Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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34.

Die Favoritin.

Sehen wir uns nun nach dem Schicksale der beiden Mädchen Miß Nikkerson und Miß Sargent und des Marquis Chaushilm um.

Sofort nachdem der Leichnam des vom Herzog durch die Brust geschossenen Angreifers in den Wagen gelegt worden war, trieb der Kutscher seine Pferde wieder zum rasenden Lauf an. Drei Chinesen blieben in den Wagen, ein vierter setzte sich auf den Bock, und während die Fahrt ununterbrochen weiterging, wurde der am Boden liegende, noch immer bewußtlose Marquis von einem Manne an Händen und Füßen gebunden.

Den beiden Mädchen geschah nichts, zwei Chinesen nahmen neben ihnen Platz und bewachten jede ihrer Bewegungen, und zwar so scharf, daß sie nicht die Hand ausstrecken konnten, ohne sofort beim Gelenk gepackt und mit drohender Miene geschüttelt zu werden. Eine klare Aufforderung, ruhig zu sitzen.

Miß Nikkerson versuchte einmal, nach dem in der Tasche steckenden Revolver zu fühlen, aber noch auf halbem Wege wurde sie daran gehindert, und der Chinese begnügte sich nicht einmal damit, sondern, durch die Bewegung argwöhnisch gemacht, visitierte er ihr auch die Taschen. Das Mädchen wollte sich diesem Vorhaben widersetzen, aber der Chinese preßte ihr beide Hände mit eiserner Gewalt zusammen, untersuchte mit der freien Hand die Taschen und nahm den Revolver, ein Messer und überhaupt alles darin Befindliche an sich.

Zu gleicher Zeit war dasselbe mit Miß Sargent geschehen, auch ihr war alles abgenommen worden, und als sie einmal dabei einen kleinen Schrei ausgestoßen, da hatte ihr der Chinese die Faust dicht vor die Augen gehalten.

Die beiden Mädchen verhielten sich jetzt völlig ruhig, sie sahen ein, daß sie selbst zu ihrer Befreiung nichts beitragen konnten, und setzten alle ihre Hoffnung auf ihre Freundinnen und auf die Engländer.

Der Weg beschrieb einen Bogen, sodaß ihnen jetzt klar wurde, daß sie gar nicht nach Scha-tou fuhren, sondern diese Stadt zur Rechten behielten. Ueber ihr Ziel waren sie natürlich völlig im unklaren. Miß Nikkerson hatte einmal versucht, von ihrem Begleiter darüber Auskunft zu erhalten, schüchtern hatte sie ihn auf englisch gefragt, aber ein drohendes Zeichen, zu schweigen, war die einzige Antwort gewesen.

Von den hinteren Wagen hörten sie nichts mehr, der rasende Lauf ihrer Pferde hatte sie bald weit von ihnen entfernt.

Nach etwa einer Stunde stieß der schmale Fahrweg auf eine breite, wohlgepflegte Landstraße, und am Kreuzungspunkt hielt ein mit Planen verdeckter Wagen, vor den vier Pferde gespannt waren.

Die beiden Mädchen wurden aufgefordert, auszusteigen und sich in den anderen Wagen zu begeben, wo sie von zwei Chinesen in Empfang genommen wurden, von denen der eine besser gekleidet war und sich auch höflicher benahm, als die bisherigen Wächter.

Die beiden Mädchen waren fast froh, als sie seine Artigkeit bemerkten, sie fühlten sich zwar als Gefangene, und über ihr späteres Schicksal lag ein dunkler Schleier gebreitet, der vielleicht Fürchterliches barg, aber immerhin atmeten sie doch erleichtert auf, als sie die Zuvorkommenheit des kleinen, dicken Chinesen bemerkten, der sie freundlich auf die weichen Kissen des Wagens drückte und den beiden anderen Chinesen dann in herrischem Tone etwas zurief, worauf diese sich scheu in die entferntesten Ecken zurückzogen, während er selbst mit untergeschlagenen Beinen den Mädchen gegenüber Platz nahm.

Chaushilm war nicht mit in den Wagen gekommen, sondern in dem anderen geblieben, und das war es, was jetzt die Mädchen mit der größten Unruhe erfüllte, sie sollten also getrennt werden.

Ehe sie abfuhren, lüftete der dicke Chinese noch einmal die Planen und besprach sich längere Zeit mit den Entführern im ersten Wagen. Miß Nikkerson hörte nochmals die Worte Scha-tou und Schanghai, dann lachte der dicke Chinese laut auf, ließ die Leinwand fallen und lehnte sich, immer noch vergnügt lachend, in seine Kissen zurück.

Der Wagen fuhr davon, nach Norden zu, und jetzt fiel es Miß Nikkerson ein, daß diese breite Landstraße wahrscheinlich die nach Schanghai führende sei, auch war dieser Name öfter im Gespräch vorgekommen. Dieser Weg kam unverkennbarerweise von Scha-tou her, und ihn nahm der Wagen mit Chaushilm, während der ihrige nach Norden fuhr, also die Richtung nach Schanghai einschlug.

Schanghai liegt von Scha-tou 600–700 Meilen entfernt, das wußte Miß Nikkerson ungefähr, und selbst wenn die Pferde täglich zweimal gewechselt wurden – bei diesem schnellen Lauf mußten sie das – so gebrauchten sie doch sieben Tage, ehe sie Schanghai erreichten. Daß sie nicht die Eisenbahn benutzen durften, war ganz natürlich, denn die zwischen Scha-tou und Schanghai befindliche Bahn lag in den Händen von Engländern, und von solchen durften die Geraubten nicht bemerkt werden.

Lange Zeit saßen beide so in Gedanken versunken da, immer Möglichkeiten erwägend, sich mit Hoffnungen beschäftigend und Befürchtungen verscheuchend.

Die Nacht war dunkel, also herrschte auch in dem mit Planen bedeckten Wagen Finsternis, nur einige Leinwandklappen waren zurückgeschlagen, so daß wenigstens durch die rasche Fahrt immer ein frischer Luftzug entstand, sonst wäre es in dem Wagen vor Hitze nicht auszuhalten gewesen.

