das sieht wirklich aus, als wollten sie uns martern.«

Alle sechs wurden nebeneinander mit Bastseilen an Bäume gebunden.

Neben Johanna stand Hastings, neben diesem Williams, dann kamen Miß Thomson und Lord Harrlington. Die Aeußerste war Ellen.

»Es ist unbegreiflich, daß Mister Drake nicht kommt,« murmelte Johanna. »Was hält ihn nur ab, uns beizustehen?«

»Sprechen Sie nicht mehr von dem Schurken, Fräulein!« stieß Harrlington rauh hervor. »Da, die Nigger treffen schon Vorbereitungen, uns mit Speeren zu spicken.«

Wirklich traten die Schwarzen in einiger Entfernung zusammen, jeder mit einigen der hölzernen Wurfspeere in den Händen, deuteten auf die Gefangenen und lachten dabei unausgesetzt.

»Noch kann ich nicht glauben, daß sie uns aufspießen wollen,« sagte Charles, »denn das wäre ganz gegen die Vorschrift der Bücher, welche über die Sitten der Australneger handeln. Aber was grinsen die Kerls nur immer? Wir müssen ihnen ja furchtbar komische Figuren sein.«

»Lassen Sie das Scherzen, Sir Williams!« bat Harrlington. »Ich glaube wirklich, unser letztes Stündlein ist gekommen.«

»Das ist noch lange kein Grund, traurig zu sein,« entgegnete Charles. »Ich habe mein Testament schon öfters gemacht, aber nie mit solchem Humor, wie jetzt. Es ist wirklich wahr, in Gesellschaft stirbt es sich bedeutend angenehmer, als allein.«

Die anderen antworteten nicht. Starr beobachteten sie das Verhalten der Neger, und lange sollten sie nicht im unklaren darüber bleiben, daß ihr Tod wirklich beschlossen war.

Der Häuptling, einen langen Wurfspeer mit stählerner Spitze in der Hand, löste sich von der Gruppe ab und trat vor die Gefangenen hin. Mit pathetischen Bewegungen hielt er eine lange Rede, zeigte nach Osten, schüttelte drohend den Speer, und wies dann auf seine Leute zurück.

»Nix verstehn,« sagte Charles, als der Schwarze endlich schwieg. »Gutes hat er uns jedenfalls nicht verkündet.«

Der Häuptling schritt zu der Bande zurück, sprach zu ihnen, und das Blut erstarrte den Gefangenen in den Adern, als sechs Neger sich vor ihnen in zehn Meter Entfernung aufstellten und die Speere über den Köpfen schwangen.

»Es ist aus,« stöhnte Ellen und legte sich schwer vornüber, nur vom Strick gehalten, und sich dann zu dem neben ihr Stehenden wendend, sagte sie:

»Lord Harrlington, es ist aus mit uns. Wir sollen als Zielscheiben dienen.«

Der Lord hatte bis jetzt Ellen noch nicht gesehen, nun aber wendete er den Kopf nach ihr.

»Ellen,« sagte er mit dumpfer Stimme, »unsere Reise hat ein Ende; wir dürfen nicht klagen, daß uns ein solcher Tod beschieden ist, denn wir haben ihn selbst aufgesucht.«

»Wollen Sie mir in der letzten Stunde noch Vorwürfe machen, daß ich unrecht getan habe, als ich die Reise unternahm?« klang es bitter aus des Mädchens Mund.

»Vorwürfe? Mein Gott, Ellen, so lassen Sie doch jetzt wenigstens das Vorurteil fallen, was Sie mir gegenüber immer gezeigt haben. Nur ein freundliches Wort, einen freundlichen Blick gönne mir, Ellen!«

»Es ist zu spät, lebe wohl, James!«

Da sausten sechs Wurfspeere durch die Luft, aber keiner traf sein Ziel, vielleicht absichtlich nicht, alle flogen links oder rechts an den Köpfen der Gefangenen vorbei.