Der Aufstieg zum Wagen war hinten angebracht, und an diesem saßen die beiden Wächter einander gegenüber, weit entfernt von den Mädchen, ganz still, aber die Gefangenen merkten wohl, wie die Augen der Männer beständig auf sie gerichtet waren. An Flucht war also vorläufig nicht zu denken, sie hatten ja nicht einmal mehr Waffen bei sich, außer einem Dolch, den jede Vestalin immer auf der Brust bei sich trug. Aber den jetzt schon zu gebrauchen, wäre Torheit gewesen, erst mußten sie abwarten, ob ihr Schicksal sich wirklich so schlimm gestalten würde daß sie auf Menschenleben keine Rücksicht mehr nehmen durften.

Der Chinese ihnen gegenüber verhielt sich schon längere Zeit ganz ruhig – sie konnten in der Dunkelheit nicht einmal seine Gestalt erkennen. Anfangs war er fortwährend um sie bemüht gewesen, er hatte ihnen immer und immer wieder die Kissen zurechtgeschoben, und dabei war es den Mädchen so vorgekommen, wenn sein Kopf in die Nähe ihrer Gesichter kam, als hätte der Mann vorher starke Spirituosen getrunken, und überhaupt glaubten sie öfters zu bemerken, daß er betrunken sei, wenigstens war sein Benehmen ein sehr auffälliges.

Bald lachte er ohne jede Veranlassung laut auf, klopfte sich auf die Beine, klatschte dann wieder in die Hände und wollte vor Lachen bersten, tat überhaupt, als wäre er vor Entzücken außer sich, da er aber die Mädchen unbelästigt ließ, so wurden diese durch sein merkwürdiges Betragen nicht gerade eingeschüchtert.

Dann wurde er mit einem Male still, und bald verriet sein lautes Schnarchen, daß er sich, mit gekreuzten Beinen, dem Schlafgott in die Arme geworfen hatte.

»Mut,« flüsterte Miß Nikkerson ihrer Freundin zu, »unsere Lage ist noch nicht die schlimmste. Wir wollen uns vorläufig fügen, dieser dicke Chinese scheint eine etwas kindische Person zu sein, die uns nichts Böses zufügen will.«

»Er ist betrunken,« gab Miß Sargent zurück.

»Es scheint so, wenigstens angetrunken. Wenn er in nüchternem Zustande ebenso harmlos ist, wie jetzt, dann wird es mir schon gelingen, aus ihm etwas herauszubringen. Es muß schon Mitternacht sein, der Tag ist nicht mehr fern.«

»Ich habe eine furchtbare Ahnung,« sagte das andere Mädchen, da ihr Gespräch von den beiden Wächtern nicht gestört wurde.

»Wir wollen nicht mit Ahnungen rechnen,« ermutigte Miß Nikkerson, »das Schlimmste ist, daß wir als Sklavinnen verkauft werden sollen, und dann kaufen wir uns einfach selbst frei.«

So suchte das Mädchen ihre Freundin zu erheitern, aber ihre Worte verfehlten die Wirkung.

»Ich fürchte, wir sind schon gekauft,« meinte Miß Sargent, »und zwar eben von diesem Chinesen. Ich kenne die chinesischen Verhältnisse etwas. So einfach und genügsam auch der arme Chinese ist, desto unersättlicher und raffinierter in seinen Genüssen ist der reiche. Ich bin jetzt schon fest davon überzeugt, daß uns dieser Mann, wahrscheinlich ein reicher Mandarin, gekauft hat, um uns in seinen Harem zu nehmen.«

Miß Nikkerson erschrak; an eine solche Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht.

»Ist es den Chinesen erlaubt, mehrere Frauen zu halten? Ich glaubte, sie lebten in Monogamie.«

»Erlaubt ist die Vielweiberei hier auch nicht,« entgegnete Miß Sargent, »aber in den reichen Kreisen dieses Landes wird sie noch mehr betrieben, als im Orient, und nicht nur die Vielweiberei, sondern auch die größte Unsittlichkeit. Der Chinese ist unerschöpflich im Erfinden der unnatürlichsten, sinnlichen Genüsse, ich habe Schreckliches davon erzählen hören.«

Miß Nikkerson suchte im Finstern die Hand ihrer Freundin und drückte sie fest in der ihren.

»Sollte unser Schicksal ein solches sein, daß wir als Spielzeug eines Chinesen bestimmt sind,« flüsterte sie, »dann wissen wir ja, was wir zu tun haben. Und, meine liebe Sargent, um Gotteswillen dürfen wir uns nicht trennen lassen, nicht mit aller Gewalt der Erde. Ein Tod von eigener Hand ist mir lieber, als mich selbst verabscheuen zu müssen; so lange wir beide aber noch zusammen sind, haben wir Hoffnung, einer Gewalttat zu trotzen und uns wehren zu können.«

Beide versprachen sich fest, sich um keinen Preis zu trennen und lieber sich gegenseitig den Dolch ins Herz zu stoßen, als sich zum Haremsweibe eines Chinesen herabwürdigen zu lassen.

Sie fielen in einen unruhigen Schlummer, und als sie wieder erwachten, schien durch die Oeffnung der Plane das helle Tageslicht in den Wagen.

Ihr erster Blick galt dem Chinesen, der ihnen gegenüber noch immer in seiner alten Stellung verharrte, und was ihnen die Dunkelheit der Nacht verhüllt hatte, das wurde ihnen jetzt zu ihrem Abscheu offenbar.

Dieser kleine, dicke Chinese war von einer entsetzlichen Häßlichkeit, das breite Gesicht war von Pockennarben ganz zerfressen, desgleichen die ungeheure, dicke Nase, die Unterlippe hing weit herab und ließ die langen, gelben Zähne, gleich denen einer Hyäne, sehen. Das ganze Gesicht schon machte auf die jungen Mädchen den Eindruck, als wäre es durch maßlose Leidenschaften so entstellt worden, und ein Kenner würde es auch wirklich für den Spiegel der Seele dieses Mannes gehalten haben.

»Beim Anblick dieses Chinesen bestätigt sich meine Ahnung,« flüsterte Miß Sargent ihrer Freundin zu, »es muß ein Reicher sein, er ist sicher nicht für Geld als Räuber gedungen worden, er hat selbst unsere Entführer bezahlt. Sehen Sie nur die schwerseidenen Kleider, die Diamanten an den gelben Schuhen.«

Dann bemerkten sie, daß der Wagen während der Nacht die Landstraße verlassen hatte und sich jetzt auf einem schmalen, holprigen Wege befand, der immer zwischen Reis- und Teefeldern dahinführte.

Die beiden Wächter am Eingange bedurften entweder keines Schlafes oder hatten in der Nacht ebenfalls geschlafen, sie saßen noch immer stumm da, ohne die Augen von den Mädchen abzuwenden. Sie waren gut bewaffnet; aus der als Gürtel dienenden Schärpe lugten Pistolengriffe hervor, und an ihrer Seite hing das lange, krumme, chinesische Schwert, als wären sie bereit, jeden Kampf aufzunehmen; und wirklich sahen die kräftigen Gestalten mit den herabhängenden Schnurrbärten sehr kriegerisch aus.

Bald erwachte auch der kleine Chinese, und sofort fielen seine grünen, geschlitzten Augen auf die beiden Mädchen und blieben mit Wohlgefallen an den schlanken Gestalten haften.

Jetzt zeigte es sich mit einem Male, daß er ziemlich gut englisch sprach, von dem er sich gestern abend nichts hatte merken lassen, wahrscheinlich hatten die starken Spirituosen die Kenntnis dieser fremden Sprache verwischt.

»Gut geschlafen?« fragte er freundlich, verzog aber die unförmlichen, schwulstigen Lippen zu einem so widerlichen Lächeln, daß sich schon jetzt die beiden Damen vor ihm zu ekeln begannen.

»Wir sind gleich zu Hause,« fuhr er fort, immer mit dem entsetzlichen Grinsen, und legte vertraulich seine Hand auf Miß Nikkersons Knie, welche bei dieser Berührung zusammenschauerte, aber sie vorläufig duldete.

Sie konnten sich ja doch in seinem Charakter täuschen; vielleicht war er nicht der schlechte Mensch, zu dem ihn sein Gesicht stempelte, er hatte ein solches nur von der Natur empfangen, und daß er die Mädchen jetzt entführte, mußte er vielleicht auf Befehl eines Höheren tun.

Aber bald sollten sie erfahren, wie sehr das Gesicht zum Charakter seines Besitzers paßte.

Er ließ es nicht dabei, die Hand wie von ungefähr auf das Knie des jungen Mädchens gelegt zu haben. Miß Nikkerson schleuderte sie endlich mit Entrüstung von sich und rief in drohendem Tone:

»Versuchen Sie nicht noch einmal, in solcher Weise sich zu benehmen! Und überhaupt, wer sind Sie, wohin führen Sie uns? Sind Sie ein Räuber, daß Sie Mädchen auf der Landstraße überfallen und wegschleppen lassen? Es wird Ihnen bald gezeigt werden, daß wir als Amerikanerinnen auch in Ihrem Lande Schutz finden. Augenblicklich lassen Sie den Wagen halten, ich will es!«

Dem Mädchen war plötzlich aller Mut zurückgekehrt, sie war bei dem letzten Worte aufgesprungen und hatte ihre Freundin mit emporgezogen, welche ebenfalls neue Hoffnung schöpfte, denn beide sahen durch eine Oeffnung der Plane nicht weit entfernt eine Villa sich erheben, nach europäischem Stile gebaut, und dort konnten sie Schutz finden.

Aber sie wurden am Verlassen des Wagens gehindert. Sofort waren auch die beiden Wächter aufgesprungen und harrten nur des Winkes ihres Herrn, sich auf die Mädchen zu stürzen, aber diese selbst gingen direkt auf sie zu und suchten sie zur Seite zu schieben und den Ausgang zu gewinnen.

Sie wurden natürlich daran gehindert, aber angesichts dieser Villa suchten beide doch mit Gewalt sich den Ausweg zu erzwingen, ein Ringen entstand, der kleine Chinese schrie und stampfte mit den Füßen, die Mädchen versuchten vergebens, sich aus den Händen der Wächter zu befreien – nach einigen Minuten lagen sie atemlos wieder auf den Polstern.

»Warum willst du denn hinaus, mein schönes Mädchen?« sagte der Chinese zärtlich zu Miß Nikkerson und näherte sein Gesicht ganz dicht dem ihrigen, so daß sie schon seinen heißen Atem spürte, »bleibe nur, Schätzchen! Du sollst es gut bei mir haben, ebenso deine Freundin.«

Damit legte er seinen Arm um ihre Taille, erhielt aber in demselben Augenblick einen solchen Schlag ins Gesicht, daß er der Länge nach auf den Boden des Wagens stürzte.

Diesmal schritten die beiden Chinesen nicht ein, sie konnten sogar ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken, als ihr Gebieter sich jammernd wieder erhob und die getroffene Backe mit beiden Händen festhielt, dabei einen Blick auf das schlagfertige Mädchen werfend, der zwischen Zärtlichkeit und Angst die Mitte hielt.

Aber der Schlag hatte weder seinen Zorn erregt, noch sein Wohlgefallen an Miß Nikkerson gedämpft, nur hielt er sich jetzt etwas entfernt von der kräftigen Hand des Mädchens und unterließ neue Gefühlsäußerungen.

Miß Nikkerson war aufgesprungen, noch konnte sie die Villa sehen.