»Hunde,« brüllte Harrlington, »macht es wenigstens kurz!«

Charles hatte nicht gewagt, den Kopf nach der Seite zu wenden, wo Miß Thomson stand, nun aber, als er ein leises Schluchzen vernahm, tat er es.

»Weinen Sie nicht, Betty,« bat er, und dem Manne, der eben noch scherzen konnte, liefen die Tränen über die Wangen, »machen Sie mir den Tod nicht schwer! Was ist es denn weiter, ob man einige Jahre früher oder später stirbt? Hören Sie auf, zu weinen, und ich will vor Freude anfangen, zu singen.«

Aber dieser Trost schlug bei dem Mädchen nicht an.

»Charles,« flüsterte sie, »der Traum, den ich so oft geträumt, ist zerronnen. O, mein Gott, fern von der Heimat eines so entsetzlichen Todes sterben zu müssen! Mein Charles, lebe wohl, wir sehen uns in einem besseren Leben wieder!«

Tränen erstickten ihre Stimme.

Wieder traten sechs Eingeborene vor, schwangen lachend die Speere um die Köpfe und zielten nach den Gefangenen.

»Glaube mir, Charles,« flüsterte das Mädchen weiter, die Augen starr auf den Neger geheftet, der, den Arm zum Wurf gehoben, vor ihr stand, »ich habe dich besser als alle anderen gekannt. Warum soll ich es nicht sagen, da wir vor dem Tode stehen? Ja, ich habe dich geliebt und liebe dich noch jetzt. Ach, daß wir sterben müssen!«

»Ellen,« sagte auf der anderen Seite Lord Harrlington, »willst du mir kein Wort sagen, daß ich fröhlich aus dieser Welt scheiden kann?«

Sie wandte den Kopf und sah ihn lange an. Eben wollte sie den Mund öffnen, um eine Antwort zu geben. Harrlington blickte mit Entzücken in ihre leuchtenden Augen, da stieß Johanna einen durchdringenden Ruf aus, und ein Schrei der Ueberraschung entschlüpfte auch allen anderen, als sie den Gegenstand entdeckten, den Johanna zuerst gesehen hatte.

Dort zwischen den Bäumen stand ein Mädchen, aber keine Negerin, sondern eine Weiße.

»Jessy,« jubelte Ellen auf.

»Miß Murray!« wiederholten die anderen freudig.

Ein Hoffnungsstrahl erfüllte die Herzen aller.

Aber was war das? Das Mädchen schien die Gefangenen gar nicht zu bemerken, es achtete gar nicht auf den gerufenen Namen. Und wie kam es, daß es so frei umhergehen konnte und sich mit einem der Eingeborenen flüsternd unterhielt, der vor ihm mit allen Zeichen der Ehrfurcht stand.

Jetzt nahm sie einem Schwarzen den Speer aus der Hand und trat vor Ellen hin.

»Jessy,« sagte diese und wußte nicht, ob sie vor Freude über diese Begegnung jubeln oder sich über das ernste Gesicht der Freundin wundern sollte. »Jessy, können Sie uns befreien? Sind Sie selbst Gefangene? Sprechen Sie, oder geben Sie uns einen Rat, wie wir das Leben erhalten können!«

Das alles war hastig hervorgestoßen worden. Hing doch das Leben der Gefesselten nur noch an einem Faden.

Verwundert betrachteten alle das Mädchen, ihre Freundin, die mit finster gefalteter Stirn vor Ellen stand und durch nichts merken ließ, daß sie die Freundin erkannt hatte.

»Pst,« flüsterte Charles, »Miß Murray muß sich verstellen, um uns zu retten. Tun Sie nicht, als ob Sie sie kennen.«

Aber Ellen war nicht geneigt, auf den Rat zu hören, ihr Herz war übervoll von Freude, als sie die Geraubte wiedersah, die ihnen jedenfalls Rettung brachte.