»Wollen Sie uns augenblicklich herauslassen?« rief sie aufgeregt. »Ich verlange, daß wir aussteigen dürfen! Ihre Schandtat soll Ihnen verziehen sein, ich werde keine weiteren Untersuchungen einleiten, nur geben Sie uns jetzt die Freiheit, daß wir dort nach jener Villa gehen können.«

»Das sollst du ja auch, Schätzchen,« schmunzelte jetzt der dicke Chinese mit freundlichem Gesicht und rutschte wieder etwas näher, »gewiß, wir fahren auch nach jener Villa.«

»Das ist nicht wahr,« rief das Mädchen, »der Wagen fährt ja vorbei.«

»Nein, nein,« unterbrach sie der Chinese mit lebhaftem Kopfschütteln, »paß nur auf, mein Schätzchen, wir fahren dorthin. Und du sollst es dort sehr gut haben, brauchst den ganzen Tag nichts zu machen, kannst immer schlafen, rauchen, essen und trinken, was du willst. O, das soll ein herrliches Leben werden, meinst du nicht?«

Und der alte Chinese klatschte vor Freude in die Hände und berührte vorsichtig einmal mit dem Finger des Mädchens Hand, den Kopf dabei weit zurückbiegend, als fürchte er, auf die andere Backe auch noch einen Denkzettel zu erhalten.

Ueberrascht bemerkten die Mädchen, daß der Chinese die Wahrheit gesprochen hatte, wirklich folgte der Wagen plötzlich einer großen Biegung und fuhr dann auf einem anderen Wege wieder zurück, diesmal gerade auf die Villa zu.

Aber schon im nächsten Augenblick sahen sie ihre Hoffnung schwinden, auf ein von Europäern bewohntes Haus zu stoßen. Wenn es auch ein solches Aussehen besaß, so sah man beim Näherkommen doch auf den ersten Blick, daß es einem Chinesen gehörte.

An den Fenstern waren keine Gardinen, auf der Veranda keine Schaukelstühle, sondern nur Matten und niedrige Strohsessel zu sehen, auf denen einzelne eingeborene Weiber phlegmatisch hockten und den Klängen eines einsaitigen Instrumentes lauschten, das von einem kleinen Knaben bearbeitet wurde.

»Das ist mein Haus,« grinste wieder der Chinese. »Nicht wahr, es ist wunderschön? Seht nur dort die vielen bunten Vögel, sie sind alle Euch, Ihr könnt auch dort den ganzen Tag mit dem Hündchen spielen oder auf den Eseln dort im Hofe herumreiten.«

Der Alte war kindisch, das war jetzt klar, und die Mädchen hätten über seine Narrheit gelacht, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre. »Was haben Sie mit uns vor?« fragte wieder Miß Nikkerson. »Noch einmal, lassen Sie uns heraus, oder Sie werden es später bitter bereuen, Bürgerinnen der Vereinigten Staaten der Freiheit beraubt zu haben! Hüten Sie sich! Unsere Freunde werden nicht eher ruhen, als bis sie uns gefunden haben, und wenn sie uns auch nicht mehr am Leben finden, sie werden furchtbare Rache nehmen.«

Das Mädchen glühte vor Aufregung, und gierig hingen des Chinesen grüne Augen an der schönen Gestalt, deren Busen auf- und niederwogte und deren Wangen mit Purpurröte übergossen waren.

»Macht nichts,« lächelte er, »Schao-tschin liebt die Engländerinnen sehr, aber er hat bis jetzt noch keine gehabt. Ihr bleibt bei mir, und es wird euch bald sehr gut bei mir gefallen. Schao-tschin ist reich, sehr, sehr reich, er kann euch ganz in goldene Gewänder kleiden, und mit Goldstücken sollt ihr spielen dürfen. Und ihr braucht auch kein Fleisch zu essen, nein, nur die Nieren mit Rosinen dazu und von Fischen nur die Mäuler. Ah, ihr werdet bei mir wie im Paradiese leben, aber ihr müßt mich etwas lieb haben und mir hübsch folgen, wenn ich mit euch spielen will.«

Dabei faßte er einem der Mädchen unter das Kinn, hatte sich diesmal aber vorsichtigerweise Miß Sargent als den Gegenstand seiner Bewunderung ausgesucht, weil diese stiller war und er daher glaubte, sie würde sich seine Liebkosung ruhig gefallen lassen.

Doch da kam er gerade an die falsche.

Allerdings war Miß Sargent äußerlich eine ruhige Natur, aber während sie ein gesetztes Wesen zur Schau trug, kochte es in ihrem Innern nur zu leicht auf, und oft genügte ein kleiner Anstoß, um ihren Unmut hervorsprudeln zu lassen.

So auch jetzt.

Kaum berührten die kurzen, plumpen Finger des Mädchens Kinn, so sprang sie auf, und ehe es sich der Chinese versah, lag er mit dem Rücken auf dem Polster, und die Hiebe fielen hageldicht auf sein breites Gesicht. Es half ihm nichts, es mit beiden Händen zu bedecken, Miß Sargent schien eine Boxerschule durchgemacht zu haben, jeder Schlag fand einen unbedeckten Teil des fleischigen Gesichts, und so sehr der Chinese auch schrie und zeterte, die Wächter machten keine Anstalten, ihren Herrn aus den Händen des aufgebrachten Mädchens zu befreien.

»So, spielen willst du mit uns?« rief Miß Sargent und ließ ununterbrochen einmal den rechten, dann den linken Arm herabsausen. »Gut – da wollen – wir einmal – zusammen spielen. Gefällt dir – dieser Zeitvertreib – warte – du Halunke – ich will dir – deine Kindheit – schon austreiben – wer sein Kind lieb hat – der – züchtigt es!«

Endlich aber konnten die beiden Chinesen es doch nicht mehr mit ansehen, wie ihrem Herrn unter den Fäusten des Mädchens das Blut aus Mund und Nase zu fließen begann, sie bändigten die Aufgebrachte, konnten aber doch nicht verhindern, daß auch sie einige wohlgezielte Hiebe auf die Nase bekamen.

Atemlos ließ sich Miß Sargent auf die Kissen fallen und betrachtete ihr Opfer, das lang ausgestreckt und schreiend auf dem Polster lag und dem nun seine Diener das Blut mit einem Tuche von dem Gesicht trockneten.

Und Miß Nikkerson?

Der war plötzlich aller Mut und Frohsinn zurückgekehrt, sie lehnte sich zurück, stemmte die Hände in die Hüften und lachte, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen.

»Recht so, Miß Sargent,« rief sie unter Tränen lachend, »wir wollen einmal diesem Chinesen zeigen, was es heißt, eine Amerikanerin heiraten zu wollen. Ehe der uns zu Frauen bekommt, prügeln wir ihn jeden Tag einmal tüchtig durch, damit er Achtung vor seinen Gemahlinnen bekommt.«

Jetzt mußte auch Miß Sargent lachen.

»Die Geschichte fängt an, mir ordentlich Spaß zu machen,« sagte sie, »ich glaube, wir haben ein Abenteuer erwischt, um das uns später alle beneiden werden. Wir wollen einmal der ›Vesta‹ und dem Sternenbanner Ehre machen; jetzt prügeln wir erst den Hausherrn ordentlich durch, und setzt er dann nicht seine ehrerbietigste Miene auf, so werfen wir ihn zum Hause hinaus; und machen seine Diener saure Gesichter, dann jagen wir alle Chinesen vom Hof. Herrgott, ich fühle auf einmal eine Kraft in mir, als könnte ich alle die langbezopften Kerle an ihren Haaren aufhängen!«

Noch war des geschlagenen Chinesen Blut nicht gestillt, noch jammerte er über den unausstehlichen Schmerz im Gesicht und schalt seine beiden treuen Diener Hunde, Katzen und Schweine, denen der Bauch aufgeschlitzt werden müsse, als der Wagen langsamer fuhr und dann hielt.

Sie befanden sich in einem Hof, ganz nach chinesischer Art eingerichtet. Goldfasanen, Hühner, Truten spazierten darin herum, zierliche Rehe lasen vom Boden vorsichtig Grashalme auf, und überall lagen Katzen und jene haarlosen, fast wie Schweine aussehenden chinesischen Hunde herum und wärmten sich in den Strahlen der frühen Morgensonne.

Die Wächter forderten die Mädchen mit einer kurzen Handbewegung auf, ihnen zu folgen.

»Nur zu,« flüsterte Miß Sargent, »die Geschichte wird köstlich, ich möchte sie gar nicht mehr abkürzen. Seitdem ich weiß, daß Schao-tschin nicht nur Sie, sondern auch mich etwas liebt, fühle ich mich wieder vollständig glücklich. Wirklich, liebste Nikkerson, ich war vorhin etwas eifersüchtig auf Sie.«

Miß Nikkerson wurde angesteckt von dem Humor ihrer Freundin, bei der sie schon öfters bemerkt hatte, daß sie in der Stunde der Gefahr ihr sonstiges stilles Wesen ablegte und übermütig wurde. Ehe sie, Miß Nikkerson, den Wagen verließ, konnte sie es nicht unterlassen, den immer noch daliegenden Chinesen auf die Schulter zu klopfen und freundlich zu sagen:

»Ja, ja, mein lieber Schao-tschin, wer lieben will, muß leiden.«

Lachend sprangen sie beide aus dem Wagen, und Schao-tschin, durch ihre Fröhlichkeit wieder ermutigt, ja sogar wieder heiter geworden, folgte ihnen mit schmunzelndem Lächeln, wodurch das zerschlagene Gesicht zu einer wahren Teufelsfratze verzerrt wurde.

Aufgackernd floh das Geflügel, als die Damen leichtfüßig aus dem Wagen sprangen, die Katzen zogen sich in respektvolle Ferne zurück und die Hunde die Schwänze ein und betrachteten neugierig von weitem diese seltsamen Gäste, ebenso wie es die Chinesen auch taten.

Alle blieben stehen, setzten die Holzeimer oder die Milchschüsseln hin, deuteten mit dem Finger auf den geschlagenen Herrn und seine Gäste, flüsterten dann kichernd untereinander und nahmen schließlich ihre Beschäftigung wieder auf.

»Nun, wollen wir hier stehen bleiben?« fragte Nikkerson den Chinesen. »Ist das unsere zukünftige Wohnung?«

Der Chinese nickte lebhaft mit dem Kopfe, er glaubte, die beiden Mädchen wären anderen Sinnes geworden, der Anblick der hübschen, nach europäischem Muster gebauten Villa hätte ihre erste Meinung geändert, und sie wären gern bereit, ihm als seine Frauen zu folgen. Sein durch die Schläge noch mehr angeschwollenes Gesicht strahlte jetzt vor Entzücken.

»So führen Sie uns in unsere Gemächer, Mister Schao-tschin,« meinte Miß Nikkerson und nahm ohne weiteres den Arm des kleinen Chinesen in den ihren, welchem Beispiele Miß Sargent auf der anderen Seite folgte, »oder wollen Sie uns erst Ihren anderen Gemahlinnen vorstellen?«

»Nein, nein,« rief der überglückliche Chinese, »ihr sollt ganz allein sein, ich kann die Chinesenmädchen gar nicht mehr leiden, seitdem ich euch gesehen habe. Nicht wahr, hier ist es schön? Aber ihr müßt nicht dahin gehen, sondern dorthin,« und da er nach einem kleinen Seitengang deuten wollte, aber seine Hände nicht frei hatte, so hob er das kurze Beinchen mit dem gelben Schuhe hoch und deutete nach der betreffenden Richtung.

Ueber diese Bewegung mußten die Mädchen wieder laut auflachen, zur unendlichen Freude des Chinesen.

Aber ihr Weg nach der bezeichneten Tür wurde noch einmal unterbrochen, zum Schaden des Chinesen, der heute entschieden seinen unglücklichen Tag hatte.

Plötzlich stürzte aus einem Winkel des Hofes ein Weib hervor, in zerlumpte und schmutzige Gewänder gehüllt, und warf sich mit allen Zeichen rasender Wut auf den kleinen Mann.