»So sprechen Sie doch, Jessy,« bat das Mädchen. »Sagen Sie als Erkennungszeichen nur meinen Namen, dann können Sie Ihre Rolle weiterspielen.«

Aber Jessy trat einen Schritt näher zu der Gefangenen, die Stirn finster gerunzelt, und schüttelte drohend den Speer vor Ellens Augen.

»Was du hierher kommen?« fragte sie in gebrochenem Englisch, ihre Stimme klang rauh und heiser. »Das Land gehört uns, ihr es uns genommen, und ihr müßt sterben.«

»Aber, Jessy,« entgegnete Ellen und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, »Sie spielen ja Ihre Rolle ganz hübsch, aber sagen Sie uns doch wenigstens ein Wort des Trostes, daß wir noch nicht verloren sind.«

»Jessy?« sagte das Mädchen kopfschüttelnd. »Ich nicht Jessy, ich Akkaramumanibo, Balkuriri mein Vater, sehr großer Häuptling.«

Jetzt konnten sich die Gefangenen nicht mehr halten, alle brachen in ein unbändiges Gelächter aus, das von Hastings tiefem Baß übertönt wurde.

Das Mädchen warf einen finsteren Blick auf den Lord.

»Gut,« sagte es, »du lachen, du sollst sehen, daß Akkaramumanibo dich töten kann, wenn sie will.«

Sie winkte, und der Häuptling trat vor Hastings, auf den sie deutete, und schwang den Speer mit der stählernen Spitze um den Kopf.

»Jessy,« bat Ellen, »treibe den Spaß nicht zu weit!«

Aber ein Schrei des Entsetzens entfuhr allen, als der Häuptling den Speer durch die Luft zischen ließ; Hastings sah ihn direkt auf seinen Kopf zuschießen und erbleichte. Aber der Speer fuhr über diesem in den Baum, die Mütze des Lords an das Holz nagelnd.

»Goddam,« rief der Lord, »der Spaß war grob. Miß Murray, das vergesse ich Ihnen nicht so bald.«

Das Mädchen war zu Charles getreten.

»Du noch lachen?« fragte sie drohend.

»Nie wieder, Fräulein Akkaramumanibo,« versicherte dieser ernsthaft, »sonst sind Sie im stande, mich aufspießen zu lassen.«

»Gut,« sagte das Mädchen mit Nachdruck, »du braver Mann.«

Auf ihren Wink kam ein Eingeborener herbei. Dieser nahm aus dem Netz, das er über der Schulter trug, ein morsches Stück Holz, brach es auseinander und zog aus den Splittern einen zweifingerlangen Wurm hervor, den er grinsend vor Charles Mund hielt.

»Soll ich den Wurm etwa essen?« fragte Charles lachend.

Das Mädchen nickte.

»Wenn du den Wurm nicht ißt, mußt du sterben,« sagte sie.

»Erst machen Sie es mir vor, dann will ich mich mein ganzes Leben lang von Würmern nähren.«

Der Eingeborene sah das Mädchen an, er hatte den Sprecher wahrscheinlich verstanden, und als sie unmerkbar nickte, bog er den Kopf hintenüber, öffnete den Mund und ließ den Wurm mit Wohlbehagen die Kehle hinuntergleiten.

»Pfui Teufel,« rief Charles, sich schüttelnd, »ich bin auch nicht ekel im Essen, aber soweit habe ich es doch noch nicht gebracht. Wie viele Würmer essen Sie denn den Tag, liebes Fräulein Akkaramumanibo?«

»Ich keine Würmer essen,« sagte Jessy, zog ein Messer hervor und durchschnitt seine Banden, »aber, Sir Williams, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie angesichts des Todes weinen würden; und Sachen habe ich zu hören bekommen, die geradezu fabelhaft sind.«

Und lachend befreite Jessy auch die anderen.