»Wo ist Lionel, wo ist mein Mann?« kreischte sie in englischer Sprache. »Du hast ihn gemordet, du teuflischer Hund, gib mir ihn wieder, oder ich erwürge dich.«

Wirklich warf sie sich auf den Unglücklichen, der nicht einmal Gebrauch von seinen Armen machen konnte, und als er sie frei hatte, vergebens versuchte, dem würgenden Griffe des Weibes auszuweichen. Aber schnell kamen von allen Seiten Eingeborene herbeigelaufen, und diesen gelang es endlich, ihren Herrn aus den Händen der Rasenden zu befreien.

Das Weib stieß ein wildes Lachen aus, schlug mit den Armen in der Luft herum und sank dann, von Krämpfen befallen, zu Boden.

Ihr zuckender Körper wurde von einigen Chinesen nach einer Wagenremise getragen.

Mit Entsetzen hatten die beiden Mädchen in dem noch ziemlich jungen Weibe, dessen Gesicht aber verstört und leidend aussah, eine Europäerin erkannt, wahrscheinlich war sie sogar eine Engländerin, und daß sie wahnsinnig sei, das bestätigte jetzt auch der kleine Chinese, der sich jammernd den Hals rieb, wo er noch den würgenden Griff der Hände zu spüren schien.

»Sie ist von bösen Geistern besessen,« meinte er, »sie glaubt, ich hätte ihren Mann getötet, und ich habe es doch gar nicht getan. Ich kann nicht einmal ein Huhn totmachen, ich fürchte mich vor Blut, und wie soll ich denn da ihren Mann gemordet haben? Wer von euch hat sie auf den Hof gelassen?« fragte er die umstehenden Chinesen.

»Wer ist es denn?« fragte Miß Nikkerson. »Ist es nicht eine Engländerin?«

»Allerdings,« antwortete er, »als vor einigen Jahren hier ein Aufstand der Chinesen gegen die Engländer ausbrach – ich habe mich aber nicht daran beteiligt, ich habe immer die Engländer geliebt – da verkaufte vorher Mister Congrave sein Haus und floh mit seiner jungen Frau und seinem kleinen Kinde. Nach einigen Wochen kehrte aber die junge Frau ganz allein, auch ohne Kind, wieder hierher zurück, vollständig verrückt, und wollte durchaus in dieses Haus.«

»In dieses Haus?« fragte Miß Sargent.

Der Chinese nickte und setzte im weinerlichen Tone hinzu: »Ja, dieses Haus gehörte Mister Congrave, ich habe es ihm abgekauft. Nun gehört es mir.«

»Und wovon lebt die Frau jetzt?«

»Sie wohnt nicht weit von hier in einer kleinen Hütte, die ich ihr habe bauen lassen, und sie erhält täglich Essen von mir zugesandt, denn ich bin ein guter Mann, und sie tut mir leid. Aber in meinen Hof darf sie nicht, denn sie will mich immer totmachen, weil sie glaubt, ich hätte ihren Mann ermordet.«

»Haben Sie sich nicht erkundigt, ob sie Verwandte in China oder in ihrer Heimat hat?«

»Wie sollte ich denn? Ich kenne gar keine Engländer weiter, kann nicht englisch schreiben und wüßte überhaupt nicht, wie ich es anfangen sollte, mich nach ihren Verwandten zu erkundigen. Aber kommt jetzt,« fuhr er fort und henkelte sich wieder ein, »wir wollen in das Haus gehen und Reis und Rosinen essen und so süßen Tee trinken, wie ihr ihn noch gar nicht bekommen habt.«

»Kam die arme Frau ganz mittellos hier wieder an? Hat sie nicht erzählt, auf welche Weise sie ihren Mann und das Kind verloren hat?« fragte Miß Nikkerson nochmals.

»Gar nichts brachte sie mit, nur die Sachen, die sie anhatte, als sie vor den Chinesen fliehen mußte – aber ich war nicht mit unter den Aufrührerischen – und gleich, als sie hier eintraf, war sie schon von bösen Geistern besessen. Erst jammerte sie lange über ihr Kind, hätschelte immer junge Hunde oder Katzen, weil sie glaubte, es wäre ihr Baby, dann aber vergaß sie das, und seitdem spricht sie nur noch von ihrem Mann. Den Eintritt hier gestatteten wir ihr nicht, sie trat aber auf, als wäre sie die Herrin, und als man ihr sagte, ich wäre der Besitzer dieses Hauses, da fing sie an, mich zu hassen, und glaubte nun, ich hätte ihren Mann getötet – ich habe es ja aber nicht getan, ich kann nicht einmal eine Katze totmachen.«

»Die arme Frau,« seufzte Miß Sargent.

»Die Erzählung dieses Chinesen klingt nach Wahrheit,« sagte Miß Nikkerson auf französisch zu ihr, »der Alte ist vollständig kindisch, naiv und scheint in seiner Art ehrlich zu sein. Jedenfalls wollen wir die Angelegenheit dieser Frau später noch untersuchen.«

»Ja, später,« meinte Miß Sargent kopfschüttelnd, »mir kommt dieser Alte gar nicht so naiv vor. Alter schützt vor Torheit nicht, ich wollte, wir wären erst hier wieder heraus.«

»Sie werden doch nicht den Mut verlieren,« lachte die andere, »nachdem Sie sich erst so heroisch benommen haben? Ich freue mich sogar auf die Abenteuer, die uns noch bevorstehen! Wir wollen den Chinesen an der Nase herumführen, daß ihm Sehen und Hören vergeht, und will man uns etwa Gewalt antun, dann sollen sie uns vorbereitet finden. Die erste Lektion haben sie ja schon von Ihnen bekommen.«

Das Haus war erreicht, der Chinese ließ die beiden Mädchen in ein Gemach treten, das reich mit Teppichen, Diwans, kunstvoll geschnitzten Tischchen und anderen Möbeln ausgestattet war, an den Wänden hingen Vogelbauer mit Papageien, in einem der offenen Fenster war ein Aeffchen angekettet, und mitten im Zimmer schleuderte ein Springbrunnen einen dünnen Strahl in die Höhe, der in ein Bassin fiel, in dem sich zahlreiche Goldfische tummelten.

Bei ihrem Eintritt waren sie von einem eingeborenen Diener empfangen worden, der den Hausherrn, wie auch seine Gäste, mittels eines Federwedels mit Rosenwasser bespritzte.

Bald saßen die drei um ein Tischchen auf Polstern, der Chinese natürlich mit gekreuzten Beinen, und er nötigte seine Gäste fortwährend, aus den beiden Schüsseln zuzulangen, die vor ihnen standen. Die eine enthielt auf einer Seite Reis mit Korinthen, auf der anderen Reis mit starkem Pfeffer gewürzt, die zweite enthielt gebratenes Lammfleisch, in kleine Scheiben zerschnitten.

Der Hausherr hatte bei dem Kauf dieser Villa jedenfalls das ganze Inventar mitbekommen, denn für die beiden Mädchen waren silberne Messer, Gabeln und Löffel serviert worden, während der Chinese nach Art seines Landes aß.

Die Chinesen benutzen beim Essen nur zwei zugeschnitzte Hölzer, mit denen sie den festen Teil der Nahrung, wie Brot oder Fleisch aufspießen und auf dieses dann die losen Teile, wie Reis oder Gemüse, aufhäufen. Für einen Europäer ist es anfangs sehr schwierig, mit diesen sonderbaren Tischgeräten seinen Hunger zu befriedigen, immer nimmt man unwillkürlich die Finger mit dabei zur Hilfe. Der Chinese dagegen weiß äußerst geschickt mit diesen Hölzchen zu manövrieren; einige Sachen, wie zum Beispiel Fisch, kann er damit vollständig ohne Hilfe des Messers tranchieren.

»Na, denn mal los, würde Miß Staunton sagen,« meinte Miß Sargent lachend und fuhr mit dem Löffel in die gemeinsame Reisschüssel.

»Es ist jammerschade, daß Hope Staunton nicht hier ist,« entgegnete ihre Freundin, »die verstände es so recht, diesen verliebten Chinesen an der Nase herumzuführen. Unser Möglichstes wollen wir aber auch tun.«

»Was sagt ihr?« fragte der Chinese, der die französisch gesprochenen Worte nicht verstanden hatte. »Schmeckt es euch?«

Er legte die Hand schon wieder vertraulich auf Miß Nikkersons Hand, die es sich diesmal ruhig gefallen ließ.

»Ausgezeichnet,« antwortete sie. »Ist dies das erste und einzige Frühstück, welches wir heute bekommen? Es ist erst sieben Uhr, und bis Mittag ist noch lange Zeit.«

»Ihr könnt immer essen, wenn ihr wollt,« versicherte der Chinese eifrig, »ihr braucht nur in die Hände zu klatschen, so kommt ein Diener und fragt, was ihr essen oder trinken wollt. Trinkt ihr gern Liköre oder Rosenwein?«

Er klatschte in die Hände und rief dem eintretenden Diener einige Worte auf chinesisch zu, worauf derselbe alsbald eine Karaffe mit einer dunkelroten Flüssigkeit und auf einem hölzernen Teebrette winzige Gläschen hereinbrachte.

»Jetzt noch nicht, es ist noch zu früh,« wehrten aber die Mädchen ab. »Sonst werden wir betrunken,« fügte Miß Sargent hinzu.

»Das schadet nichts,« schmunzelte der Chinese und kippte zwei Gläser des stark nach Rosen duftenden Likörs – eine Spezialität Chinas – hinunter. »Aber ihr könnt auch Champagner bekommen, wenn ihr den lieber trinkt.«

In keinem außereuropäischen Lande wird so viel Champagner getrunken wie in China. Jeder reiche Kaufmann hält dort einen Vorrat dieses Schaumweins stets vorrätig, und kein vornehmer Besuch darf das Haus verlassen, keine kleine Festlichkeit darf vergehen, ohne daß die Pfropfen knallen.

Der Chinese liebt dieses Getränk so, daß er ganz vergißt, daß es eins der europäischen Erzeugnisse ist, die er sonst haßt, und wer in Deutschland Gelegenheit gehabt hat, mit Chinesen zu verkehren, der wird gefunden haben, welche grenzenlose Leidenschaft der langbezupfte Sohn des himmlischen Reiches für den moussierenden Wein hat. Es gibt chinesische Matrosen, welche innerhalb weniger Stunden ihren Gehalt für viele Monate für Champagner ausgeben, wenn sie ihn einmal gekostet haben, während sie sonst im Genuß von Spirituosen sehr mäßig sind und Geld für solche anderer Art überhaupt fast gar nicht ausgeben.

Hier sei gleich noch ein anderer Umstand erwähnt, der dem Fremden in China bald auffällt.

In China findet man fast nur zwei Arten von Lebensverhältnissen, beide bewegen sich in Extremen Der Chinese ist entweder furchtbar geizig, vollständig bedürfnislos, oder seine Verschwendungssucht ist grenzenlos. Der Kaufmann zum Beispiel arbeitet als Anfänger Tag und Nacht im vollsten Sinne des Wortes, seine tägliche Nahrung besteht in einer Handvoll Reis in Wasser gekocht, die Nacht verbringt er mit Hunderten zusammen in einem Schlafsaal, wo nur zehn Europäer es aushalten könnten, ohne zu ersticken, wofür er nach unserem Gelde etwa vier Pfennige zu zahlen hat, und im übrigen gibt er sich vollkommen seinem Geschäft hin. Man kann wohl sagen, der Chinese ist der beste Geschäftsmann der Welt, betrügen kann man ihn nicht, während er es selbst gern tut, aber man darf ihn auch nicht mit einem händelsüchtigen Juden verwechseln, der lieber jetzt einen Taler durch Betrug verdient, wenn er auch später, hätte er diesen Betrug nicht ausgeführt, hundert Taler in Aussicht gehabt hätte.

Niemand kann sein Geld so schnell umsetzen und verdoppeln, wie der Chinese, und wächst auch sein Reichtum, seine Bedürfnislosigkeit bleibt immer dieselbe, bis sie mit einem Male ins Gegenteil umschlägt. Er wird der furchtbarste Verschwender, wie man ihn unter keinem Volke der Erde wiederfindet, und doch weiß er auch hier immerhin, Maß zu halten, das heißt, er ruiniert sich nicht.