»Nun sagen Sie uns um Gottes willen, Jessy,« rief Ellen, »was für eine seltsame Rolle spielen Sie hier? Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume. Sind Sie eine Gefangene, oder sind das nur verkleidete Schwarze, die Sie kommandieren?«

Staunend hörten sie den Bericht des Mädchens an, fast hätten sie denselben nicht geglaubt, wenn sie nicht eben selbst gesehen, daß die Neger ihr gehorchten.

»Es ist nicht schön von Ihnen gewesen, mit uns Ihr Spiel zu treiben,« sagte Miß Thomson, »und das Feuer? Haben Sie das auch angelegt, nur um uns in Ihre Gewalt zu bekommen?«

»Nein, der alte Eingeborene dort, der mit solchem Appetit den Wurm hinterschluckte, spricht etwas Englisch, und er sagte mir, daß Grasbrände hier sehr häufig und gefahrlos sind. Sie wären den Flammen aber doch zum Opfer gefallen, denn Sie wußten dieselben nicht zu dämpfen. Ein Glück ist es also gewesen, daß ich als Tochter des Häuptlings die Macht hatte, seine Leute zu Ihrer Rettung aufzufordern.«

»Aber was veranlaßte Sie, uns einfangen zu lassen?«

Jessy lachte laut auf.

»Ich wollte mir nun einmal den Genuß gönnen, mich Ihnen als Häuptlingstochter im vollen Glanze meiner Macht zu zeigen. Es hat mir viele Mühe gekostet, den Eingeborenen verständlich zu machen, was ich beabsichtigte, aber mit Hilfe des Dolmetschers gelang es mir, und dabei habe ich bemerkt, daß die Australneger durchaus nicht so dumm sind, wie man immer meint. Meine Absicht war erst, nach der Farm zurückzukehren, und mich auf irgend eine Weise Ihrer zu bemächtigen, da aber erfuhr ich heute morgen, daß Sie hier in der Nähe weilten; die Beschreibung, welche mir der Dolmetscher von den im Walde Liegenden machte, paßte ganz genau auf Sie. Wir schlichen uns heran, um Sie durch irgend eine List zu überwältigen, da witterten die Eingeborenen plötzlich einen Grasbrand, und ich trieb sie zur äußersten Eile an, um Sie vor dem Feuertode zu retten. Sie rannten uns von selbst in die Hände, und die Eingeborenen spielten ihre Rollen ausgezeichnet.«

»Was wollen Sie nun beginnen?« fragte Charles. »Gedenken Sie, als Häuptlingstochter einen Australneger zu heiraten?«

»Ich führe Sie nach Graves Farm zurück,« erklärte Jessy lachend, »und beschenke dort die Leute so reichlich, daß sie vor Entzücken gar nicht mehr an mich denken werden.«

Jetzt erst erfuhr sie, daß alle Farmer sich aufgemacht hatten, um die raubenden Sträflinge unschädlich zu machen, und sofort schlug Jessy vor, auch die Eingeborenen unter ihrer Führung an diesem Kampfe sich beteiligen zu lassen, was mit Freuden angenommen wurde.

Jessy besprach sich durch Vermittelung des Dolmetschers mit dem Häuptling, und dieser war sofort einverstanden, seine Leute gegen die Buschrähndscher zu führen, natürlich nach ihrer Weise, das heißt, die Feinde hinterlistig nach und nach zu töten, was ja schon vorher ihre Absicht gewesen war. Aber jetzt, da Weiße an ihrer Spitze standen, würden sie mutig dem Feinde zu Leibe gehen, daran zweifelte niemand der Herren und Mädchen.

Die Eingeborenen hielten einen Kriegsrat, und nach kurzer Zeit brach die ganze Gesellschaft in der Richtung auf, in welcher ihrer Berechnung nach die Buschrähndscher sich aufhalten mußten.


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