Man darf nicht glauben, daß er sein Geld nutzlos hinwirft, um es loszuwerden, sondern er erkauft sich die raffiniertesten Genüsse. China überhaupt ist das Land, wo das Raffinement des Genusses am weitesten vorgeschritten ist.

Ein Lukullus würde gegen einen chinesischen Feinschmecker ein wahrer Bauernknecht sein. Gibt ein reicher Chinese ein Fest, sollen Fische auf den Tisch kommen, so werden diese nicht etwa in der gewöhnlichsten Form serviert, sondern von den gekauften Fischen werden nur die Unterkiefer aufgetragen, das den Chinesen Leckerste; von hundert geschlachteten Hammeln werden den Gästen nur die fettesten Nieren vorgesetzt, und alles übrige kommt den Armen zu gute. Doch ist letzteres nur der Fall, wenn ein Chinese einmal anderen gegenüber seinen Reichtum zeigen will, sonst begnügt er sich damit, für seine Bedürfnisse derartige Herrlichkeiten im einzelnen zu kaufen.

Noch ausgebildeter ist in China der sinnliche Genuß, die Erfindungsgabe auf diesem Gebiete spottet jeder Beschreibung. Doch mag dies hier nur angedeutet sein, es gibt von Gelehrten herausgegebene Bücher, welche sich eingehend damit befassen.

Aber auch noch anderes, was zum Beispiel in dem üppigen Griechenland Mode war, ist dort noch überall verbreitet, so das Schlafen auf Kissen von frischen Rosenblättern, das Salben des Körpers mit wohlriechenden Oelen, das Räuchern mit Kerzen, von denen jedes Pfund mit Gold aufgewogen werden muß, und so weiter. –

Also auch unser Chinese ließ Champagner auftragen, mußte aber zu seinem Bedauern sehen, daß die beiden Gäste kaum ihre roten Lippen mit dem perlenden Naß benetzten.

»So setzt euch zu mir auf den Diwan,« sagte er jetzt, als er bemerkte, daß sie nicht mehr zulangten. Er selbst hatte fast gar nichts genossen, sondern nur jede Bewegung der Mädchen mit gierigen Augen beobachtet.

»Der Likör fängt an, bei ihm zu wirken.« sagte Miß Sargent zu ihrer Freundin auf französisch, »jetzt müssen wir vorsichtig sein, das ist ein Schwerenöter.«

»Was wollen Sie tun?« fragte die andere, als Miß Sargent aufstand.

»Setzen Sie sich wirklich zu ihm hin?«

»Natürlich,« lachte das Mädchen, »ich werde diese Geschichte weiter ausspinnen. Bis jetzt waren Sie die Begünstigte von uns beiden, nun werde ich einmal sehen, ob ich Sie nicht ausstechen kann.«

Lachend setzte sie sich neben den Chinesen auf das Polster, während Miß Nikkerson ihren Platz beibehielt.

Dieses Entgegenkommen gefiel dem alten Mann ungemein; sein Erstes war, daß er die Hand des Mädchens in die seine nahm und zärtlich drückte.

Aber was war denn das? Fühlte er nicht einen leisen Gegendruck? Dem Chinesen begann mit einem Male das Herz noch schneller zu schlagen, er hatte ganz vergessen, daß er vor einer Stunde von ebenderselben Hand, die er jetzt streichelte, tüchtige Hiebe bekommen hatte. Er war außer sich vor Freude.

Das Bild Miß Nikkersons war aus seinem Herzen verschwunden, Miß Sargent war dafür eingezogen.

»Hast du mich lieb?« fragte er zärtlich.

»Natürlich, aber anfassen dürfen Sie mich nicht, noch sind wir nicht getraut.«

Miß Nickelson hielt sich das Taschentuch vors Gesicht.

»Getraut?« fragte der Chinese, er hatte das Wort nicht verstanden.

»Was ist das?«

»Du mußt mich erst zu deiner Frau machen,« erklärte Miß Sargent.

»Gewiß, gewiß,« versicherte der Chinese eifrig, »du wirst meine Lieblingsfrau, dir müssen alle anderen gehorchen.«

»Auch diese da?« und das Mädchen deutete dabei auf ihre Freundin.

»Auch diese.«

»Sehen Sie,« lachte Miß Sargent, »ich bin die Favoritin. Fühlen Sie seine Ehrfurcht? Aber lieber Schao-tschin, du hast ja fast gar nicht gegessen.«

»Ich möchte wohl essen, aber« – der Chinese warf einen verliebten Blick auf das Mädchen an seiner Seite. Dann fuhr er fort:

»Willst du mich nicht essen lassen?«

»Ich? Gewiß!«

»Dann – dann – füttere mich.«

Miß Nikkerson brach in ein schallendes Gelächter aus, ihre Freundin aber nahm die Schlüssel mit Reis in ihren Schoß und begann dem verliebten kindischen Chinesen einen Bissen nach dem anderen in den Mund zu schieben, einmal einen mit Korinthen und Rosinen, dann einen mit gepfeffertem Reis.

Der Chinese kniff vor Vergnügen die geschwollenen Augen zusammen, schluckte schmatzend die Speisen hinter und liebäugelte nach dem Mädchen, das ganz ernsthaft dieser Beschäftigung oblag.

»Schmeckt es?« fragte sie ihn.

»Was soll aus deiner Hand nicht schmecken?« war die Antwort, und der Chinese bog den Kopf vor, als könne er den Löffel nicht bekommen, und ehe sich Miß Sargent versah, fühlte sie sich von zwei Armen umschlungen, und zwei schwulstige, klebrige Lippen hingen mit lautem Schmatzen an ihrem Munde.

Aber dem Chinesen sollte es nicht lange vergönnt sein, von dieser verbotenen Frucht zu naschen, plötzlich stülpte sie eine Schüssel über seinen Kopf, und über das Gesicht des unglücklichen Schao-tschin lief ein liebliches Gemisch von Reis, Korinthen und Rosinen bis tief in den Nacken hinab. –


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